PHASE I
Memmius Calavianus Eutychides
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"Und wascht euch die Hände!", rief der alte Eutychides den Menschen hinterher, die seine Stube mit besorgtem Blick verlassen hatten. Fast hätte er angefügt "Wir sind noch nicht im Mittelalter..", wäre ihm das nicht im letzten Moment irgendwie unpassend vorgekommen.
Normalerweise kehrte an dieser Stelle gespenstische Stille in das Erdgeschoss einer der besser gelegenen Insulae ein, wenn die letzten Kunden gegangen waren. Aber dieses Mal war es anders. Überall rotierte und schuftete man, hier wurden Mörser geschwungen, dort Blätter zum trocknen auf den Oberbau eines kleinen Ofens gelegt. Es gab keine Ecke, in der man nicht eifrig daran arbeitete Nachschub an Mittelchen zur Linderung der Beschwerden zu schaffen. Mit nachdenklichem Blick stapfte der alte Mann durch die Zimmer, um gerade die neu angestellten mit kritischen Blicken zu überprüfen.
"Medicus curat, natura sanat. Merkt euch das...", wiederholte der vor Jahrzehnten freigelassene Grieche mit sonorer Stimme vor seinem Stab, "..das einzige was wir machen können, ist die Straße zu glätten, auf der die Heilung voranschreitet. Und es die Leute nicht vergessen zu lassen.."
Während er über die letzten Tage nachdachte, nahm er einem jüngeren Burschen ein Messer aus der Hand, womit dieser die Blase eines seltenen Fischs aus dem toten und in Eis eingelegten Tier lösen wollte.
"Wenn du es so machst, wirst du das Ding beschädigen. Wenn du das Ding beschädigst, ist es nutzlos... wenn es nutzlos ist, werden Menschen sterben."
Die schreckgeweiteten Augen des jungen Mannes hätten ihn normalerweise schmunzeln lassen. Die Jugend. So schnell aus der Fassung zu bringen.. er wies dem Jungen eine ungefährlichere Arbeit bei der Zerstäubung von heilender Erde aus dem Osten des Reichs an, und setzte sich selbst an die Kiste mit totem Tier. Seine Hand war ruhig, als er sich mit äußerster Präzision durch die Inneren des Tieres arbeitete. Sein Geist hingegen rotierte...
Es war vier Tage her, seit der erste Kranke zu ihm gekommen war. Mit den Symptomen einer normalen Influenz, wie sie zu dieser Zeit üblich war. Als der alte Lapidius starb, wunderte ihn das auch nicht zu sehr. Er hatte sich immer über den Durchhaltewillen des Mannes gewundert, die Parzen schienen ihm wohlgesonnen. Doch als man ihn mit panikgrellen Augen zu Tarquitius Rufo geschleppt hatte, weil dieser mitten in einem Dauerlauf einfach so zusammengebrochen war, da wusste er, dass dies keine normale Welle sein dürfte.
Das erste, was er daraufhin gemacht hatte, war schnurstracks zur Curia zu marschieren um die Stadtoberen zu warnen. Doch erstens war schon die Hälfte der Scribae ausgefallen, und zweitens war das, was er im Officium des Stadtmagistraten Lupronius vorgefunden hatte auch mehr dem Tode als dem Leben nahe. Und dann all die Kinder! Man rief ihn eigentlich nicht zu solchen Fällen. Aber als der vier Jahre alte Enkel seines ehemaligen Herrn im Sterben lag, bekam er auch die vielen toten Kinder ins Gedächtnis gerufen.
Er musste zählen! Alles ging über Zahlen!
Einen Tag später hatte er seine beiden Scribae ausgesandt, um herauszufinden wieviele Beerdigungen in den letzten zwei Tagen stattgefunden hatten. Normalerweise dürften es nicht mehr als fünf sein.. zu dieser Zeit vielleicht auch fünfzehn. Es waren siebzig. Siebzig Tote. Diejenigen mit eingeschlossen, die von ihrer armen Verwandtschaft einfach an den gängigen Plätzen vor der Stadt verscharrt wurden, weil sie sich kein Begräbnis leisten konnte. Siebzig Tote, also Menschen, die vor drei Tagen gestorben waren. Er wollte garnicht wissen, wieviele es morgen sein würden... und übermorgen. Aber er MUSSTE es wissen. Hier war etwas großes im Busch.. und sie standen gerade erst am Anfang.