[Ein Park] Geschwisterliche Mittagspause

  • Constantius fühlte das innere Bedürfnis Samira nochmals zu sehen. Nur einen Moment mit ihr zu haben, in dem er ihr all das sagen wollte, was er an jenem Morgen versäumte. Doch über das Wie und Was war er sich ebenso unsicher, wie über die Chaos, das seit jener Nacht in seiner kleinen Gefühlswelt herrschte. Im Grunde wusste er nicht was ihm fehlte, was nicht stimmte, doch das etwas nicht stimmte, das etwas fehlte, das es plötzlich eine Leere gab, die einen wehmütigen, brennenden Schmerz hinterlassen hatte, fühlte er umso deutlicher.
    Oft hatte er bereits darüber nachgedacht, was er Samira wohl sagen würde, was er zum Ausdruck bringen wollte, doch stets hatte er die Gedanken, die zu keinem Ergebnis kamen, immer wieder vor sich her geschoben und tat es auch in diesem Moment. Ja glück, Glück würde er brauchen.


    Er richtete sich wieder auf und blickte dankbar zu Helena, als sie das Thema wieder wechselte.
    „Liebe Helena. Ich muß gestehen, dass ich davon hörte, dass es in Ostia die besten Meeresfrüchte geben soll. Ebenso muß ich gestehen, dass ich dafür bereits einen Teil meines Soldes gespart habe, um eine ausreichende Kostprobe für uns beide davon zu erwerben. Denn ich befürchte, dass es nicht gut aussehen würde, wenn ich die Magistrata mit…entliehenen“, er zwinkerte ihr kurz zu, „ Meeresfrüchten überraschen würde.“


    „Doch selbst wenn es in Ostia nur den Eintopf der Legion zu essen geben würde, würde ich mich sehr freuen sehen zu dürfen, wo du arbeitest.“


    Er sollte eine kurze Pause einfügen. Eine Pause, in der seine Gedanken darum kreisten, ob er diesen Mann kennen lernen wollte oder nicht. Eine Pause, die nicht lange dauern sollte, immerhin würde es ihm erlauben einen Blick auf diejenigen zu werfen, die Helena wohl am nächsten waren.
    Nickend fügte er an, immer noch ein sanftes Lächeln auf den Lippen tragend:


    „Ja ich würde gerne deinen neuen Scriba kennen lernen. Auch wenn ein einfacher Miles vielleicht nicht so sehr viel Interessantes zu berichten weiß.“


    Es klang durchaus nicht wie eine ablehnende Geste des Iulliers im Bezug auf das angedachte Gespräch. Vielmehr klang in seiner Stimme eine unterschwellige Besorgnis, ein tief verwurzeltes Anliegen mit, Helena vor den Augen ihres Untergebenen keine Schande zu bereiten. Es war leicht durch Taten den stolzen, warmen Glanz in ihre Augen zu zaubern. Es war leicht für Constantius jene Taten zu planen und ehrgeizig durchzuführen – auch wenn es manchmal nur ein schneller Sprint war, den er als kleiner Bursche, beladen mit einer Schale Meeresfrüchte, in ihr gemeinsames Versteck gemacht hatte. Doch die richtigen Worte in Gegenwart fremder Personen zu finden, erschein ihn all zu oft deutlich schwerer.


    „Es würde mich freuen, wenn wir Abends einmal ausgehen würden. Es würde unserer beiden Gedanken von der Arbeit ablenken. Hast du bereits eine genaue Vorstellung von einem Ziel? Oder soll ich nach etwas angemessenem Ausschau halten, wenn ich… durch die Stadt patrouilliere?“


    In Gedanken zählte er bereits die Sesterzen, die er bis heute gespart hatte und schätzte ab, für welches der besseren Etablissements diese Summe wohl reichen würde.
    Doch die Erwähnung eines angestrebten Gastmahls, ließen diese übereifrigen Gedanken schnell versiegen.
    Innerlich hoffend, dass Helena ihn nicht bitten würde, selbst einige Bekannte zu dem gerade erwähnten Mahl einzuladen, erwiderte er nicht minder von der Idee angetan:


    „Schon zu lange ist es wohl her, dass in unserer Casa ein angemessenes Gastmahl gegeben wurde. Ich halte es für eine besonders gute Idee. Aber..“


    Mit deutlich leiserer und damit verräterischer Stimme sollte er seinen Satz beenden
    „..ich weiß nicht, ob ich selbst Bekannte einladen kann. Immerhin könnten sie Dienst haben.“
    Es war eine Lüge. Doch im Grunde wusste er, dass Helena es mehr als deutlich erkennen würde. Sie hatte es stets getan. Und damit hatte er die Wahrheit auf einem kleinen Umweg mitgeteilt.

  • Sie lachte vergnügt auf, als sie die Anspielung mit den 'entliehenen' Meeresfrüchten hörte, und schüttelte dann gespielt tadelnd den Kopf. "Und so jemand ist bei den cohortes urbanae, ich fasse es nicht. Du solltest Dich wirklich schämen, an so etwas überhaupt zu denken, Constantizus," damit schlug sie den strengen Tonfall beider Mutter an, die ihre Kinder oft hatte ausschimpfen müssen, weil sie ausser Rand und Band gewesen waren - aber allzu schnell auch wieder bereit gewesen war, den beiden zu vergeben und sie in die Arme zu nehmen. Da war beider Vater deutlich strenger gewesen und wenn Mutter gesagt hatte, dass sie alles Lepidus sagen würde, wussten beide, dass es jetzt ein Schritt zu weit gewesen war. Vergnügt lehnte sie sich wieder an seine Schulter an und genoss das beruhigende Gefühl, dass mit ihm ein sehr wichtiger Teil ihrer Kindheit so lebendig und greifbar nahe neben ihr saß - und er auch ein Teil ihres erwachsenen Lebens war, denn aus den Augen verloren hatten sie sich nie.


    "Ach, Du wirst Dich sicher gut mit ihm verstehen, er ist auch viel gereist und ein intelligenter Unterhalter - wir finden bestimmt ein Thema, das für uns alle passend ist," sagte sie frohgemut, als die Sprache auf ihren neuen Scriba kam. Sie berührte sachte seine Hand und lächelte ihn voller Zuversicht an. Er war vielleicht nicht immer der Geschickteste, was seine Worte anbelangte, aber er sagte stets das Richtige zum richtigen Zeitpunkt, und mehr bedurfte es ihrer Ansicht nach nicht. "Und wohin, weiss ich noch nicht - aber ich habe in den letzten Tagen ein gutes Geschäft gemacht und würde Dich einfach gern einladen, ein bisschen Abwechslung zu Deinem und meinem Alltag voller Pflichten. Warum sollten wir nicht einmal etwas Geld ausgeben, wenn es schon vorhanden ist? Ich will nicht mehr wie eine arme Verwandte leben, und wir müssen es auch nicht mehr." Als Magistrata verdiente sie schließlich genug, und er sollte seinen Sold nicht für das Vergnügen opfern müssen.


    "Ach, überlege es Dir einfach, wenn Du jemanden weisst, der an jenem Abend Zeit hat, bring ihn mit ... wenn nicht, ist es auch nicht schlimm, dann finden wir sicher einmal einen anderen Zeitpunkt." Oh ja, sie wusste nur zu gut, was ihn gerade bewegen mochte, aber deswegen hatte sie ihm auch ein kleines Hintertürchen offen gelassen - wie sie ihm früher schon in der Casa Iulia immer wieder Fluchtwege verschafft hatte, wenn des Vaters Zorn beiden Geschwistern dräute. "Ich habe mir überlegt, Decimus Artorius Corvinus und seine Frau Hypathia einzuladen, die beiden sind wirklich sehr nett und scheinen auch den alten römischen Werten zugetan, vielleicht noch des Decimus Bruder ... dazu Marcus Vinicius Lucianus, den gewesenen Volkstribunen, der ein ausgesprochen guter Unterhalter ist und zu einer der mächtigsten Familien hier in Rom gehört ... vielleicht noch meinen neuen Scriba, damit er auch ein paar Leute kennenlernt, unsere Cousine Livilla, wenn sie denn noch da ist, wenn das Gastmahl stattfindet, einige ledige Römer kennenzulernen kann ihr auch nicht schaden. Am liebsten würde ich noch die beiden Valerier-Brüder einladen, aber dann wird das Gewicht der Männer bei einem solchen Abend schon etwas sehr markant, was meinst Du?" Etwas zweifelnd blickte sie ihn an, die Brauen leicht erhoben.

  • „Ja ich schäme mich auch. Jedenfalls wenn ich Zeit dazu finde“, antwortete er schelmisch grinsend und veränderte seine Sitzposition derart, dass Helena sich bequemer an seiner Schulter anlehnen konnte.


    Die beruhigende, vertraute Berührung ihrer Hand ließ ihn einmal mehr die kleinlichen, sorgenvollen Gedanken über anstehende Gespräche vergessen und ihn schwach, aber zuversichtlich lächeln. .
    „Ich denke auch, dass wir wohl ein passendes Thema finden werden. Über irgendetwas lässt sich ja immer reden.“ In der Tat. Irgendwelche Leute schafften es immer wieder, für Stunden sehr angeregt über die belanglosesten Dinge zu reden, zu diskutieren oder sogar zu streiten. Sie wechselten die kärglichen Gesprächsthemen, wie die Tierherden die kärglichen Weiden im Süden wechselten, bis sie abgegrast waren.
    Eine erstaunliche Gabe, die Constantius bereits das eine oder andere Mal bestaunt hatte und sebst noch nicht in Ansätzen erlernt hatte.


    Vorsichtig drückte er ihre Hand.
    „Wir werden uns einen angenehmen Abend machen, ohne Sorgen. Und ich habe einiges gespart. Lass mich dich einladen. Es wäre mir eine wahre Freude. Dann lohnen sich die unendlichen Runden, die ich um den Exerzierplatz laufen muss, am Ende doch noch.“
    Trotz des versöhnlichen Lächelns am Ende seiner Worte, schien es im ein wichtiges Anliegen zu sein, dass wenigstens ein Teil seines gesparten Soldes ihnen gemeinsam zu Gute kam.


    Aufmerksam lauschte er der folgenden Aufzählung von möglichen Gästen. Bemühte sich den so trocken klingenden, ungreifbaren Namen, Bilder von Gesichtern zuzuordnen. Und musste zu seinem Erstaunen feststellen, dass es ihm in den meisten Fällen auch gelang.
    „Decimus Artorius Corvinus und seine Gattin scheinen eine perfekte Wahl zu sein. Soweit ich sie einschätzen kann, kann ich nur Gutes über sie sagen, diesen „, scheinbar hatte er den Namen bereits wieder vergessen, „Volkstribun kenne ich nicht. Doch wenn du ihn einladen willst, wird er ein willkommener Gast sein. Ich hoffe sehr, dass Livilla hier in Rom bleibt. Ich weiß nicht, was sie hier in Rom erreichen möchte, doch ein paar Bekanntschaften, können ihr sicherlich helfen ihre Ziele zu erreichen.“
    Er nickte zustimmend, sollte dann aber nachdenklicher wirken, als die Sprache auf die Valerier Brüder kam.
    „Vielleicht sollten wir den Prätorianer“. Scheinbar war ihm wieder der passende Name entfallen,“ nicht einladen und dafür nur Victor.und vielleicht auch seinen töpfernden Verwandten einladen.“
    Auch wenn Constantius sich Namen nicht gut merken konnte, sollte er die Auseinandersetzung der Brüder, oder besser die Anzeichen dafür, nicht vergessen haben. Ebenso wenig hatte er Helenas Blick vergessen und wollte ihr die Anwesenheit Victors nicht vorenthalten.
    „Und ich denke, dass die Anzahl an Männern noch zu ertragen sein wird. Und im Falle eines Falles kann ich ja noch den Raum wieder verlassen“, er lächelte sie gutmütig an.

  • Es war wie in ihrer Kindheit, einfach alles war richtig und sie konnte kaum glauben, noch etwas anderes zu brauchen als die Tatsache, in diesem kleinen, unwichtigen Park neben ihrem Bruder zu sitzen, den Bauch gefüllt mit Meeresfrüchten, Sonnenlicht, das beider Gesichte auf das Angenehmste kitzelte und dann einfach ein strahlend heller Tag ohne dräuende Sorgen. Warum konnte es nicht immer so sein? Aber sie wusste gleichzeitig auch, dass es nicht immer so sein durfte - denn wenn man sich an das Glück gewöhnte, dann erkannte man seine Besonderheit irgendwann nicht mehr. Dieses stille Glück mit ihrem Bruder hatte sie zu lange vermissen müssen, um es nicht jetzt auf besondere Weise zu schätzen zu wissen - er war hier, er war gesund und fast vollkommen glücklich, was wollte sie mehr? Im strahlenden Licht der Sommersonne verblassten ihre Sorgen für den Moment und sie lächelte ihn einfach nur offen an.


    "Weisst Du was, wir teilen uns die Rechnung für den Abend einfach - du lädst mich ein bisschen ein und ich lade Dich ein bisschen ein, dann ist es gerecht verteilt. Was hältst Du davon?" Sie wollte ihn natürlich sein Gesicht wahren lassen, dafür wusste sie nur zu gut, wie stolz er auf seinen eigenen Sold war, auch wenn die Menge der Sesterzen nicht einmal ansatzweise an ihren eigenen Verdienst heran kam. Aber ein wenig des Abends wollte sie natürlich auch bezahlen, immerhin sollte er sich seinen Sold für wirklich besondere Dinge aufsparen können, für Vergnügen, vielleicht auch eine gemeinsame Saufrunde durch die Kneipen auf den Mercati Traiani oder sonstwo.


    Zu seinen Worten, die Gäste betreffend, nickte sie leicht und lachte dann amüsiert auf: "Du bleibst schön hier, du glaubst doch nicht im Ernst, dass Du Dich um dieses Gastmahl drücken kannst? Nein, mein lieber Caius, diese Leute sind entweder nett oder wichtig oder beides, und du wirst deinen Soldatenhintern am besagten Abend sicher nicht aus dem Haus bewegen." Es klang so resolut wie beider Mutter, wenn sie ihrem Vater einige Haushaltsdinge präsentierte, aber mit einem vergnügten Funkeln der Augen gesprochen. "Ich überlege ja, ob ich Tiberia Livia und ihren Gemahl einladen soll, aber so gut kenne ich sie noch nicht, um sicher sagen zu können, dass sie auch erscheinen .. naja, es wäre einen Versuch wert. Sie ist eine kluge Frau und wäre sicherlich eine Stütze an jenem Abend, um eine Unterhaltung zustande zu bringen, die allen gerecht wird." Sie rieb sich mit dem Finger sinnierend über die Unterlippe, anscheinend noch im Zweifel, wie sie der Gästeliste ein wenig mehr Variation aufzwingen konnte.

  • Constantius war sich bereits in der frühen Morgenstunde sicher gewesen, dass dieser Tag ein besonderer Tag werden würde. In den einheitlichen Tagen des Routinedienstes erschien die Aussicht auf eine Mittagspause, die er mit seiner Schwester verbringen durfte, so erbaulich, so erfreulich, so wunderschön wie das beruhigende Leuchten eines Lagerfeuers in einer dunklen, sternenlosen Nacht.
    Wo er sonst mit gesenktem Blick anteilnahmslos die Runden um den Exerzierplatz absolvierte, stumm das Pilum auf die steinernen Ziele warf und die Distanz zu den leblosen Gegnern bei jeder fehlerfreien Wurfserie erhöhte, mit grimmigen Blick den hölzernen Übungspfahl mit Serien schneller Schwerthiebe bedrängte, sollte an diesem Morgen ein friedvolles, hoffnungsvolles, zufriedenes Lächeln jeden Schritt, jeden Wurf, jeden Schlag begleiten.
    War er sonst einer der Letzten, die sich zum Essen begaben und einer der Ersten, die den Ort der soldatischen Köstlichkeiten wieder verließen, sollte er heute kaum den Zeitpunkt erwarten können, als der Princeps Prior die Soldaten zum Essen wegtreten ließ.


    Doch selbst die freudige Erwartungshaltung des jüngeren Bruders hatte nicht erwartet, dass dieser Moment so überwältigend werden würde. Gewiss war es nicht das köstliche Essen, waren es nicht die teilweise quälend vorgetragenen Worte des nicht sehr wortgewandten Iuliers gewesen, die sein Herz vor Freude kräftig schlagen ließ. Nein es war eine kleine aber nicht unwichtige Geste Helenas. Es war ihr befreites Lächeln, das einen Moment frei von Sorgen erschien.


    Es war ein wundervoller Anblick, ein Moment, den Constantius tief in seinem Inneren für die Ewigkeit festhielt. Stumm erwiderte er ihren Blick. Lächelnd. Glücklich, Dankbar.


    Es war vielleicht auch dieser Moment des Glücks, der ihn dazu bewegte ihren Vorschlag anzunehmen. Sicherlich stand der Verdienst eines einfachen Miles in keiner Relation zu dem einer Magistrata, doch wofür sollte er schon Unsummen an Sesterzen ansparen, wenn er an einem Abend damit ihr eine Freude machen konnte.


    „So soll es sein Helena. Ich werde dich einladen und du mich. Und am Ende des Abend soll nur zählen, dass es ein glücklicher Abend geworden ist.“
    Er drückte wieder einmal behutsam ihre Hand und besiegelte somit den erfolgreichen Kompromiss der beiden Geschwister,


    Ein sehr unschuldiges Lächeln trat auf seine Züge, begleitet von einem spitzbübischen Glanz in seinen Augen.


    „Ich wollte ja für ein besseres Gesprächklima sorgen. Natürlich würde ich nie freiwillig einer angeregten Diskussion fernbleiben wollen.“ Die zu starke Betonung des „nie“ sollte die fröhliche, ironische Intention seiner Worte sehr deutlich zur Geltung kommen lassen.
    „Aber wenn du es natürlich wünschst, werde ich meinen Soldatenhintern nicht von dem Tisch fortbewegen und sogar meine Redekünste von der besten Seite präsentieren.“
    Er schob eine kleine Gedankenpause ein und ließ seinen Blick in die Ferne schweifen.
    „Müsste ich jene Tiberia Livia kennen? Jedenfalls erscheint mir ihr Name nicht geläufig zu sein. Aber was sollte dich daran hindern sie einzuladen? Wenn du sie noch nicht gut kennst, wäre es die perfekte Gelegenheit sie besser kennen zulernen, oder nicht?“


    Für einen kurzen Augenblick war Constantius über seine eigenen Worte erstaunt. Und vermochte nicht ein erheitertes Grinsen zu verbergen. Ja diese Worte waren wirklich von ihm gekommen, der den meisten Gesprächen aus dem Weg ging.
    „Vielleicht wird ja Artoria Hyphatia oder ihr Gatte noch jemanden kennen, der oder die den Abend durch geistreiche Worte noch verschönern könnte. Sie erschienen mir ein sehr angenehmes Paar zu sein. Vielleicht sprichst du einfach noch mal mit ihnen.“

  • "Tiberia Livia sollte Dir als miles zumindest ein Begriff sein, immerhin ist sie eine der wenigen weiblichen Senatorinnen unseres Reiches - und ist in der noch laufenden Amtsperiode Praetrix. Zudem ist sie mit dem Princeps Senatus, Vinicius Hungaricus verheiratet, dem Bruder des Vinicius Lucianus ... Du siehst, eine Frau mit Verbindungen, die nicht ganz unwichtig für den Fortbestand der römischen Politik ist. Ich denke, ihre Anwesenheit könnte der Abendrunde den nötigen Pfiff verleihen, wobei wir dann auch ein paar etwas exclusivere Speisen heraussuchen müssten, eine Tiberierin ist sicherlich mehr gewöhnt als unsere rustikalen Abendessen ..."


    Sie hob die Hände etwas und ließ sie mit einem leisen Seufzen sinken, diese Abendessensachen waren einfach kompliziert und von einer richtigen Zusammenstellung der Gäste hing so vieles ab.
    "Deswegen denke ich auch, dass wir den töpfernden Valerier nicht unbedingt einladen sollten - er hört sich zu gern selbst reden und wenn wir schon Politiker da haben, müssen wir auch berücksichtigen, dass die nicht gerne nur zuhören wollen." Es gab so vieles zu bedenken und sie wollte dieses erste Gastmahl so perfekt wie möglich ausrichten, so vieles hing vom richtigen Eindruck ab.


    "Eine gute Idee," meinte sie auf seinen Vorschlag die beiden Artorier betreffend hin. "Vor allem sind die Artorier eine recht große gens, da dürfte es nicht so schwer sein, eine eventuelle Begleitung zu finden, vielleicht ein lediger junger Mann, der sich dann auch ein wenig um Livilla kümmern könnte." Eine junge Frau im besten Heiratsalter sollte schließlich genug herumgezeigt werden, damit sie entsprechend auch Interessenten kennenlernen konnte, soviel war sie Numerianuns schuldig - nicht dass sie am Ende auf dem Lager eines einfachen Soldaten landete, der ihr nur lange genug schöne Augen gemacht hatte. "Aber dafür finde ich schon noch eine Lösung," sagte sie nach einigen Momenten des Nachdenkens zuversichtlich, schließlich hatte sie bisher immer irgendwie eine Lösung gefunden. Still nun blickte sie ein wenig in den Himmel, an Constantius gelehnt geblieben, und genoss die Tatsache seiner Gegenwart, das Wissen darum, Zeit zu haben, sie sich auch nehmen zu können.


    Ja, auf ihre Weise war die Iulierin in diesem Augenblick glücklich und sich auch recht sicher, dass ihr jüngerer Bruder es ebenso war wie sie selbst. Dafür sprachen seine leuchtenden Augen eine zu deutliche Sprache - und diese Sache mit Samira würde sich auch noch irgendwie ergeben. Irgendwann löste die Zeit so vieles, selbst eine unglückliche Liebe. Kurz drifteten ihre Gedanken zu Victor, den sie nun doch einige Zeit nicht gesehen hatte - seltsam, dass noch immer sofort ein brennendes Sehnen durch ihren Leib pulsierte, wenn sich die Gedanken in seine Richtung verirrten. Unglückliche Liebe war das nicht, aber eben eine Begierde, die sich nicht erfüllen durfte, wollte sie Titus' Andenken nicht beschmutzen ... leise seufzte sie etwas ...

  • Unbekümmert lächelte er, weiterhin seinen Blick in die Ferne gerichtet.
    „Ja, vielleicht habe ich ihren Namen durchaus schon vernommen. Aber wie soll sich ein einfacher Miles nur so viele wichtige Persönlichkeiten merken können? Immerhin werde ich doch nur dafür bezahlt Befehle auszuführen.“


    Seine Worte klangen unbekümmert, fröhlich und unbeschwert. Es war einer der wenigen Momente, in denen er es verstand einen Teil seines Ichs verborgen zu halten. Im gefiel die Situation, dass er nur Befehlsempfänger war ganz und gar nicht. Als kleiner, dickköpfiger Junge hatte er sich schon gegen Befehle und Anweisungen gesträubt und nun als junger Mann, der sich immer noch zu etwas Größeren berufen fühlte, war ihm der Posten als Befehlsempfänger zu wenig. Während viele seiner Kameraden den ruhigen Dienst der letzten Zeit sehr begrüßten, sehnte sich Constantius mit jeder Faser seines Körpers nach großen Aufgaben, nach Bewährungsproben, nach der Möglichkeit ein Held zu werden. Dabei verschwendete er jedoch keinen Gedanken daran, dass die Geburt eines Helden viele tote namenlose Soldaten erforderte. Und vor allem, dass nicht sichergestellt war, dass er nicht einer jener Namenlosen sein würde.
    Doch dies waren Gedanken für einsame Momente. Momente hinter kalten Kasernenmauern, eingepfercht mit dutzenden anderer Miles.


    In der mittaglichen Sonne, war sein Lächeln ungebrochen, auch wenn ihn die weiteren Worte Helenas durchaus auch einmal schmunzeln ließen. Ja Politiker mochten es wirklich nicht, wenn sie zu Zuhörer degradiert wurden. Ihnen musste ein Abend ohne eine eigene Ansprache ebenso unbefriedigend erscheinen, wie einem Miles ein schwerer, anstrengender Dienst ohne abschließenden schweren Wein. Schwerer Wein, vielleicht sollte er eine Karaffe an diesem Abend für sich einschmuggeln lassen. Sicherlich würde er so die vorgetragenen Monologe besser ertragen können. Ein amüsanter aber nicht realisierbarer Gedanke. Trotzdem ein Gedanke, der ihn ein vergnügtes Schmunzeln auf die Lippen trieb.


    „Was Livilla betrifft. Ich habe manchmal den Eindruck, dass sie etwas beschäftigt. Obwohl sie mir sagte, dass es niemand ist, den sie in Germanien zurück gelassen hat, glaube ich schon, dass etwas sie bedrückt. Leider…“


    Er zuckte mit den Achseln.


    „Du weißt..ich bin nicht gerade der geeignete Kandidat um dem Grund herauszufinden. Aber vielleicht wird sie ja ein angenehmes Abendessen gut tun. Allerdings sollten es nicht zu viele junge Verehrer sein. Eine Frau in ihrem Alter als nicht belastende Gesprächspartnerin würde ich vielleicht sogar noch eher zu Gute kommen als ein junger Mann. Es wird noch früh genug passieren, dass auch ihre Verehrer mit Vehemenz an die Porta klopfen werden…“


    Seine Worte verloren an Kraft und gingen in einem einfachen schweigen unter. Mehr wollte und konnte er zu diesem Thema nicht sagen. Es war eben der Lauf der Dinge, dass die Familienbande zwar immer bestehen würde, doch die gemeinsame Zeit nur ein Geschenk von kurzer Dauer sein würde. Egal ob es seine Zeit mit Helena oder mit Livilla oder einem anderen Iulier oder einer anderen Iulierin war. Am Ende gingen die Wege wieder auseinander, sicherlich in dem Wissen, dass man einander nicht vergessen würde, doch eben auseinander. Dieser Tag, wenn die Porta der Casa sich schloß und Constantius alleine zurückblieb, würde der Tag werden, an dem er vielleicht seinen Weg zum Helden antrat.
    Das Bild eines ernsten Centurios, gezeichnet von unzähligen Kämpfen, jener Mann aus einem merkwürdigen Traum trat vor sein inneres Auge….


    Constantius schüttelte schwach den Kopf, vertrieb das Bild und die zugehörigen Gedanken. Ließ sein Lächeln, das kurz der Ernsthaftigkeit gewichen war, wieder obsiegen. Drückte schwach die Hand Helenas mit seiner eigenen und bemerkte ihr schwaches Seufzen.


    Zu seinem eigenen Erstaunen, war es kein Seufzen, dass er einzuordnen vermochte. Es war kein Ausdruck ihrer Gemütslage, den er aus ihrer gemeinsamen Kindheit blind verstand. Vorsichtig blickte er zu ihr. Zum ersten Mal keimte eine Ungewissheit in ihm auf.


    „Bedrückt dich vielleicht etwas?“

  • "Hmm ... Livilla ..." meinte sie sinnierend und lenkte die springenden Gedanken für einen Moment lang der Cousine hinterher. Jung, attraktiv und vor allem nicht flatterhaft, das waren drei wichtige Kriterien, um sich in absehbarer Zeit den passenden Gemahl zu angeln und vor allem, ihn auch zu halten. Livilla hatte ein freundliches Wesen, und sie hoffte inständig, dass die Cousine durch das vielschichtige Rom nicht verdorben werden würde. Hier war die Gefahr am größten, dass die falschen Männer sich an ihren Kleidsaum hefteten und sie für sich einzunehmen versuchten. Aber sie vertraute auf den gesunden Menschenverstand Livillas, als Tochter des Numerianuns, aufgewachsen in Germania, würde sie sicher auch beurteilen können, wer es ehrlich meinte und wer nicht. Sie würde sie schließlich nicht dauernd beaufsichtigen können, das war bei der vielen Zeit, die sie selbst ausser Haus verbrachte, ausnehmend unmöglich. Auch Constantius konnte kaum den hilfreichen Aufpasser markieren, waren doch auch seine Pflichten an Rom entscheidender.


    "Sie hat Besuch bekommen, von einem jungen Mann aus Germanien," sagte sie schließlich und blickte nachdenklich in den Himmel. "Ich nehme stark an, dass er der Grund für ihre Nachdenklichkeit ist - hat sie Dir gegenüber irgend etwas angedeutet? Ich werde wohl einmal ein klärendes Gespräch mit ihr führen müssen, von Frau zu Frau." Sie selbst hatte diese Art Gespräche immer gehasst, wenn ihre Mutter auf sie zugetreten war, aber es ließ sich eben nicht vermeiden. Numerianuns hatte nicht gesagt, von welcher Frau seine Tochter war, und sie selbst war die älteste Iulierin hier in Roma. Nicht dass sie sich nach dieser Art Sorgengespräch gesehnt hätte, aber auch das gehörte zu ihrer Verantwortung.
    "Was die Verehrer angeht, sollten sie allzu lästig werden, überlasse ich sie vertrauensvoll Deinem bösen Blick und natürlich auch Wongas charmant-abweisender Art. Er ist zwar ungefähr so intelligent wie ein Tiberkiesel, aber gerade deswegen einer der besten ianitoren, die wir jemals hatten." Vor allem unbestechlich, er war einfach zu dumm, sich bestechen zu lassen, reagierte nicht auf Untertöne oder Ironie - mit Wonga hatte Titus damals wirklich einen Glücksgriff getan, als er ihn gekauft hatte.


    Dass er jedoch auf ihr Seufzen, das ihr wider Willen entschlüpft war, reagierte, erstaunte sie wenig, kannte er sie doch mit am Besten von allen, aber sie wünschte sich auch gleichzeitig, sie hätte nicht geseufzt. Denn ihn wollte sie nicht anlügen, aber gleichzeitig wusste sie auch nicht so recht, wie sie ihre Gedanken in die richtigen Worte fassen sollte.
    "Ach ... ich weiss nun sicher, dass Vibius Valerius Victor verheiratet ist. Seine Frau lebt in Hispania, gemeinsam mit beider Kinder," sagte sie leise und schloß die Augen zur Hälfte, um nicht noch einmal zu seufzen. Das Bild, als er sich ihrem Gesicht genähert hatte, sie sich fast geküsst hätten, stand nur zu deutlich vor ihrem inneren Auge. Aber es hatte keinen Kuss gegeben, nur einige flüchtige, zarte Berührungen, nichts, was man nicht hätte vor Zeugen wiederholen können. Wie sollte sie Constantius dieses sinnlose Begehren erklären, die Träume, die sie noch immer verfolgten?

  • Constantius konnte ein Erstaunen nicht verbergen.
    „Besuch aus Germanien? Das habe ich gar nicht mitbekommen. Ich verbringe wirklich zu viel Zeit in der Kaserne. Doch ob es der Grund für ihre Nachdenklichkeit ist, ich weiß es nicht, doch wage ich es zu vermuten. Hast du mitbekommen was dieser Besuch wollte?“


    Constantius machte sich eine gedankliche Notiz, dass er durchaus noch an seinem „Zum rechten Zeitpunkt am richtigen Ort“ – Verhalten würde arbeiten müssen.


    „Jedenfalls sagte sie mir, dass es angeblich nichts mit Jemanden in Germanien zu tun habe. Ich glaube, dass ein Gespräch zwischen dir und ihr wohl eine passendere Lösung wäre. Auch wenn deine Arbeit schon bereits deine volle Aufmerksamkeit erfordert.“
    Die folgenden Worte, ließen Constantius unschuldig die Hände erheben.
    „Meinem bösen Blick? Gewiss habe ich keinen bösen Blick. Höchstens einen kritischen. Was wäre schon ein Bruder oder ein Cousin, der für den Schutz der Stadt zu kämpfen bereit ist, aber dafür jene, die ihm besonders am Herzen liegen, schutzlos irgendwelchen Unbekannten überlässt.“


    Seine Stimme verlor etwas an Intensität. So fügte er deutlich leiser an.
    „Vielleicht übertreibe ich es manchmal….“


    Ein verlegenes Lächeln sollte die nächsten Sekunden mehr schlecht als Recht überbrücken. Ein Lächeln, das einem sehr ernsten und besonnenen Gesichtsausdruck weichen sollte, als er nach einer Weile des aufmerksamen Zuhörens, den Grund für Helenas Seufzer erfuhr. Sicherlich war der Erfahrungsschatz des jüngeren Bruders, was Liebe und die Zuneigung, die Anziehung zwischen zwei Menschen betraf, begrenzt. Vor einer Woche noch, hätte er vielleicht gar kein Wort erwidern können, hätte ein für ihn übliches Stammeln hervorgebracht. Doch heute, an diesem Tage, an diesem Nachmittag, in diesem Augenblick erschien er sonderlich gereift und besonnen. Er legte beide Hände um die Hand Helenas. Ihre feine Hand wirkte einen Moment zerbrechlich, als sich die kräftigeren Hände des jüngeren Bruders um ihre schlossen. Doch sehr behutsam hielt er sie fest.


    „Du fühlst dich zu ihm hingezogen.“
    Er schüttelt sachte den Kopf als Zeichen, dass er keine Antwort erwartete,
    „Ich bemerkte Blick der Symphatie zwischen euch beiden, als wir vor einiger Zeit in Circus Maxiumus unsere Runden auf dem Streitwagen ziehen durften.“
    Kurz ließ er seinen Worten ein nachdenkliches Schweigen folgen. Einen Moment des Nachdenkens. Ein Augenblick um seine Gedanken zu verständlichen Worten zu formen.
    „Und es waren Blicke, die von euch beiden erwidert wurden. Du weißt, dass ich bis zu dem Tag, an dem ich zu Asche verbrennen werde, für dich einstehe und bemüht sein werde dich zu schützen.“


    Es war als hätte Constantius eine verborgene Tür seines Ichs aufgestoßen. Eine Tür, die eine Kammer voller merkwürdiger Einsichten und Gedanken verborgen gehalten hatte. Es waren viele schmerzende Einsichten darunter, jedoch waren es notwendige, erforderliche Einsichten.


    „Ich weiß, dass es Dinge gibt, die ich dir nicht abnehmen kann. Es gibt Schmerzen, die kein gutes Wort, keine gute Tat, völlig zu lindern vermag.“ Sein Blick senkte sich gen Boden, ihm war bewusst, dass er einen Teil seines Schmerzes offenbarte und kämpfte gegen die Verlegenheit, gegen den Drang zum Stammeln an.


    „So wird es dir auch nicht helfen, wenn ich dir sage, dass du niemals alleine sein wirst, so lange ich lebe.“ Die Worte kosteten Kraft und verloren immer mehr an Lautstärke, bis sie in einem Seufzer untergingen. Erst zwei tiefe Atemzüge später war seine Stimme wieder vernehmbar.


    „Ich weiß, dass du niemals etwas unternehmen würdest, dass unserer Familie Schande bereiten würde. Dafür würde ich meine beiden Hände ins Feuer legen. Ich kann diesen Mann nicht recht einschätzen, doch bisher habe ich noch keinen Grund gefunden, ihm Arglist oder heimtückische Gedanken vorzuwerfen. Ich bin bereit mit diesem Mann zu reden, wenn du es wünscht. Vielleicht vermag ich Dinge zu erfahren, die du nicht offen fragen darfst. “

  • "Hmm ..." machte sie sinnierend, während sie über Constantius' Worte Livilla betreffend nachdachte. Wahrscheinlich fiel es ihr einfach schwer, sich an Rom zu gewöhnen oder eine Richtung für ihr eigenes Leben zu finden - diese Phase der Orientierung war in Livillas Alter schließlich durchaus normal. "Nun, der junge Mann wollte sie besuchen, und sie haben sich wohl auch miteinander unterhalten, wenn ich den Worten Teremuns Glauben schenken kann," erwiederte sie schließlich, die Stirn ein klein wenig gerunzelt. "In sofern, sollte er ernste Absichten hegen, wird er das mit ihrem Vater ausmachen müssen, ansonsten werde ich darauf zu achten versuchen, dass sie nicht zu viel Zeit mit ihm verbringt. Vielleicht wollte sie Dir auch einfach nicht davon berichten, dass sie sich verliebt hat, das könnte doch auch sein?" gab sie zu bedenken und lehnte sich ein klein wenig zurück, die Zehen in den Sandalen bewegend. Wenn sie daran zurück dachte, wie es ihr in diesem Alter ergangen war, musste sie unwillkürlich lächeln, so mancher Offizier hatte ihr Herz höher schlagen lassen. Wenn man jung war, war vieles so viel leichter.


    "Deine Umsicht, Caius, ehrt Dich sehr, und ich würde es mir nicht anders wünschen. Vater wäre sicher mit allem, was Du tust, einverstanden, wüsste er, wie sehr du um unser Wohl besorgt bist," zerstreute sie schließlich die Bedenken ihres Bruders mit einem Lächeln auf den Lippen. Dass dieses andere, wesentlich heiklere Thema noch wartete, dem konnte sie kaum entgehen und atmete tief durch. "Ach Caius, ich wünschte, es wäre so einfach. Ja, ich finde ihn sympathisch, attraktiv, ich würde mir wünschen, ihn näher kennenlernen zu können, aber er ist verheiratet und ... selbst wenn er seine Ehre so verletzen würde, seine Frau zu betrügen, ich könnte es mir und ihm wahrscheinlich nicht verzeihen. Manche Dinge sind wahrscheinlich einfach nicht möglich, so sehr man sie sich auch wünschen würde." Wie oft hatte sie diesen Gedanken in ihrem Cubiculum still gewälzt, wie oft hatte sie dieses Sehnen nun gespürt, dieses unerfüllbare Wollen und Hoffen? Dieses brennende Bedürfnis, seine Haut auf ihrer zu fühlen, ihn atmen zu hören, leise ihren Namen zu flüsternd, während die Stimme noch trunken vor Leidenschaft war?


    Sie schloss für einige Momente lang die Augen und vertrieb mit aller Gewalt die Bilder aus ihrem Kopf, die Erinnerungen, die sich mit Wünschen mischten. "Du musst nicht mit ihm sprechen, es gibt daran nicht vieles zu bereden. Er ist ein ehrenhafter Mann und vielleicht musste ich ihm begegnen, um zu erkennen, dass ich noch lebe, dass mein Leben nicht aus der Aneinanderreihung von Pflichten besteht, sondern dass ich mir mehr wünsche als das. Titus ist nun mehr als zwei Jahre tot, und ich weiss nun, dass ich mir wieder einen Mann in meinem Leben wünsche." Langsam legte sie einen Arm um seine Tallie, sich ein wenig an ihren Bruder schmiegend dabei. "Ich bin sehr froh, dass ich Dich habe, kleiner Bruder, sehr froh ... denn ich weiss, dass Du immer bei mir sein wirst, genau, wie ich an Deiner Seite stehen werde, egal, was ist. Wir müssen da wohl einfach durch, Caius, wie wir schon vieles andere überstanden haben. Ich bin mir sicher, dass letztendlich alles gut werden wird," flüsterte sie leise, wohl wissend, dass es nicht ihr Schmerz allein war, von dem er sprach, sondern auch der seine. Worte aus ihrer beider Kindheit, wenn er sich das Knie aufgestoßen hatte, diesmal auf ganz anderes Weh bezogen. Alles wird wieder gut.

  • Ja vielleicht hatte Helena ja wirklich Recht. Immerhin würde er es selbst auch niemanden offenbaren wollen, wenn eine unglückliche Liebe sein Herz schwer werden ließ. So wie er es jetzt im Moment auch niemanden offenbaren wollte, und doch Helena mehr als nur einen Hinweis auf seinen eigenen Gemütszustand geliefert hatte.


    Es war erstaunlich was ein Gefühl, das als das Schönste aller Gefühle in Liedern und Sagen gepriesen wurde, doch auch an Leid und Schmerz verursachen konnte. Hatte die Liebe nicht das Ende Trojas besiegelt? War verschmähte oder nicht erwiderte Liebe nicht der Grund für so manchen Zwist, Streitigkeiten und Blutvergießen? Hatte die unendliche Liebe Didos zu Aeneas die schöne Königin nicht in den Selbstmord getrieben und den Hass zwischen Karthago und Rom begründet? Aber war nicht Liebe der Grund warum Orpheus in die Unterwelt hinabstieg um seine Geliebte Eurydike zu befreien und zurück zu gewinnen? War es nicht Liebe, die ein unerschütterliches Band zwischen den Angehörigen einer Familie schmiedete. War sie nicht der Grund, warum selbst der einfachste Mann in der Stunde der Bedrohung seiner Lieben zur Waffe griff, ohne auf sein eigenes Leben zu achten?


    Es waren wohl vor allem die griechischen Sagen und Erzählungen, denen Constantius wissbegierig und erstaunt gelauscht hatte, wenn ein Besucher, einer seiner Brüder oder sein Vater eine dieser kunstvollen Geschichten preis gab, die sein Weltbild über die Liebe geformt hatten. Es waren Geschichten, die ganz und gar nicht der Realität entsprachen und schon gar nicht dem römischen Alltagsleben. Aber es waren Geschichten, die man sich in den Geist zurückrufen konnte, wenn die Stunden einsam und leer und voller Schmerz erschienen.
    Er lächelte versonnen. Erinnerte sich an Momente, in denen er mit offenem Mund den Erzählungen seiner Mutter und Helena zugehört hatte, wenn er einmal mehr eine Geschichte über Hector oder Herkules hören wollte. Geschichten voller Spannung, vorgetragen mit brillanter Redekunst beider Erzählerinnen und, so wusste er heute, nirgends niedergeschrieben, denn sie waren extra für ihn, den kleinen Constantius von den beiden erfunden worden.
    Constantius ließ die Erinnerung noch einen Moment gewähren. Beließ das sachte Lächeln auf seinen Lippen und umschloss Helen mit seinen Armen. Könnte er ihr doch heute auch etwas Ähnliches erzählen, was ihr den Schmerz nehmen und ein Gefühl des Glücks geben konnte. So wie ihre Geschichten die Augen eines kleinen Iuliers, bewaffnet mit einem Holzgladius, hatten vor Glück erstrahlen lassen.
    Behutsam aber dennoch sicher hielt er sie in seinen Armen und ließ seine Worte mit ruhiger Stimme ertönen.


    „Würde ich in ihm keinen ehrbaren Mann sehen, hätte ich niemals überlegt mit ihm zu sprechen. Doch vielleicht gibt es einen Grund, dass er so weit getrennt von seiner Frau lebt. Warum sie nicht an seiner Seite weilt, wie es sich gehört. Er ist immerhin kein Soldat, der sich auf einem Feldzug befindet. Fragen, die ich vielleicht stellen und ergründen kann. Und mir auch ein Bild von seiner wahren Aufrichtigkeit machen kann“


    In Gedanken, unausgesprochen fügte er an:
    „Sollte er eine Liebelei in Erwägung ziehen, an deren Ende dich nur Leid und Kummer erwarten, würde ihm selbst ein göttliches Eingreifen nicht mehr schützen können“


    „Ich werde jedoch nichts unternehmen, was nicht in deinem Interesse ist. Du sollst nur wissen…“
    Da war es wieder. Jene Trockenheit in seinem Mund, die ihm oft die Sprache verschlug.
    „.. was ich zu deinem Glück tun kann werde ich tun.“
    Die Worte waren leise, sogar für seine Verhältnisse sehr leise ausgesprochen worden und kaum verständlich, vielleicht sogar nur erahnbar.
    So langsam wie er seine Arme um sie vollends geschlossen hatte, öffnete er diese auch wieder. Nicht völlig, sondern nur so weit, dass er sie bedeutsam anblicken und anlächeln konnte.
    „Du weißt ich bin damals nie von deiner Seite gewichen und ich werde es auch in ferner Zukunft nicht tun. Und ob du es mir glaubst oder nicht. Es ist nicht nur die Aussicht auf frische Meeresfrüchte, die mich zum diesem Versprechen antreibt. Vielleicht ist es eher Bosheit eines kleineren Bruders, der es nicht sein lassen kann seiner einzigen Schwester zur Last zu fallen.“
    Es waren fröhlich vorgetragene Worte. Worte, obwohl sie neckend und schelmisch erklangen, durchaus ihren warmen, aufrichtigen Hintergrund nicht verbergen konnte. Eben jene besonders feste Bindung zwischen den beiden Geschwistern, die selbst Jahre der Trennung unbeschadet überstanden hatte.


    "Ich weiß nicht wann du dein Glück finden wirst. Doch ich weiß, dass du es finden wirst." Woher er glaubte dieses zu wissen, von seinen träumen, von seinen Gebeten im Tempel der Venus erzählte er jedoch nichts. Es gab eben noch Dinge, die er im Verbogenen belassen wollte.

  • Es tat gut, von ihm im Arm gehalten zu werden und ihn gleichermaßen zu halten - diese stille Form der Übereinstimmung und Gemeinsamkeit war mehr als alle anderen Zeichen noch dazu angetan, sie zu beruhigen und ihr ein Gefühl der Zufriedenheit einzuflößen. Sicher, in der Zukunft würde so manches warten, das sie beide nicht beeinflussen konnten, das ihnen vielleicht entgleiten würde und sie war sich nicht sicher, wie weit alles gut werden würde. Dennoch konnte man es hoffen, mit aller Kraft, die ihr geblieben war, sowohl für ihn, als auch für sich selbst und auch die Verwandtschaft, die so fern von beiden nun war, Livilla einmal ausgenommen.


    So wenig des realen Lebens hatte mit den Geschichten zu tun, die sie beide als Kinder geliebt hatten, und damals hatten sie genauso vor der Mutter gesessen, gespannt lauschend, in der Hoffnung, sie würde bis weit in die Nacht hinein von Helden und schönen Frauen, Göttinnen und Göttern erzählen. Mit diesen Vorstellungen war sie auch in ihre Ehe gegangen, nur um festzustellen, dass das tägliche Leben zwischen Mann und Frau seltsamerweise nie in solchen Götter- und Heldensagen geschildert wurde. Weder ein verkaterter Held, der sich morgens übellaunig zum Dienst im castellum quälte, noch die morgendliche Übelkeit während der Schwangerschaft wurden thematisiert, und so vieles mehr.


    Und nun sassen sie in einem kleinen Park, auf einer ganz und gar unwichtigen Bank und sie musste wieder einmal feststellen, wieviel Zeit seit damals doch verstrichen war, und wieviele Jungmädchenflausen seit damals einfach verstrichen waren.
    "Ich denke, es geht uns nichts an, warum er von seiner Frau getrennt lebt, vielleicht wollen sie beide einfach die Kinder nicht ihrer gewohnten Umgebung entreißen, wer weiss das schon? Rom ist ein Pflaster, das viel Geld verschlingt und Menschen verderben kann, ich kann es nachempfinden, wenn er seine Kinder lieber unter der Sonne Hispanias aufwachsen weiss. Vater hat uns schließlich auch viel Zeit in Tarraco verbringen lassen."


    Zart drückte sie seine Hand bei diesen Worten, um dann leicht zu lächeln. "Ich weiss, Caius, genauso wie ich alles tun würde, um Dir beizustehen, wenn Du auf dem Weg zu Deinem Glück bist. Vielleicht muss man ab und an einfach akzeptieren, dass es nicht anders geht, als die bestehenden Verhältnisse anzuerkennen. Ich möchte einer Familie nicht den Vater nehmen, auch wenn mein Körper etwas ganz anderes verlangt ... es darf nicht sein."


    Sie hatte das Kinn etwas erhoben, entschlossen, diesem Problem zu begegnen wie allem, was sich ihr auf ihrem bisherigen Weg als Hindernis erwiesen hatte. Auch wenn eine leise, nicht überhörbare Stimme in ihrem Inneren davon flüsterte, dass sie sich selbst damit belog, dass sie Victor begehrte wie sehr lange keinen anderen Mann, dass sie sich wünschte, sie könnte ihn vergessen machen, dass er verheiratet war ... sie blinzelte einige Male energisch und vertrieb diese Gedanken aus dem Kopf. Es darf nicht sein, flüsterte sie innerlich und hob den Blick zu ihrem Bruder an.


    "Diese Art der Bosheit werde ich nur zu gern ertragen und solltest Du sie mir gegenüber nicht offenbaren, dann kannst Du Dich warm anziehen, miles Iulius Constantius," sagte sie leise lachend, aber auch im besten Kommandoton, den beide noch von ihrer Mutter kannten, den Zeigefinger belehrend erhoben. "Ach, es tut gut, wieder in Rom zu sein. Ich habe das Gefühl, dass sich hier vieles wandelt, dass wir noch vieles sehen werden, das uns verändert und von uns verändert wird. Auch wenn wir das vielleicht jetzt noch nicht sehen können."

  • So sehr ihm auch bei dem Gedanken unwohl war mit Victor über seine Schwester zu sprechen, so war es nicht Erleichterung, die er empfand, als seinem Vorschlag das Siegel der Undurchführbarkeit aufgeprägt wurde. Es vielmehr eine Bestürztheit über die Erkenntnis, dass er Helena wohl ihren Schmerz nicht ersparen konnte. Einen Schmerz, den er selbst erst seit kurzer Zeit einzuschätzen vermochte. Ein Schmerz, der vielleicht tiefer reichte, als das es ein Schwerthieb jemals vermögen würde. Jedenfalls war es die Annahme des jungen Iuliers, dass ihre Gefühle für Victor, den seinen für Samira in nichts nachstanden.
    Gegen jeden Feind gegen jede Bedrohung war er bereit Helena zu verteidigen, doch diesem Gegner musste er sich bereits geschlagen geben bevor er auch nur einen Fuß auf das Schlachtfeld gesetzt hatte. Oder doch nicht? Sollte er wenigstens einen Schritt wagen?


    Helenas Wort ließen seinen Blick gen Himmel schweifen.
    „Ja es ist wundervoll in Rom zu sein. In dieser Stadt wandelt sich alles und jeder. Sowohl zum Guten als auch zum Schlechten. Wir können wohl nur unsere Kraft darauf verwenden die Wagschale zum Guten zu neigen.“
    Er legte behutsam seine Hand auf die Ihre, die an seiner Taille ruhte, und beließ seinen anderen Arm um sie gelegt.
    „Aber ich bin mir sicher, dass wir gemeinsam die Kraft haben die Wagschale jederzeit wieder in die richtige Richtung zu neigen.“


    Nach einer andächtigen Stille, löste er seine Hand von der ihren und ergriff einen kleinen unscheinbaren Beutel, der an seinem Waffengurt hing. Es war ein Beutel, obwohl so unscheinbar und klein, der Helena vielleicht bekannt vorkam. Denn dieser Beutel war stets ein treuer Begleiter des Iuliers gewesen. An dem Tag als sich die Geschwister wieder sahen trug er ihn und heute trug er ihn noch immer. Umständlich öffnete er die Verschnürung des ledernen Behältnisse und zog etwas noch unscheinbareres hervor. Zunächst offenbarte sich nur ein einfache, in die Jahre gekommene Lederschnur dem warmen Licht des Nachmittags. Ihre Enden waren mit einem einfachen Knoten zu einer Kette vereint worden. Ein Knoten, der auch heute noch so aussah, als hätten Kinderhände voller Eifer und mit wenig Erfahrung diesen geschaffen.
    Etwas später, als die lederne Kette den Beutel fast vollkommen verlassen hatte, war der Blick frei auf einen kleinen Anhänger aus Holz. Auch wenn die Schnitzarbeit grob und einfach war, so konnte man durchaus die Form einer Taube erkennen, die ihre Flügel ausbreitete. Sicherlich war es keine meisterliche Arbeit. Nicht für einen geübten Handwerker. Doch für einen 11 jährigen Jungen, der Tag und Nacht in Eile daran gearbeitet hatte, war es ein Meisterstück gewesen. Der Anhänger drehte sich mehrmals um die eigene Achse, als sich die Kordel spannte und ihre Verdrillung aufhob. Auf der Rückseite der Flügel, obwohl das Holz inzwischen viele Jahre gealtert war, ließen sich ein eingeritztes H und ein C erkennen.


    Verlegenheit ergriff die Stimme des kräftigen, muskulösen Miles. Ergriff die Stimem des jüngeren Bruders.
    „Ich wollte dir damals noch etwas mitgeben. Doch habe ich es erst in der Nacht deiner Abreise vollendet. Aus irgendeinem Grund konnte ich es all die Jahre nicht fortwerfen. Es hat mir eigentlich immer Glück gebracht. Ich wusste nie, ob ich es dir vielleicht noch einmal schenken sollte. Immerhin bin ich heute kein junger Bursche mehr und du hast mehr als eine merkwürdige Schnitzerei von mir damals erhalten.“


    Dann legte er die Kette trotz seiner Worte in ihre Hand.


    „Auch wenn sie kein Meisterwerk ist, so ist sie immerhin der Beweis dafür, dass ich dich niemals vergessen habe oder vergessen werde. Egal was Rom für uns noch bereit hält. Wie es die Dinge wandeln wird. Vielleicht zeigt sie dir an schweren Tagen, das manche Dinge sich nie wandeln werden.“


    Er lächelte sie zaghaft an. Fühlte die Verlegenheit in sich aufsteigen, die die Röte in seine Wangen trieb.

  • Manche Art von Schmerz war es wohl, der man nicht entgehen konnte, egal wie gut man sich dagegen wappnete, oder was man tat, um ihm auszuweichen. Sie konnte nur ahnen, wie es ihm mit seiner Lupa ergehen mochte, und was sie fühlte, wenn sie an Valerius Victor dachte, wollte sie nicht aussprechen, das konnte sie gar nicht aussprechen, weil sie sich vor dem Klang de Worte fürchtete. Sie waren einmal gesagt worden, zwischen ihr und ihm, und seitdem hatte Stille geherrscht. Sie hatte es nicht mehr gewagt, ihm nahe zu kommen, sich ihm in irgendeiner Form zu nähern, und er schien es ähnlich entschieden zu haben. Vielleicht würde das Feuer abkühlen, wenn man es nicht durch neue Brandmöglichkeiten nährte. Sie würde Constantius wahrscheinlich nur sehr selten ein Schutzschild sein können, eine Hilfe, die er wirklich brauchen konnte, und doch - sie wusste genau, dass sie es immer versuchen würde, egal, was er sich auch stellen musste.


    Als er dann jedoch begann, an dem Beutel zu nesteln, folgte den Bewegungen seiner Finger ihr Blick voller Interesse, aber auch Neugierde, dann hoben sich ihre Brauen ein wenig, als sie erkannte, was er da heraus zog. Eine Kette mit einem geschnitzten Anhänger? Ob er die wohl auf dem Markt erstanden hatte? Doch seine Worte erklärten es sogleich, und nun begann sie zart zu lächeln. Als kleiner Junge hatte er gern mit dem Messer herum fuhrwerkt, und seine ersten Werke waren zumeist in Klumpenform stolz hergezeigt worden - mit viel Phantasie hatte man dann auch erkennen können, welches Tier es hätte sein sollen, und diese Taube zeugte doch von einer gewissen Übung, die er sich mit der Zeit erworben hatte. Dass er sie so lange aufbewahrt hatte, trieb ihr mit einem Mal die Tränen in die Augen und sie konnte die Umrisse des Holzanhängers nur noch durch einen verschwommenen Tränenschleier erkennen. Für sie hatte er diese Taube geschnitzt, und war nicht rechtzeitig fertig geworden ...


    Dass ihr kleiner Bruder so viel an sie gedacht hatte, hatte sie sich zwar immer wieder ausgemalt, aber nun, mit diesem von Kinderhand geformten Anhänger, hatte sie den schlagenden Beweis in Händen. Die Buchstaben auf der Rückseite der Taube sprachen Bände, ein H und ein C, ein bisschen kratzig, ein bisschen ungenau, aber doch zu erkennen. Sachte strich sie mit ihrem Finger über die beiden Buchstaben, dann über die ganze Taube, und flüsterte leise, nun selbst um jedes Wort verlegen:
    "Es ist wunderschön, Constantius, einfach wunderschön ..." Und anstatt weitere Worte zu verlieren, die ohnehin nicht hätten ausdrücken können, was sie sagen wollte, nahm sie das Lederband mit dem Anhänger, öffnete die geformte, weite Schlinge und hängte sich diesen um den Hals, sodass der Anhänger selbst auf ihrer Brust zu liegen kam, behütet durch ihre sich darauf ablegende rechte Hand.


    "Ich werde ihn einfach jetzt tragen, wie ich ihn auch damals immer getragen hätte, um mich daran zu erinnern, wie sehr ich meinen kleinen Bruder liebe." Ihre Stimme hatte ein wenig beim Sprechen gezittert, und tatsächlich hatte sie diese Geste, dieses kleine, für andere wahrscheinlich vollkommen wertlose Geschenk mehr berührt als jede Perlenkette dieser Welt ....

  • In der Nacht vor Helenas Abreise, hatte der kleine Constantius fieberhaft an dem kleinen Gegenstand gearbeitet, in den der kleine Junge seine größte Hoffnung investiert hatte. Er sollte immerhin dafür sorgen, dass Helena kein Leid widerfahren würde, sie den kleinen, dickköpfigen Bruder nicht vergessen würde und sie in der Stunde der größten Not daran erinnern, dass es einen Helden, wenn auch einen sehr kleinen, gab, der jederzeit und überall bereit war für sie einzustehen. So viele sehr wichtige Aufgaben für einen kleinen von Hand gefertigen Anhänger. Einen Anhänger, der deshalb auch ganz besonders werden musste. Angetrieben von diesem Ziel zog sich Constantius in jener Nacht in einen kleinen Raum in der Casa zurück. Schnitze im fahlen Licht einer kleinen Kerze. Ließ sich selbst nicht beirren, als bereits alle Erwachsenen zu Bett gegangen waren und die Case unheimlich still geworden war. Von Stunde zu Stunde musste er nicht nur gegen das widerspenstige Holz ankämpfen, dass sich nicht so formte, wie es der unbeugsame Geist des sehr jungen Iulier es wollte, sondern musste auch gegen die Heimtücke des Schlafes bestehen.
    So sehr sich der Junge auch anstrengte, sich beeilte und antrieb, er sollte später dem Schlafe erliegen. Zusammengekauert neben einer erloschenen Kerze fand ihn seine Mutter, die ihn die ganze Nacht wortlos beobachtet hatte und ihn gewähren ließ. Es war wohl ihrem besonderen Einfühlungsvermögen zu zuschreiben, dass sie den Jungen nicht in sein Bett trug, sondern lediglich sorgsam eine Decke über ihn legte.
    Denn wäre Constantius in seinem Bett erwacht und nicht neben der Kerze mit seinem Schnitzmesser in der Hand, wäre die Trauer, die er am nächsten Tag sowieso empfand, noch größer gewesen. Die Götter waren ihm nicht hold gewesen in dieser Nacht. Lediglich eine Schwinge der kleinen taube war ausgearbeitet worden. Und nur ein müde eingeritztes C war zu erkennen.
    Die Trauer des Jungen war groß, als Helena aus seinem Blick entschwunden war. Er war gescheitert, war am Boden zerstört und schnitzte doch die folgenden zwei Nächte weiter an dem nun sinnlos gewordenen Anhänger. Dieses kleine Stückchen Holz hatte ihn von diesme Zeitpunkt stets begleitet.


    Sicherlich kam ihm zwischendurch der Gedanke, dass er dieses Überbleibsel einer fixen Idee eines kleinen Jungen fortwerfen sollte. Doch wurde dieser Gedanke niemals in die Tat umgesetzt. Stattdessen hatte das einstige Geschenk nun sein Ziel erreicht. Zwar um Jahre verspätet, doch scheinbar nicht zu spät. Der wässrige Glanz in den Augen Helenas, das gerührte Zittern in ihrer Stimme, das besondere Lächeln auf ihren Lippen füllten den kleinen Bruder mit Erleichterung und einem Gefühl des Glücks an, dass einer göttlichen Gabe gleich kam. Der kleine Junge, der immer noch ein Teil Constantius war, weinte innerlich Tränen des Glücks, so dass das sanfte Lächeln des erwachsenen Constantius vor Rührung leicht zitterte.


    „Es ist nur eine Kleinigkeit..“, begann er vorsichtig und gerührt seine Stimme zu erheben. Der Glanz in seinen Augen strafte ihn Lügen, denn es war eindeutig keine Kleinigkeit mehr für ihn. Das sich Helena so würde freuen, hatte er sich nicht einmal erträumt.


    „Dieses kleine Symbol soll dich daran erinnern, dass die Liebe deines kleinen Bruders niemals enden wird. Es ist der Beweis für ein besonderes Band….etwas das niemals reißen wird.“


    Ein feierlicher Unterton schwang in seiner Stimme mit. Ein Unterton, der diese Worte wie einen Schwur erklingen ließen. Einen Schwur, so feierlich und aufrichtig vom Herzen kommend, wie es wohl nur in diesem einem Moment möglich war

  • Sanft fuhren ihre Finger über das Holz, dieses Stück Holz, das über zehn Jahre alt war. Hätte sie damals geahnt, dass er noch mit vollem Eifer an einer Erinnerung für sie an ihren Bruder gearbeitet hatte, während sie unruhig und voller Angst vor dem fremden Ehemann in jener Nacht kaum Schlaf gefunden hatte, hätte sie sich wahrscheinlich mehr gegen die Abreise gewehrt, als sie es damals getan hatte. Stattdessen war sie in eine Sänfte gesteckt worden, nach einer viel zu kurz scheinenden Verabschiedung von ihren Eltern und ihren Brüdern, ganz besonders dem so müde wirkenden kleinen Constantius, der so enttäuscht geblickt hatte.


    Heute wusste sie endlich, warum er so verletzt gewirkt hatte, so verloren inmitten der Erwachsenen, denen sie entschwunden war, um eine Ehe zu beginnen, die zu Anfang für sie nur schrecklich und furchtbar gewesen war. Dass sich doch etwas Gutes daraus entwickelt hatte, war vor allem Titus' letztendlicher Geduld zu verdanken gewesen, der sein eheliches Recht nicht zu oft gefordert hatte und ihr auch ihre Fehler vergab. Sanft legte sie die Hand auf den Stoff der Stola, unter welchem sich der Anhänger befand, um den Blick zu ihm zu heben, die Augen noch immer vor Rührung schimmernd. So war erneut ein Band zwischen ihr und ihrem Bruder geschmiedet worden, das sie nicht vergessen würde, eine Verbindung für die Ewigkeit eines Lebens. Noch einmal würde sie ihn nicht verlassen können, nicht, wie es damals gewesen war, dafür war er ihr viel zu sehr ans Herz gewachsen.


    "Du wirst immer meinem Herzen am Nähesten sein, Caius," sagte sie leise und lächelte sanft. "Heute, morgen, in der Zukunft. Was ich tun kann für Dich, werde ich tun, heute kann ich es endlich, damals konnte ich es noch nicht. Solange wir uns nur nie verlieren oder uns gram werden wegen was auch immer, ich werde bei Dir sein." Feierlich klangen die Worte, und sie hatte sie ausgesprochen, als würde sie einen besonderen Eid schwören, den zu brechen diese Welt nicht ausreichen konnte. Denn letztendlich hatte sie es auch so gemeint - denn dafür liebte sie ihren Bruder viel zu sehr, als ihn alleine lassen zu wollen. Wahrscheinlich hätte sie sich auch eine Rüstung der Cohortes Urbanae angezogen und wäre mit einem pilum und einem scutum durch die Straßen marschiert, um ihn aus irgendeinem Schlamassel heraus zu ziehen - zumindest der Wille dazu stand deutlich in ihren Augen. Sachte richtete sie sich auf und ihre Lippen berührten vorsichtig seine Stirn, die Worte mit einem geschwisterlichen, liebevollen Kuss besiegelnd.

  • Es war ein Moment, der sicherlich viele Worte hätte heraufbeschwören können. Es war ein Moment, der Constantius tief ergriff und ihn sprachlos machte. Weshalb er zunächst nichts erwidern konnte, trotz des bedeutsamen Ereignisses. Hatte seine Stimme alle Kraft eingebüßt, vermochte er auch mit seiner Hand nur behutsam die ihre zu drücken.
    Was wollte er ihr alles sagen. Das er niemals etwas zwischen sie kommen lassen würde? Das sie schon immer seinem Herzen am nächsten war und auch bleiben würde? Das er jederzeit und überall für sie einstehen würde? So viele Gedanken. So viele beutungsschwere Gedanken. Gedanken zu beutend, zu schwer um sie jetzt aussprechen zu können. Für einen Moment wirkte der junge Miles nicht wie ein Soldat Roms, sondern wie..ja eben wie ein junger Bruder, der mit großen, braunen Augen zu seiner Schwester aufblickte.


    In der Ferne erschallten Trompetensignale. Für Constantius wohlbekannte Signale. Signale die ihn innerlich zur Eile antrieben, denn er kannte die Konsequenzen der Missachtung dieser Signale. Widerwillig löste er sich deshalb von seiner Schwester. Wissend, dass er ihr nicht alles hatte sagen können, was das Band zwischen ihnen betraf. Doch er hoffte darauf, dass sie dies ohnehin erahnen würde.
    Mit geübten Handgriffen richtete er den Sitz seiner Uniform, seinen Waffengurtes und blickte nochmals zu Helena.
    „Der Mittagsappell…ich muss mich beeilen…“
    Innerlich zur Hast angetrieben, blickte er in die Richtung der Kaserne und trat dann doch noch einen Schritt auf Helena zu. Gab ihr in der gleichen Art und Weise, wie sie es getan hatte, Helena einen Kuss auf die Stirn.
    „Ich werde immer für dich da sein.“, flüsterte er ihr entgegen, offenbarte ein aufrichtiges Lächeln und wandte sich um.
    Mit vom Lauftraining geübten Schritten, rannte er los, der Kaserne entgegen, wo der Dienst ihn erneut erwartete.

  • Sie erhob sich, als er aufsprang, und blickte ihm schmunzelnd nach. In diesem Augenblick war wieder alles so wie früher - er rannte zurück zur castra wie er früher gerannt war, wenn aus der Ferne der elterlichen Casa das Läuten zur mittäglichen cena erklang, immer ein bisschen schneller als sie, und seine Ausrüstung schien seine Kraft kaum bremsen zu können. Für diesen Moment schien die somemrliche Hitze Tarracos zurückzukehren, der süße Duft nach Blüten und den in voller Reife stehenden Feldern, durch die sie gern getollt waren, der Geruch nach dem salzigen Meerwasser und nach Freiheit und tausend Abenteuern, wenn sie an den Klippen unterwegs waren und sich abends dafür die gebührende Tracht Prügel einfingen - sie hatten wirklich eine goldene, wundervolle Kindheit gehabt, überlegte sie wehmütig und ihre Gedanken glitten zu ihren eigenen Kindern, deren Leiber im felsigen Boden Syrias bestattet worden waren.


    Irgendwann wollte sie wieder einen Sohn haben, den sie genauso wohl würde prügeln müssen, wenn er über die Stränge schlug - und der seiner Schwester vielleicht irgendwann auch eine Taube schnitzen würde, das Symbol der gens Iulia. Leicht seufzend ließ sie sich wieder auf das Bänkchen sinken und hätte sich fast auf das Körbchen gesetzt, in dem die Meeresfrüchte gelagert waren. "Oh, da sind ja noch welche drin," sagte sie überrascht, hatte sie das alles doch vollkommen vergessen. Und mit durchaus viel Genuss und zurückkehrendem Appetit machte sie sich daran, das Körbchen nun doch zu leeren, während ihre Gedanken in eine Vergangenheit schweiften, die von spannenden Expeditionen in Keller, Felder und an Klippen angefüllt gewesen war, gemeinsam mit ihrem liebsten, jüngsten Bruder. Sollte sie jemals wieder einen Sohn bekommen, würde er Caius heissen ...


    ~* Ende *~

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