Literatur

Aus Theoria Romana
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Die römische Literatur bezeichnet hier die Gesamtheit der lateinischen schriftlichen Erzeugnisse zur Zeit des römischen Reichs.

Epochen der römischen Literatur

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten die römische Literatur zu Periodisierung. Häufig wird eine Periodisierung bevorzugt, die sich eng an die historisch-politische Unterteilung knüpft. Jedoch sind die Epochenschwellen der römischen Literatur, die Zäsuren, die sich innerhalb der Entwicklung feststellen lassen, nicht unbedingt nur von der politischen Lage abhängig. Vieles ist auch von innerliterarischen Abläufen bedingt. Eine nach diesem Kriterium ausgerichtete Epochenfolge, würde zu drei großen literarischen Zeiten führen: 1. Die archaische Zeit der Vorklassik (von der Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. bis zum Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr., von Livius Andronicus bis zum Satiriker Lucilius); 2. Die Klassik (von den neunziger Jahren des 1. Jahrhunderts v. Chr. bis zum Tode des Augustus, von Catull, Lukrez und Cicero bis Livius und Ovid); 3. Die Nachklassik (von Tiberius bis zum Zusammenbruch des Prinzipats in der Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr., von Seneca bis zum Erlöschen der literarischen Produktion).

Die Vorklassik (Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. bis zum Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr.)

Die römische Vorklassik zeichnet sich durch ihre Abhängigkeit und Gebundenheit, einerseits vom zeitgenössischen Kanon und der griechischen Literatur, andererseits von den gegebenen politischen und kulturellen Verhältnissen Roms. Die Werke sind noch kein Audruck individuellen Erlebens oder individueller Überzeugungen. Die wichtigste instituionelle Voraussetzung für die Vorklassik war die Theaterbühne. Die beginnende Redekunst ging ebenfalls aus festen Gegebenheiten hervor; sie hielt sich an die Volksversammlungen und den Senat als althergebrachte Instanzen öffentlicher Wirksamkeit.

Einigen subjektiven Spielraum wusste sich die Literatur der Vorklassik allerdings im Bereich der politisch-gesellschaftlichen Kritik zu verschaffen: Die Historiographie, das historische Epos und die Satire jener Zeit sind am deutlichsten von den Impulsen und dem schöpferischen Engagement Einzelner geprägt. Außer den institutionellen Voraussetzungen, engten die ständischen Konventionen das literarische Hervorbringen ein: Die Prosa war Sache der führenden Schicht; die Dichtung blieb im Wesentlichen den kleinen Leuten überlassen, die sich teils adliger Protektion erfreuten, teils in unabhängiger Stellung die szenischen Spiele mit Stücken versorgten.

Die Vorklassik begnügte sich auch mit einem eingeschränkten Repertoire an Gattungen. Im Bereich der Dichtung hatte das Drama eine dominierende Stellung inne; außerdem entstanden einige Epen, jedoch noch kein repräsentatives Lehrgedicht. Eine besondere Schöpfung war die Satire des Lucilius; Lyrik wiederum blieb noch aus. Im Bereich der Prosa konzentrierte man sich auf die Geschichtsschreibung, außerdem trat die öffentliche Rede in die literarische Phase ein: Man begann sie schriftlich auszuarbeiten und zu verbreiten. Die Philosophie fand noch keinerlei Pflege und die fachliche wissenschaftliche Schriftstellerei kam über erste Versuche nicht hinaus.

Die Gattungen, Versmaße und Stilmittel waren griechischer Herkunft. Von dieser Folie hebt sich der wichtigste Beitrag der Vorklassiker, die Formung der lateinischen Sprache, stark ab. Die Pioniere des 3. und 2. Jahrhunderts v. Chr. fanden geradezu eine Tabula rasa vor. Das Latein dieser Zeit, zumal sein lautlicher Zustand, war noch nicht zu einem festen Regelsystem geronnen, und man kannte fast nur das praktisch gehandhabte, an die jeweilige Situation gebundene Wort. Die Vorklassiker haben diese Ausgangslage in zweifacher Hinsicht geändert: Sie brachten die Fluktuation der Sprache zum Stillstand, und sie prägten für die von ihnen gepflegten Gattungen und damit für die Literatur überhaupt einen Fundus von Konventionen, an den die Klassiker anknüpfen konnten. Es bedurfte einen zähen, über Generationen sich erstreckenden Bemühens, dieses Ergebnis, einer klaren Syntax, einen verbindlichen Prosastil, einen nuancierten poetischen Wortschatz, zu erzielen.

Die Literatur der Vorklassik wirkte, da die Entwicklung der Sprache in lautlicher, lexikalischer und syntaktischer Hinsicht zunächst noch im Fluss war, auf die Nachgeborenen von der Zeit des Augustus an achaisch und veraltet. Deshalb sind die Werke ihrer Autoren in den folgenden Jahrhunderten immer seltener geworden und schließlich größtenteils untergegangen. Was bliebt, ist ein verstreuter Haufen von Zitaten in erhaltenen Schriften späterer Autoren.

Nur eine Gattung, die Komödie, hat das Schicksal der übrigen Literatur nicht geteilt: Plautus und Terenz. Diese berühmten Repräsentanten blieben mit einer stattlichen Anzahl an Stücken erhalten, vielleicht weil es mit der Komödie in der beginnenden Klassik bergab ging und diese Schriftsteller deshalb umso mehr herausstachen.

Die Klassik (Von den neunziger Jahren des 1. Jahrhunderts v. Chr. bis zum Tode des Augustus)

Das letzte Viertel des 2. Jahrhunderts v. Chr. war eine Zeit des Übergangs. Die Produktion hatten abgenommen; das Drama und zum Teil auch die Geschichtsschreibung befanden sich in den Händen von Epigonen. Andererseits fanden sich in einzelnen Bereichen neue Ansätze, etwa in der rechtswissenschaftlichen Schriftstellerei und in der Satire. Doch erst mit dem Jahre 90 v. Chr. begann eine neue Epoche feste Konturen anzunehmen. Ein wichtiges äußeres Kennzeichen dieser großen Epoche ist die Tatsache, dass nach einem langen Vakuum seit etwa 150 v. Chr. ab 90 v. Chr. für jedes Jahrzehnt Werke überliefert sind.

Die Autoren der Klassik waren allesamt Kinder des Revolutionszeitalters (133 v. Chr. bis 31 v. Chr.). Kein anderes Jahrhundert der römischen Geschichte hat in einer solchen Fülle literarische Talente hervorgebracht. Ein besonderes Merkmal ist die stark ausgeprägte Individualität. Die Literatur bliebt zwar wie zuvor auf den Staat und die Gesellschaft bezogen, aber sie war nicht mehr au gegebene Institutionen oder äußere Anlässe angewiesen. Die römischen Klassiker zeigten stark differierende Haltungen zur Politik ihrer Zeit, sie stritten oder wichen aus. Ihnen war es indes bei allen Gegensätzen gemeinsam, dass sie irgendwelche Bindungen eingingen, entweder an eine politische Richtung, einen Revolutionsführer oder an eine philosophische Lehre. Die Klassik trägt deshalb programmatische, doktrinäre Züge, worin auch Schroffes und Radikales nicht fehlt.

Die ständischen Schranken, die während der Vorklassik das literarische Schaffen beherrscht hatten, verloren erheblich an Verbindlichkeit. Man musste nicht mehr der führenden Schicht angehören, wenn man ein historisches Werk verfassen wollte und die Dichtung erfreute sich jetzt als Bildungsgut eines so hohen Ansehens, dass sie auch von Aristokraten gepflegt wurde.

Die griechischen Muster dienten jetzt als Orientierungsmarken selbstständigen Hervorbringens. Es wurde die Regel, dass man die Formen von den Inhalten löste: Man übersetzte und bearbeitete nicht mehr, sondern transponierte die griechischen Gattungen in die einheimische römische Welt. Das Repertoire der Gattungen zeigte nun eine schrankenlose Mannigfaltigkeit. Das Drama, das bislang eine führende Stellung inne hatte, verlor allerdings an Bedeutung. Die Produktion von Tragödien nahm nach dem Todes des Accius (um 85 v. Chr.) erheblich ab und die Komödie degenerierte zu anspruchslosem, derben Amüsement. Die Epik jedoch stand in hohem Ansehen. Man verfasste historische und mythologische Epen (Vergils Aeneis ist beides zugleich), ferner Lehrgedichte und vor allem Kurzepen, sogenannten Epyllia. Man wandte überhaupt den kleinen poetischen Gattungen eine intensive Pflege zu: Die Klassik war die Zeit der Lyrik und der Elegie. Außerdem nahm sich Vergil der Idylle (des bukolischen Gedichts) und Horaz des Jambus, der Satire und der Versepistel, an.

Die Geschichtsschreibung blühte in mancherlei Formen: Man wagte sich an annalistische Gesamtdarstellungen, schrieb Monographien über exemplarische Ereignisse und veröffentlichte Kriegsjournale. Die Beredsamkeit erreichte mit Cicero ihren Höhepunkt, und derselbe Cicero begründete durch seine fruchtbare literarische Tätigkeit die philosophische Prosa in lateinischer Sprache. Schließlich gedieh jetzt auf die Fachschriftstellerei und Rom verfügte noch einige Jahrzehnte über eine umfangreiche wissenschaftliche Literatur (sei es in der Jurisprudenz, Grammatik, Rhetorik, Landwirtschaft oder Architektur).

Die Klassik vollendete die Literatursprache und die Adaption griechischer Metren. Man verwarf die saloppe Behandlung von Stil und Vers, wie man sie in den älteren Werken feststellen zu können glaubte und wandte viel Mühe auf, den selbstgestezten strengen Maßstäben der Glätte und Eleganz zu genügen.

Die klassische Periode lässt deutlich zwei sich überschneidende Phasen erkennen, die sich als ciceronische und augusteische Zeit bezeichnen können. Die beiden Phasen heben sich durch markante Unterschiede von einander ab. In der ciceronischen Zeit hatte die Prosa Vorrang, unter Augustus hingegen dominierter die Dichtung. Vor allem rief der Kontrast der äußeren Verhältnisse, der in einem Fall die Bürgerkriege und im anderen Fall die Pax Augusta darstellten, gegenläufige Tendenzen hervor. Die Revolution veranlasste für den Literaten manchmal ein Wirken abseits des Staates und einer Zurückgezogenheit in die Philosophie und eine Konzentration auf die nähere Umgebung zu bewirken. Diese Privatheit wird mit Augustus nicht ganz aufgelöst, doch gelang es ihm führende Geister seiner Zeit, wie Vergil und Horaz, an die von ihm begründete Staatsform zu binden und eine neue Einstellung zu Rom wurde das große Thema der klassischen Literatur.

Die Nachklassik (von Tiberius bis zum Zusammenbruch des Prinzipats in der Mitte des 3. Jahrhunderts)

Die Nachklassik blieb den Fundamenten der ciceronisch-augisteischen Zeit verpflichtet. Die Rezeption der griechischen Vorbilder war in der Nachklassik im Wesentlichen abgeschlossen. Man besaß eine reiche eigene Literatur, man hielt sich an die Sprache, die Verstechnik und die Gattungen, die man dort vorfand. Jegliche Art literarischer Betätigung erfreute sich eines hohen Ansehens und wurde sowohl von den Kaisern als auch von den Angehörigen der Senatsaristokratie nach Kräften gefördert, es gab nach wie vor keine Konventionen, die es den Mitgliedern irgendeines Standes vorgeschrieben hötte, sich schriftstellersch zu enthalten.

Im Bereich der Gattungen fanden einzelne Veränderungen statt, jedoch kein entscheidender Wandel. Mit erhöhtem Eifer wurde das Epos - das mythologische ebenso wie das historische - gepflegt. Die starke Abhängigkeit von Vergil führte manchmal zu epigonenhaften Leistungen. Das Theater hatte für die Literatur kaum noch das Gewicht. Senecas Tragödien wurden wohl nur von der kaiserlichen Hofgesellschaft aufgeführt. Die kleinen poetischen Formen, die Satire, das Epigramm, die Bukolik, erfreten sich kaum geringerer Beliebtheit als zuvor. Phaedrus fügte dem Vorhandenen die versifizierte Tierfabel hinzu. Anderereits erlosch mit Ovid die Elegie, und die lyrischen Maße wurden von den bedeutenden Autoren nur wenig verwendet.

Die Geschichtsschreibung behielt ihre Anziehungskraft. Die monarchische Verfassung des Staates bedingte, dass nunmehr Kaiserbiografien mit dem annalistischen Werk konkurrierten. Die philosophische Schriftstellerei fand mit Seneca ihren prominentesten Hauptvertreter. Die Fachwissenschaften standen unverändert in hoher Blüte, nur das die Jurisprudenz, das überragende Phänomen auf diesem Gebiete, nun jetzt in ihr klassisches Zeitalter eintrat. Die unterhaltsame Erzählung, der Roman, darf als die wichtigste Neuheut der Epoche gelten. Mit der politischen Beredsamkeit im eigentlichen Sinne war es unter dem monarchischen Regime vorbei. Ihr Erbe trat die Panegyrik an, die Lobrede auf die Kaiser sowie die Deklamation, die Schulrede, die mit ihren fingierten Beispielen der Übung des Vortragenden und der Unterhaltung des Publikums diente.

Die nachklassische Literatur war eine überaus künstliche Erscheinung. Sie verstand sich offenbar vor allem als Form, als Stil, und suchte in der Abwandlung oder Überbietung aller Möglichkeiten der Form und des Stils auszukosten. Hierbei gab die kaiserzeitliche Rhetorenschule die feste instituionelle Basis ab. Sie diente durch den Untergang der politischen Rede ihrer ursprünglichen Aufgabe beraubt, als Vermittlerin einer Bildung, die die Fertigkeit und die Handhabung des Wortes zu einem nicht geringen Teil um ihrer selbst willen, kultivierte. Sie übte durch ihren Unterricht starke Wirkungen aus, sie repräsentierte und prägte mit ihrem Streben nach Pointen, Raffinement und Phantastik den Geschmack des Zeitalters.

Seit der Zeit Hadrians ging die literarische Produktion zurück, mit der einzigen Ausnahme des rechtswissenschaftlichen Schrifttums. Bedeutende Dichter traten nicht mehr hervor, und lediglich Apuleius erbrachte mit dem Goldenen Esel noch ein Werk von weltliterarischem Rang. Um das Jahr 240 n. Chr., zu Beginn der großen Krise des Reiches, scheint die literarische Tätigkeit nur noch eine sehr marginale Rolle gespielt zu haben.


Literatur

Albrecht, Manfred von: Geschichte der römischen Literatur - Von Andronicus bis Boethius, Bd. I+II, Berlin 1992.
Fuhrmann, Manfred: Geschichte der römischen Literatur, Stuttgart 2005.
Schanz, Martin: Geschichte der römischen Literatur - Bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian, 4. neubearbeitete Auflage, München 1959.