Ein Jahr war vergangen, eine Amtszeit. Begann die Zeit von Medeias Quaestur auf schreckliche Weise und eher ruhig, so waren die letzten Monate doch mit emsiger Betriebsamkeit von ihr vergangen. Auch die letzten Tage zeigten sich eher von der schönen Seite. Die Sonne strahlte milde und nicht allzu heiß auf Rom herunter, der Gestank aus der Cloaca Maxima war einigermaßen zu ertragen und die neuen Magistrate schienen ihr neues Amt mit Toga und viel Enthusiasmus, wie Medeia hoffte, zu beginnen. Somit war es Zeit ihre Amtszeit abzuschließen. An einem solchen sonnigen Tag trug eine Sänfte die ehemalige Quaestrix die Via Sacra entlang an den vielen Menschen, die auf das Forum Romanum strömten. Manche mit der Absicht zur Curia zu streben oder zur Basilika und den dortigen Amtsträgern. Einige wollten wohl eher die Tempel auf dem Forum aufsuchen. Andere hatten viel trivialere oder mehr private Dinge zu regeln, Besucher bei den Wahrsagern oder schlicht das Herumlungern auf dem lebhaftesten Platz der ganzen Stadt.
Die Sänfte hielt nahe der Rostra an und Medeia entstieg dem getragenen Gefährt. An jenem Tag trug Medeia erneut eine schneeweiße Stola und ihre Haare streng zurück gesteckt. Es ging heute nur um das, was sie in den letzten Monaten gearbeitet hatte. Hocherhobenen Hauptes trat Medeia auf die Rednerbühne und wandte sich um. Ihre Stola, gekalkt und gestärkt, fiel wie die kunstvollen Falten einer marmornen Statue. Ernst sah sie auf die vielen Menschen, die einem alten Philosophen mehr oder minder interessiert zuhörten. Doch schon die Ersten wandten sich ab und sahen zu Medeia. Diese verharrte noch eine kurze Weile ehe sie ansetzte zu sprechen.
„Bürger Roms, einige von Euch mögen mich noch kennen. Doch für diejenigen, die mich noch nie auf der Rostra gehört haben, will ich mich vorstellen. Ich bin Artoria Medeia aus der Gens Artoria. Bis vor kurzem bekleidete ich das Amt des Quaestor Urbanus. Doch meine Amtszeit ist vorbei und deswegen möchte ich mich heute Euren Fragen und Eurer Kritik stellen, zu dem was ich in dem letzten Jahr vollbracht habe und ob ich mich Eures Vertrauens für würdig erwiesen habe.“
Medeia verstummte und wartete, damit sich noch einige weitere als Zuhörer dazugesellen konnten. Dann atmete sie tief durch und sprach weiter.
„Vier Quaestoren waren wir an der Zahl und doch mit vielen verschiedenen Aufgaben. Doch seid gewiss, wir sprachen uns gut ab und somit konnte gewährleistet werden, dass all jene Aufgaben auch gelöst wurden. So möchte ich Euch von den Meinigen berichten. Es waren keine Arbeiten, die öffentlich so wirkten wie die Spiele oder die Arbeit des Praetors, doch bin ich nicht untätig geblieben. Viel Zeit verbrachte ich in den Archiven unserer Stadt, besonders die Annalistik. Dort fand ich vieles unserer Geschichte brach liegen. Auf alten Schriftrollen waren sie verfasst, die doch kaum der Ungnade der Zeit entkommen würden. Diese trug ich auf steinerne Tafeln um und ordnete sie in die Epochen unserer Zeit ein, derer sie angehören. Von der frühen Zeit Roms bis zum göttlichen Traianus.“
Wieder eine kunstvolle Pause, das Gesagte sollte ja auch nicht wie ein Wasserfall über die Zuhörer hinab donnern, sondern wie ein sanftes Plätschern.
„Aber auch die letzten Jahre seit der Inthronisation unseres geliebten Kaisers mussten durchaus bearbeitet werden. So waren die Chroniken ebenfalls nur auf jenen Schriftrollen verfasst, die unseren Nachkommen wahrhaftig Schwierigkeiten in der Erforschung ihrer Geschichte bringen würde. Diese wurden ebenfalls von mir auf steinerne Tafeln gebracht und teilweise mit Aufzeichnungen aus Germania, die bis dahin keine Erwähnung in den Chroniken fanden, ergänzt.“
Medeia sah von einem Zuhörer zum Anderen, ernsthaft und aufrechten Hauptes.
„Ihr fragt Euch sicherlich, warum sind die Archive so wichtig? Warum hat sich ein Quaestor mit diesen Aufgaben über Monate und vielen Wochen hinweg fast ausschließlich beschäftigt? Als Antwort will ich Euch folgendes sagen. Wer die Geschichte nicht kennt und wer der Geschichte keine Bedeutung beimisst, der wird auch vieles von heute weniger klar sehen. Aber auch an unsere Nachkommen, und besonders an die vielen Generationen später, müssen wir denken. Denn nur mit den Tafeln werden sie erkennen, was ihre Wurzeln sind. Sie werden verstehen können, woher sie stammen und worauf das Imperium beruht. Auf die Arbeit vieler engagierter Männer und Frauen, die dort in der Annalistik Erwähnung finden.“
Schweigen, damit die Zuhörer ihren Worten einige Gedanken schenken konnten.
„Doch auch die aktuellen Aufgaben habe ich nicht vergessen. Somit schrieb ich die wichtigsten Ereignisse für Italia im letzten Jahr nieder und verfasste sie auf Steintafeln. Auch vergaß ich nicht, die mir zugetragenen Dokumente zu überprüfen, die die Reisenden des Imperiums betrafen.“
Medeia lächelte freundlich und setzte zu ihren abschließenden Worten an.
“Somit hoffe ich, werte Bürger und Wähler, dass ich mit meiner Arbeit Euch zufrieden stellen konnte und Eure Wahl somit als Richtig bestätigt habe. Natürlich stehe ich Euch auch gerne für Fragen zu meiner Amtszeit zur Verfügung!“