• Die Begrüßung legte sich wie Balsam auf meine wunde Seele. Ich atmete unwillkürlich tief durch, trat herein und ließ die Tür geräuschlos in das Schloss schnappen. Mit gesenktem Blick brachte ich die wenigen Schritte bis zu einem Stuhl hinter mich, nahm auf der Kante Platz und drückte nach Halt suchend die Beine aneinander. Die Hände lagen ineinandergepresst im Schoß.


    „Ich habe viele Fragen und keine Antworten“, begann ich leise. „Und ich habe Angst. Mein Vater entscheidet in Kürze über mich. Ich werde vielleicht die Frau eines Mannes, den ich nicht einmal einschätzen kann. Wie soll ich damit zurechtkommen, wo mein Herz doch bereits vergeben ist? Kann ich dem entgehen? Was ist überhaupt das beste für mich? Und wie kommt es, dass er sein Wort nicht hält? Bin ich so wenig wert?“


    Erstmalig schlug ich die Augen auf und blickte Titus an. Gedankenlos wie ich war, setzte ich voraus, dass er bemerkte, dass von zwei Männern die Rede war.

  • Ein paar Wachstäfelchen bevölkerten meinen Tisch und ich studierte ein paar Notizen vom Vortage. Als ich Deandra so sitzen sah, zusammengekauert fast schon und ängstlich wirkend, da legte ich alles beiseite und rückte meinen Stuhl nahe an sie heran. Das würde nicht in zwei Sätzen zu klären sein. Das klang nach vielen Themen und Herzschmerz. Zugegebenermaßen musste ich gestehen, ich hatte ein paar Details vernommen, aber ich kannrte keine Zusammenhänge. Mein Bruder hatte derzeit vieles zu beachten.


    "Erzähle mir nun erst einmal der Reihe nach und glaube mir, wir werden eine Lösung finden. Ich bin mir sicher, mein Herz."

  • Wenn ich doch nur daran glauben könnte …


    „Vor Tagen war ein Flavius Quirinalis bei meinem Vater und hat um meine Hand angehalten.“


    Unglücklich schaute ich meinen Onkel an.


    „Ich habe Samira beauftragt, mir Informationen zukommen zu lassen und sie hat herausgefunden, dass er aus Spanien kommt. Spanien!“


    Meine Augen nahmen eine unnatürliche Größe an.


    „Außerdem, wie soll ich einen Mann achten könnten, wenn er sich von einer Frau zum Vater seiner Auserwählten führen lässt, anstatt allein vorzusprechen.“


    Erst nach einem Durchatmen konnte ich weitersprechen.


    „Ich kenne ihn nicht einmal“, fuhr ich mit trauriger Stimme fort, „und ich würde ihn wie jeden anderen an Sophus messen. Onkel Titus, wie lange kann eine Frau an das Wort eines Mannes glauben? Wann muss sie davon ausgehen, dass er es nicht einhalten wird?“


    Und schon wieder war ich im Thema von einem zum anderen Mann gesprungen.

  • Nachdem ich das Gesagte hörte, da stieg die Befürchtung, das meine geliebte Nichte anfangen könnte, in Tränen auszubrechen. Wenn ich gegen etwas nicht gewappnet bin, dann gegen die Tränen meiner Liebsten.



    "Es entspricht durchaus einer gewissen Tradition, wenn die Eltern ihre Kinder vermählen."


    Mit dieser Thematik war ich aufgrund eigener Erfahrungen bestens vertraut.


    "Gab nicht auch einst Caesar seine Tochter dem Pompeius?"


    Meine Nichte betrachtend, hielt ich kurz inne. Ich wusste, meine Worte mussten sie aufwühlen, doch dann legte ich meine Hand auf ihre Schulter und sprach beruhigend weiter.


    "Doch lernten wir auch aus diesem Verhalten eines Caesar, das nicht alle Traditionen würdig sind, von uns beibehalten zu werden. Mit dem Laufe der Zeit, da lernen wir.


    Hätte der pater gentis vorgesprochen, so wäre es rechtens. Hätte der mann selbst vorgesprochen, so wäre es rechtens. Doch ein Mann, der eine Frau vorschickt, wo gibt es solche Verfehlung denn? Ich glaube nicht, nein, ich weigere mich, das mein Bruder dieses ernsthaft überlegt."


    Nachdenklich rieb ich mir mein Kinn und dachte über meinen Bruder nach. Nein, so war er nicht. ich vermutete eher, er wollte seiner Tochter eine Lektion erteilen, sie ein wenig in Angst halten, damit sie vielleicht etwas folgsamer werden würde.


    "Hast Du schon mit meinem Neffen diesbezüglich reden oder schreiben können?"



    Auch wenn ich mich noch nicht konkret äußerte, dieser Sache würde ich mich annehmen.

  • Würde ich denn so aufgelöst hier sitzen und seit Tagen völlig neben mir stehen, wenn ich nicht wüsste, dass mein Vater den Ehemann für mich bestimmen kann? Oh, ich wusste sehr wohl, wie machtlos ich dagegen war.


    Leider vermochte ich nicht einzuschätzen, ob mein Vater ebenso über die Form der Anfrage des Flaviers dachte wie mein Onkel. Krampfhaft überlegte ich, was er im Einzelnen gesagt hatte.
    „Vater hat betont, dass die Werbung nicht nur akzeptabel, sondern sogar interessant wäre“, sagte ich zögerlich. „Zumindest liegt es mir so in Erinnerung.“


    Alle Last der Welt schien gerade auf meinen Schultern zu liegen. Ich atmete schwer durch.


    „Ich will ja auch nicht - ohne ihn zu kennen - behaupten, dass er furchtbar ist.“ Ich meinte damit den Spanier. „Die Flavia hat erstaunliche Männer hervorgebracht: Furianus oder sein Vater Felix und dann wäre noch Catus zu nennen, er war ein wunderbarer Mann. Das Problem ist einfach auch, dass es mir nicht möglich ist, mein Herz wahllos hin und herzureichen.“


    Beim letzten Satz meines Onkels schüttelte ich energisch den Kopf.


    „Natürlich nicht!“ Wieder nahmen meine Augen eine Größe an, die ungewöhnlich war. „Dafür bin ich dann doch zu stolz. Ich bin der Meinung, ein Mann sollte aus eigenem Antrieb zu seinem Wort stehen oder es eben lassen. Nein, eine auf Pflichterfüllung basierende Ehe will ich nun ausgerechnet mit Sophus nicht. Es ist ausweglos, Onkel. Ich sehe keine Lösung, keine Zukunft oder zumindest keine glückliche.“


    Die Schultern fielen herab und ich senkte den Blick.

  • "Kind, oh, Kind, seit Generationen fühlen die Frauen so wie Du. Als Tochjter bist Du der meuínung des Vaters verpflichtet, wie auch sonst?"


    Ich hielt kurz inne und überlegte, ob ich wahrlich so offen reden durfte? nach einer kurzen Pause war mir bewusst, das ich es durfte. Nicht alle Gesetze hatten Sinn und Verstand, sondern sie entstanden aus der Eitelkeit des Einzelnen heraus. Doch war mir auch bewusst, wir könnten hier nicht auf einem ausgetretenen Pfad die Lösung finden.



    "Ich durchschaue die Lage absolut, also können wir uns ganz der Lösungsfindung widmen. Alles hängt an Deinem Vater. Hat er Groll,um Dir eine Lektion zu erteilen? Warst Du so keck zu ihm, wie Du zu deinem Onkel bist?"


    Mein offenes Lachen zeigte meiner Nichte (hoffentlich) deutlich, wie ich es meinte.Noch immer war ich auch versucht, die Lage zu besänftigen. Sie war ernst genug, dessen war ich mir bewusst. Doch half es nichts, wenn sie nun noch ängstlich würde. So manche Schlacht ging nur deshalb verloren, weil ein Einzelner vor Angst davonlief. ich wollte nun meine Nichte beruhigen, ganz sanft und unbewusst, so dass wir dann einen auf Logik gebauten Plan entwickeln würden.


    Dezent schaute ich auf eine kleine bronzene Figur der Diana, die ich auf einer Abseite stehen hatte. Diana, oft habe ich Deinen Rat erbeten und oft sprachest Du zu mir. Immer hielt ich Dir die Treue, die Dir allseits zukommt, So bitte ich nun wieder um deinen Beistand. Gib mir einen weisen Wink. Bitte, göttliche Diana.

  • Während Sorgenfalten meine Stirn zeichneten und beide Hände aneinandergelegt nervös an meinen Mund tippten, grübelte ich über die Frage nach, ob sich mein Vater in der Vergangenheit keck behandelt gefühlt haben könnte. Resigniert gab ich schließlich auf.


    „Meinst du, das wäre ein Grund?“, fragte ich schließlich mit einem Seufzer. Hoffnung wollte sich breit machen, aber die Ernüchterung kam schneller als gedacht. Traurig schüttelte ich den Kopf.


    „Es war ja nicht seine Idee, den Flavier kommen zu lassen.“


    Ich dachte nochmals über den ersten Satz meines Onkels nach.


    „Ist es denn jemals möglich, unter diesen Umständen, oft entgegen dem eigenen Wunsch versprochen zu werden, Glück zu empfinden?“


    Ich sah meinen Onkel erwartungsvoll an, so als wüsste er auf alle Fragen dieser Welt eine Antwort und zudem die richtige.

  • Genau hörte ich mir die Worte meiner Nichte an.


    "Nun, auch wenn mein Bruder Dich nicht versprochen hatte, sondern man auf ihn zukam, so mag er vielleicht Dir ein wenig Angst machen wollen. ich kenne ihn zu gut, als dass ich weiß, er wolle Dir jemals schaden zufügen wollen. Das sicher nicht. Doch falls Du frech gewesen warst, nun, so könnte er Dir doch nun eine Lektion erteilen wollen, oder?


    Dann lehnte ich mich zurück , um über das Wort 'Glück' nachzudenken.


    "Zum Thema Glück kann ich nur wenig sagen. Ich weiß, das Glück die Steigerung der Zufriedenheit ist."

  • „Ja, ist es denn illusorisch darauf zu hoffen, dass einem Glück im Leben widerfährt? Bin ich zu naiv? Wo liegt mein Fehler?“


    Auf jeden Fall tat es mir gut, mein Herz auszuschütten. Langsam wurde ich ruhiger.


    "Und ist es ebenso verwegen, hohe Ansprüche an Charakter, Bildung und Gesinnung eines Mannes zu stellen? Ich weiß sehr wohl, dass es diesbezüglich große Unterschiede gibt."


    Wieder blickte ich erwartungsvoll zu meinem Onkel. Auch fragte ich mich, nach welchen Gesichtspunkten er damals seine Frau ausgesucht hatte. Tja, die Männer hatten es gut, denn sie durften wählen. Uns gestand man diese Freiheit nicht zu.

  • Diese Fragen wären wert gewesen, im Theatri zu Mantua diskutiert zu werden.


    "Es ist immer gut, hohe Ansprüche zu haben. Doch solltest Du diese Ansprüche in erster Linie Dir gegenüber haben. Nicht bei anderen. Andere kannst Du nur schwerlich ändern und selten würde Dir dank zuteile werden. Stelle die höchsten Ansprüche nur an Dich. An Dich und an keinen weiteren. Dann erst, wenn Du an Dir gearbeitet hast, dann schaue Dich um und betrachte die anderen. Aber betrachte sie, ohne große Forderungen an sie zu stellen. betrachte sie so, das Du ihr wahres Wesen erkennst. und dann wirst Du erkennen, das der Niedrigste oftmals der Höchste ist.


    Damit sage ich nicht, Du sollst nicht auf Bildung, herkunft und auch Äußerlichkeiten achten. Wir sind ja alle nur Menschen. Doch sage ich, Du sollst Dich nicht blenden lassen von den ersten Eindrücken.


    Du sprichst von Illusionen. Sie sind die träume, die uns die Götter schenken. Und deshalb werden sie nur selten war. Doch wenn Du Dich den Göttern würdig erweist, so werden sie diese Träume auch wahrwerden lassen."


    Nachdenklich schaute ich Deandra an. In Gedanken war ich schon in Rom. Dort würde ich Furianus treffen und ihn dezent nach diesem Quiri-, Quinri-, nach dem Mann mit dem Antrag befragen. Es müsste nur dezent sein, denn es ging mich nichts an und mein Bruder könnte Gift und Galle spucken.

  • "Ach, ändern möchte ich niemand, denn das Ergebnis wäre zu wenig wert. Beeindruckend ist doch nur derjenige, der aus eigenem Antrieb oder seiner Natur heraus ähnlich hohe Maßstäbe setzt."


    Ich verstummte und hing fortan meinen Gedanken nach, die sich um Ansprüche rankten. Legte ich Wert auf Bildung? O ja, auf jeden Fall. Legte ich Wert auf Charakter? Unbedingt! Ich konnte über Männer mitunter vernichtende Urteile fällen, wenn sie bar jeden Rückgrades und jeglicher Aufrichtigkeit waren. Am schnellsten und nachhaltigsten fielen bei mir die Männer in diesem Punkt durch.


    Tja, und dann war da noch die Frage nach dem Aussehen. Nachdenklich wiegte ich den Kopf. Ein Punkt, der bei mir nicht im Vordergrund stand – bis auf eine Ausnahme: An einen deformierten Wohlstandskörper würde ich niemals herankönnen. Ich war geneigt, wesentlich eher Abstriche im Gesicht als am Körper machen zu können.


    "Das Wichtigste ist: Ich müsste ihn achten können."


    Ein scheues Lächeln huschte über mein Gesicht. Mein Onkel hatte sich viel Zeit für mich genommen. Ich stand auf und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.


    "Darf ich wieder zu dir kommen, wenn der Jammer übergroß ist?"

  • Ebenso schnell wie sie kam, da verschwand sie auch wieder. Die teutonen hatten eine ähnliche Strategie im kampf gegen ihre feinde gehabt.


    "Wenn das schon alles war. Nur zu, meine Wange wird Dir jederzeit zur Verfügung stehen."


    Ein Schmunzeln unterstrich meine Bemerkung.

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