Mars und Venus

  • Leise wogten die Gräser im lauen Wind der beginnenden Nacht, doch noch war die Luft nicht kalt genug, um sie frieren zu lassen, nur der Hauch eines kühlen Prickelns glitt über die Haut der jungen Frau, die sich auf einen Stein gesetzt hatte, um die Sterne zu beobachten. Die Nacht hatte stets einen besonderen Reiz auf sie ausgeübt, geschahen hier doch viel mehr geheimnisvolle Dinge als am Tag, verborgen in den Schatten, überdeckt von einem Mantel des Schweigens und stiller Vergnügungen. Die Stille der Nacht zog sie mehr an als der geschäftige Tag, doch blieb ihr nicht oft vergönnt, alleine ihren Gedanken nachhängen zu können. Dafür gab es zu viel zu tun. Doch dieses Mal waren es mehr Gedanken als sonst, nicht einmal Sorgen, sondern Überlegungen, die ihren Tribut forderten. Erinnerungen, die sich mit Ereignissen mischten ... während ihr Blick hinauf zu den Sternbildern irrte, dachte sie daran, dass Titus ihr einst einige der Sternbilder erklärt hatte und eines dieser Bilder auch für sie beide ausgewählt hatte - das Haar der Berenike - um sie ob ihrer Haarfülle zu necken, aber gleichzeitig hatte er ihr immer verboten, ihr Haar jemals abzuschneiden. So trug sie es noch heute so lang wie möglich, stets mit dem Gedanken verbunden, dass er es nach einer leidenschaftlichen Nacht geliebt hatte, beider Geruch noch in ihrem Haar wiederzufinden. In dieser Nacht konnte sie die vier Sterne jedoch nicht erblicken, leuchteten sie doch nur schwach und mit wenig Kraft.


    Dennoch, sie musste die vier Sterne nicht sehen, um zu wissen, dass sie da waren, ebenso, wie sie Titus nicht sehen musste, um zu wissen, dass er ihr immer nah sein würde, auch jetzt noch im Tode. Wäre er nun hier bei ihr, würde sie nicht lange auf einem Stein sitzen und nachdenken, er hätte sie längst in seine Arme geschlossen und sie auf andere Gedanken gebracht, eine Technik, die eigentlich immer funktioniert hatte. Aber der Wind blies und schien mit seinem leisen Säuseln zu flüstern, als würde er sich über ihre Einsamkeit lustig machen. Langsam erhob sie sich, dem Flattern ihrer Stola lauschend, die im Wind um ihre Beine tanzte, um barfuß durch das hohe Gras voran zu schreiten. Der Garten war wohlgestaltet und von einem fast klassisch proportionierten Aufbau, die Hecken waren sorgsam gestutzt, die Blumen so gepflanzt, dass zu jeder Jahreszeit Farben vorherrschten, eine in sich stimmige und harmonische Komposition des Lebens, der sie in dieser Nacht jedoch kaum Beachtung schenkte. Erst als ihre Zehen die warmen Steinplatten eines verbrogen gelegenen Weges berührten, wusste sie, dass sie die richtige Richtung eingeschlagen hatte und folgte dem Verlauf des gepflasterten Weges mit vorsichtigen Schritten, um nicht zu stolpern. Vorbei an Zierhecken ging es abwärts, in die Richtung leise murmelnden und rauschenden Wassers.


    Sie schob mit einer Hand vorsichtig einige Äste einer weit überhängenden Weide zur Seite und hatte endlich freien Blick auf den kleinen See, in den das Wasser eines kleinen Bachs in einem Wasserfall mündete und sich dann, ein Grasmeer garniert mit noch schlafenden, aber tagsüber bunten Blüten, teilend, durch den weiten Garten erstreckte. Ein kleines Bänkchen aus Sandstein gab es auch hier, aber es wurde selten genutzt und war darob von Flechten und Efeu überwuchert. Es war noch warm genug, sich zu entkleiden, und da der Wind hier zwischen den aufragenden, alten Bäumen keine Kraft besass, zögerte sie nicht, ihre Stola abzulegen und diese vorsichtig auf dem Bänkchen zu deponieren, ebenso das dünne Lendentuch und das Brustband. Sich langsam streckend, löste sie die Nadeln aus ihrem Haar, öffnete den Knoten, der es stets ordentlich aus dem Gesicht fern hielt. Duftig weich und nach Blütenblättern riechend glitten ihre langen schwarzen Haare die Schultern hinab, über den Rücken bis hin zum Ansatz der Porundung, und dort erst endete die Flut an schimmernder Schwärze. Sie war stolz auf ihr Haar, hatte es stets gepflegt und wachsen lassen.


    Zuletzt löste sie noch die Ohrringe aus matt glänzendem, beschlagenen Gold, drapierte sie auf ihrer Kleidung und ging zu dem kleinen See hin, ließ sich am Ufer nieder und schob die Füße in das lauwarme Wasser, das noch von der Hitze des Tages aufgewärmt war. Mit einem zufriedenen Seufzen glitt ihr ganzer, hellhäutiger Leib in das Wasser, und sie tauchte für einige Momente unter, blieb von der warmen Umarmung tausender weicher Arme umfangen. Nie hatte sie sich davor gescheut zu tauchen, genoss es geradezu, von der Welt für einige Momente lang so Abstand nehmen zu können. Sie schwamm in die Richtung des Wasserfalls und erhob sich dort auch wieder aus dem Wasser, weil der Grund zu niedrig geworden war. Still ließ sie das Wasser auf ihren Körper prasseln, einen kalten Guss, der ihre Brustknospen sich verhärten ließ, ein eigentümlicher Kontrast zur Wärme des Sees. Dünne Wasserfinger pflügten durch ihr Haar, glitten streichelnd und aufreizend ihren Körper entlang, bis überall kalte, kleine Wassertropfen rannen und ein feuchter Schimmer auf ihrer Haut zu liegen kam.


    Die Blätter der Bäume raschelten im Wind, dann jedoch sah sie eine deutlichere Bewegung. Im Reflex hielt sie eilig die Hand vor ihre Brust, aber sie wusste genau, dass sich nicht allzu viel ihrer Rundungen damit verbergen ließ. Das erste, was sie genau sehen konnte, waren seine weissen Zähne, ein Lächeln blitzte auf seinen Lippen auf, dann erkannte sie die kräftige Gestalt des Mannes, dessen Erinnerung sie aus ihren bewussten Tagesstunden zu verbannen versucht hatte - der Sieger, victor - und diese Schlacht hatte er gewonnen, ohne überhaupt einmal ein Schwert erheben zu müssen. Er sprach nicht, sondern trat an den Rand des Sees, zu eben jenem Bänkchen, auf dem ihre Kleidung lagerte, fuhr mit den Fingerspitzen sanft über ihre Stola, spielte einige Momente lang mit ihren Ohrringen, den Blick jedoch auf sie gerichtet. Es lag nichts unangenehmes darin, er betrachtete sie eher mit einer stillen Faszination, die man jenem Menschen zugedenkt, den man sich oft erträumt hatte, den man so aber nie erblicken durfte. Langsam hob sie eine Hand in seine Richtung, auffordernd und bittend zugleich, ebenfalls ein Lächeln auf den Lippen. Sollte er es wirklich sein, keine Traumgestalt?


    Er neigte sich vor, um seine Sandalen zu lösen, schlüpfte geschickt aus der einfachen Tunika, die er trug, und auch das Lendentuch blieb alsbald auf dem kleinen Häufchen seiner Sachen auf dem Gras liegen - das Wasser schwappte ihr in einer weichen Welle entgegen, dann schwamm er in kräftigen Zügen auf sie zu und hatte sie innerhalb kurzer Momente erreicht. "Ich habe Dich so vermisst," flüsterte sie leise, als sich beider Körper berühten, seine Arme sie an seinen Leib zogen, diesen prächtigen, kräftigen Körper, der einem Athleten hätte Konkurrenz machen können. "Es ist verboten," antwortete er leise und strich mit einer Hand vorsichtig über ihre Wange, beider Blicke trafen sich erneut und es schien ihr, als müsste sie im Blick seiner Augen versinken. "Ich weiss ... aber ich kann nicht anders. Ich bin verheiratet, aber in all diesen Momenten zählt es nichts, wenn ich Dich sehe, vergesse ich alles ..." sagte sie und schlang ihre Arme um seine Hüften, sich so eng an ihn schmiegend wie nur möglich. Wenn ihr Gemahl nicht wäre, dieser hässliche, buckelige Kerl ... aber für diese Stunden des Vergnügens war er weit fort, versunken in einer Welt, die mit ihnen beiden nicht mehr viel zu tun hatte. Ihre Lippen trafen sich, und sie schmeckte die herbe Süße seines Mundes wie einen besonderen, gereiften Wein, den man nur selten bekommen konnte und der dadurch umso kostbarer war.


    Seine Finger glitten über ihren Rücken, wühlten sich in das nass gewordene Haar, dann packte er ihren Schopf, um ihren Kopf festzuhalten, während seine Zunge von ihrem Mund Besitz ergriff und sie die Stärke seines Körpers ungleich deutlicher fühlen konnte. Dass er sie begehrte, war offenkundig, seine Männlichkeit schmiegte sich an ihren vom Wasser kühl gewordenen Leib, seine Haut rieb heiss und prickelnd auf der ihren, schien ihren eigenen Körper mit dieser Bewegung zu entzünden, bis all ihre Gedanken irgendwo verebbten und alle Stimmen in ihrem Kopf unwichtig wurden, weil ihr ganzes Denken nur noch darauf ausgerichtet war, ihn zu fühlen, so umfassend wie möglich, sich mit seinem Leib so tief wie möglich zu vereinen. Als er ihren Körper auf seinen Händen zum Ufer des Sees trug und sie gegen einen dort aufragenden, vom Wasser glatt gewaschenen Fels drückte, stöhnte sie leise auf, wissend, was geschehen würde, was sich beide wünschten ... seine Haut schien von innen her zu glühen, pulsierte in einem fast überirdischen Echo der Männlichkeit. Ruckartig kam er ihr entgegen und dann ...


    ... fuhr sie von ihrem Lager auf, das Gesicht schweissbedeckt, der Atem keuchend schnell. Die Dunkelheit des stickigen Zimmers brachte Iulia Helena schnell wieder in die Realität zurück, aber es brauchte eine ganze Weile, bis sie sich sicher war, dass das Gesehene nicht geschehen war, sondern eine Ausgeburt ihrer überreizten Sinne sein musste. Was hatte sie da eigentlich geträumt? War sie das gewesen und ... Valerius Victor? Sie blinzelte und fächelte sich mit einer Hand frische Luft zu, bevor sie energisch in die Hände klatschte, um eine Dienerin zu rufen. Was für ein seltsamer Traum ...

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