Patria potestas

Aus Theoria Romana
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Die römischen Familien waren streng monokratisch organisiert. Der Hausvater (pater familias) hatte Gewalt über seine Kinder und seine Sklaven, solange er lebte. Die Volljährigkeit der Kinder änderte nichts an deren Verhältnis zum Vater; dessen Gewalt konnte sich, da sie von lebenslänglicher Dauer war, auf Schwiegertöchter, Enkel und Urenkel erstrecken. Ein Sohn mochte bereits ein angesehener Senator oder Legatus legionis sein; auch als 60- oder 70-jähriger unterstand er im Bereich des Privatrechts nach wie vor der väterlichen Gewalt. Dem Hausvater gehörte außerdem das gesamte Vermögen; auch was seine Kinder oder Sklaven erwarben, fiel in sein Eigentum. Seine Gewalt erstreckte sich selbst auf die Ehefrau, wenn die Ehe in einer altüberlieferten Form - confarreatio, coemptio - geschlossen worden war – dies war allerdings schon in der späten Republik die Ausnahme. Die Mutter erhielt jedoch nie die Gewalt über ihre Kinder, auch kein Sorgerecht oder etwas Ähnliches. Die Gewalt des Hausvaters reichte bis zur Entscheidung über Leben und Tod (ius vitae necisque). Einschneidende Maßnahmen waren allerdings an Verfahrensregeln gebunden: Sie mussten von einem Hausgericht verhängt werden, zu dem der Hausvater angesehene Freunde hinzuzuziehen hatte und dessen Urteile dadurch der Kontrolle einer begrenzten Öffentlichkeit unterlagen. Freigelassene unterstanden der Gewalt des Hausvaters nur in begrenztem Umfang; freigeborene Bedienstete hatten sich ihr für die Dauer der Dienstzeit freiwillig zu unterwerfen.

Die väterliche Gewalt

Quelle Übersetzung
Inst. 1,9,2
Ius autem potestatis, quod in liberos habemus, proprium est civium Romanorum: nulli enim alii sunt homines, qui talem in liberos habeant potestatem, qualem nos habemus.
Das Recht der väterlichen Gewalt, das wir über die Kinder haben, ist eine Eigentümlichkeit der römischen Bürger. Es gibt nämlich keine anderen Menschen, die eine solche Gewalt über ihre Kinder haben wie wir.
Gaius Inst. 1, 55
Item in potestate nostra sunt liberi nostri, quos iustis nuptiis procreavimus, quod ius proprium civium Romanorum est. Fere enim nulli alii sunt homines, qui talem in filios suos habent potestatem, qualem nos habemus, idque divi Hadriani edicto, quod proposuit de his, qui sibi liberisque suis ab eo civitatem Romanam petebant, significatur. Nec me praeterit Galatarum gentem credere in potestate parentum liberos esse.
Ferner stehen unsere Kinder, die wir in rechtmäßiger Ehe erzeugt haben, in unserer Hausgewalt; dieses Rechtsinstitut ist Sonderrecht der römischen Bürger. Es gibt nämlich fast überhaupt keine anderen Menschen, welche eine derartige Gewalt über ihre Kinder haben, wie wir sie haben, und das hat der verewigte Hadrian in einem Edikt klar gestellt, das er für diejenigen erlassen hat, welche für sich und für ihre Kinder das römische Bürgerrecht von ihm erbaten. Es entgeht mir aber nicht, dass das Volk der Galater glaubt, Hauskinder stünden in der Hausgewalt ihrer Hausväter.


Das natürliche Ende der väterlichen Gewalt

Die Gewalt des Hausvaters endete in der Regel mit dessen Tode. Parens bezeichnet hier den ältesten noch lebenden Vorfahren in männlicher Linie, je nach den Umständen den Vater, den Großvater väterlicherseits oder den Urgroßvater vätergroßväterlicherseits. Beim Tode des Hausvaters werden die Söhne und Töchter stets gewaltfrei (sui iuris); die Söhne sind dann ihrerseits vollberechtigte Hausväter. Die Enkel und Enkelinnen hingegen (gemeint sind nur diejenigen, die von Söhnen abstammen; die Kinder von Töchtern fielen in die Gewalt des Schwiegersohns oder in die von dessen Vater) werden nur dann gewaltfrei, wenn ihr Vater bereits vor dem Ableben des Großvaters verstorben ist oder wenn der Großvater den Vater durch Emanzipation aus seiner Gewalt unter Vorbehalt der Enkel und Enkelinnen entlassen hat – der Vater steht dann außerhalb des Familienverbandes, so dass er auch beim Tode des Großvaters keine hausväterliche Gewalt über seine Kinder erwirbt. Uneheliche Kinder waren von Geburt an gewaltfrei.


Quelle Übersetzung
Gaius Inst. 1, 127
Hi uero, qui in potestate parentis sunt, mortuo eo sui iuris fiunt. Sed hoc distinctionem recipit: nam mortuo patre sane omni modo filii filiaeve sui iuris efficiuntur; mortuo vero avo non omni modo nepotes neptesve sui iuris fiunt, sed ita, si post mortem avi in patris sui potestatem recasuri non sint. Itaque si moriente avo pater eorum et vivat et in potestate patris fuerit, tunc post obitum avi in patris sui potestate fiunt; si vero is, quo tempore avus moritur, aut iam mortuus est aut exiit de potestate <patris, tunc hi, quia in potestatem> eius cadere non possunt, sui iuris fiunt.
Diejenigen hingegen, die in der Hausgewalt eines Hausvaters stehen, werden durch seinen Tod rechtlich selbstständig. Aber hier wird Folgendes unterschieden: Wenn der Vater stirbt, werden die Söhne oder Töchter wirklich in jedem Fall rechtlich selbständig; stirbt aber der Großvater, so werden Enkel oder Enkelinnen nicht in jedem Fall rechtlich selbständig, sondern nur dann, wenn sie nach dem Tode des Großvaters nicht in die Hausgewalt ihres Vaters fallen. Wenn somit beim Tode des Großvaters ihr Vater sowohl lebt als auch in der Hausgewalt seines Vaters gewesen ist, dann kommen sie nach dem Tode des Großvaters in die Hausgewalt ihres Vaters; wenn er aber zum Zeitpunkt des Todes des Großvaters entweder schon tot ist oder aus der Hausgewalt <seines Vaters> ausgeschieden ist, <dann> werden <sie> rechtlich selbständig, <weil> sie nicht <in> dessen <Hausgewalt> fallen können.


Literatur:
U. Manthe, Geschichte des römischen Rechts, München 2007.
Marquardt, Das Privatleben der Römer, Bd. 1, 1879.
Mayer-Maly, Römisches Recht, 2. Aufl. 1999.
Sachers, Paulys Realencyclopädie, Art. Potestas patria, Bd. 22/1, Sp. 1046 ff.
Schiemann, Neuer Pauly, Art. patria potestas, Bd. 9, Sp. 402 f.

Übersetzung:
U. Manthe, Gaius Institutiones/Die Institutionen des Gaius, Darmstadt 2004.