...in einem Zimmer irgendwo in Rom...

  • Valeria sass auf einem Stuhl neben dem Bett ihrer Mutter. Sie hielt ihre Hand, streichelte sie, waehrend ihr Gesicht nur vom milden Schein einer Kerze erleuchtet wurde. Dann und wann durchbrach ein tiefes Seufzen die Stille: Valerias Mutter, die im Fieberschlaf trauemte.


    Valeria selbst war in tiefes Gruebeln versunken. Maximian...ihr geliebter Maximian....so lange waren sie nun schon getrennt. Den Brief hatte sie mit zitternden Fingern geoeffnet, die Zeilen mit fliegenden Augen wieder und wieder gelesen. Sie hatte gefuerchtet, dass es keine Moeglichkeit fuer sie beide gab. Dass sie sich niemals wiedersehen konnten, weil es gegen den Willen Meridius' war. Doch Maximians Worte hatten diese Zweifel im Keim erstickt, groestenteils zumindest.


    Valeria seufzte leise. Sie blickte auf das schweissnasse Gesicht ihrer Mutter hinunter und loeste die Hand aus ihrer. Dann wechselte sie das kalte Tuch auf der Stirn ihrer Mutter und erhob sich, um einige Trauben zu essen. Sie hatte abgenommen, seitdem sie aus Tarraco zurueckgekommen war.


    Nachdem sie sich eine Schale Trauben und etwas Brot geholt hatte, setzte sie sich an den Schreibtisch ihrer Mutter und nahm Feder und Pergament zur Hand. Einige Momente lang kreiste die in Tinte getraenkte Feder ueber dem leeren Blatt, doch dann senkte Valeria den Kiel und begann in engen, verschlungenen Buchstaben zu schreiben.



    Zitat

    Geliebter!


    Verzeih mir, dass ich nicht umgehend geantwortet habe, doch Mutter beansprucht viel Zeit. Es geht ihr immer schlechter und auch die Medici wissen keine Abhillfe fuer das Fieber, das sie plagt. Das einzige, was ich nun noch fuer sie tun kann, ist ihre Tuecher zu wechseln und fuer sie da zu sein. Ich wuenschte, du waerest hier, um fuer mich da zu sein. Du fehlst mir so sehr und ich sehne den Tag herbei, an dem du mir schreibst, dass du in Rom angekommen bist.
    Wenn ich meine Augen schliesse und tief einatme, so kann ich deinen Duft riechen, deinen Koerper sehen und deine Naehe spueren. Doch wenn ich meine Augen dann oeffne, sehe ich nichts weiter als ein kahles Zimmer. Die Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit kreisen in meinen Gedanken, jede einzelne Minute, in der ich an Mutters Bett sitze und stumm vor mir her starre. Ich wuenschte, ich koennte ihr Leiden lindern, doch es graust mich davor, ihr etwas anzutun. Auch, wenn es vielleicht das Beste waere.
    Maximian, bitte lasse mich nicht mehr so lange warten. Ich brauche dich, nun mehr als je zuvor.
    Ich liebe dich...


    Deine Valeria



    Sie siegelte den Brief, erhob sich und sandte einen Boten aus nach Tarraco.

  • Am selben Tage noch wühlte sich ein Bote durch die engen Straßen des Wohnviertels, in dem die Häuser hoch in den Himmel ragten und nur zu seltsame Formen hatten. Er fragte sich nach einer Decima Valeria und ihrer Mutter durch, bekam einen Hinweis und klopfte an eine Zimmertür, um dort hoffentlich vor der Empfängerin zu stehen und ihr das Schreiben geben zu können.



    An: Decima Valeria
    Von: Lucius Decimus Maximian


    Liebste Valeria,


    ich sorge mich jeden Tag mehr um dich. Hast du meinen Brief erhalten? Die Götter wissen, was du von mir denken magst, wenn dem nicht so ist. Oder hat mich keiner deiner Briefe mehr erreicht? Dann entschuldige ich mich. Die Götter mögen mir gnädig sein und wenigsten diesen Brief zu dir gelangen lassen, denn der Gedanke, dass du dich nach einer Nachricht nach mit verzehrst und keinem meiner Worte mehr Glauben kannst, bedrückt mich sehr. Dir gehört nach wie vor mein Herz.
    Aber lass mich von den Dingen berichten, die sich seither zugetragen haben. Vor einigen Tagen reisten Meridius und ich endlich nach Rom! Hier soll ich jetzt unterrichtet werden, ehe ich in die Legio eintrete. So genau weiß ich noch nicht, was mich erwartet. Meine Aufgabe ist es gegenwärtig ihn zu begleiten wo er auch hingeht, aber ich glaube fast, dass er vergessen hat, weshalb er mir böse war. Leider gab es auch einen Todesfall in der Familia, doch damit will ich dich nicht weiter belasten.
    Ich bin in Rom, Liebste! Halte nur noch ein wenig durch, dann werde ich zu dir kommen, wenn es die Situation gerade erlaubt. Vorerst reise ich zur Beerdigung nach Tarraco. Ich bete, dass der Zeitpunkt bald da ist und es dir und deiner Mutter gut geht. Lass unsere gemeinsamen Stunden nicht in Vergessenheit geraten, bis wir uns wieder gegenüberstehen. In meinen Gedanken bist du immer bei mir.


    In Liebe,
    Maximian


    Als er den Brief abgegeben hatte, verschwand der Bote wieder.

  • Er ist in Rom, schoss es Valeria durch den Kopf. Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht, doch rasch las sie weiter.
    Als sie den Brief zum vierten Mal gelesen hatte, begriff sie erst, was das hieß: Maximian und sie würden sich wiedersehen, endlich! Nun gut, vorerst war er noch in Tarraco auf der Beerdigung (wer wohl gestorben war?), aber dann, wenn er wieder zurück war... Sie sprang auf und jauchzte, lief überglücklich durch das kleine Haus, das ihre Mutter bewohnte. Sie sprang die wenigen Stufen zu ihrem Gemach herauf und riss die Tür auf.


    "Mutter!!! Maximian ist......"


    Sie blieb stehen und seufzte. Ihre Mutter war wieder einmal nicht wach. Sie lag bleich und mit eingefallenem Gesicht auf dem Lager, das Valeria ihr bereitet hatte. Das Weiß der Kissen ließ ihre eigene Haut nur noch heller erscheinen. Leise schloss Valeria die Tür und setzte sich neben das Bett.
    Es gab niemandem, dem sie ihre Freude mitteilen konnte.



    So vergingen die Tage und Nächte; und langsam aber sicher verschlechterte sich der Zustand Valerias' Mutter. Bald schon schrie sie im Schlaf gequält auf und atmete nur mehr flach. Sie wollte nichts mehr essen und Valeria hatte alle Mühe, ihr wenigstens etwas Flüssigkeit einzuflößen. Die Medici hatten keine Hoffnung mehr, und auch wenn Valeria zu Anfang noch an eine Heilung geglaubt hatte, so musste sie sich jetzt eingestehen, dass es nichts gab, was ihre Mutter heilen konnte. Sie dachte immer an Maximian, doch die Sorge um ihre Mutter und die konstante Pflege, die diese benötigte, hielt sie davon ab, ihm einen weiteren Brief zu schreiben.


    Und dann, eines Abends, als es schon dunkel geworden und ihre Mutter sich den ganzen Tag nicht einmal gerührt hatte, stand Valeria mit schmerzendem Rücken und müdem Gesichtsausdruck auf und streckte die Hand nach der Kerze aus, die auf dem Nachttisch stand und den Raum erhellte, als ihre Mutter plötzlich die Augen aufschlug, einen fast schon himmlisch-glücklichen Ausdruck auf dem Gesicht. Sie griff nach Valerias Hand und ihr Griff war erstaunlich fest.


    "Valeria", wisperte sie trocken und mit rauher Stimme.
    "Das Elysium....ich kann es sehen! Oh, es ist so...wunderschön dort...."


    Valeria stand mit schreckensweiten Augen und sprichwörtlich weiß wie die Wand neben dem Bett und sah auf ihre Mutter herunter.


    "Mutter, sag so etwas nicht!" bat sie leise und mit angsterfüllter Stimme.


    "Meine Zeit ist um, Kind.... Ich...da ist etwas, das ich dir sagen muss... Ich hätte es schon vor langer Zeit tun sollen... Du...den jungen Decimus, du liebst ihn, nicht wahr?"


    "Ja", hauchte Valeria und senkte den Blick. "Ich weiß, es ist unrecht."


    "Nein, hör mir zu", flüsterte ihre Mutter, nun leiser als zuvor.
    "Ich habe einen Fehler begangen. Du....bist keine Decima. Dein Vater....ich weiß nicht, wer er war.
    Aber, Valeria, ich wollte nur dein Bestes! Ich wollte doch nur...nur dass du....dass man dich um dich kümmert und...."


    Valeria stand wie vom Blitz getroffen neben dem Bett und starrte auf das totenbleiche Gesicht ihrer Mutter herab. Das konnte doch nicht sein!


    "Mutter, was redest du da?!" fragte Valeria mit schriller Stimme und den Tränen nahe.


    "Es.....ist wahr......dumm...von mir.....verzeih...." brachte ihre Mutter nun leiser als jemals zuvor hervor. Valeria sog die Luft ein.


    "Geh nicht! Ich brauche dich! Bitte, Mutter!"


    "Ich kann es sehen....." stammelte ihre Mutter und hob schwach den Arm. Sie wies in die Höhe und auf ihrem Gesicht bildete sich ein zufriedener Ausdruck. Dann senkte sie den Arm wieder.
    Ihre Brust hob und senkte sich noch ein letztes Mal, dann starrte sie aus leblosen Augen noch immer gen Decke.
    Valeria schluchzte auf und warf sich an die Seite ihrer Mutter, weinend und hoffnungslos verzweifelt.

  • [....]


    Eine ganze Weile nachdem Valerias Mutter abgeholt worden war, um sie beizusetzen, entschloss sich Valeria, Maximian einen Brief zu schreiben. Sie setzte sich an den Schreibtisch in dem nun leeren Raum mit dem schrecklich leeren, kalten Bett, in dem ihre Mutter verstorben war, zückte Feder, Tinte und Pergament und begann zu schreiben.



    Geliebter!


    Ich weiß nicht mehr, wer ich bin. Ich bin nicht mehr die, die ich einst war. Oder zumindest glaube ich, dass ich es nicht mehr bin. Meine Mutter ist tot. Eine große Leere füllt mein Herz, das nun nur noch Gefühle für dich beherbergt. Ich weiß nicht, was ich tun, wohin ich gehen soll... Nichts hält mich mehr hier. Ich werde die Casa der Familia hier in Rom aufsuchen, Maximian, und dort auf dich warten. Ich habe...Neuigkeiten, von denen ich nicht weiß, ob sie Anlass zur Freude oder zur Trauer sind. Ich wünschte, es wäre ersteres.


    In Liebe,
    Valeria



    Sie setzte sich zurück und seufzte schwer. Der Brief klang nicht gerade fröhlich, doch sie fühlte sich auch keinesfalls glücklich. Valeria siegelte den Brief mit Wachs und übergab ihn zusammen mit wenigen Sesterzen einem Boten, ehe sie ihre wenigen Habseligkeiten, die bereits in ein Tuch gewickelt neben ihr lagen, nahm und sich zur Casa der Familia Decima aufmachte.



    TBC: ~

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