1. Einleitung
Der Dekurionenstand (,,ordo decurionum") stellte die lokalen Führungseliten der Städte des Römischen Kaiserreiches dar. Diesen Eliten oblag die Verwaltung ihres jeweiligen Stadtwesens. Da das Römische Reich formal vom Stadtstaat Rom zentralistisch geführt wurde, verdankten die Städte das Zugeständnis diverser Rechte bezüglich ihrer Selbstverwaltung zweierlei Umständen:
Zum Einen fehlte es in Rom an einem adäquaten bürokratischen Apparat der das Reich im vollen Umfang erfassen konnte; zum Anderen hoffte Rom durch die Bürokratisierung der Städte eine ,,organisatorische Unterwerfung des flachen Landes unter die Stadt .. zu bewerkstelligen".
Die Praxis der städtischen Selbstverwaltung durch eine lokale Elite wurde im gesamten Römischen Reich angewandt. In Städten die nicht über eine entsprechende gesellschaftliche Struktur verfügten wurde diese, notfalls mit Gewalt, eingeführt.
Der Zugang zum ordo decurionum war, ähnlich den übrigen Ständen, unter anderem durch einen finanziellen Zensus geregelt. Dieses führte dazu, daß die politische Macht in den Gemeinden faktisch in den Händen weniger reicher Familien lag, obwohl der Dekurionenstand am Anfang der Kaiserzeit nicht erblich war.
Während der wirtschaftlichen Blüte des Römischen Kaiserreiches bedeutete der Aufstieg in den ordo decurionum einen Zugewinn an sozialem Prestige und politischem Einfluß. Mit der sich zuspitzenden Finanzkrise der Städte änderte sich jedoch die Einstellung der reichen Bürger gegenüber dem Stand, der mit seinen finanziellen Verpflichtungen mehr und mehr als Last empfunden wurde.
2. Soziale Struktur und Herkunft
Der Stand der Dekurionen nahm im römischen Ständewesen eine Sonderstellung ein. Entgegen dem Senatoren-, sowie Ritterstand (,,ordo senatorius"; ,,ordo equester") bildete er nur teilweise einen in sich geschlossenen Reichsstand. Hinsichtlich der sozialen und rechtlichen Stellung, die die Mitglieder in ihren jeweiligen Städten innehatten bestand eine gewisse reichsumfassende Homogenität, weiterhin zählten die Dekurionen zusammen mit den Senatoren und Rittern zur Gruppe der Vornehmeren (,,honestiores"). Jedoch gab es von Stadt zu Stadt zum Teil gravierende Unterschiede die soziale Herkunft der Dekurionen betreffend. Meßbar waren diese Unterschiede beispielsweise am Zensus, der sich an der wirtschaftlichen Funktion, bzw. Bedeutung der einzelnen Gemeinden orientierte.
In mittleren und großen Städten wie z.B. Como oder Karthago lag der Zensus bei 100.000 Sesterzen, in unbedeutenderen afrikanischen Gemeinden lediglich bei 20.000 Sesterzen.
Des Weiteren beschränkte sich der Horizont politischen und ökonomischen Interesses zumeist auf die lokale Ebene, was einem städteübergreifenden Standesbewußtsein abträglich war. Auch die Verleihung des römischen Bürgerrechts, in dessen Besitz die meisten Dekurionen im Laufe der Jahrhunderte gelangten, änderte wenig an der starken Bindung zur Heimatstadt.
Allen Dekurionen gleich, wenigstens in der frühen Kaiserzeit, war die Art und Weise wie Vermögen erworben wurde. Bei den Mitgliedern der städtischen Oberschichten handelte es sich anfangs so gut wie ausnahmslos um Grundbesitzer, die ihre Güter im näheren Umkreis der Stadt besaßen. Zwar betrieb man auch teilweise lokalen Handel, doch wurde der Grund- und Bodenbesitz als einzige standesgemäße Art des Reichtums betrachtet.
An der Zahl seiner Mitglieder gemessen, war der ordo decurionum der größte Stand der römischen Oberschicht (ca. 100.000 - 150.000 Personen). Die Mehrheit der Mitglieder des ordo waren gleichzeitig Mitglieder des Ritterstandes, die den größten Teil ihres politischen Lebens nach Ablauf ihrer militärischen Laufbahn in kommunalen Ämtern verbrachten. Folgerichtig war auch die Mehrheit der Ritter Mitglied in ihrem lokalem ordo.
Die Organisation der Städte außerhalb des römischen ,,Stammlandes" entsprach der aller übrigen Städte des Römischen Imperiums. Die Mitglieder der lokalen Eliten rekrutierten sich hier jedoch teilweise zum Einen aus altem Stammesadel (z.B. Gallien), zum Anderen aus entlassenen Militärs, deren Nachkommen oder römischen Kolonisten (z.B. Niedergermanien).
Neben dem Zensusverfahren gab es noch weitere Zugangskriterien die von den Anwärtern zu erfüllen waren. Allein Freigeborene und die Söhne Freigelassener konnten mit einer Aufnahme in den ordo decurionum rechnen. Wohlhabenden Freigelassenen (,,liberti") stand lediglich die Beteiligung am Kaiserkult zu, der zumeist in eigenen Körperschaften (z.B. in Ostia: ,,ordo augustalium") betrieben wurde, in denen ausschließlich Freigelassene tätig waren. Sie bildeten neben dem ordo decurionum teilweise einen zweiten städtischen Stand und traten auch auf dem Gebiet der freiwilligen öffentlichen Stiftungen in Erscheinung. Waren viele von ihnen auch Grundherren, so versperrte ihnen doch der Makel einer unfreien Geburt den Zugang zum Dekurionenstand.
3. Legitimation, Organisation und Aufgaben
3.1. Rechtliche Grundlagen
Die Stadträte des Römischen Kaiserreiches (,,ordo" oder ,,senatus") bestanden in der Regel aus 100 Mitgliedern. Trotz der bereits unter Punkt 2 erwähnten Unterschiede zwischen den einzelnen Städten, bildeten ordos mit höheren ( z.B. Antiochia: 1200 Mitglieder) oder niedrigeren Mitgliedszahlen eher die Ausnahme.
Die Ratsmitglieder erwarben durch die einjährige Ausübung eines kommunalen Amtes das Recht auf einen Sitz im ordo. In der frühen Kaiserzeit stellten sich die ausreichend qualifizierten Bewerber (siehe Kapitel 2) einer Wahl durch die Volksversammlung ihrer Gemeinde. Der Sitz im Rat wurde auf Lebenszeit erworben, war aber anfangs (wie bereits erwähnt) de jure nicht erblich.
Die Mitglieder des ordo decurionum waren gegenüber Rom und ihrer Gemeinde gleichermaßen verpflichtet. Der Dienst am Römischen Reich bestand hauptsächlich in der ,,munera personalia", worunter man die Ausübung der Stadtverwaltung in den entsprechenden Ämtern verstand, sowie der Entrichtung der städtischen Steuern, deren Hauptlast von den Dekurionen getragen wurde (im Gegensatz zur Reichsaristokratie, die von Steuerzahlungen befreit war). Zum Wohl der Stadtgemeinde erfüllten die Dekurionen die ,,munera patrimoniorum", die die Errichtung von Bauten, die Ausbesserung von Wegen oder auch öffentliche Stiftungen (z.B. Waisenhäuser) beinhaltete.
Die Erfüllung der munera patrimoniorum unterlag keiner starren gesetzlichen Regelung, sondern oblag dem Ermessen der einzelnen Dekurionen. Obwohl es sich hierbei im Prinzip um freiwillige Leistungen handelte, wußte jeder Amtsanwärter um die traditionelle öffentliche Erwartung. Bei Amtsantritt wurde ein sogenanntes ,,nobles Versprechen" (,,pollicitatio ob honorem") abgegeben, welches die beabsichtigte Leistung darlegte. In der wirtschaftlichen Blütezeit der römischen Städte sahen die Honoratioren in der munera vor allen Dingen eine Möglichkeit ihr soziales Ansehen durch Großzügigkeit zu steigern. Den städtischen Kassen waren diese ,,freiwilligen" Leistungen unentbehrlich geworden, da sie den lokalen Haushalt allein nicht bewältigen konnten.
Die wesentlichen Rechte die die Städte von Rom zuerkannt bekamen, betrafen justitielle, organisatorische und polizeiliche Bereiche. Neben der niederen Zivilgerichtsbarkeit und der ,,freiwilligen Gerichtsbarkeit" (worunter z.B. Fragen der Adoption, der Freilassung und der Emanzipation aus der Väterlichen Gewalt fielen), waren die Gemeinden noch für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit, der Aufsicht über Markt und Spiele, sowie der Sicherstellung der Lebensmittel- und Trinkwasserversorgung verantwortlich. Die eigentlichen Hoheitsrechte wie beispielsweise die Verwaltung der städtischen Wehrkraft, die Strafjurisdikation und die Ziviljurisdikation blieben weiterhin unter der Kontrolle des römischen Zentralstaates, der diese Rechte teilweise durch entsendete Hilfsbeamte (z.B. Richter) wahrnahm.
Die Städte in den römischen Provinzen behielten anfänglich die Kompetenzen aus der Zeit ihrer Unabhängigkeit (ausgenommen der außenpolitischen und militärischen Autonomie), wurden aber im Lauf der Zeit und im Zuge der Nivellierung der Unterschiede zwischen römischen und peregrinen Städten, immer stärker dem Einfluß Roms unterzogen.
3.2. Ämter und Zuständigkeiten
Der politische Apparat der Städte bestand aus dem bereits beschriebenen (meist hundertköpfigen) Stadtrat und einer vier- bis sechsköpfigen Magistratur.
Das höchste kommunale Amt, war das des (bzw.: der) ,,duoviri". Sie waren in ihrer Funktion Bürgermeistern gleichzusetzen und bildeten das Präsidium des Stadtrates. Sie saßen den Wahlen der weiteren Beamten vor und standen der in Kapitel 3.1. beschriebene niederen Zivilgerichtsbarkeit und der freiwilligen Gerichtsbarkeit vor. Den duoviri wurde die oberste Leitung der Stadtverwaltung zuerkannt.
Die zweithöchste Funktion war die der ,,aediles". Sie standen der städtischen ,,Polizei" vor und waren für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zuständig, z.B. indem sie marktpolizeiliche Aufgaben versahen. Ferner besaßen sie die Aufsicht über die Erhaltung und Reinigung der Straßen, die Leitung der Spiele und die Beaufsichtigung der Bäder.
Die dritte Gruppe der städtischen Beamten repräsentierte der ,,quaestor", der der lokalen Kasse vorstand und somit eine Art Finanzbeamter war.