Synagoge

Aus Theoria Romana
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Der griechische Ausdruck synagoge bedeutet einfach "Versammlung", aber die Juden haben diesem Wort eine ganz spezifische Bedeutung gegeben. Zu welchem Zeitpunkt genau die Synagoge entstand ist unsicher. Sowohl im Babylonischen Exil (587-537 v.Chr.) als auch nach der von Esra im 5.Jh. v.Chr. in Judäa durchgeführten Erneuerung des Bundes der Juden war jeweils ein Kontext für die Stiftung einer Instituition gegeben, durch welche den Juden das Gesetz in Erinnerung gerufen werden konnte. Die ersten schriftlichen Hinweise auf die Existenz einer Synagoge finden wir allerdings erst im 3.Jh. v.Chr. auf Papyri aus Ägypten. Aber schon im 1.Jhr. n.Chr. deuten viele Quellen darauf hin, dass die Synagogen inzwischen sowohl in Palästina als auch in der Diaspora weit verbreitet waren: Die Evangelien erwähnen Synagogen in den Dörfern Galiläas, und die Apostelgeschichte spricht von zahlreichen Synagogen in Jerusalem. Eine Inschrift, die in Jerusalem gefunden wurde und von einem gewissen Theodotus aus der Zeit 70 n.Chr. stammt, rühmt die Synagoge, die dieser samt einer Herberge errichten ließ. Sowohl die Apostelgeschichte als auch die Paulusbriefe berichten von Synagogen, die es in jeder Diasporagemeide gab. Josephus deutet darauf hin, dass einige von ihnen schon seit vielen Jahre existierten. Im Gegensatz dazu stammen die meisten Inschriften und archäeologischen Überreste von alten Synagogen aus dem 3.Jh. n.Chr. und aus späterer Zeit.

Die Synagogen waren der Ort, wo die jüdischen Gläubigen das Gesetz ihres Gottes, das sie in der Tora (= 5 Bücher Mose) verehren, lesen und verstehen lernen konnte. DIe Gesetzesrolle wurde im Tora-Schrein aufbewahrt und stand so visuell und liturgisch im Mittelpunkt des Synagogengottesdienstes. Die weite Verbreitung der Synagogen weist wohl darauf hin, dass dieser heilige Text von den Juden überall für normativ gehalten wurde. Diese intensive Verehrung einer heiligen Schrift unterschied das Judentum von den anderen Religionen der Antike: Fast das ganze Schrifttum dieser Zeit bestand aus Kommentaren zur oder Parafrasen der Tora, und die ganze jüdische Ethik und Theologie hatten in ihr ihre Grundlage. Hieraus wird die Bedeutung der wöchentlichen Lesungen ersichtlich, die allen Juden den Zugang zur Tora ermöglichten.

An vielen Orten dienten die Synagogen nicht nur zum Tora-Unterricht. Die versammelte Gemeinde konnte auch über politische Angelegenheiten diskutieren, und in den Städten, wo die Juden eine Minderheit darstellten, sorgte die Synagoge auch für das leibliche Wohl ihrer Gläubigen. Die Gemeindegelder waren dort aufbewahrt und die Angestellten der Synagoge übernahmen als Laien Führungsaufgaben in der Gemeinde. Das Gericht wurde in der Synagoge abgehalten und manchmal wurde die Bestrafung an Ort und Stelle vollzogen. Gelegentlich schlossen sich auch Herbergen für die Besucher an den Versammlungsraum an. Diese soziale Funktion der Synagoge stand natürlich in den vorwiegend jüdischen Gemeinden Palästinas weniger im Vordergrund. Aber in Jerusalem verstärkten die Juden ihre regionalen Identitäten, indem sie die Diaspora nachahmten und jeder Nationalität ihre eigene kleine Synagoge errichteten.

Diese Rolle der Synagoge als öffentlicher Ausdruck der jüdischen Identität gerade an feindlich gesinnten Orten trug dazu bei, dass große Gebäude, wie z.B. in Antiochia, errichtet wurden: Sie waren zugleich Ausdruck wie Verstärkung des sozialen Gewichtes der Juden. Solche Absichten standen aber in den größeren Städten in Konflikt mit der weniger weltlichen, aber zentralen Aufgabe, das Gesetz zu unterrichten: Die Synagoge von Alexandria scheint so riesig gewesen zu sein, dass jene, die hinten saßen, die Segensprüche nicht hören und nur auf den Wink eines Dieners hin im richtigen Moment "Amen" sagen konnten. Die größeren jüdischen Gemeiden zogen es daher vor, mehrere Synagogen in der gleichen Stadt zu errichten. Sonst haben aus der Diaspora nur kärgliche archäologische Hinweise auf Synagogen dieser frühen Zeit überlebt: Die Inschriften, wie "dem höchsten Gott" gewidmet sind und zu einem gewaltigen Bau aus dem 1.Jh. v.Chr. bei Delos gehören, weisen diesen mit großer Sicherheit als Synagoge aus. In Ostia sind ebenfalls Spuren einer Synagoge aus dem 1.Jh. n.Chr. gefunden worden, wenn auch über ihre Ausgestaltung wenig gesagt werden kann. Die Dürftigkeit des archäologischen Beweismaterials für die Bauten der Diaspora ist aber wenig bezeichnend, da die Archäologie sich dort viel weniger als im Heiligen Land auf die Suche nach frühen Synagogen gemacht hat.

Auffälligerweise rühmen zeitgenössische Autoren des 1.Jh. v.Chr. die prächtige Bauweise nur von Synagogen in der Diaspora. Die vergleichsweise Bescheidenheit der Bauten im Land Israel hat auch die archäologische Erforschung der Synagogen in Palästina bestätigt: Bisher sind dort erst vier Synagogen gefunden worden, deren Bau vor 70 n.Chr. angesetzt werden kann. Zwei von ihnen wurden innerhalb der königlichen Burgen Masada und Herodeion entdeckt: Die jüdischen Rebellen, welche diese Festungen im Ersten Jüdischen Krieg kurze Zeit besetzt hielten, haben da ein bestehendes öffentliches Gebäude zu einer Synagoge umgestaltet, indem sie den Mauern entlang Steinbänke anbrachten. In Gamala (Golan) entdeckte man in der Nähe der Stadtmauer einen beeindruckenden Bau, und in Kafernaum wurden einige Fundamente unter der späteren Synagoge gefunden, die wohl zu den Synagogen des 1.Jh. v.Chr. gehören. Diese mageren archäologischen Ergebnisse für die Zeit vor 70 n.Chr. zeigen, dass die Synagogen im Heiligen Land zur Zeit des zweiten Tempels - ganz im Gegensatz zur spätrömischen Zeit - nicht in einem monumentalen Stil gebaut wurden.

Wahrscheinlich deutet die prachtvollere Bauweise der Diasporasynagogen vor 70 n.Chr. auf auf ihre größere religiöse Bedeutung hin. Die Synagogen dienten ursprünglich dazu, das Gesetz zu unterrichten. Da die Tora aber im Palästina des 1.Jh. auch außerhalb der Synagogen, nämlich im anspruchsvollen Unterricht der Schriftgelehrten, interpretiert wurde, war die Pflege des mosaischen Gesetzes für die Gegenwart (z.B. die Erhaltung des Sabbats und die Beachtung der Reinheitsvorschriften) in Palästina nicht fest mit der Synagoge verbunden. In Palästina war es möglich, ein frommer Jude zu sein, ohne regelmässig in die Synagoge zu gehen - Johannes der Täufer war einer von ihnen. So kann Jesus das Gebet als eine ganz private Form der Gottesverehrung verstehen und ihr das öffentliche Beten in Synagogen als Prahlerei gegenüberstellen. In der Diaspora dagegen werden die Synagogen auch noch in dieser Zeit als "Gebetshäuser" beschrieben. Im übrigen blieben aber für jeden Juden die Opfer im Tempel von Jerusalem die wirksamste Forum der Gottesverehrung.


Quelle: Herders Grosser Bibelatlas