Rhetorik

Aus Theoria Romana
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Die Rhetorik (lat.: ars oratoria), die Redekunst, bildete gemeinsam mit der Philosophie den wichtigsten Wissensbereich der griechisch-römischen Kultur. Dementsprechend spielte sie auch bei der Erziehung eine zentrale Rolle, um junge Aristokraten für eine juristische oder politische Laufbahn vorzubereiten.

Entwicklung

Sophistik und Platon

Die Anfänge der griechischen Rhetorik als Technik der Rede liegen wohl im Sizilien des 5. Jahrhunderts, wo die Sophisten Teisias und Korax begannen, die Redekunst zu systematisieren und an Schüler zu lehren. Ihr Schüler Gorgias brachte diese Praxis schließlich um 427 v. Chr. nach [[Athen]], wo er seinerseits eine Rednerschule eröffnete und junge Aristokraten in seiner Kunst unterrichtete. Dabei legte er durch Musterreden und seine Schwerpunkte auf die Ausdrucksweise Grundlagen, die etwa als Gorgianische Figuren (z. B. Antithesen, die besonders überzeugend wirken sollten) noch in späterer Zeit große Bedeutung besaßen. Sein schwaches Interesse am Redeinhalt zeigte sich auch darin, dass er angeblich sowohl die Fähigkeit zur prägnanten Kürze, als auch zur unbegrenzt langen Rede über ein bestimmtes Thema hatte. Ihre Philosophie erschien dabei pragmatisch, indem das Wahrscheinliche der schwer zu erkennenden Wahrheit vorgezogen wurde.

Neben Gorgias gehörten auch Thrasymachos von Chalkedon, Hippias, Antiphon (der erstmalig Gerichtsreden veröffentlichte) und Theodoros von Byzanz zu den sophistischen Rednern. Der wichtigste Rhetor dieser Epoche wurde jedoch Isokrates, der die Redekunst als Mittel zur Erziehung des Menschen betrachtete. Dabei sollte sich der Lernende vor allem mit philosophia beschäftigen, die zugleich als Wissenschaft und Weisheit betrachtet wurde. Durch die Rhetorik ihm anschließend die Fähigkeit geben, seine moralischen Grundsätze in der Öffentlichkeit zu vertreten.

Davon grenzte sich Platon scharf ab. Im Gegensatz zu den Sophisten legte er den Schwerpunkt deutlich auf den Inhalt: Nicht die als Beliebigkeit kritisierte Wahrscheinlichkeit, sondern die philosophische Wahrheit sollte ihr zugrunde liegen. Ebenso forderte er eine Anpassung der Länge der Rede an die Dringlichkeit des Gegenstandes und das Praktizieren der Redekunst als "Seelenführung", was nach seiner Auffassung die Berücksichtigung kosmischer Zusammenhänge beinhaltete. In seinem Dialog "Gorgias" stellte er die Rhetorik schließlich der Philosophie als Gegensatz gegenüber, womit er zur klassischen Referenz aller Kritiker der Redekunst wurde.

Trotz dieser Geringschätzung von Rhetorik beschäftigte auch Platons Schüler Aristoteles intensiv mit dieser. Um den platonischen Antagonismus aufzuheben, teilte er den beiden Wissenschaften unterschiedliche Themenfelder zu: Während die Philosophie, besonders die Dialektik, allgemeine Themen behandelte, waren der Rhetorik praktische Themen vorbehalten, insbesondere juristische, politische und religiöse Themen. Dabei verstand er sie als "die Fähigkeit, bei jedem Gegenstand zu erkennen, was er an Überzeugungskraft hat", wobei er - wie sein Lehrer - vor allem auch psychologische Aspekte dieser Kunst betrachtete.

Hellenismus

Im Gegensatz zur klassischen Zeit sind für den Hellenismus wenige rhetorische Schriften überliefert. Dennoch wurde die Rhetorik in dieser Zeit zum kanonischen Bildungsinhalt für hellenistische Eliten. Obwohl die griechischen poleis in dieser Zeit weniger politische Autonomie besaßen, benötigten diese Eliten die Redekunst noch immer für ihre Tätigkeiten in den königlichen Bürokratien und bei diplomatischen Verhandlungen.

Wie in vielen anderen Wissenschaften differenzierte sich auch die Rhetorik stärker aus, etwa in verschiedene Redegattungen (genera dicendi), Redeteile und Stile. Eine wichtige Rolle spielten hierbei die Peripatetiker wie Theophrastes oder Hermagoras. Ebenso vermischten sich Philosophie und Redekunst wieder stärker, sodass in Rednerschulen nun auch wieder die wichtigsten philosophischen Ansätze gelehrt wurden, während insbesondere die Stoiker ihrerseits die Rhetorik betrachtete und normative Regeln für sie aufstellte.

Römische Republik

Wie in Griechenland hatten auch die römischen Eliten seit jeher großen Bedarf an öffentlichen Reden, die in Politik, Militär und Jurisdiktion, aber auch zu sozialen Anlässen wie Leichenreden (laudatio funebris) auftauchten. Diese praxisorientierte Redekunst orientierte sich an konkreten Vorbildern, die von jüngeren Rednern immitiert wurden, was dem aristokratischen sozialen Gefüge entsprach.

Dementsprechend begegneten die römischen Eliten den nach den Punischen Kriegen auftauchenden griechischen Rhetoren anfangs eher mit Misstrauen. Dennoch erwies sich die Redekunst, die insbesondere in den Gerichtshallen Roms Anwendung fand, für homines novi wie etwa Cicero als Sprungbrett in eine politische Karriere. Damit gewann sie allgemein in der römischen Aristokratie an Bedeutung, was sich darin zeigte, dass sie nach kurzer Zeit nicht mehr nur auf Griechisch, sondern sich als eine spezifisch römische Rhetorik auf Latein praktiziert wurde. Dennoch blieb die Rhetorik wie die Schulbildung auch im 1. Jahrhundert v. Chr. weitgehend zweisprachig.

Die ersten überlieferten lateinischen Lehrwerke über Rhetorik sind die anonyme Rhetorica ad Herennium und Ciceros De Inventione, die sich vor allem an Bedürfnissen der Gerichtsrede orientierten und dabei stark formalistisch vorgingen, während sie gleichzeitig die verkünstelte hellenistische Rhetorik kritisierten. Cicero verfolgte in diesem und seinen weiteren Werken - ähnlich wie Cato der Ältere - das Ideal des vir bonus dicendi peritus, der moralische und rhetorische Perfektion auf sich vereinte und seine Fähigkeiten für die Gesellschaft einsetzte. Insbesondere in De oratore legte er diesem Ideal eine fundierte Allgemeinbildung und sophistische Prinzipien, gepaart mit ethischer Verantwortung, zugrunde.

Mit diesen Ansichten sollte Cicero in der hohen Kaiserzeit zum Inbegriff des idealen Redners stilisiert, der zu einem Ciceronianismus der Rhetorik bis in Neuzeit hinein führen sollte.

Kaiserzeit

Ähnlich wie im Hellenismus erlebte die Rhetorik auch mit dem Beginn der Kaiserzeit einen Wandel in ihren praktischen Anforderungen: Politische, öffentliche Reden verloren an Bedeutung, stattdessen trat auch in Rom die Rhetorik vor allem innerhalb der kaiserlichen Verwaltung, der Diplomatie und in standardisierter Form in den Gerichtshöfen in Erscheinung. Dabei erfreuten sich ad hoc-Vorträge besonders großer Beliebtheit.

Dementsprechend wurde die Rhetorik in Rom noch stärker als in Griechenland zum Zentrum lateinischer Schulbildung. Bereits bei Grammatik-Lehrern begannen Schüler mit dem Vortrag von declamationes und besuchten später spezialisierte Rhetoriklehrer. Dies erzeugte auch eine neue Vielzahl rhetorischer Lehrbücher, die weiterhin sowohl die lateinische, wie auch die griechische Rhetorik behandelten, sowie seit Vespasian sogar die Einrichtung zweier staatlicher Lehrstühle für Rhetorik in Rom.

Der erste Inhalt des Lehrstuhles für lateinische Rhetorik war Quintilian, dessen Institutiones oratoriae ein umfangreiches Lehrwerk der Redekunst darstellten. Hierbei nahm vor allem die Frage der Verbindung von Rhetorik und Philosophie einen breiten Raum ein.

Weitere wichtige lateinische Rhetoren der Kaiserzeit waren der Prinzenerzieher von Marc Aurel und Lucius Verus, Marcus Cornelius Fronto, sowie Calpurnius Flaccus. Bis in die Spätantike erfreute sich die lateinische Rhetorik jedoch großer Beliebtheit, ehe sie mit dem Untergang des römischen Reiches in Vergessenheit geriet.

Neben der lateinischen Redekunst existierte allerdings auch die griechische Rhetorik weiter: Sie orientierte sich vor allem an den klassischen Idealen und wurde deshalb insbesondere von der Debatte um Asianismus, einem eher schwülstigen, und Attizismus, einem eher nüchternen Redestil, geprägt. In diesem Zuge wurde auch ein Kanon der zehn wichtigsten attischen Redner aufgestellt. Seit Hadrian kam schließlich die Zweite Sophistik auf, die sich an der Sophistik des Fünften Jahrhunderts orientierte und wieder öffentliche Schaureden aufkommen ließ. In diesem Zuge richtete Hadrian auch in Athen mehrere Rhetorik-Lehrstühle ein, die von Lollianos von Ephesos und Minukianos, zwei wichtigen Rednern ihrer Zeit, besetzt wurden.


Literatur: Christina Walde, Art. Rhetorik, in: DNP.