• Ich musste nicht weit laufen, um an der vereinbarten Stelle zu sein und doch fror ich bereits jetzt. Dabei lagen die Temperaturen in erträglichen Bereichen. Ohne diesen unangenehmen Wind könnte ich fast an den Frühling glauben, so aber stand ich – die Palla fest um den Leib gewickelt – da und hoffte, meine Verabredung würde mich nicht allzu lange warten lassen.


    Aufmerksam studierte ich die Menschen, die kamen und gingen, aber es waren zumeist Fremde oder eben niemand, der mich interessierte. Voller Skepsis schaute ich zum Himmel. Hoffentlich würden die dicken Wolken weiterziehen und nicht gerade über Rom ihre Fracht abladen.

  • Corus näherte sich von hinten, so daß sie ihn nicht sehen konnte. Sein Blick wanderte über ihre Gestalt, die fröstelnd am Rand der Straße stand. Er freute sich, daß sie gekommen war, aber gleichzeitig wußte er, daß ihr Gespräch Komplikationen mit sich brachte.


    "Wenn Venus auf Erden wandeln würde..." Weiter kam er nicht.

  • Was für eine Frau. Jemand wie sie könnte Corus den Sinn des Lebens zeigen.


    "Ja, ich wollte dich sprechen. Ich bemerke, daß mein Leben hier an Bedeutung verliert. Bisher hat mich meine Arbeit ausgefüllt, aber Falco ist nach schwerer Verletzung aus dem Dienst geschieden. Nach meinem Urlaub habe ich eine veränderte Mannschaft mit neuen Regelungen vorgefunden. Das alles verleitet mir die Freude am Dienst."


    Eine Pause entstand. Wenn Corus eine Frau hätte, müßte er sich am Riemen reißen. So aber gammelte er dahin. Eine Frau wie Deandra. Sie war ihm seit dem Vigilesfest nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Eigentlich war Corus schüchtern, aber er hatte nichts mehr zu verlieren.


    "Wir gehören verschiedenen Familien an."


    Corus stockte. Er hatte keine Ahnung wie sie dachte und trotzdem setzte er alles.


    "Ich habe schon viele Frauen getroffen und sie wieder vergessen. Bei dir ist es anders. Du bist anders. Ich würde dich auf Händen tragen, wenn du es willst."

  • Zwar traf mich sein Angebot nicht gänzlich unvorbereitet, aber ich hatte für heute mit einem anderen Thema gerechnet. Dementsprechend überrascht blickte ich ihn an.
    Seit ich den Mädchenschuhen entwachsen war, kam ich mit schöner Regelmäßigkeit immer wieder in die Situation, mein Leben zu überdenken. Keineswegs fiel mir die Entscheidung immer leicht und IMMER war da bereits ein Mann, wenn ein anderer um mich warb.


    Konnte es nicht einmal einfach sein? Konnte ich nicht einmal frei sein, wenn jemand, der mir ebenfalls gefiel, um mich warb und der dann aber auch mal seine Versprechen wahr machte? Was machte ich falsch, weil mir die Götter andauernd dieselbe schwere Entscheidung aufbürdeten. Ich seufzte.


    „Ich habe mein Wort bereits einem anderen gegeben, dem ich mich verbunden fühle“, erwiderte ich leise.

  • "Meinst du, ich weiß das nicht? Über die Frau, die einen interessiert, versucht man alles herauszufinden."


    Corus blickte nach unten.


    "Bist du glücklich? Bist du verheiratet oder wenigstens verlobt?"

  • „Nichts von alldem, dennoch … Er besitzt meine Liebe und er ist nicht irgendein Mann.“


    Wieder einmal fühlte ich mich mies. Bei vielen war mir die Absage nicht schwer gefallen, bei Corus tat es mir aufrichtig leid. Er war ein besonderer Mann. Einer, den ich achten konnte, weil er Stärke ausstrahlte und anscheinend einen festen Willen und ein ebensolches Rückgrad besaß. Er war Patrizier, sogar Aurelier, er besaß alles und doch …

  • "Auf jeden Fall ist er ein Mann, der das Besondere an dir nicht schätzt. Ich weiß, wer er ist. Du mußt es mir nicht sagen."


    Corus schwieg lange, ehe er sich durchrang noch etwas zu sagen.


    "Denk bitte über meinen Antrag nach. Ich kann mir nicht vorstellen, daß du auf ewig dieses Leben führen willst."

  • Wer sagte, dass ich dieses Leben führen wollte? Von „wollen“ konnte keine Rede sein. Bisher stand ich unter Sophus’ Patria potestas, seit Neuerem unter der meines Vaters. Meine Wünsche bezüglich einer Partnerschaft sahen zudem vollkommen anders aus.


    „Bitte verzeih! Zum jetzigen Zeitpunkt, selbst wenn mein Vater andere Pläne mit mir hätte, fühle ich mich zu stark mit Sophus verbunden, als dass ich neue Wege einschlagen könnte.“


    Welche Leere ich in meinem Leben empfand, ging niemanden etwas an. Ich scheute mich davor, über diesen Punkt überhaupt nachzudenken.
    Sorgenvoll runzelte ich die Stirn, während ich Corus anblickte.


    „Ich hatte es so verstanden, dass du mit mir über die Aurelia sprechen wolltest oder haben wir das gerade getan? Wolltest du über uns beide die Familien zusammenbringen?“

  • Corus nickte.


    "Schon manches Mal wurde durch eine Heirat ein Bündnis über die Ehe hinaus geschlossen. Für mich wärst du mehr als ein Bündnispartner gewesen."


    Corus erkannte, daß er jetzt nicht mehr erreichen konnte. Am liebsten wäre er gegangen, aber mit ihr zu reden und sie ansehen zu können war schön und schwer zugleich.

  • „Weißt du, Corus. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich Männer nur so lange um eine Frau bemühen, wie sie ihrer nicht sicher sind. Haben sie ihre Eroberung gemacht, schwindet aller Einsatz. Die Frau ist dann festes Mobiliar im Leben des Mannes. Warum sollte es bei dir anders sein?“


    Unbedacht sprudelten die Worte, ärgerlich biss ich mir auf die Lippe.


    „Vergiss es.“


    Kopfschüttelnd winkte ich ab und wechselte schleunigst das Thema.


    „Bitte mach deine Bereitschaft, die Aurelia zusammenzuführen, nicht von meiner Entscheidung abhängig.“

  • "Ich kann noch nicht sagen wie es weitergeht."


    Corus war ratlos. Er hatte wenig Freude an seinem Dienst und nichts wofür es lohnte durchzuhalten. Weiter wußte er, wie wichtig ihr die Zusammenführung war. Mit Leichtigkeit konnte er sie erpressen. Er hatte Einfluß auf Tutor und zurückgewiesene Liebe konnte bösartige Triebe bilden, aber so war er nicht.


    Corus war enttäuscht, aber nicht bösartig und er wollte noch nicht alle Hoffnung begraben. Bestimmt wollte sie nicht auf Dauer ein liebloses Leben haben.


    "Betrachte mich als Freund und zähle auf mich. Vielleicht wird eines Tages mehr daraus."

  • Erleichtert atmete ich auf.


    „Du machst damit nicht nur mir eine Freude, sondern hilft der gesamten Gens. Es ist wie ein Geschenk und ich danke dir dafür.“


    Nie hatte ich darüber nachgedacht, ob ich der Gens und der von mir angestrebten Vereinigung der Familien zuliebe, mich von Sophus trennen würde. Vor Monaten wollte ich zwar meine Adoption lösen und die Familie verlassen, falls dadurch eine Zusammenführung möglich gewesen wäre, aber das hätte keinen Bruch mit Sophus, "nur" einen Verzicht auf eine Heirat bedeutet. Tja, damals wusste ich noch nicht, dass dieses Thema späterhin nicht mehr zur Debatte stand. Vielmehr war es heute sogar Auslöser für mich, meine Beziehung zu Soph zu überdenken.


    Ich seufzte. Alles in meinem Leben hatte sich verkompliziert, nichts lief in normalen Bahnen.

  • „Corus, Soph ist der rechtliche Erbe. Bei einem Zusammenschluss würde er „nur“ das zurückerhalten, was ihm von Rechtswegen ohnehin zusteht – das Bestimmungsrecht über die gesamte Gens. Niemand hat ein Recht, ihm das streitig zu machen. Mein Wunsch ist es, dass er wieder die komplette Gens führt und wenn du mir ein Geschenk machen willst, dann gibt es kein größeres, als mich in diesem Bestreben zu unterstützen.“


    Ich lächelte verständnisvoll. Natürlich verstand ich, worum es ihm ging. Er unterstützte Sophus unfreiwillig aber zwangsläufig, indem er mir seine Unterstützung bei der Rückführung in eine ungeteilte Gens zusagte. Unfreiwillig deswegen, weil er derzeit weniger den Pater sondern eher den Konkurrenten in Sophus sah.


    „Glaub mir, es ist richtig, was du tust. Unsere Ahnen werden dir und allen anderen, die mithelfen, im Jenseits dafür danken. Die Belohnung der Lebenden hingegen kommt sogleich.“


    Ein schwesterlicher Kuss traf Corus’ Wange.


    „Nur wenige Menschen dürfen sich rühmen, meine Freundschaft zu besitzen, du hast sie auf jeden Fall.“

  • Beinahe wäre Corus zynisch geworden. Er konnte sich gerade noch so bremsen. Natürlich war ihre Freundschaft viel wert, aber er wollte ja mehr!


    "Du hast meine Unterstützung, jetzt aber möchte ich gehen. Ich brauche Abstand."


    Er vermied den Blickkontakt bei der Verabschiedung und verschwand eilig um die nächste Straßenecke.

  • Es tat mir so leid, aber was sollte ich machen? Schließlich konnte ich mich nicht vervielfältigen. Oder vielleicht doch? Ich könnte nach meiner Ursprungsfamilie forschen, vielleicht gab es ja eine Schwester, die mir ähnlich war. In diesem Augenblick beschloss ich, meinen Vater bei seinem nächsten Besuch danach zu befragen.


    „Vale bene, Corus. Ich hoffe, wir sehen uns wieder.”
    Gedankenvoll kehrte ich zur Villa Aurelia zurück.

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