• Maximian hatte sich Nigidius geschnappt, ihn ratzfatz gesattelt und das Pferd noch innerhalb der Stadtmauern bestiegen, um so schnell wie möglich weg zu kommen. Die Toga, die er sich geistesgegenwärtig noch gegriffen hatte, hatte er jedoch irgendwo bei den Stallungen liegen lassen.
    In einem Gewaltakt trieb der junge Mann auf einer der wegführenden Vias das schwarze Ungetüm an, bis es sich lang streckte und ihn mit hohem Tempo wegtrug.


    Ohne anzuhalten ritt er. Ohne Ziel vor Augen, ohne wirklich auf den Weg zu achten, ohne Nigidius zu schonen oder sich selbst. Es sollte einfach nur voran gehen.

  • Einige Zeit später schnaubte Nigidius unter der Anstrengung, die ihm sein Besitzer zumutete. In vollem Gallopp ging es seit einer Weile schon nur noch auf kleinen Trampelfaden querfeldein, jedes Hindernis wurde einfach genommen, dafür sorgte das folgsame Pferd meist sogar unaufgefordert. Vor Pferd und Reiter eröffnete sich gerade eine weite Grasfläche, auf der nur vereinzelt ein paar Bäume oder Büsche wuchsen und die sich bis an den Horizont erstrecken mochte. Maximian Herzschlag war mit dem Rhythmus des Hufgetrappels in Einklang gekommen, so angestrengt war er. Doch er presste sich nur an den Pferdeleib, sodass er auf Nigidius sitzend das Feld überflog. Der feine Sprühregen, der ihm entgegenflog, fiel ihm im Zuge der Luft nicht einmal auf.


    Warum er Nigidius so arg antrieb? Weil er das Gefühl hatte, dass er mit jedem Galoppsprung, den er sich von Tarraco entfernte, besser atmen zu können. Denn so war er weiter von der Familie entfernt, von der er niemandem heute mehr über den Weg laufen wollte; weiter von Valeria weg, die er einfach nicht verstehen konnte und nicht zuletzt in unerreichbarer Ferne des Kindes, das mit seinem plötzlichen Auftauchen die ganze Situation erst so richtig schwer gestaltet hatte.


    Das arme Pferd schwitzte sich mittlerweile ganz nass und hatte schon Schaum vor dem Maul stehen. Doch Maximian ließ es weiterlaufen, bis er selber nicht mehr konnte. Dann setzte er sich aufrecht, hielt Nigidius mehr Rücksicht auf das Tier nehmend als bislang langsam an und kaum standen sie, fiel der junge Mann einfach nach vorn über auf den Hals. Die Hitze staute sich, sodass Maximian fast sogleich das Gefühl hatte, gekocht zu werden. Er hörte Nigidius röcheln, musste selber husten und ließ sich seitwärts vom Pferderücken rutschen, sodass er wackelig auf seinen zwei Beinen landete und von Nigidius wegtorkeln konnte.
    Dort wo er war, sank Maximian vor Erschöpfung in die Knie. Er hustete und hatte einen ekelhaften, eisigen Geschmack in Rachen und Mund, der ihn ausspucken ließ. Drönhnend lag ihm sein eigener Puls in den Ohren, fühlte heißen Schweiß auf kalter Haut. Kein Wunder. Er sah an sich herunter und trug nun wirklich nicht die Kleidung, die sich bei solch einer Witterung auf einem Ausritt empfahl. Umkehren würde er jedenfalls nicht.
    „Glückwunsch“, brummte er sich selber zu und rappelte sich wieder auf. „Nigidius!“
    Der Rappe stand einige Meter entfernt, die Nase tief im Gras, schnaubte und war sichtlich fertig. Seine Brust war weißgefleckt vom Schaum. Er trat zu ihm und zog die Zügel zum Sattel, dass das Pferd den großen Kopf anhob.
    „Ach, was tu ich nur.... Verzeih', mein Guter. Es geht gleich wieder besser. Komm.“
    Maximian nahm die Zügel und torkelte hustend voran, das schwarze Pferd eher unwillig in seinem Gefolge.


    Nicht viel später fing Maximian in seinen durchgeschwitzten, klammen Hüllen an zu frieren. Wo befand er sich nur? Er konnte sich schwer daran erinnern, wie lange er geritten war. Ihm kam es vor, als wären es nur wenige Minuten gewesen, doch hier war nichts. Er musste also eine ganze Weile geritten sein und war nun weit von allem entfernt. Natürlich hätte er einfach umdrehen können, aber das wollte er ja nicht. So trottete er voran, schwerfällig aber unbarmherzig.


    Die Worte seiner Cousine... Nicht-Cousine gingen ihm zum hundertsten Male durch den Kopf. Wie verägert er war, dass sie ihm kein kleines bischen Verständnis entgegengebracht hatte. Nicht ein Quentchen. Und zugehört hatte sie ihm auch nicht. Hätte sie es getan, dann hätte sie durchaus darauf schließen können, dass alles einen Sinn hatte. Dass er nach einem Weg durch alles hindurch gesucht hatte. Aber sie hatte es ja nicht mal wirklich hören wollen. Am übelsten nahm er ihr jedoch, dass sie nicht einsehen wollte, dass er ein wichtiges Glied einer Familie, zu der letzlich auch sie gehörte, war und nicht nur ihr gegenüber schuldig blieb; dass es ihr häufig gar nicht mal bewusst erschien, dass in ihn viel Hoffnung gesteckt wurde und man ihm gleichzeitig eben auch einiges abverlangte und noch weiter gedacht, dass er von sich selber viel erwartete. Offensichtlich aber auch von ihr. Vielleicht zu viel. Er konnte das alles nicht mehr überblicken.


    Verdammt, war das kalt. Maximian sah zum Himmel, der von grauen Wolken verhangen war, ihn unnachgiebig mit kaltem Wasser besprühte und auch sonst gar nichts Gutes verhieß. Er begann zu zittern, doch registrierte es nicht mal recht, so war er in seine Gedanken vertieft.


    Hatte sich Valeria wirklich entschieden? Konnte das schon alles gewesen sein? Hatte sie ernst gemeint, was sie sagte? Hatte sie sich selber reden hören?
    All diese Fragen.... sie kamen ihm bekannt vor. Ja, er hatte sie selber gestellt bekommen. In den vergangenen Tagen, von Valeria. Maximian blinzelte verdattert. Hatte sie ihm am Ende einfach nur den Spiegel vorgehalten, weil sie nicht mehr wusste, was er über sie dachte und vom Gefühl beschlichen wurde, dass er nur mit ihr hatte spielen wollen? Konnte das möglich sein?
    Mal anders gefragt: Hätte er es Valeria zugetraut, dass sie sich gegen ihn entscheidet - vor den vergangenen Tagen, sprich vor seinen Bemühungen, sie auf Distanz zu halten?


    Die Antwort blieb der junge Mann sich vorerst schuldig. Denn er fror und wusste, dass er sich so früher oder später eine Unterkühlung zuziehen würde. Also saß er wieder auf Nigidius auf, der dabei ziemlich nervös wurde.
    „Wir machen das langsam“, sagte er dem Pferd zur Beruhigung und trieb es zum Trab an. Als er mal nachsah, glich seine Haut der einer Gans und wurde noch ein wenig blasser, als die Zugluft durch seine dünne Toga fuhr. Immerhin ging ein wenig Wärme Nigidius' Leibes auf seine Schenkel über. Ein Tropfen auf dem heißen Stein. Während er nun eine Weile ritt, merkte er nämlich bald nichts mehr davon.
    Schon bald schmerzten ihm vor Kälte die Hände. Richtiggehend eisig waren sie, als er sie vor den Mund hob und in sie hauchte. Bibbernd sah er sich um. Keine Hütte in Sicht, einfach nichts. Da war sie wieder, die gefährliche Unbekümmertheit eines jungen Menschen, die ihn schnell in solch dumme Situationen brachte. Wäre er nicht so sehr mit frieren und auskühlen beschäftigt, hätte Maximian sich ganz gewiss sehr über sich selbst aufgeregt.


    Denk an etwas warmes, blitzte es in seinem Kopf auf. Was warmes. Maximian nickte, als hätte ihm irgendjemand diesen Tipp gegeben und rubbelte sich über die Arme.
    Das erste, was dem jungen Mann einfiel, war eine einfache Decke. Ja, die war warm. Wenn er sie sich über die Schultern legte, eng um den Körper wickelte, würde er sich langsam erwärmen können. Aber so recht wollte dieser Gedanke nicht das Gewünschte erreichen, eher wurde Maximian noch kälter, sodass er husten musste und gleich darauf spucken, weil er auf einem Stück Eisen rumzulutschen schien.
    „Denk nach, denk nach“, ermahnte er sich selber, während er am ganzen Körper durchgeschüttelt wurde. Ein Kohlebecken! Das war eine wunderbare Idee. Kohlebecken verströmten viel Wärme. Man musste sich nur an eines stellen und würde recht schnell warme Hände bekommen. Jetzt jedoch traten die Knöchel nahezu blau auf der blassen Haut seines Handrückens hervor, nichts erwärmte sich da. So wühlte Maximian seine Hände in die Mähne seines Pferdes und beugte sich herunter, um sie zusätzlich noch warm anzuhauchen. Ein wenig Wärme spürte er sogar wirklich und so ließ er den Kopf einfach auf Nigidius' Widerrist ruhen. Und das im Trab. Stirn und Fingerknöchel begrüßten sich jedes Mal, wenn das Pferd einen weiteren Schritt tat. Und doch blieb Maximian kalt. Er fror ganz erbärmlich und gab die blöde Idee auf. Das mit den warmen Gedanken konnte ja gar nicht klappen, Apollonius würde es ihm mit einem griechischen Text wahrscheinlich sogar belegen können.
    Nylas spezieller Eintopf. Hmmmmm. Dieser Gedanke jedoch machte ihm nur noch Hunger, also schob er ihn ganz rasch beiseite.


    So schloss die Gestalt auf dem Pferd einfach die Augen und dachte an nichts mehr. Wenn nichts half, an das er denken konnte, dann brachte es vielleicht mehr, einfach nichts zu denken. Er wusste, es würde ihm nicht sonderlich schwer fallen.
    Sein Kopf war wie leergefegt, als.... ja, als er sich plötzlich neben einer Frau liegen fühlte. Ihr Körper schmiegte sich weich und warm an seinen, ihr warmer Atem strich ihm in gleichmäßigen Abständen über den Oberkörper und von ihrer Hand, die über seinem Herzen ruhte, ging eine ganz spezielle Wärme aus, die das Herz immer erwärmt halten würde. Es war Valeria. Das wusste er, ohne seine Augen öffnen zu müssen. Seine liebe, immer lächelnde, bezaubernde, wunderbar warme Valeria. Tagelang schon hatte er nicht mehr bei ihr gelegen, nicht mehr ihre Wärme spüren können. Es überraschte ihn nicht, dass er jetzt so rasch ausgekühlte.


    Nigidius war unterdessen auf einen Hügel zugetrabt, über dessen Kamm er gerade lief. Vor diesem Hügel breitete sich noch mehr Feld aus, von einigen Hügeln durchwühlt und vereinzelten Bäumen bekleckst. Aber etwas sorgte für Abwechslung in dieser kargen Landschaft und das Pferd hielt vertrauensvoll geradewegs darauf zu.


    Wehmütig musste Maximian den Gedanken loslassen, denn er würde auch nicht mehr so schnell neben Valeria aufwachen. Eines hielt er sich jedoch zurück. Ein Gefühl, dass ihm keiner würde nehmen können, nicht einmal Valeria selbst. Wenn es sein musste, würde er dieses Gefühl von nun an in seinem Herzen gefangenhalten.
    Der junge Mann richtete den Kopf auf, um zu sehen, wo er war. Nicht, dass er im Kreise ritt. Dann würde er hier verrecken und keiner würde ihn finden. Viel wichtiger war aber, dass er seine Liebe nicht einfach so gefangennehmen würde. Und dazu musste er wieder nach Tarraco gelangen.
    Aber das, was er sah, war ganz gewiss nicht Tarraco. Es lag ja auch in die entgegengesetzte Richtung, meinte er zu wissen. Nein, gerade vor ihm befand sich eine kleine Ansammlung von Häusern, mitten im Nichts. Verwundert hielt Maximian Nigidius an. Aus einigen Häusern stiegen kleine Rauchsäulen empor und keine 500 Meter von ihm entfernt ruckelte eine kleine Wagenkolonne scheinbar mitten durchs Feld in Richtung Norden davon, zweifelsohne Händler.
    Hustend trieb Maximian Nigidius wieder an. Er kannte nur noch einen Gedanken und der lautete: Wärme!


    Aus der Nähe erkannte Maximian Menschen, die zwischen den einfachen Häusern umherliefen. Eine Gruppe Kinder, allesamt dick eingepackt, kam von Neugier getrieben auf den fremden Reiter zugelaufen und bedachte ihn mit teils ängstlichen, teils gespannten und teils sorgenvollen Blicken.
    „Wer bist du?“, war die erste von vielen Fragen. „Hast du dich verirrt?“ „Du siehst krank aus?!“ „Willst du uns ausrauben?“
    Die ersten Erwachsene mischten sich unter die Kinder. Eine älterer Mann meckerte auf die Neugier seiner jungen Mitbürger und betrachtete Maximian argwöhnisch. Neben ihm erschien eine junge Frau, die ohne Angst auf Nigidius zuging und ihn so zum stehenbleiben zwang. Maximian sah sie sichtlich bibbernd und mit bläulichen Lippen an.
    „Bist du überfallen worden?“, lautete ihre erste Frage.
    „Nein, nichts dergleichen“, antwortete Maximian ihr. Nichts dergleichen? Ja, wo war dann die entsprechende Kleidung? Kein Mensch würde zum Winteranfang noch so hinausgehen, wie er jetzt hier saß. „Ich habe meine warme Toga unterwegs verloren“, log er deshalb und hob die Hände wieder vor den Mund, um sie anzuhauchen. „Gewährt mir eure Gastfreundschaft. Ich will mich nur ein wenig aufwärmen.“
    Die junge Frau nickte und augenblicklich stoben einige der Kinder laut schreiend davon.
    „Sie sorgen dafür, dass jetzt jeder von deiner Anwesenheit erfährt“, erklärte die junge Frau und griff nach Nigidius' Zügeln. „Mein Name ist Caninia Domna. Und du bist?“
    „Decimus Maximian“, antwortete Maximian nur knapp und hoffte, dass er schnell irgendwo ins Warme gelangte. Sie schien seine Gedanken gelesen zu haben und führte Nigidius los.


    Anhalten tat sie vor einem der vielen, kleinen Häuser, die aus roten Steinen gebaut worden waren. Sie band Nigidius fest, Maximian rutschte von dessen Rücken herunter und hätte am liebsten sogleich aufgeschrien. In seinen Fesseln hatte es tierisch gezeckt, als er aufgekommen war. Rings um ihn herum standen die Kinder wieder und er versuchte ihnen zuzulächeln. Aber wahrscheinlich machte er ihnen damit mehr Angst als alles andere, denn welches Kind ließ sich schon gern von einem blassen, zitternden und noch dazu blaulippigen Fremdling anlächeln?
    Die Frau hatte sein Zögern wohl nicht übersehen und packte ihn am Arm.
    „Du siehst nicht gut aus. Hoffentlich kriegst du kein Fieber.“


    Sie führte Maximian in das Haus, dort in ein kleines Cubiculum. Er entdeckte ein Kohlebecken und hielt geradewegs darauf zu. Warm! Sofort hielt er seine Finger darüber, hätte am liebsten den Kopf in die glühende Kohle gedrückt, doch ein ekelhafter Schmerz in den Fingern ließ ihn davor zurückschrecken.
    „Ja, wärm dich daran auf. Hier hast du noch eine Decke. Du zitterst ja am ganzen Leibe... Nimm noch eine Decke.“
    So bekam Maximian zwei Decken übergeworfen, die ihn beinahe zu Boden drückten. Er keuchte, hustete und hätte am liebsten wieder ausgespuckt, aber das empfahl sich hier nicht. Als er kurz den Blick schweifen ließ, erkannte er an Kleinigkeiten, dass das Cubiculum bewohnt war. Der, der hier wohnte, würde sich sicherlich nicht sehr arg darüber freuen, Ausgespucktes vorzufinden, wenn er wieder hier herein kam.
    „Wo kommst du her? Zumindest bist du kein Sklave, dazu sind deine Sachen zu gut. Und das Pferd erst...“
    „Er ist mein Pferd. Deckt ihm eine Decke über. Gebt ihm warmes Wasser“, bat Maximian und spürte Hände, die seine Arme abtasteten, seinen Kopf und anschließend seinen Rumpf. Die Decken und das Feuer schien alles noch schlimmer zu machen, sein Körper wurde kräftig durchgeschüttelt.
    „Tarraco“, setzte er noch kurz hinterher. Die junge Frau – wie war ihr Name noch gewesen? - hielt inne und sah den Frierenden verdutzt an.
    „Tarraco?! Bist du dir da sicher? Tarraco liegt einige Stunden entfernt von hier. Würde erklären, warum du bis auf die Knochen nass und kalt bist, aber trotzdem... Wir müssen dich aus deinen Sachen holen, sonst wirst du nie warm.“
    Sie wartete auf ein Zeichen in Form eines Nickens, dann nahm sie Maximian die Decken ab und machte sich an seiner Toga zu schaffen. Maximian erwischte ihre flinken Hände und hielt sie auf.
    „Das schaffe ich noch allein. Kümmere dich derweil um mein Pferd. Bitte.“


    Die Frau ging und kümmerte sich um Nigidius, während Maximian sich aus seinen Sachen schälte, die an seiner feuchten Haut klebten. Kaum war er sie los, dachte er, ihm würde alles abfrieren. Schnell nahm er sich die Decken wieder, wickelte sie um sich und trat an das Kohlebecken heran. Immerhin, seine Finger machten bald einen wieder halbwegs lebendigen Eindruck. Dafür fingen seine Lungen an zu Schmerzen. Sein Hals kratzte, sein Kopf puckerte und das Zittern wurde auch nicht besser.


    „Wie ich sehe, bist du auch schon fertig. Wie wäre es mit einem heißen Bad?“, fragte die junge Frau, als sie wenig später wieder ins Cubiculum trat. So wie Maximian war wurde er quer durch das Haus geführt. Um seine Beine zog es mächtigst. Aber dann gelangten sie in ein kleines, um nicht zu sagen winziges Balneum. In der Mitte stand ein riesen Pott, der mit heißem, dampfenden Wasser gefüllt war. In ihn rein führte ein kleiner Hocker. Hätte Maximian die Kraft gehabt, wäre er auf der Stelle hineingesprungen. Aber er tappte heran und wäre am liebsten einfach umgekippt, so müde war er.
    „Ich dreh mich auch um“, sagte die Frau und nahm Maximian die Decken ab. Er fragte sich, ob denn niemand sonst im Haus war, der der Frau die Mühen hätte abnehmen können. Es schien nicht so. Also ließ Maximian auch den Lendenschurz fallen und kletterte zitternd und umständlich ins Wasser, das sogleich wie tausend Nadeln auf seiner Haut piekte. Schmerzen waren das. Aber er machte es kurz und ließ sich einfach hineinsinken, bereute es sogleich, weil sich jeder seiner Muskeln anspannte und letztlich sogar verkrampfte – aber immerhin saß er.
    „Achtung, ich dreh mich um. Ach, du sitzt ja schon. Und, tut es gut? Ich weiß dir nicht anders zu helfen... du kannst froh sein, dass du nicht schon halb erfroren warst. Und trotzdem bist du ganz schwach... Warte, ich halte dich.“
    Es wurde warm. Wie gut es tat. Maximian schloss die Augen und wäre beinahe auf der Stelle eingeschlafen. Ihre Hände hielten den Kopf, sodass er nicht befürchten musste, nie mehr aufzuwachen, wenn ihn die Sinne nun doch verlassen sollten. Geduldig wusch sie ihm den Kopf, achtete darauf, dass auch die Ohren ja warm wurden. Allmählich färbten seine Lippen sich wieder rot und er sammelte neue Kraft.
    „Wie alt bist du?“, fragte die Gastgeberin irgendwann und hielt inne. „Alt kannst du noch nicht sein. Deine Toga ist die eines Jünglings. Aber dennoch scheinst du diesem Alter schon längst entwachsen zu sein.“
    Maximian öffnete seine Augen und sah die junge Frau an, schloss sie dann jedoch gleich wieder.
    „17“, sagte er und versuchte sich dann ein wenig gerader hinzusetzen. Die Frau beobachtete ihn bei seinen Bemühungen, unternahm aber nichts.
    „17?!“
    „Ja, 17“, seufzte Maximian und rappelte weiter. Rappelte umsonst weiter, sodass nur Wasser über den Rand des Pottes quoll und blieb nach einem letzten Versuch erschöpft liegen.


    Sie hatte ihm aus dem Wasser helfen müssen. Anschließend war er dabei gescheitert sich abzutrocknen und so musste sie diese Aufgabe auch noch erfüllen. Maximian war es peinlich, dass er ihre diese Arbeit nicht ersparen konnte, aber kaum war er dem Wasser entstiegen, zitterte er schon wieder am ganzen Körper und wollte nur noch in irgendein Bett.
    Sie hatte ihn in Decken gewickelt und in das Cubiculum geführt. Dort hatte er sich auf das Bett legen dürfen. Sie hatte noch weitere Decken über ihn gelegt und war dann gegangen, ihm eine Brühe zubereiten.
    Wie es schien, war sie wirklich ganz allein hier. Müde lag er im Bett und kämpfte dagegen an einzuschlafen. Irgendwann vernahm er ein Gespräch. Also war doch noch jemand da oder gerade zur Unterstützung gekommen. Wenn er sich nicht täuschte, war es sogar eine Mänenrstimme, die die junge Frau Domna nannte. Maximian merkte sich den Namen dieses Mal und fror in zig Decken gehüllt abwartend vor sich hin, bis ein älterer Mann in das Cubiculum trat und den Gast musterte.
    „Salve!“, grüßte Maximian, als er ihn bemerkt hatte und setzte sich etwas auf.
    „Salve, Decimus“, grüßte der andere zurück und trat dann ein, Maximians Klamotten aufnehmend und sie musternd.
    „Ich werde eure Gastfreundschaft nicht lange in Anspruch nehmen müssen. Es sollte mir nur ein wenig warm werden. Und vielleicht würde es auch nicht schaden, wenn ich ein oder zwei Stunden ruhen könnte. Dann werde ich gleich wieder abreiten.“
    „Meine Tochter sagt, dass du krank wärest und unbedingt Ruhe bräuchtest, Decimus. Die sollst du bekommen als unser Gast. Aus Tarraco sollst du kommen, sagte sie. Was suchst du dann hier?“
    Maximian hustete angestrengt.
    „Ich habe die Orientierung verloren, als ich mein Pferd bewegen wollte.“
    Der ältere Mann nickte mit skeptischem Blick und meinte, Maximian würde so lange bleiben, wie er musste; er solle sich jetzt ausruhen. Brav schlief der junge Mann ein, ehe Domna ihn mit der Brühe erreicht hatte. Ihre Weckversuche verliefen im Sande und so stellte sie das Kohlebecken näher an das Bett heran und verließ das Zimmer auf leisen Sohlen.


    Maximian schlief und schlief. Schweißperlen traten ihm auf die Stirn und er wälzte sich unruhig hin und her. Aber nicht der wildeste, bedrohlischte, traurigste Traum – und von denen hatte er viele – vermochte ihn aufzuwecken.

  • So schlief er bis in die Nacht hinein, erwachte kurz in einem Fiebertraum, schlief aber schnell wieder ein und war auch nicht wachzukriegen, bis der nächste Morgen krähte.

  • Dann nämlich, als der erste Hahn krähte und der Morgen graute, ging es Maximian insoweit wieder besser, dass er nicht vor Kälte schlotterte. Aber er hatte einen ganz furchtbaren Husten, ein ekelhaftes Kratzen im Halse, eine verstopfte Nase und einen ganz steifen Körper. Allein diese vielen Neuigkeiten hätten ihn am liebsten dazu bewegt wieder einzuschlafen.
    Doch das Cubiculum, in dem er lag, war nicht seines. Die Einrichtung war geradezu ärmlich. Und es roch hier auch gar nicht wie in der Casa Decima. Irgendwie muffig - so kam es Maximian jedenfalls vor, riechen konnte er ja nichts.
    "Hm", machte der junge Mann und ließ den Blick wandern. Es war ruhig. Niemand im Zimmer außer ihm. Und nun? Sollte er aufstehen und auf Erkundungstour gehen? Irgendwo musste Da... Do... Domna! doch sein. Der Kerl war vielleicht wieder abwesend.
    "Hm", machte er gleich noch einmal. Wo waren seine Sachen? Ah, da lagen sie ja, fein säuberlich über einen Schemel gelegt. Sahen trocken aus. Aber was, wenn er jetzt aufstand und Domna hereinkam. Peinlich. Wobei.... er würde sie kommen hören und hätte sicherlich noch genügend Zeit, sich zumindest umzudrehen.
    "Hmmmm", machte Maximian gleich noch ein drittes Mal. Wahrscheinlich hatte sie beim Baden gestern eh schon zuviel gesehen, was würde es also ausmachen....


    Maximian schaffte es sich anzuziehen, ohne dass er überrascht Besuch bekam. Er tappste durch das Haus, fand Domna webend vor und bekam von ihr eine deftige Suppe. Er hatte aufbrechen wollen, schon nach Nigidius gesehen, da bekam er einen Hustenanfall der schlimmsten Sorte und fühlte sich hinterher gleich wieder hundeelend. Und doch hätte er es gewagt, wieder heimzukehren, wenn da nicht Domna gewesen wäe.
    Sie nämlich entpuppte sich als wahrer Dickkopf. Vielleicht wollte zurecht vermeiden, dass Maximian sich hustend und fiebernd auf ein pferd setzte, um einige Stunden zu reiten. Und so gab der junge Mann sich nach mehreren Versuchen, die Frau doch noch umzustimmen, bald wieder auf. Mit Frauen konnte man halt nicht verhandeln, ging es ihm grummelnd durch den Kopf.


    Er hatte noch einen Teller Suppe bekommen und anschließend erstmal ein paar Stunden geschlafen. Als er aufwachte, erging es ihm wie am Morgen noch. Nur, dass es jetzt bereits wieder dunkel war.
    Angezogen tappte er erneut in das Haus, das geradezu verwaist schien. Doch fand er Domna wieder im selben Raum vor, wie am Morgen auch schon. Und sie webte auch schon wieder. Maximian setzte sich zu ihr und sah ihr zu, während sie sich stundenlang über die Götter und die Welt unterhielten. Nur redete sie fast ununterbrochen und er hörte zu - aber als Gast beschwerte man sich ja nicht und außerdem war seine Stimme verschwunden.
    Und das Wasserlassen war irgendwie auch nicht großartig angenehm, stellte Maximian fest. Am Morgen noch hatte es nur gezogen, jetzt aber brannte es regelrecht.
    Mit Domna wollte er darüber nicht unbedingt sprechen (konnte es ja auch gar nicht ^^) und ohnehin tat er es als eine der Folgen der Unterkühlung ab. Es würde wohl bald von allein wieder aufhören zu schmerzen. Hoffte er.


    Später ging er wieder schlafen. An Zuhause dachte er gar nicht mal. So konnte er ein wenig Abstand gewinnen und wie man so munkelte, konnte das in einigen Dingen wahre Wunder bewirken. Aber wenn er dann einschlafen wollte und leicht vor sich hinfror, dann fehlte ihm die warme, weiche Heizung namens Valeria sehr. Mehr noch, als er sich eingestand.


    Am nächsten Morgen ging es ihm unverändert. Nur die Blase leeren wollte er am liebsten gar nicht mehr, aus Angst, es würde brennen. Wider der Erwartung ging es dann jedoch wieder ein bisschen besser. Er bekam einen stärkenden Eintopf zuessen und nahm sich vor auf keinerlei Diskussion einzugehen. Es gelang auch. Allerdings verging ihm selber die Lust, sich stundenlang auf Nigidius halten zu müssen - bei dieser Kälte. Als er nach dem Schwarzen sah, wäre er beinahe auf der Stelle zur Statue erstarrt, so frisch wehte der Wind.
    Domna erwartete ihn an der Tür mit einem gefälligen Grinsen, hatte sie doch insgeheim Recht behalten, dass er sich dort nicht hinauswagen würde.
    Maximian nahm sich vor stundenweise zu überprüfen, ob die Wetterlage sich nicht verändert hatte. Aber nach zwei Kontrollgängen legte er sich bereits wieder schlafen und gab den Gedanken auf, heute noch nach Tarraco zurück zu kommen.


    Der Abend kam, dann die Nacht war unvermeidlich, und der nächste Morgen eh bald da. Maximian ging es immer noch nicht besser. Allerdings: Nachdem er heißen Wein getrunken hatte, brachte er halbwegs einige Töne zsutande. Immerhin etwas.
    Und heute sollte es ganz gewiss wieder heimwärts gehen. Also verplämperte Maximian gar nicht erst viel Zeit, tat in Domnas Gegenwart auch so, als würde er immer noch nicht reden können und ließ Nigidius satteln. Der Abschied war warm, immerhin hatte Maximian mit Domna die letzten Tage verbracht und hatte auch von einigen Kindern immer wieder mal Besuch bekommen, die sich nun verabschieden wollten.


    Und so ritt er irgendwann, eingehüllt in ein dickes Fell, das Domna ihm noch geschenkt hatte, dankbar und mehr oder weniger gestärkt wieder von dannen.

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