Tiberinus
Tiberinus (Auch Divus Tiberinus und Pater Tiberinus) bezeichnet die personifizierte Gottheit des Flusses Tiber. Tiberinus war der väterliche Stromgott, Herr und Vater aller kleineren Gewässer seines Gebietes. Vom mächtige Strom des Tibers bestimmte er das Wohl und Schicksal der Stadt Rom.
Inhaltsverzeichnis
Aussehen
Tiberinus wurde in typischerweise wie auch andere Flussgötter dargestellt: Bei den Dichtern erscheint er nach griechischer Weise als gehörnter Flussgott oder als majestätischer Wassergreis, welcher zuweilen zwischen Papplen seines Ufers aus der Flut emportaucht, angetan mit seinen Linnen und bläulicher Farbe und das Haar mit Schilf bekränzt. Er lässt meist aus einer Urne einen Fluss entströmen.
Ursprung und Mythos
Den Kult des Tiberinus soll Romulus eingeführt haben.
Nach einer Legende soll der Name Tiberinus zu einem Mitglied der albanischen Königsreihe gehört haben. Dieser sei im Kampfe in den Fluss gestürzt und darin ertrunken, woraufhin der bisherige Name des Flusss Albula in Tiberis verwandelt wurde. Andere wiederum leiten den Namen des Flusses von einem König von Veii mit Namen Thebris ab.
Eine andere Überlieferung mach den Flussgott Tiberinus zum Sohne des Ianus und der Camasene. In Dichtungen wurde er aber zum Sohne des Oceanus und Vater der Nymphen gemacht. In Rom fügte man auch die Sage hinzu, dass Rhea Silvia, nachdem sie die Zwillinge des Mars geboren hatte, von ihrem harten Oheim in den Tiber gestürzt wurde und dort vom Flussgotte liebreich aufgenommen und zu seiner Gemahlin und königlichen Stromgöttin erhoben wurde. Eine Sage, in welcher sich der alte latinische Glaube an eine heiligende und vergeistigende Kraft des strömenden Wassers wiederholt und zugleich die spezielle Beziehung des Tiberstromes zum Römischen Vestadienst andeutet.
Kult
Dem mächtigen Flussgott wurde beim Gottesdienst der Römer auf eine vielfache Art gedacht. Die Gottesdienste für Tiberianus müssen wohl seit sehr langer Zeit bestanten haben, da Romulus als Stifter genannt wird. Auguren und Pontifices pflegten ihn in ihren Gebeten für das Wohl der Stadt oder bei öffentlichen Gelegenheiten anzurufen.
Der Tiberstrom galt oft als ungestüm und gefährlich, weshalb man, wenn seine Überschwemmung die Stadt beschädigten und eine Brücke hinwegfegt wurde, darin ein Zeichen des Zornes des Gottes erkannte. Bei der Anlegung des Pons Sublicius wurde die Brücke über den Tiber allein aus Holz zusammengesetzt und die Anwendung von Eisen dabei aufs gewissenhafteste vermieden, weil Eisen für etwas die heiligen Stätten Verletztendes galt. Jedes Mal wenn die Brücke neu geschlagen werden oder wiederhergestellt werden sollte, mussten allerlei Opfer und Zeremonien an beiden Ufern und auf der Brücke selbst vorgenommen werden und zwar unter der Aufsicht der Pontifices, zu deren Insignien eben deshalb auch die Axt gehörte.
Am 13. Mai fand ein Sühnungsfest auf dem Pons Sublicius statt, welches engen Bezug zu Tiberinus hatte. Auch hier waren in erster Linie die Pontifices beteiligt. Die vestalischen Jungfrauen waren ebenfalls beteiligt. Zuerst brachte die Pontifices gewisse vorbereitende Opfer dar, dann stürzten die Vestalinnen in Gegenwart der Praetoren und anderer bürgerlicher Magistrate 24 von Binsen geflochtene Menschen-Puppen, die man Argei nannte, mit zusammengeschnürten Händen und Beinen von der Brücke in den Strom. Angeblich fand dieser Ritus stellvertretend für frühere Menschenopfer statt. In früher Zeit sollen sechzgjährige Greise in den Strom gestürzt worden sein.
Tiberinus hatte ein Heiligtum auf der Tiberinsel, dessen Stiftungstag auf den 8. Dezember fiel. Wann es gegründet wurde, ist jedoch unbekannt. An diesem Tag wurde ihm geopfert.
Am 7. Juni wurden von der römischen Fischerinnung in Trastevere jenseits des Tibers die ludi piscatorii zu Ehren des Tiberstroms abgehalten, zu denen der Flussgott in einer nicht näher bekannten Beziehung gestanden haben soll.
Außer in Rom wurde Tiberinus an mehreren Punkten des Flusslaufes verehrt. In Ostia gab es einen Tempel des Tiberinus pater. Weiheschriften liegen aus Horta und der Gegend von Tuder vor. Auch die Nebenflüsse des Tibers sind wohl verehrt worden, z.B. der schweflige Nar und der liebliche Anio, welcher samt dem Avens das sabinische Heimatland in der Gegend von Reate durchströmten.
Beinamen
Aufgrund der schlangenartigen Windungen des Flusses wurde er auch Tiberinus Coluber genannt, d.h. die Schlange. Bei anderen Veranlassungen wegen der Wirkung des Stroms auf die anliegenden Äcker hieß er Serra, d.h. die Säge. Auch wurde er Rumon genannt, was wohl so viel wie der Nährende bedeutet.
Literatur:
Preller, Ludwig: Römische Mythologie, Berlin 1858.
Georg Wissowa: Tiberinus In: Wilhelm Heinrich Roscher (Hrsg.): Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. Band 5, Leipzig 1924, Sp. 932–935.
Wissowa, Georg: Religion und Kultus der Römer, München 1971.