Die Latrine am Ende der Lagergasse

  • Macer musste nicht erst an sich herunterschauen, um zu sehen, dass er von oben bis unten schmutzig war, er ähnelte den Dingen, die täglich durch die Rinne entlangflossen, um in irgend einem Fluss zu landen.
    Mit hochrotem Kopf stand Macer da und suchte nach Worten. "Nein optio, das hat niemand befohlen... Ich meine den Dreck am Körper,... ich meine... ich bin ausgerutscht, optio!!" stammelte er. Das bedeutete wahrscheinlich Latrinendienst bis an ihr Lebensende, dachte er sich. Die Anderen konnten ihr Grinsen kaum noch zurückhalten, rissen sich aber zusammen.

  • Eiligen Schrittes näherte sich der decurio der latrina. Seit ein paar Tagen hatte er mit Bauchschmerzen zu kämpfen und das, was er zu sich genommen hatte, verließ nur in flüssiger Form seinen Körper. So blieb es nicht aus, daß er einen gewissen Ort mehrmals am Tage und auch in der Nacht aufsuchen mußte.


    Er riß die Tür zur latrina auf und stieß auf ein paar tirones, die ihrem Aussehen nach die Aufgabe hatten, den Reinigungsdienst durchzuführen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht fuhr er den Erstbesten an.


    "Was ist hier los? Kann man hier nicht mal mehr in aller Ruhe zum Sch ... gehen?"

  • Um die Szene noch perfekt zu machen, platzte ausgerechnet auch noch ein Offizier herein, scheinbar in bester Laune. Priscus starrte den Decurio an, blickte auf die unbedeckten Aborte und nahm sich ein eines der neuen Bretter, die als Sitzfläche dienten. Mit einem Wink an Massa packte dieser mit an und zumindest drei Sitze konnten damit nutzbar gemacht werden.


    "Verzeihung Decurio, es gab einen kleinen Zwischenfall. Bitte setz dich, wir sind gerade fertig." sagte er geistesgegenwärtig und deutete auf die soeben geschaffene Sitzgelegenheit. Sein Vater würde jetzt sagen, stell dich nie zwischen ein Wildschwein und sein Junges... Oder nie zwischen einen Mann mit Verdauungsproblemen und seinem Abort.

  • Kaum lag das erste Brett, hatte es der decurio bereits in Besitz genommen. Gerade noch rechtzeitig hatte er es geschafft und stöhnend gab er das, was er zu sich genommen hatte, wieder von sich. Dann sah er die beiden tirones mißbilligend an.


    "Ist es hier üblich, daß statt Stock und Schwamm ein tiro den rückwärtigen Reinigungsdienst verrichtet? Oder wie ist euer Aussehen zu deuten?"


    Und wieder fuhr dieser stechende Schmerz durch seine Därme.


    "Wo habt ihr das Zeug? Ich will hier nicht Wurzeln schlagen."


    Ächzend preßte er seine Arme in den Bauch. Schweißperlen standen auf seiner Stirn.

  • Priscus dachte daran, einen klugen Komentar abzugeben, behielt ihn aber dann doch für sich. So wie der Decurio aussah, schien ihm das donum des legatus nicht recht bekommen zu sein oder er hatte einfach zu viel gegessen.


    Die anderen Kameraden traten einen Schritt beiseite, als der Decimer sein Gedärm entleerte, möglichst weit weg von der Rinne. So wie das spritzte, würden sie gleich nochmal putzen müssen. Priscus schüttelte den Kopf. "Nein decurio, der Kamerad ist hingefallen und dabei geriet der Eimer mit Kalk in Wanken... Ich hole die Schwämme sofort," meinte er und ging hinaus, wo die neuen Schwämme lagen, zusammen mit den kurzen Stöcken, um das Säubern zu erleichtern. Er reichte einen davon dem decurio. "Darf ich dem decurio ein infusum anisum empfehlen?" fragte er und dachte an seine Mutter, die ihm immer das süßlich schmeckende Gebräu verabreicht hatte, wenn er beschwerden mit dem Magen hatte.


    Fast schon fasziniert betrachteten die Männer den decurio und vergaßen dabei fast ihre Arbeit

  • Der decurio wischte sich den Schweiß von der Stirn. Mit Mühe stemmte er sich hoch und ergriff dankbar den Stock, den ihm der tiro reichte. Behutsam reinigte er seine durch die vermehrten Besuche der latrina in arge Mitleidenschaft gezogene rückwärtige Front und wandte sich an den tiro.


    "Danke für das angebotene infusum. Vielleicht komme ich darauf zurück. Doch noch habe einiges von meinem aus Aegyptus mitgebrachten Zaubertrank, der nicht nur mir, sondern so manchem Kameraden Erleichterung brachte. Ich habe zwar bereits davon genommen, aber so wie es scheint, habe ich den Sud zu schwach angesetzt."


    Er nickte dem tiro zu und verließ schnellen Schrittes die latrina.

  • Kaum hatte der decurio die Latrinen verlassen, atmeten die Männer auf. Nichts war schlimmer als ein Offizier mit Magenbeschwerden, höchstens einer mit Magenbeschwerden und Verstopfung und einem Furunkel am Hintern.


    Die Zurückgebliebenen sahen den Optio erwartungsvoll an, der während des kurzen Auftritts des Decimers geschwiegen hatte. "Können wir fortfahren mit Reinigen?" fragte Macer vorsichtig.

  • "So wie ihr euch anstellt habe ich meine Zweifel, ob ihr überhaupt irgendwas könnt!", gab er der Optio trocken zurück, der den kurzen Auftritt des Decurio tatsächlich schweigend verfolgt hatte. Wenn ein Höherrangiger meinte, das Gespräch übernehmen zu müssen, dann ließ er ihm immer gerne den Vortritt. "Also fertig machen hier, dann macht euch sauber und dann meldet ihr euch bei mir in der Stube - in voller Ausrüstung."

  • "Jawohl optio", antworteten die Männer im Chor. Dann machten sie sich wieder an die Arbeit und tauschten vielsagende Blicke. Hatten sie es innerhalb kürzester Zeit doch geschafft, zweimal das Missfallen von Vorgesetzten zu erregen. Das erste Mal hatte ihnen diesen Dienst beschert, das zweite Mal durften sie dann also mit dem Tallier vergnügen.
    Ohne weitere Kommentare legten sie die letzten Bretter auf, wischten die Spuren der kleinen Auseinandersetzung weg und machten sich dann auf in die Thermen, um den optio nicht ungewaschen unter die Augen zu treten.

  • Es war mal wieder so weit. Manchmal musste man einfach Druck ablassen. Locker machen und laufen lassen. Alles raus hauen, was keine Miete zahlt. Den ganzen alten Scheiß loswerden. Platz schaffen und den Müll rauswerfen. Das Zeug zum Himmel stinken lassen und sich danach besser fühlen. Erleichtert. Entspannt. Nicht mehr so bedrückt von der Last des Gestern oder gar Vorgestern. Das gute Gefühl genießend, die Brocken auf nimmer wiedersehen davon schwimmen zu sehen. Ballast abgeworfen zu haben. Mal richtig durchgekehrt zu haben. Und dann einen Schritt nach vorne machen und wieder frische Luft atmen.


    Kurzum: Der Optio benutzte die Latrine.

  • Selten, dass so gar keiner auf der Latrine rumsaß, die Kritzeleien zu entziffern versuchte und selbst eine Nachricht für die Nachwelt hinterließ. Eine windige Bemerkung entfleuchte als Vorankündigung. Antias entledigte sich des unangenehmen Drucks mit einem Seufzer der Erleichterung. Länger als nötig musste er sich hier nicht aufhalten. Der Schwamm kam zum Einsatz. Erleichtert, gesäubert und erfrischt, ohne Falten auf der Stirn, machte er sich wieder auf den Weg zur Unterkunft.

  • Eines der Dinge, an die sich Priscus nach der Rückkehr aus dem Feldlager ins Standlager nach Mantua am schnellsten gewöhnte war die Benutzung einer normalen Latrine statt einer provisorischen Feldlatrine. Der Unterschied war freilich gering, denn ein Balken mit Loch ist nun einmal ein Balken mit Loch, egal ob eine wohlgebaute Hütte mit gekalkten Wänden drumherum steht oder ob es sich um ein Provisorium im Lagerwall handelt. Trotzdem hatte Priscus das Gefühl, hier deutlich entspannter zu sitzen und sich besser erleichtern zu können, als im Feld. Nur dann, wenn sein Blick über Kritzeleien an der Wand glitt, deren Autor nie wieder würde kriteln können, kam Schwermut bei ihm auf und die Anspannung wollte sich nicht so recht lösen. Doch auch das verging mit der Zeit, denn neue Kritzeleien kamen hinzu, erheiternde Gespräche mit anderen Kameraden ebenso und spätestens wenn man den muffigen Raum wieder verließ fühlte man sich draußen auf jeden Fall frischer.

  • Wenn Priscus bisher geglaubt hatte, beim Besuch auf der Latrine könnte man an den Wänden irgendwann nichts Neues mehr finden, weil man jeden Spruch und jedes Gerücht schon kannte, wurde er heute eines Besseren belehrt. Zwischen Kritzeleien aller Art hatte sich nämlich ein Kamerad verewigt, der offenbar sowohl gut schreiben als auch logische denken konnte und der seine Kameraden offenbar zumindest auch zu letzterem bewegen wollte. Anders war zumindest nicht zu erklären, wieso dort ein wortreiches Rätsel an der Wand verewigt war:


    Ich soll Briefe abliefern - einen für Marcus, einen für den Mann aus Aquilea und einen für den Signifer. Jetzt stehe ich hier vor drei Stuben und weiß nur folgendes:


    I. Titus stammt aus Mantua.
    II. Der Cornicen und der Optio wohnen nebeneinander.
    III. Neben Gaius wohnt der Cornicen.
    IV. Der Cornicen stammt aus Ravenna.
    V. In der dritten Stube wohnt Titus.
    VI. Der Mann aus Ravenna und der Mann aus Mantua sind nicht Nachbarn.


    Aber wo wohnt Marcus, wo der Mann aus Aquilea und wo der Signifer?


    Eine Weile starrte Priscus darauf, dann verließ er die Latrine wieder, nachdem er sein Geschäft verrichtet hatte.

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