Ein Steinbruch bei Verona

  • Furius, ein grauhaariger, untersetzter alter Recke, seines Zeichens Legionarius, schlurfte im Beisein seiner Kameraden, von den Mühen und Anstrengungen des Tagebaus gezeichnet, dem kleinen Zeltlager entgegen, welches Tribun Lemonia für das hier eingesetzte Manipel errichtet hatte.
    Vielleicht war der alte Haudegen den körperlichen Anforderungen dieser schweren Arbeit nicht mehr gewachsen, doch in seinem Contubernium war der alte Mann, welcher übrigens hinsichtlich seiner baldigst anstehenden Pensionierung einen angemessenen Alterssitz erwarten konnte, für seine in den kaiserlichen Legionen nicht unbedingt üblichen Kochkünste bekannt.


    So geschah es auch an jenem Tage, dass Furius die wenigen Arbeitswerkzeuge, die er bei sich trug, einigen Kameraden übergab, welche jene bereitwillig reinigten, während er ein schmackhaftes Mahl bereitete - es musste als wahre Kunst erscheinen, aus diversen, bunt zusammengewürfelten und permanent variierenden, nicht mehr ganz frischen Zutaten eine ordentliche Puls hinzubekommen.
    Nach einer ganzen Weile entnahm er dem herbeigeschafften Kochgeschirr einen Löffel und kostete von dem wohltuend warmen Brei, den er bevorzugt zubereitete, da in seinem Munde lediglich ein Zahn verblieben war, der zu allem Überfluss noch schmerzhaft zu faulen begann - ein kleiner Eingriff durch einen Medicus der Legion würde vermutlich unumgänglich sein.
    Mit ein wenig Stolz in der dünnen, alten Stimme verkündete er den umsitzenden Leginonären, welche sich - ein jeder mit einer anderen Aufgabe beschäftigt - an der Hitze der Glut wärmten, dass die Mahlzeit gerichtet sei.


    Als wenig später die frohen Soldaten ihre Rationen erhielten und - ausgehungert wie sie waren - den Puls gierig hinunterwürgten, war Furius der erste aus dem Kreise, welcher mit zusammengekniffenen Augen - sehen konnte er ganz ausgezeichnet - drei Reiter beobachtete, welche, einer bepflasterten Straße von Mantua her folgend, geradewegs auf das Lager zuritten...

  • "Sehr beeindruckend, Tribun.", sagte der Praefectus und nickte anerkennend, auf die inzwischen wieder emsig bearbeitete Steingrube blickend, welche von einer dunstigen Staubwolke vernebelt wurde.


    Die beiden Stabsoffiziere waren nach Ankunft der kleinen Delegation, welche aus dem persönlichen Schreiber des Präfekten und einem Meldereiter bestanden hatte, auf die kleine Anhöhe über dem Steinbruch gestiegen, um einen Eindruck über die Arbeit der Soldaten zu erlangen.


    Jenseits des Zeltlagers hatte sich eine beträchtliche Menge an steinernem Baumaterial angesammelt, welches auf den Abtransport nach Mantua wartete.


    "Und die Transporte laufen reibungslos?"


    "Ich kann nicht klagen. Bislang waren wir in der Lage, das Tagessoll zu erfüllen. Dennoch warten wir noch immer auf die Verstärkungen, die man mir versprochen hat. Die Arbeitsleistung lässt naturgemäß bei solchen Arbeiten mit der Zeit merkbar ab."


    "Die mit den schweren Arbeiten belastete Zenturie wird in kürze ausgetauscht werden und nach Mantua zurückkehren. Ich habe bereits vor meiner Abreise den Marschbefehl an frische Reserven gegeben. Sie werden, da sie ohne Bewaffnung und Zeltmaterial marschieren, in wenigen Tagen hier sein. Wie steht es übrigens mit dem Zustand der Arbeitsmittel? Wäre eine Verständigung der Fabricae notwendig?"


    "Bislang ist es uns gut gelungen, kleinere Schäden selbstständig zu beheben."


    Der Praefectus brummte zustimmend, konnte er sich doch momentan keine überlasteten Werkstätten leisten. Die beiden Männer gingen langsamen Schrittes, eine Karte der Versorgungsrouten studierend, die Anhöhe hinab und durchquerten die Massen der vielbeschäftigten Arbeiter in Richtung des Sammellagers.

  • Trossknecht Ursus, ein hagerer Sklave des Tribunen Lemonia, verstand es vortrefflich, mit ruhiger und geschickter Hand die scharfte Klinge eines Rasiermessers über all die sensiblen und gefährdeten Stellen eines menschlichen Gesichtes zu führen ohne auch nur den geringsten Kratzer, die unauffälligste Verwundung selbst zartester und empfindlichster Haut zu verursachen.
    Mit all seiner geschäftsmäßigen Routine ging er auch an jenem Morgen zu Werke, als sein Herr, welchem die Arbeitstrupps im Steinbruch unterstanden, wie gewohnt auf einem Stuhl Platz genommen hatte und der Arbeit des Sklaven harrte, der es zudem verstand, seinen Dominus auf erquickliche Art und Weise zu unterhalten.
    Gewissenhaft führte Ursus während solcher Unterhaltungen die Klinge, entfernte die Barthaare Lemonias, war gerade mit der linken Gesichtshälfte fertig, als wie aus dem Nichts ein ohrenbetäubender Donnerschlag das Zelt des Tribunen erschütterte. Im Nachhinein ist es schwer zu sagen, ob die Ruckhafte Bewegung der Tribunen oder ein Moment der Fahrlässigkeit des Trossknechtes zum Entgleiten des Messers geführt haben, doch als das beängstigende Geräusch verhallt war, trat aus einer Schnittwunde am Hals des Tribunen ein wahrer Quellbrunn warmen Blutes, welches sich über die eben erst angelegte Uniform ergoss.
    Unter vielfalchen Entschuldigungen und Beileidsbekundugen hastete der Sklave hektisch im Zelt umher, reichte dem Offizier ein Tuch, welches der Tribun ungestüm Ursus' zitternder Hand entriss und sogleich auf die Wunde presste.


    Noch während der erregte Trossknecht um Verzeihung winselte, erhob sich der Tribun, eilte nach dem Ausgang - und sah doch nichts als eine dichte, beinahe herbstlich anmutende Nebeldecke, welche von unzähligen zu Eis erstarrten Regentroffen durchlöchert wurde.
    Verblüfft ob jener plötzlichen Wandlung des ansonsten ruhigen und dankbaren Wetters, blieb der Tribun wie angewurzelt stehen und versuchte, aus dem Gebrüll der Legionäre und Unteroffiziere, die schwach aus dem allgemeinen Geräuschpegel hervorbrachen, welcher sich auf abenteuerliche Weise aus auf das Lederzelt prasselnden Hagelkörnern und Regentropfen , sowie einem schneidenden, schauerlich keuchenden Wind zusammensetzte, einzelne Stimmfragmente und deren Bedeutung zu entziffern.

  • Obschon jenes Unwetter Teile des Steinbruches mit Erdreich überschüttet und einige Gerüstbauten zerstört hatte, konnten die bei Verona eingesetzten Teileinheiten der fünften Kohorte die schweren Arbeiten bis in den Sommer hinein fortführen, wenngleich sie hier der von Meldereitern überbrachte Befehl erreichte, zurück nach Mantua zu verlegen, denn im Castellum der Legio I hatte sich der Lagerkommandant äußerst zufrieden über das Erreichen der Soll-Fördermenge gezeigt und einen weiteren Einsatz der Arbeitstruppen nicht für zwingend nötig gehalten.
    Noch am Abend setzte der kommandierende Tribunus die ihm zur Verfügung stehenden Offiziere über die abgeänderte Auftragslage in Kenntnis - bereits wenige Stunden später, es graute ein weiterer Tag heran, machte sich die Truppe für den Abmarsch bereit. Zwei Tage ununterbrochenen Mühens brauchte es, bis Gerüste, Zelte und Teile der leichten Platzumwehrungen abgebaut und - soweit noch verwendbar - praktikabel auf zahlreichen Transportkarren verladen waren. Einmal mehr breitete sich unter den Milites ein Gefühl der Erleichterung aus, denn schon auf dem Hinmarsch nach Verona hatte man völlig auf das Mitführen von Waffen und Rüstungen verzichtet. Freilich hatte der Arbeitsauftrag den Transport einiger Baumaschinen , sowie besonders stabiler Hölzer und Eisenteile erfordert, doch jene konnten relativ komfortabel auf spezielle Transportkommandos aufgeteilt werden und belasteten Maultier wie Soldaten auf dem Marsche nicht unnötig.
    Als die Arbeit getan - zuletzt wurde der noch offene Teil der behelfsmäßigen "Latrine" zugeschüttet - und das gesamte Areal geräumt war - lediglich Behelfswege aus Schotter, Zeltspuren und zerstörte Feuerstellen ließen vermuten, dass hier einst Soldaten gewirkt hatten - kam auch für Legionär Furius die Zeit des Abschieds, welcher gleich in dreifacher Hinsicht ausfallen sollte: Erstens verließ er Verona, zweitens seinen letzten Zahn (ein härteres Stück alten Käses war dann eben doch zu viel des Guten gewesen) und schließlich wurde ihm durchaus bewusst, zum letzten Mal mit seinen Kameraden im Felde gewesen zu sein, denn in Mantua würde man ihm in wenigen Tagen eine Entlassungsurkunde ausschreiben. So marschierte der alte Mann seinem Ruhestand entgegen, zahllosen Erinnerungen an die Soldatenzeit mit Lachen und Tränen gedenkend, während die fünfte Kohorte etwas weiter östlich nach Mantua zog, um den direkten Transportweg nicht zu behindern, welcher auch das letzte noch gelagerte Material nach und nach abtrug und zur Baustelle des werdenden Amphitheaters schaffte...

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