Praefectus urbi
Der praefectus urbi fungierte als eine Art "Bürgermeister" für die Stadt Rom. Dieser angesehene Posten wurde meist von einem Senatoren besetzt. Er hatte die Aufgabe, bei Abwesenheit oder Verhinderung der Regierungsspitzen, so etwa des Königs oder – in der frühen Republik – wenn beide Konsuln als Heerführer tätig waren und sich fern von der Stadt befanden, die Verwaltung der Hauptstadt und ihrer unmittelbaren Umgebung zu übernehmen. In solchen Fällen vertrat der kurzfristig ernannte praefectus urbi in der Stadt unmittelbar die Oberhäupter des römischen Staates, seine Amtszeit dauerte maximal ein Jahr.
Republikanische Zeit
In der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. wurde im Zuge innerer Strukturänderungen die ordentliche Stelle eines praetor urbanus geschaffen, der speziell die Aufgabe hatte, die Konsuln von wesentlichen Aufgaben innerhalb der Stadt zu entlasten und dafür ständig zur Verfügung zu stehen, so dass die fallweise Einsetzung eines praefectus urbi nicht mehr erforderlich war. Das Amt war obsolet geworden und erscheint bis zum Ende der Republik nicht mehr.
Prinzipat
Augustus hielt es jedoch für zweckmäßig, die immer anspruchsvoller werdende Verwaltung einer Großstadt neu zu organisieren, und griff dabei (vielleicht) auf das alte Amt des praefectus urbi zurück. Das Amt wurde mit neuen Aufgaben betraut und neu ausgestattet, der praefectus urbi wurde vom Kaiser aus den Reihen des Senatorenstandes bestellt (in der Regel aus der höchsten Rangklasse der ehemaligen Consuln) und mit den vielfältigen Verwaltungsaufgaben eines Oberbürgermeisters der kaiserlichen Residenzstadt und ihrer Umgebung im Umkreis von 100 Meilen betraut. Für spezielle Aufgaben (z.B. Bautätigkeit, Wasser- und Lebensmittelversorgung, Feuerwehr, Verkehrswege und Brücken, Marktwesen u. a.) gab es weitere Amtsträger (praefectus vigilum, curator aquarum und weitere, die dem praefectus urbi jedoch unterstanden).
Im besonderen oblag dem praefectus urbi seit Hadrian die Zivilgerichtsbarkeit in seinem Amtsbezirk.
Obwohl der praefectus urbi Mitglied des Senats war und auch zeitweilig seinen Vorsitz führte, war er mit Aufgaben politischer Natur nicht befasst; militärische Angelegenheiten gehörten überhaupt nicht zu seinem Wirkungskreis, abgesehen von dem Kommando über die stadtrömischen Polizei- und Wacheinheiten (cohortes urbanae), daher trat er stets in der Toga auf, obwohl es bei anderen Staatsbeamten immer üblicher wurde, militärische Kleidung zu tragen. Diese rein aufs Zivile ausgerichtete Tätigkeit, so lebenswichtig sie für die Bewohner der Stadt auch war, hinterließ verständlicherweise nur schwache Spuren in der historischen Überlieferung, rechtfertigte jedoch den hohen Rang, den der praefectus urbi in der Hierarchie der Reichsbeamten einnahm.
Spätantike
Letzteres wird insbesondere in der Spätantike (nach Diokletian bzw. Konstantin I.) deutlich, als die Reichsbeamtenschaft nach festen Regeln gegliedert und ein minutiöses Rangsystem mit Titeln, Abzeichen und Privilegien geschaffen wurde. In diesem System rangierte der praefectus urbi in der höchsten Klasse der viri illustres (illustrissimi), an zweiter Stelle hinter dem praefectus praetorio, und wurde den Angehörigen des Senatorenstandes (viri clarissimi) – meist aus der Stadt selbst – entnommen. Im Senat führte er den Vorsitz. Diese enge Verbindung mit den senatorischen Kreisen Roms, die im späteren 4. und im 5. Jahrhundert den Kern des konservativen Widerstandes gegen die Verchristlichung des Reiches darstellten, machten den praefectus urbi mehrfach zum Wortführer von Heidentum und altrömischer Tradition in Auseinandersetzungen mit christlichen Kaisern. Ein Zeugnis dieses letztlich aussichtslosen Abwehrkampfes ist die noch erhaltene Eingabe (relatio) des Stadtpräfekten Quintus Aurelius Symmachus an Kaiser Valentinian II. aus dem Jahre 384, mit der er versuchte, den Altar der Siegesgöttin Victoria wieder im Sitzungssaal des Senates aufstellen zu lassen, die Augustus zur Feier des Sieges bei Actium als Symbol des göttlichen Schutzes für das römische Volk geweiht hatte, die aber von Kaiser Gratian schon 375 als unchristlich entfernt worden war. Der Antrag scheiterte am Eingreifen des kaiserlichen Beraters, des Bischofs Ambrosius von Mailand. Das Amt des Stadtpräfekten überlebte den Untergang des Weströmischen Reiches 476, da viele Elemente der römischen Verwaltung unter den neuen Herrschaftsstukturen erhalten blieben. Auch der oströmische Kaiser Justinian I., der 554 die Verwaltung Italiens neu ordnete und zahlreiche senatorische Ämter abschaffte, ließ das Amt des Stadtpräfekten unangetastet.
Zur Vertretung des praefectus urbi und auch zu seiner Kontrolle war in der Spätantike ein vicarius urbis bestellt, der der zweiten Rangklasse der viri spectabiles angehörte.
Ein analoges Amt wurde für die Ost-Hauptstadt Konstantinopel mit dem praefectus urbis Constantinopolitanae geschaffen, jedoch kam dieses angesichts der fast ständigen Anwesenheit des Kaisers in der Stadt nie zu einer vergleichbaren Bedeutung.
Literatur:
André Chastagnol: La préfecture urbaine à Rome sous le Bas-Empire. Presses Univ. de France, Paris 1960
Ders.: Les fastes de la préfecture de Rome au Bas-Empire. Nouv. Éd. Latines, Paris 1962
Adolf Lippold: Praefectus urbi. In: Der kleine Pauly, Bd. 4, 1972