Nach dem Bad war Hungi eigentlich nicht wirklich hungrig. Aber er wußte, was passierte, wenn er nicht brav aufessen sollte. In der Beziehung unterschied sich Ursus in nichts von all den Müttern auf dieser Welt. Livia war bereits im Triclinium, als Hungi kam, doch er sagte nichts zu ihr - es fiel ihm nicht wirklich etwas ein, was er sagen sollte - und legte sich auf eine Kline. Ursus hatte noch nichts gebracht, das war ihm nur recht.
Triclinium: Hungi, Livia
- Marcus Vinicius Hungaricus
- Geschlossen
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Livia schaut von ihrer Schriftrolle auf und sieht zu Hungaricus. Sie wartet, bis er Platz genommen hat, zögert kurz und nimmt die Lektüre dann wieder auf. Er macht ihr nicht den Eindruck, als sei er an einem angeregten Gespräch interessiert und so lässt sie ihm noch etwas Zeit. Sie schweigen so eine Weile vor sich hin, bis schließlich Ursus hereinkommt und das Essen serviert. Er ist dabei ungewohnt stumm und murmelt nur ab und an ein paar Kommentare in sich hinein. Als er wieder gegangen ist, legt auch Livia ihre Schriftrolle beiseite und erhebt sich von ihrem Sessel. Sie geht zu Hungaricus hinüber und setzt sich in angemessenem Abstand neben ihm auf die Kline.
"Ich fürchte, dass du jetzt etwas von diesem köstlichen Essen zu dir nehmen musst. Ursus wäre anderenfalls schwer beleidigt."
Schon greift sie ohne Widerworte abzuwarten zu einem Teller und stellt ihm eine vorerst noch kleine Portion darauf zusammen. Sie reicht ihn Hungaricus und sieht ihn auffordernd an.
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Unwirsch verzog er das Gesicht.
Ich weiß... sagte er, machte aber vorerst keine Anstalten, etwas zu sich zu nehmen. Erst nach ein paar Sekunden konnte er sich überwinden, etwas zu nehmen und es lustlos zu essen.
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Livia unterdrückt einen Seufzer und sieht Hungaricus nachdenklich von der Seite an. Sie versucht sich an ihre Eltern zu erinnern, wie ihre Mutter in einer solchen Situation agiert hat. Doch alles, was ihr dazu einfällt, kommt zwischen Livia und Hungaricus noch nicht in Frage. Es wird ihr allmählich bewusst, dass diese Rolle an der Seite eines Mannes doch schwieriger ist, als sie sich das vorgestellt hat. Alles was Livia noch einfällt, ist etwas, das ihr großer Adoptivbruder Lucidus immer so gut konnte. Wann immer das kleine Mädchen traurig war, durfte sie zu ihm auf den Schoß klettern und den Kopf an seine Schulter lehnen. Dann kraulte er sie sanft im Nacken und selbst die bittersten Tränen versiegten nach einiger Zeit. Mit diesem Gedanken fasst Livia sich nun ein Herz, rückt dicht an Hungaricus heran und legt ihm vorsichtig die Hand in den Nacken. Gleichzeitig fängt sie mit ruhiger Stimme an, ihm eine wohlbekannte Geschichte zu rezitieren, damit er seine Gedanken etwas schweifen lassen kann.
"Habet ihr Lust und Weile, so höret mich. Eine Geschichte weiß ich aus älterer Zeit: Wie in Lycias fruchtbaren Äckern nicht ungestraft die Bauern der Vorwelt Latona verachteten. Zwar ist dunkel die Tat, wie selbst die Männer, allein doch wunderbar. Ich sah in Person den sumpfigen Weiher, wo das Wunder geschah..."
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Hungi hatte das Gefühl, als würde ein Stein, so groß wie das Atlas-Gebirge in seinem Hals picken und den Weg zwischen seinem Mund und seinem Magen versperren, so sehr mußte er sich anstrengen und überwinden, auch nur die kleinen, wenigen Happen zu essen. Einfach nur niedergeschlagen und vollkommen lustlos ließ er Livia gewähren, ihre Worte drangen aber nur wie durch mehrere dicke Lagen Stoff zu ihm und er machte sich auch gar nicht die Mühe, ihren Worten zu folgen. Stattdessen ließ er sie einfach reden, ihre Geschichte respektive ihre Stimme hatte auch etwas beruhigendes und angenehmes, so schloß er die Augen und ließ sie weiter erzählen...
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Da er keine Anstalten macht sich zu wehren, fährt Livia mit ihrer Erzählung fort. Sanft streichelt sie ihn im Nacken, während die Geschichte über Latona und die frechen Bauern weiter geht. Sie berichtet ihrem Verlobten von dem Altar im verborgenen See, welcher Latona, der Mutter von Apollo und Diana, gewidmet sein soll. Vor langer Zeit soll sie dort geweilt haben, auf der Flucht vor der eifersüchtigen Iuno, mit ihren beiden Kindern auf dem Arm. Das Wetter war heiß und die Göttin war vom langen Weg erschöpft und durstig. Bauern arbeiteten am Ufer, als Latona mit ihren beiden Kindern näher trat und von dem Wasser trinken wollte. Doch die Menschen traten ihr entegen und verboten es ihr. Erstaunt und verwundert richtete sie freundliche Worte an die Menschen und wiederholte ihre Bitte, schilderte ihren Not und die ihrer Kinder. Doch die Bauern ließen sich nicht erweichen und verweigerten den Zugang zum See vehement. Sie drohten ihr sogar, sie solle verschwinden und wühlten den Sand im Wasser auf, damit Latona es nicht tränke. Da wurde die Göttin zornig und sie verwünschte die unverschämten Menschen, auf dass sie ewig jenem Sumpf leben mussten.
"... Schnell war Tat, was die Göttin gewünscht. In die Fluten zu springen freut die Bauern und bald ganz unter den Pfuhl zu tauchen die Glieder. Bald zu erheben das Haupt, und bald auf der Fläche zu schwimmen. Oft sich über dem Bord zu sonnen am Sumpf, und hinab dann wieder zu plumpsen in kühlende Flut. Noch jetzt gellt beständig von Zank die schmähliche Zung' und der Schande nicht achtend, ob sie die Flut auch bedeckt - noch immer schimpfen sie kecklich. Selbst der Ruf tönt rauh, und es schwillt der aufgeblähte Hals. Viel weiter noch sperrt den gedehneten Rachen die Schmähung. Schulter und Haupt sind gesellt, und scheinen den Hals zu verdrängen. Grünlich gefärbt ist der Rücken, der groß vorragende Bauch ist weiß. Jugendlich hüpfen herum im morastigen Sumpfe die Fröschlein."
Schon immer hat Livia dieses Kapitel aus Ovids Metamorphosen fasziniert. Als kleines Mädchen hat sie sich immer und immer wieder die Verse mit den Fröschen vorlesen lassen. So kann sie es nicht verhindern, dass sich ein kleines verträumtes Lächeln auf ihr Gesicht schleicht, während die Erinnerungen an ihre Kindheit wieder aufkommen.
Sim-Off: Eveniunt optata deae: iuvat esse sub undis
et modo tota cava submergere membra palude,
nunc proferre caput, summo modo gurgite nare,
saepe super ripam stagni consistere, saepe
in gelidos resilire lacus. Sed nunc quoque turpes
litibus exercent linguas pulsoque pudore,
quamvis sint sub aqua, sub aqua maledicere temptant.
Vox quoque iam rauca est inflataque colla tumescunt,
ipsaque dilatant patulos convicia rictus.
Terga caput tangunt, colla intercepta videntur,
spina viret, venter, pars maxima corporis, albet,
limosoque novae saliunt in gurgite ranae. -
Sim-Off: Jaja, ich weiß...
Hungi hörte nicht wirklich zu, seine Stimmung erlaubte es ihm momentan nicht. Er kannte natürlich die Geschichte und konnte sie vermutlich wie jeder Römer auswendig rezitieren, doch selbst wenn sein Bruder nicht gestorben wäre, so wäre er kaum interessiert, da er doch mehr ein Liebhaber von Theaterstücken war. Als sie endete, öffnete er wieder seine Augen.
Gibt es einen bestimmten Grund, warum du mir diese Geschichte erzählst? fragte er zwar mit einem traurigen Unterton in seiner Stimme, ansonsten jedoch völlig wertneutral.
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Livias Gedanken schweifen inzwischen weit von hier. Sie erinnert sich an ihre Kindheit mit ihren Brüdern - die ruhigen Stunden mit Lucidus, die heftigen Auseinandersetzungen mit Flaccus und die vielen kleinen Streiche mit Quirinalis. So schaut sie Hungaricus verwirrt und überrascht an. Als seine Frage in ihr Bewusstsein durchdringt, muss sie unwillkürlich schmunzeln. Die Erinnerungen haben Livia in eine großmütige und positive Stimmung versetzt. Sie fährt fort, ihn vorsichtig im Nacken zu Kraulen, setzt sich ein wenig zurecht und überlegt dann mit nachdenklichem Gesicht, weshalb ihre Wahl ausgerechnet auf diese Textstelle gefallen ist.
"Das ist vermutlich eine gute Frage, doch ich kann sie dir nicht ganz beantworten. Als ich noch ein kleines Mädchen war, da habe ich diese Geschichte geliebt. Mein großer Bruder Lucidus hat sie mir rezitiert. Die Stelle mit den Fröschen musste er mir immer und immer wieder wiederholen. Er hasste es, aber ich habe es geliebt. Für mich hat diese Geschichte jedenfalls eine sehr beruhigende Wirkung bekommen und ich mag sie noch immer."
Fragend schaut sie ihn an und hält inne.
"Wäre dir eine andere Geschichte lieber? Oder soll ich schweigen?"
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Nein, nein, ist schon in Ordnung. Ich fragte nur der Interesse halber.
Er mußte schmunzeln über die Tatsache, daß Lucidus, den Hungi nur als skurillen, streitbaren Senator kannte, einem kleinen Mädchen Ovid rezitieren mußte. Nur einen Moment später fragte er sich, ob er das gleiche wohl bei seinen Kindern machen mußte. Möglich wäre es, denn von seinem Zuhause war er das so gewohnt. Seine Mutter, Vinicia Severa, machte ihrem Namen zwar alle Ehre, was die Erziehung anbelangte, doch war sie eine lebenslustige Frau, die ihre Kinder noch selbst erzog und nicht alles den Sklaven anvertraute, und Hungis Vater stand ihr nicht nach. Sein Vater hatte ihm und seinen Brüdern das Reiten und das Schießen mit dem Bogen beigebracht und sie ermuntert, Savaria zu verlassen, so sie wollten, und ja, sie wollten alle weg. Lange war das her...
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Livia fährt fort, ihn sanft im Nacken zu streicheln und überlegt, was sie als nächstes ansprechen könnte. Sein Schmunzeln löst Erleichterung bei ihr aus, dass sie zumindest nicht alles ganz und gar falsch macht. Ihr wird allmählich klar, dass diese Rolle einer Frau an der Seite eines Mannes doch schwieriger ist, als sie sich das bislang vorgestellt hat. Sogar eine Redaktionssitzung in der Acta Diurna erscheint ihr leichter zu handhaben sein als diese Situation und sie gewinnt allmählich Respekt vor den verheirateten Ehefrauen, die das so mühelos hinbekommen.
"Ovid ist angenehm. Doch zumeist bevorzuge ich die Satiren des Horaz, auch seine übrigen Werke. Gibt es einen Schriftsteller, welcher dir besonders zusagt?"
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Hungi sehnte sich nach einer entspannenden Massage. Das Kraulen in seinem Nacken war zwar doch irgendwie auf eine seltsame Weise beruhigend, aber irgendwie reichte es doch nicht, um den heutigen Tag vergessen zu können.
Hm, da muß ich überlegen... Labeo, Iavolenus, Proculus, Trebatius, die lese ich eigentlich recht gern.
Er schmunzelte ganz leicht.
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Auch Livia muss schmunzeln und sieht ihn leicht vorwurfsvoll an.
"Solche Autoren meinte ich nicht und das weißt du. Ich weiß, dass du ein großer Freund des Theaters bist. Insofern gibt es doch gewiss auch große Literaten, welche dir mit ihren Stücken besonders imponieren. Oder willst du sie mir nicht verraten?"
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Wieso nicht? Du hast nach Schriftstellern gefragt, nicht nach Literaten.
Kaum zu glauben. Wer hätte es gedacht, daß seine Zukünftige ihn tatsächlich von dem heutigen Tag ablenken konnte? Hungi ließ sich aber nur zu gern darauf ein und überlegte daher kurz nach, wer seine bevorzugten Schriftsteller seien.
Die Griechen mag ich gern. Homer, Aischylos, Euripides, Sophokles, und natürlich Aristophanes. Plautus mag ich auch, Terenz nicht so sehr, der ist mir zeitweise zu kompliziert und verworren. Und an Vergil, Horaz und Ovid kommt sowieso niemand vorbei, der etwas auf sich hält.
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Livia seufzt leicht und schüttelt den Kopf. "Juristen..." murmelt sie leise und lächelt ein wenig verschmitzt. Den genannten Namen lauscht sie aufmerksam und nickt schließlich.
"Mir gefällt der wie ich finde feinere Humor des Terenz besser als der des Plautus. Es macht mir viel Freude, seine Verse wieder und wieder zu lesen, und stets etwas neues in ihnen zu entdecken. Homo sum, humani nil a me alienum puto. Doch ist es nicht wunderbar, wie vielfältig unsere Literatur schon gediehen ist, als dass sich solche Kleinode in ihr finden lassen?"
Sie lächelt leicht und sieht ein wenig verträumt zur Seite. Ihre Gedanken schwirren noch um die von Hungaricus genannten Namen und rufen sich einige zugehörige Werke in Erinnerung.
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Sim-Off: So, aus, machen wir hier dicht.
Livia und Hungi führten noch länger diesen kleinen "Disput" über die Vor- und Nachteile der jeweiligen Dichter und so merkte Hungi nicht, wie der Tag zu Ende ging und die Dämmerung hereinbrach. Er hätte es nicht gedacht, aber seine Verlobte hatte es tatsächlich geschafft, Hungi vom Tod seines Bruders zumindest ein wenig abzulenken. Als es Zeit war, verabschiedete Livia sich und wurde - selbstverständlich mit einer kleinen Eskorte - zu ihr nach Hause in die Villa Tiberia gebracht. Eine Übernachtung in der Casa Vinicia hätten beide nicht gewollt, waren sie doch noch nicht verheiratet und Gerede wollte Hungi sowieso vermeiden. Eine Übernachtung eines Paars, auch wenn die Hochzeit bald bevorstand, gehörte sich halt einfach nicht.
Als Livia das Haus verließ, kam Hungi sich dennoch sehr einsam vor und versank wieder in Traurigkeit. Ursus, der sich besorgt um die Wünsche seines Herrn kümmern wollte, wurde abgewiesen. Lediglich eine Kanne Wein und eine mit Wasser gefüllt, sollte er ins Schlafgemach des Hausherrn bringen, wohin Hungi sich auch sofort zurückzog. Doch nicht sofort konnte er schlafen, etliche Wutausbrüche später und mit Unterstützung der Kanne Wein fiel Hungi endlich in den ersehnten Schlaf...
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