Indigitamenta
Die Indigitamenta sind eine besondere Gattung von Pontifical-Büchern, in welchen eine große Anzahl an Gottheiten verzeichnet waren, die nur ganz bestimmte und auf wenige Bereiche beschränkte Funktionen hatten.
Inhalt
Die Inditiamenta beinhalten eine Sammlung von Götternamen samt der alten Gebetsformeln des öffentlichen, von den Pontifices überwachten, Gottesdienstes, in denen die Reihen und Namen der Götter nach eigentümlichen liturgischen Prinzipien zusammengestellt waren. Sie enthielten gleichsam Anweisungen, welcher Indiges im einzelnen Falle anzurufen war. Die charakteristische Eigentümlichkeit der Indigimentagottheiten bestand in der eng begrenzten Wirksamkeit in fest bestimmten Fällen, demgemäß sie als dii certi bezeichnet werden, d.h. als Götter, deren Natur und Bedeutung sich mit Sicherheit ermitteln ließ. Indigetes bezeichneten also einen in einer bestimmten menschlichen Handlung, Tätigkeit, einer einer bestimmten Sache, Örtlichkeit und zwar nur in dieser einen und in keiner anderen Handlung wirkenden Gott. Diese Indigitamenta enthielten wohl auch alle Anrufungsformeln an alle Gottheiten der alten Religionsordnung. Sie war wahrscheinlich nach Sachthemen geordnet: a) Zeugung, Schwangerschaft, Geburt, b) übriges Leben, c) Landbau.
Bedeutung
Die Pontifices waren die Schöpfer der eigenartigen Götterwelt und der bis ins Kleinste gehenden Kasuistik der Indigitamenta, indem sie lehrten, dass jeder Moment des menschlichen Lebens, jede Tätigkeit etc. unter dem Schutze einer nur diesem einen Moment eigenen Gottheit, d.h. eines Indiges stehe, und indem sie diese Gottheiten mit Namen, die ihre Funtionen möglichst genau ausdrückten, bezeichneten. Nicht lebendiger Volksglaube an die Mächte des Himmels und der Erde, sondern eine von Priestern erfundene und vorgenommene Vergöttlichung abstrakter Begriffe liegt in den Indigetes und Indigitamenta vor. Der Ursprung dieser Lehre der Pontifices liegt wohl in der tiefen Religiosität, welche sich des göttlichen Schutzes in jedem Augenblick des Lebens versichern will. Der auf das Abstrakte gerichtete Sinn der Römer veranlasste es, dass diese Religiosität in einer unbegrenzten Anzahl von Begriffsgöttern und in einem damit verknüpften endlosen System gottesdienstlicher Observanz aufging.
Jeder von den Pontifices geschaffene Indiges ist von Natur ein in jeder Beziehung selbstständiger Gott, auch wenn seine Funktionen und sein Name mit der Bedeutung und dem Beinamen einer 'größeren' Gottheit übereinkommt. Indigetes wie Cinxia oder Lucina sind Erfindungen der Priester, die Iuno Cinxia oder Iuno Lucina gehört dagegen dem Glauben des Volkes an.
Der Form nach muss man sich die zu den einzelnen Gottheiten gehörenden Gebete wohl nach Art der alten Liturgien oder Hymnen zu denken haben. Ohne Zweifel waren die Texte ursprünglich geheim und nur für die geweihten Kreise der Priester bestimmt und der Öffentlichkeit sorgfältig entzogen gewesen.
Entwicklung
Die Indigitamenta wurden auf den König Numa zurückgeführt, wie alle Schriften, die zu den ältesten Urkunden im Archiv der Pontifices gehörten. Dass ein so künstliches Erzeugnis der Priesterweisheit aber wirklich bis in die Königszeit zurückreicht ist unwahrcheinlich. Es lassen sich allerdings aus einigen chronologisch genau bestimmten Ereignissen, mit denen der Kult gewisser Indigetes im Zusammenhang steht, Anhaltspunkte gewinnen für eine ungefähre Bestimmung der Zeit, in welche das auf das Schaffen von Indigites gerichtete Wirken der Pontifices und die Entwicklung der Indigitamenta zu setzen ist.
Als im Jahre 391 v. Chr. (363 a.u.c.) eine nächtliche Stimme das Anrücken der Gallier verkündet hatte, aber unbeachtet geblieben war, wurde im Jahr 390 v. Chr. (364 a.u.c.) nach der Niederlage der Römer durch die Gallier zur Sühnung des begangenen Frevels an der Stelle, wo die stimme gehört worden war, dem Aius Locutius ein Altar oder ein kleines Heiligtum gebaut. Diese Gottheit war unzweifelhaft ein Indiges. Der Vorgang zeigt, dass die Pontifices schon im Jahre 391 v. Chr. (363 a.u.c.) ihre schöpferische Tätigkeit übten. Im Jahre 211 v. Chr. kehrte Hannibal nach römischen Erzählungen, als er auf Rom loszog, durch Visionen erschreckt kurz vor der Stadt plötzlich um. An der Stelle, wo dies geschehen war, wurde ein fanum (Heiliger Bezirk, Sakralbereich) eines Gottes, der den Doppelnamen Rediculus Tutanus oder Tutanus Rediculus geführt zu haben scheint, erbaut. Auch hier handelt es sich um einen Indiges, wobei jedoch unterschieden bleiben muss, ob dieser Gott damals erst geschaffen oder einem schon vorhandenen die Verscheuchung Hannibals zugeschrieben wurde. Letzte Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen. Während Gottheiten des Kupfer- und Silbergeldes, Aescolanus und Argentinus, existierten, hat es wohl einen Aurinus, Gott des Goldgeldes, nicht gegeben. Danach muss angenommen werden, dass die Pontifices das Goldgeld, welches in Rom zuerst im Jahr 217 v. Chr. geprägt wurde, keinen Indiges festsetzten, während sie für das nicht gar so lange vorher im Jahr 269 oder 268 v. Chr. zuerst geprägte Silbergeld einen solchen aufgestellt hatten. Demnach scheint es, dass zur Zeit des zweiten Punischen Krieges der Indigetenkult im Kollegium der Pontifices selbst in Verfall geriet, insofern das Schaffen neuer Indiges aufhörte und vielleicht nur bei ganz außergewöhnlichen, wichtigen Gelegenheiten noch stattfand.
Es ist möglich, dass ein Priestertum, welches sich immer mehr verweltlichte, wie dies bei den Pontifices der Fall war, den komplizierten und mühsamen Indigetenkult und die äußerst umständlichen Indigitamenta gar bald ganz in Vergessenheit haben geraten lassen. Daher konnte verhältnismäßig früh der Begriff der Indigetes aus dem Bewusstsetin des Volkes verschwinden, umso mehr als die Indigetes, wie sie Schöpfungen der Pontifices waren, so offenbar niemals recht in den Volksglauben gedrungen und stets mehr Götter der Priester geblieben sind. Das Volk war jedenfalls immer darauf angewiesen, sich bei den Pontifices betreffs der Verehrung der Indigetes Rat zu holen.
Liste der Indigitamenta-Gottheiten
Literatur:
Preller, Ludwig: Römische Mythologie, Berlin 1883.
Roscher, Wilhelm Heinrich: Indigitamenta, in: Ders. (Hrsg.): Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie, Bs. 2, Leipzig 1890, Sp. 187–233.
Wissowa, Georg: Religion und Kultus der Römer, München 1971.