DER ZEITBEGRIFF IM ALTEN ROM

  • Zu Beginn des Vortrags nannte Egon Flaig die Begriffe ,,historische Anthropologie" und ,,politische Semiotik", letzterer meint das Erkennen und Deuten von politisch relevanten Zeichen; beide wurden am Beispiel des Leichenbegräbnisses der Patrizierfamilien anschaulich erläutert. Sowohl das soziale, als auch das politische Verhalten des Menschen waren in hohem Maße von Erinnerung an Vergangenes, Tod und Verehrung der Verstorbenen beeinflußt. Der Mensch fungierte hier als strukturierendes Element, dessen soziale Prägungen, die sich im Zusammenhang mit dem Begräbnisritus ableiten lassen, sowie der Ritus selbst, von Flaig in seinem Vortrag erklärt wurden.


    1. Die Ahnen


    Die Rangordnung des Adels im alten Rom war äußerst exakt organisiert, innerhalb dieser Rangordnung war ein Aufsteigen nur durch Wahlen möglich. Um eine politische Karriere antreten zu können, war es für junge Adelige von großer Bedeutung, rasch den Aufstieg in einen höheren Rang zu erringen, um einen gewissen ,,Zeitvorsprung" gegenüber Gleichaltrigen zu erreichen. Man konnte zur ,,rechten Zeit" aufsteigen, oder aber als ,,Nachzügler" gelten, welche gewöhnlich weniger Aussichten auf eine politische Kariere hatten. Zwischen den einzelnen patrizischen Familienverbänden kam es immer wieder zu Machtkämpfen, um herauszufinden, wie genau die patrizischen Familien im Rang zueinander standen. Um den Rang und das Ansehen der Familie innerhalb der römischen Aristokratie feststellen zu können besaß jede Familie ihre eigene Ahnengalerie, in ihr befanden sich aus Wachs angefertigte, oft sehr künstlerisch gestaltete Ahnenportraits, die in kleinen Schreinen im Atrium der Patrizierhäuser aufbewahrt wurden. Zusätzlich gab es eine Tafel mit genauer genealogischer Aufzeichnung, auf ihr waren alle Ahnen samt ihren großen politischen Verdiensten aufgelistet.
    Das wichtigste Rangkriterium einer Familie war die Anzahl ihrer, im Atrium ausgestellten, erfolgreichen Ahnen. Da das Atrium im alten Rom kein privater Raum war, sondern für die Öffentlichkeit zugänglich diente es zugleich als Statusdemonstration für die Allgemeinheit.


    2. Der Begräbnisritus


    Ein verstorbener Verwandter wurde, von all seinen ,,erfolgreichen" Ahnen geleitet, zu Grabe getragen. Dies war eine Art Zurschaustellung der ,,gewonnenen Zeit" einer Familie. Während des Leichenzuges wurden alle Ahnenmasken, allerdings ohne bestimmte Abfolge bzw. Reihung der Masken innerhalb des Zuges mit getragen und bei der Grabrede nochmals, hier jedoch sehr wohl chronologisch, samt ihrer Verdienste erwähnt. Erfolglose Ahnen wurden nicht zur Schau gestellt und schieden so gleichsam aus der Erinnerung aus.
    Weiters repräsentierte die Reihung der Masken während des Begräbnisses den Adel bzw. das Herrschaftssystem an sich. Die alten Hierarchien besaßen über den Tod hinaus ihre Gültigkeit, d.h. die Krise des Todes wurde nicht nur durch Trauer bewältigt, sondern auch durch eine zeitliche Verlängerung der Ordnung. Nach römischer Vorstellung waren es die Ahnen selbst, die kamen um den Verstorbenen abzuholen. Der politische Status des Verstorbenen zum Zeitpunkt seines Todes galt als endgültig und somit war sein chronologischer Platz in der Ahnenreihe unveränderlich festgelegt.
    Die Bedeutung der Ahnenbilder für die gesamte Respublica, lag in der Bestärkung ihrer Normen die ihren Status als politische Kaste bestätigten.
    Das Prestige einer Gens ist genau, durch ihre Zahl an Ahnen und deren politischen Status, nachzuvollziehen. Bedeutende Geschlechter, wie z.B. Claudier, Flavier, Cornelier usw., hatten es durch die Zeit, die ihre Ahnen für sie gewonnen hatten, viel leichter politische Bedeutsamkeit zu erlangen. Sie hatten sozusagen einen ,,Zeitvorschuß" gegenüber weniger prestigeträchtigen Familien.


    3. Politische Pädagogik des Rituals


    Das pädagogische an diesem Ritual lag in dem ständigen Antrieb der Nachkommen, die, durch das intensive Erinnern an die Ahnen und das ständige vor Augen führen ihrer Leistungen, zu ständigem Aufsteigen innerhalb der Hierarchie getrieben wurden. Für junge, aus bekannten Geschlechtern stammende Adelige, war der Zeitvorsprung, der ihnen durch ihre Ahnen gegeben war, einerseits enorm förderlich, andererseits aber auch ein gewaltiger Druck. Man mußte seinen großen Vorfahren gerecht werden, um nicht nach dem Tod in Vergessenheit zu geraten und keine Schande für die Familie darzustellen. Nur Erfolge um die Respublica gewährleisteten ein individuelles Ahnenbild und somit Unsterblichkeit.
    Die Zeit wurde in Rom von den verschiedenen Gens sozusagen als Kapital betrachtet, welches es galt für die Nachkommen zu sammeln. Wenn dies nicht gelang, bedeutete es einen Zeitverlust der nicht nur die eigene Kariere beeinträchtigte, sondern auch die der gesamten Nachkommenschaft.
    Die adelige Schicht widmete sich also zur Gänze der Politik und dies wurde bei der Leichenrede mit dem Aufzählen der Vorfahren immer wieder ins Bewußtsein gerufen.
    Das integrative Moment für den römischen Bürger war dabei, daß sich die Vergangenheit der Respublica aus Namen, Daten und vor allem auch Taten von großen, römischen Adeligen zusammensetzte.





    ,,Der Zeitbegriff im alten Rom" wurde am 17. März 1999 von Prof. Dr. Egon Flaig an der Universität Wien vorgetragen. Egon Flaig unterrichtet als ordentlicher Professor an der Universität Greifswald.


    PRAEFECTUS CLASSIS PRAETORIAE MISSINENSIS
    PATER FAMILIAS GENTIS CLAVDIA
    NOMEN HONORES "RESTITUTOR"

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