Opfer
Inhaltsverzeichnis
Allgemeines zum Opfer
Opfer sind Routinehandlungen im Hauskult oder beim Besuch des Tempels und Bestandteil von politischen und militärischen Handlungen. Die großen öffentlichen Opfer stellen rituelle Markierungen im biologischen und kulturell geprägten Lebens- und Kalenderzyklus dar. Das Ausbleiben eines solchen Opfers stellt die Existenz der Götter in Frage. Jedes größere Opfer ist mit einer kaum weniger kleinen Prozession verbunden und auch das Gebet ist eng mit dem Opfer verknüpft. Die Gebete sind so vielseitig wie das Opferritual selbst, sie werden laut gesprochen, beim Opfer vor dem Vollzug eben jenem vom Priester oder Opferherrn, die Handflächen richten sich währenddessen nach oben. Eine Körperwendung nach Rechts schließt das Gebet ab. Das Opfern und Weihen selbst wird als "Geben an die Götter" betrachtet. Es dient der zweckgerichteten Kommunikation mit dem überirdischen Adressaten nach dem Prinzip "do ut des" - ich gebe, damit du gibst. Das Ergebnis der Kommunikation ist durch rituelles Handeln, durch Anschlussrituale (Divination, Litatio) oder göttliche Zeichen (Omen) überprüfbar. Daneben hat ein großes Opfer eine soziale Komponente. Prozessionen, Mahl, Votivgaben oder Inschriften dienen dazu, Opferrituale und denjenigen, der sie ausrichtet, öffentlich bekannt zu machen Ein großes Opfer teilt sich in zwei große Bestandteile auf: Zum einen die unblutigen Voropfer im Tempelinneren, zum anderen das blutige Tieropfer am Altar vor dem Tempel. Verbunden sind diese Opferungen durch die Prozession aus dem Inneren des Tempels bis auf den Vorplatz.
Opfergaben
Nach der weitläufigen Meinung besteht eine eindeutige Relation zwischen dem finanziellen oder Fleischwert eines Opfertiers und seinem sich daraus ergebenden symbolischen Mehrwert bei der Opferung, wodurch es teilweise zu exzessiven öffentlichen Opferungen kommt. Dennoch bleibt die moralische Forderung bestehen, dass nicht der Preis der Opfermaterie den Wert eines Opfers entscheidet, sondern die rechte Gesinnung des Opfernden. Allgemein lässt sich jedoch sagen, je größer die Bitte an die Gottheit oder je wichtiger das Opfer, desto größer und teurer sollten auch die Opfergaben sein, sei es in materiellem oder ideellem Wert für den Opfernden. Eingeleitet wird jede Opferung, im privaten wie im öffentlichen Bereich, mit einer Weihrauchgabe. Dies stellt die Verbindung ins Reich der Götter her. Für unblutige Opfer oder auch für das Voropfer eignen sich Trankopfer, hier vor allem Wein, Spelt- und Dinkelkuchen und -kekse, Blumen, Baum- und Feldfrüchte und Geld. Für die blutigen Tieropfer gibt es einige Faustregeln zur Auswahl des geeigneten Tieres, dazu einige Gepflogenheiten, welche sich aus dem täglichen Leben heraus ableiten. Das Geschlecht des Tieres soll dem der Gottheit entsprechen, zusätzlich wird eine Unterscheidung anhand der Farbgebung getroffen: weiße Tiere werden den oberirdischen Gottheiten (di superi) geopfert, schwarze denen der Unterwelt (di inferi) und rote denjenigen, welche mit Feuer in Verbindung stehen. Dies kann jedoch nach der Natur der Gottheit auch abweichen, beispielsweise wird dem Robigus, dem Gott des Getreiderosts ein roter Hund geopfert. Zusätzlich gibt es zu beachten, dass es auch Gottheiten gibt, welchen grundsätzlich nur unblutige Opfer dargebracht werden, wie beispielsweise der Flora. Als prestigeträchtigstes Opfer, da am teuersten, gelten Rinderopfer, welche vor allem im öffentlichen Bereich eingesetzt werden. Das Alter des Tieres ergibt sich aus praktischen Erwägungen. Rinder, allgemein Arbeitstiere, werden in mittlerem Alter geopfert, Kühe, welche sonst der Milchproduktion dienen, erst in hohem Alter, und Stiere, die schwer in der Herde zu bändigen sind, bereits als Jungtiere. Zu beachten ist, dass Stiere Mars, Neptun, Hercules, den Laren und den Genien des Kaisers und des römischen Volkes vorbehalten sind. Im privaten Bereich sind billigere Tiere wie Schwein und Schaf häufiger. Meistens wird aus Kostengründen auf Jungtiere zurückgegriffen. Tieropfer außerhalb der gewöhlichen Trias von Rindern, Schafen und Schweinen, wie etwa Ziegen, Hunde, Esel oder Vögel sind besonderen Gottheiten und Wesenheiten vorbehalten.
Das blutige Opfer
Opferablauf
Kaum ein Opfer umfasst den exakten vorgegebenen Ablauf. In Übereinstimmung mit den öffentlichen Vorgaben oder nach persönlichen Präferenzen können Teile gekürzt oder erweitert werden. Zwar bedingt ein ritueller Fehler im Opferablauf prinzipiell die Wiederholung des Rituals (instauratio), doch im Einzelfall kann ein Fehler auch ignoriert oder ohne vollständige Wiederholung durch ein weiteres Opfer gesühnt werden (porca praecidanae), vor allem im privaten Bereich. Bei öffentlichen Opferungen organisiert ein Priester oder Aeditus des entsprechenden Tempels die Dienste der Opferdiener (popae, victimarii, cultrarius) und der Musikanten (tibicines, fidicines). Durch Musik wird der Umgebungslärm überdeckt, da er als schlechtes Omen gilt und die Ablenkung des Opfernden vermieden werden muss. Der Ort des Opfers muss sakralrechtlich als Opferstätte ausgewiesen sein. Für die Zeremonie selbst ist die rituelle Reinheit der Teilnehmer notwendig. Daher stehen am Eingang von Heiligtümern in der Regel Waschbecken. Der Kontakt mit Geburt, Tod und Sexualität führt zum temporären Ausschluss oder zur besonderen rituellen Reinigung vor der Teilnahme am Kult, bestimmte Gruppen können überhaupt ausgeschlossen werden, etwa Männer bei den Riten der Bona Dea, Frauen, Sklaven oder Fremde. Oftmals wird die Teilnahme am Ritual und damit die Abhebung vom Alltag durch eine besondere Erscheinung bezeugt, wie Barfüßigkeit, weiße Gewänder und bei Frauen offene Haare. Während des Opfers verhüllt der Opferherr seinen Kopf und ist dadurch erkennbar, im Graecus ritus wird dies durch ein bekränztes Haupt ersetzt. Durch gesteigerte Ausstattung, Zahl und Vielfalt der Helfer wird die Funktion eines öffentlichen Rituals, die gesteigerte Würde und der Vorbildcharakter für den privaten Kult, unterstrichen. Das Opfertier, welches oft über den Temel bezogen werden kann, wird vor Beginn des Opfers geprüft (hostiam probare) und festlich geschmückt. Rinder erhalten weiße und scharlachrote Wollbinden (infulae) um die Stirn, welche an den Seiten herabhängen (vittae). Rinder und Schweine bekommen eine breite Wolldecke (dorsule) über den Rücken gelegt, bei Schafen und Widdern erübrigt sich dies. Die Hörner der Tiere werden vergoldet. Ein großes Opfer teilt sich in zwei Teile: das Voropfer im Inneren des Tempels und das blutige Tieropfer am Altar auf dem Tempelvorplatz.
Vor dem Kultbild im Inneren des Tempels wird ein Altartisch (foculus) aufgebaut, auf welchem Speiseopfer und andere Gaben, niedergelegt werden. Die Gaben werden hierbei dem Gott präsentiert, wie sie auch einem Menschen präsentiert würden, die Kommunikation mit dem Kultbild findet auf einer persönlichen Ebene statt. Das Gebet endet mit einer Wendung nach Rechts.
Im Altarritus besteht kein Bezug auf das Kultbild. Die Gaben für die Götter werden meist verbrannt, der Rest des Opfertieres wird in der Regel von Menschen verspeist. Nach einer kleinen oder größeren Prozession aus dem Tempel heraus zum Altar, der in der Regel auf dem Tempelvorplatz steht, werden die Beteiligten durch das Besprengen mit Wasser symbolisch gereinigt. Ein Herold sorgt mit den Worten "favete linguis!" (Hütet eure Zungen!) für das Schweigen der Versammelten. Nachdem die rituelle Darbringungsformel gesprochen ist, folgt die Handwaschung und Trocknung durch ein besonders Tuch (malluium latum). Die "tibicines", die Flötenspieler, sorgen mit ihrem Spiel der Doppelpfeife während des Opfers für die notwendige Konzentration. Das Opfertier, welches mit Ketten oder Seilen an Ringen im Boden vor dem Altar befestigt und an Ort und Stelle gehalten wird, wird mit der "mola salsa" oder mit Wein dem Gott geweiht. Der Opferleiter, der in der Regel die Kosten für das Opfer trägt, streicht dem Tier mit dem Opfermesser vom Kopf bis zum Schwanz und entkleidet das Tier symbolisch. Nachdem das Opfergebet verlesen wurde fragt der Schlächter: "Agone?" (Soll ich das Opfer vollziehen?), woraufhin der Opferleiter ein "Age!" (Tu es!) verlauten lässt. Der Opferstecher (cultrarius) stößt das Messer in die Halsschlagader des Tieres, was bei kleineren Tieren ausreicht. Bei größeren Tieren kommt zuvor die Opferaxt oder das Beil zum Einsatz. Oft werden den Tieren die Sehnen der Hinterbeine durchgeschlagen oder sie werden durch einen Schlag auf den Kopf betäubt, um zu verhindern, dass sie während des Kehlschnittes ausbrechen. Nachdem das Tier ausgeblutet ist, wird dem Tier auf dem Rücken liegend der Bauchraum geöffnet und die Eingeweide werden entnommen. Während am Altar die Eingeweideschau ("litatio") beginnt, wird das restliche Tier zerlegt.
Analyse der Innereien
Die Litaito bezeichnet im Zug des römischen Pontifikalrechts den günstigen Verlauf und Abschluss einer Opferhandlung. Durch Eingeweideschau wurde überprüft, ob das äußerlich fehlerfreie Tier auch innerlich in Ordnung ist oder nicht. In den Eingeweiden des Tieres manifestierten sich nach dem Glaube der Römer die Annahme oder die Ablehung des Opfers. Im Moment der Konsekration, der Tötung, in welchem das Tier aus dem menschlichen Bereich in den Bereich der Gottheit überführt wurde, machte dieser seinen Willen deutlich. Ob die Gottheit das Tier annahm oder nicht wurde in krankhaften Veränderungen der Innereien bis hin zum Fehlen eines Organs, im schlimmsten Fall des Herzens, deutlich. Der Befund wurde vom Opfernden, bei öffentlichen Opfern von einem religiösen Funktionsträger, interpretiert, nur selten wurde ein Haruspex herangezogen.
Die Annahme des Opfers wurde durch den Ausspruch "Litatio!" verkündet. Scheiterte sie, gab es zwei Möglichkeiten, fortzufahren. Die erste war, das Opfer abzubrechen und anzunehmen, dass es nicht der richtige Zeitpunkt oder Anlass für die Annahme des Opfers durch die Gottheit war. Die zweite Möglichkeit bestand darin, ein Ersatzopfer (hostia succidanae) durchzuführen und dies so lange zu wiederholen, also so lange weitere Tiere zu schlachten, bis die Gottheit das Opfer annahm (usque at litationem). Gründe für eine nicht erfolgte litatio konnten neben fehlerhaften Eingeweiden auch Störungen im Opferverlauf, wie das Losreißen des Opfertieres, oder Fehler des Opfernden sein.
Der Begriff Litatio der leitet sich vom lateinischen litare (erfolgreich opfern) ab. In augustäischer Zeit schwand der Unterschied zwischen litare und sacrificare (opfern).
Quellen:
Jörg Rüpke: Die Religion der Römer, C.H. Beck, München 2001
A. und I. König: Der römische Festkalender der Republik, Stuttgart 1991.
Jörg Rüpke: Religion, Der neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd.X, Hrsg. Hubert Canick & Helmuth Schneider, Stuttgart/Weimar 2001
Peter Wick: Opfer, Der neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd.VIII, Hrsg. Hubert Canick & Helmuth Schneider, Stuttgart/Weimar 2000
Anne Viola Siebert: Litatio, Der neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd.VI, Hrsg. Hubert Canick & Helmuth Schneider, Stuttgart/Weimar 1999
Das Bankett
Da die vollständige Verbrennung eines Opfertieres die seltene Ausnahme ist, partizipieren die Menschen am Opfer. Nach der Litatio folgt ein Bankett, zeitlich jedoch nicht unbedingt direkt im Anschluss. Die Einzelteile des Opfertieres werden in den Tempelküchen oder eigens herangeschafften Kesseln gekocht. Die der Gottheit bestimmten Stücke werden dabei separat gekocht. Dies sind die lebensnotwendigen Teile, die "vitalia": die Leber, die Galle, die Lunge, das Bauchfell, das Herz, ganz allgemein die inneren Organe. Dazu können sogenannte Erhöhungen ("augmenta") kommen, spezielle Heiligtümer verlangen explizit nach Vermehrungen ("magmenta"). Dann, manchmal erst Stunden nach der Tötung des Tieres, speisen die beteiligten Götter zuerst. An manchen Feiertagen dürfen in der Zeit zwischen "exta caesa", dem Herausschneiden der Innereien und der Darbringung der gekochten Innereien an die Götter, "inter caesa et porrecta", profane Handlungen, Rechtsprozesse und dergleichen stattfinden. Die Speisung erfolgt nach der Hierarchie. Die Götter kommen dabei natürlich zuerst. Die gekochten Einzelteile werden mit "mola salsa" bestrichen und auf dem Altar verbrannt. Durch diese Götterspeisung (epulum) werden sie in die göttliche Welt überführt. Für den den Menschen bestimmten Anteil gibt es drei Möglichkeiten: Die erste ist die sogenannte "cena recta", die richtige Mahlzeit. Die am Opfer Partizipierenden setzen sich zusammen, essen, trinken und feiern. Die zweite Möglichkeit stellen die "sportulae" dar. Anteile des Opfers werden in kleine Körbchen ("sportulae") abgefüllt und den Teilnehmern mitgegeben. Die Größe der Körbchen kann dabei variieren und hängt meist vom sozialen Stand ab. Die dritte Möglichkeit, welche auch mit den beiden vorigen kombiniert werden kann, ist der Verkauf von Opferfleisch. Opferanteile werden gegen Geld abgegeben, was bei großen, öffentlichen Opfern wegen der Beteiligung der breiten Bevölkerung der Normalfall ist.
Trankopfer (Libatio)
Eine wichtige Rolle vor allem im privaten Kult spielten die Trankopfer (libatio). Sie waren unverzichtbarer Bestandteil der regelmäßigen Opfer für die Götter und konnten zu einem beliebigen Zeipunkt einen Wunsch oder einen Dank symbolisieren, sei dies im regulären Opferablauf, beim Gastmahl, beim Abschluss von Verträgen oder bei Abschied oder Ankunft von Personen. Im komplexen Ritualablauf wurden Trankopfer komplementär zum Gebet ausgeführt, häufig in Kombination mit bestimmten Materialien wie mola salsa oder Weihrauch. Zudem symbolisierten sie verschiedene Phasen des Opferablaufs. Weitere Bedeutung kam dem Trankopfer zur Markierung von heiligen Steinen zu.
Vor allem Wein wurde zum Opfern verwendet, daneben Bier und Honig. Im Totenkult wurden als Spenden für die Toten Wasser, Milch, Öl oder [i]mulsum[/i], eine Wein-Honig-Mischung, genutzt, niemals jedoch purer Wein. An Altären und Urnen fanden sich Durchbohrungen, in Gräbern waren Bleileitungen angebracht, um die Flüssigkeit direkt zum Verstorbenen leiten zu können.
Quellen:
Mareile Haase: Trankopfer, Der neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd.XII/I, Hrsg. Hubert Canick & Helmuth Schneider, Stuttgart/Weimar 2002
Fritz Graf: Kult, Kultus, Der neue Pauly. Enzyklopädie der Antike, Bd.VI, Hrsg. Hubert Canick & Helmuth Schneider, Stuttgart/Weimar 1999