[Capitol] Der tarpeische Felsen

  • Die Sonne war längst untergegangen, doch herrschte auf dem Capitol noch lebendiges Treiben, wie es doch stets bei Nacht in dieser schmutzigen, furchtbaren und alles verschlingenden Stadt der Fall war. Rom hatte mir kein Glück gebracht, wie ich es auch geahnt hatte, wie ich es vielleicht schon zuvor gewusst hatte, und es konfrontierte mich jeden Tag aufs Neue mit meinen Unzulänglichkeiten, mit all jenen Dingen, die ich aus tiefster Seele zu besitzen wünschte und niemals haben würde.


    Warum mich meine Schritte ausgerechnet zu diesem Ort geführt hatten, wusste ich nicht einmal sicher. Ich hatte eine weiße Toga angelegt, eine dunkelrote Tunika und einfache Sandalen, keinen Schmuck, nichts, das mich aus der Masse herausgehoben hätte ausser vielleicht der sorgfältige Schnitt meines Haars und die gute Stoffqualität meiner Kleidung. Wenigstens in dieser Nacht schien das Gesindel Roms einen Bogen um mich gemacht zu haben, warum es das tat, war mir auch egal, wahrscheinlich hätte ich mich nicht einmal mehr gewehrt, wäre ich überfallen worden.


    Noch hob und senkte sich meine Brust schneller vom Aufstieg, das letzte Mal, dass ich hier gestanden hatte, war eine Weile her. Der tarpeische Fels, jener Ort, an dem man zuletzt unter Kaiser Claudius Reichsverräter mit dem Felssturz bestraft hatte, lag ruhig und gravitätisch vor mir, als gäbe es hier, wo so viele ihr Leben ließen, weil sie sich gegen Volk und Rom selbst vergangen hatten, keinen Schmerz mehr, keine Sorgen, keine Gedanken an all jene höchst alltäglichen Dinge, an denen ein Mensch verzweifeln konnte. Tagelang war ich seit der Hochzeit wie eine falsche Münze in der Villa Flavia umher gestrichen, gefangen zwischen Wein, Schlaf und den sinnlosen Versuchen Nefertiris, mich irgendwie aufzumuntern, bis ich es nicht mehr ausgehalten hatte, den Menschen, den ich bis zum Wahnsinn liebte, in meiner Nähe zu wissen, nur einige Zimmer weiter, ohne ihn doch jemals erreichen zu können.


    Seine Worte hatten mich von sich getoßen und ich konnte nicht mehr kämpfen. Er hatte auf Iuppiter geschworen und welches Recht hatte ich Mensch, dagegen noch anzugehen? Welches Recht besaß ich, den Mann unglücklich zu machen mit meiner Liebe, den ich zufrieden und lebenssatt sehen wollte, dessen Lächeln mir den Tag erhellen würde, wann immer ich es sah? Welches Recht hatte ich, mein Unglück vor mir her zu schleppen, wohl wissend, dass es ihm hinterbracht würde und er ebenso leiden musste, wie ich es tat? Vielleicht war es besser, alles zu beenden, ein sauberer Schnitt eines bisher ausgesprochen sinnlosen Lebens.
    Was für einen Sinn hatte es alles noch, wenn selbst der, den ich liebte, mic zurückwies? Ich würde nur noch mehr Männer und Frauen in meinen Armen haben, sie seufzen lassen, ihr Stöhnen hören und doch niemals die letztendliche Befriedigung finden, weil sie nicht der waren, den ich lieben wollte.


    So ging ich einige Schritte nach vorn, unter dem schwachen Licht des Mondes, unter dem Fackelschein der nahen Tempel und öffentlichen Gebäude. Scribae suchten ihren Heimweg, die Menschen verließen die Räume, an denen sie tagsüber beteten und dienten, und doch nahm ich von jenen ebensowenig Notiz wie von dem pulsierenden Leben unter mir. Rom verschlang einen, nahm einem alles, um dann irgendwann eine leere, müde Hülle auszuspucken, die vielleicht einige wenige glückliche Stunden verlebt hatte - vielleicht auch nicht. Es wäre so einfach, nur noch einige Schritte, nur ein wenig voran, dann ein Flug und ich wäre endlich von alledem frei. Die Unterwelt erschien mir in diesem Moment als besserer Ort denn die Welt, in der ich keinen Weg mehr fand, keinen Weg mehr sah.


    Und letztendlich, war ich nicht ein Verräter an unserer stolzen gens, dass ich es wagte, einen der unseren zu lieben? Der Tod eines Verräters für einen Verräter ... ein lauer Wind kam auf und zog ein wenig an meiner Toga, ließ den Stoff dem Licht einer Fackel gleich flackern, und meine Gedanken schweiften in die Ferne, als ich in der Nähe des Abgrunds stand und die Bilanz eines Lebens zog, eine erschreckend kurze, eindeutige Bilanz, die einen Buchhalter sicherlich erfreut hätte:


    "Ama te, Manius ..."


    Sim-Off:

    Wer mag, der darf.

  • Was hatte ihn eigentlich so lange in der Basilca aufgehalten ? Wenn er ehrluich war, wusste er es nicht mehr wirklich, zu zahlreich waren die Schriftrollen gewesen, die er zu sichten hatte, zu gross der Haufen von Wachstafeln, die ihn seine Scriba auf den Tisch legten. Zusaätzlich zu den Amtsgeschäften, die Regulär anfielen, war da noch diese Kiste mit gesicherten Unterlagen der Societas gewesen, welche er zu sichten hatte. Doch irgendwann war schluss, der Schreibtisch war einfach nicht sein liebster Arbeitsplatz, so hatte er die Wachstafeln und Schriftrollen für diesen Tag Wachstafeln und Schriftrollen sein, erhob sich von seinem Stuhl und verliess sein Officium.


    Dabei stellte er wieder einmal fest, das er mit der letzte war, der die Basilica Iulia verlies. Nach dem er sichergestellt hatte, das sein Officium verschlossen war, ging er die leeren Gänge verunter, sein Stiefel die er gewohnheitsmässig trug hallten auf dem Boden und er tat etwas, das er in der letzten Zeit immer wieder einmal tat, wenn er sich allein wähnte : Er pfiff fröhlich vor sich hin. Draussen trat Titus zu ihm, die beiden Männer nickten einander zu.


    "Zur Villa ?" fragte Titus.


    Kurz überlegte er, sollte er zurück zur Villa gehen, wo nur noch mehr Arbeit, lästige Verwandte oder irgendwelche Probleme auf ihn warten würden ? Würde Helena dort auf ihn warten, wäre seine Antwort eindeutig bejahend gewesen, doch so ? Er schüttelte den Kopf.


    "Ich brauch noch etwas frische Luft," meinte er knapp, doch das war eine recht banale Feststellung, wo gba es denn in Rom wirklich frische Luft. Weit gehen konnte er auch nicht mehr dazu war der Tag, besser der Abend zu weit fortgeschritten. Es gab nur ein wenige Plätze, weit oben über der Stadt, in den Luft besser und frischer waren und der nächste war das Capitol, das er mit Titus im Gefolge ansteuerte.


    Und so kam es, das die beiden sich zwangsläufig dem tarpeischen Felsen näherten. Wer von ihnen zuerst den Mann entdeckte, der am Rand des Abgrunds stand, war nicht wirklich zu sagen, die Augen beider waren durch lange Nachtwachen geschult alles war zu nehmen. Auf jedenfall war es ein kleiner Wink des Tiberiers, der Titus gebot, stehen zu bleiben. er selbst ging weiter, auf den Mann zu. Dieser kam ihn zwar bekannt vor, doch da er ihn nur von hinten sah, konnte ihn nicht einem Gesicht oder Namen zuordnen. Die Schritte des Tiberius Vitamalacus waren leise, kaum hörbar, eben die schritte eines Mannes, der es auch gewohnt war mit Militärstiefeln auf die Jagd zu gehen oder sich an Feinde heran zu pirschen.


    Als er sich dem Mann auf ein wenige Schritte genähert hatte, räusperte er sich leise, um den Mann nicht unnötig zu erschrecken,, wartete wenige Atemzüge, bevor er seine Stimme erhob.


    "Wenn du den Imperator, den Senat und das Volk von Rom verraten hast, sag es und ich gebe dir den Stoss, den du brauchst." Die Stimme war zuerst hart und durchdringend, doch als er fortfuhr, war sie freundlicher, mitfühlend, aufmunternd. "Doch wenn irgendetwas anderes ist, lass es bleiben, diese Flucht führt zu nichts."

  • Mein erster Reflex, als ich dann doch wahrnahm, dass sich mir jemand von hinten genähert hatte, war der Wunsch, alleine mit meinen Gedanken zu sein. Konnte man denn in dieser verfluchten Stadt nicht wenigstens einmal auf einem verdammten Felsen stehen, ohne dass sich irgendwer bemüßigt fühlte, einen zu stören? Konnte man sich in dieser Stadt nicht einmal gepflegt selbst bemitleiden und mit dem Tod liebäugeln, ohne dass irgendwer zu einem heran trat und meinte, alles besser zu wissen? Ich hatte in dem Moment, in dem der Unbekannte seinen ersten, harschen Satz losließ, das dringende Bedürfnis, den Schritt nach vorn auch schon ohne Hilfe zu machen, nur um meine Ruhe zu haben. Das allerletzte, was ich im Moment brauchen konnte, waren Belehrungen von irgendwelchen fremden Leuten, und ich atmete tief aus. Was wusste er schon! Wie konnte er auch verstehen, was in mir vorging, wieviel kaputt war.


    Dann kam der zweite Satz, versöhnlicher, freundlicher. Aber ich drehte mich nicht um, denn ich wollte auch nicht wissen, wer er war. Ich wollte mein Gesicht ebensowenig zeigen wie die Spuren der Tränen, die mir irgendwann wohl herunter gelaufen waren und die ich niemandem offenbaren wollte. Ein Mann weinte nicht. Und schon gar nicht laut. Worte meines Vaters, und ich entsann mich seiner Hand auf meinem verlängerten Rücken, als er mir diese Weisheit in jungen Jahren sehr nahe gebracht hatte.
    "Ich weiss es nicht," sagte ich nach einer langen Zeit, in der ich geschwiegen hatte. "Ja und nein wahrscheinlich. Einerseits wäre es besser. Andererseits, wer weiss das schon. Nihil sum sine sole." Nichts bin ich ohne die Sonne, meine Sonne. Meine Sonne hieß Manius, und sie war von den düsteren Wolken der Zeit verschluckt und verdunkelt worden. Ich konnte ihm nicht einmal für diese Entscheidung zürnen, die mich aus dem Himmel in den Hades gestürzt hatte, denn Glück wäre uns so oder so nur gestohlen beschieden gewesen. Aber er hatte es nicht einmal versucht ... wieder blickte ich hinaus, ohne mich auch nur einen Schritt bewegt zu haben, weder nach vorn, noch zurück.

  • Irgendwie kam ihn die Stimme bekannt vor, doch noch konnte er die Stimme noch nicht richtig zu ordnen, durch den leichten Wind der den Felsen um wehte, drang sie auch nicht besonders deutlich an sein Ohr. Er liess die worte auf sich wirken, schwieg erst einmal. Es brauchte nicht viel darauf zu kommen, was diesen Mann bedrückte und warum er hier stand, und sich micht dem Gedanken trug, seinem Leben ein Ende zu setzen. Und diese Gedanken waren so weit weg von dem, wie sich der Tiberia gerade selbst fühlte, und doch erinnerte es ihn doch auch nur zu gut an seine Vergangenheit. Aber allein das der Fremde hier noch stand und nicht schon zerschellt am Boden lag, zeugte davon, das er seinen Entschluss noch nicht wirklich gefasst hatte.


    Langsam ging er weiter auf den Mann zu, stellte sich neben ihn an die Kante des Felsens. Doch er blickte ihn nicht an, sondern blickte hinaus in die Dunkelheit des Himmels über der Stadt, die so einen Gegensatz zu den unzähligen Lichtern der ewigen Stadt bildete. "Auf jede Nacht folgt ein neuer Tag und jeden Tag erscheint die Sonne von neuem. Mann muss nur die Nacht durchstehen..." Er sinnierte leise vor sich hin, konnte er doch ahnen, was in dem Mann vor sich ging. Und er wusste auch, das er diese worte sicher nicht galuben konnte, er selbst hätte es damals auch nicht getan. "Als sie damals ins Elysium ging, konnte ich auch nicht an ein Morgen glauben...." Er sprach die Worte leise zu sich selbst, während sein Blick herunter in die Stadt wanderte, langsam herunter an den Fuss des Felsens.

  • Wenigstens hielt er den Mund. Irgendwelche Bewertungen meiner Seelenpein hatte ich jetzt genauso wenig nötig wie eine weitere Zurückweisung durch den, den ich liebte, den ich noch immer liebte wie ein Verrückter. War das meine Strafe, dass ich so viele in meinen Armen gehalten hatte, um ihn zu vergessen? War das Venus' Strafe für geheuchelte Gefühle den Frauen gegenüber, die ich verführt hatte, deren Seufzen mir wenigstens die Nächte still und stumm gemacht hatte? An den Tagen konnte man den Geist mit anderem ablenken, aber in der Nacht war ich lange wach gewesen, jeden Tag aufs Neue, und hatte nicht schlafen können, mich erinnern müssen - bis ich begonnen hatte, diese Gedanken zu ersticken, wo immer ich nur konnte. Und nun, jetzt, da ich ihm so nahe gewesen war, dass ich noch immer seinen süßen Atem roch, das Beben der Lippen unter meinen schmeckte, jetzt sollte alles umsonst gewesen sein, jeden Tag, an dem ich gehofft und geharrt hatte?


    "Die Nacht. Ohne meine Sonne ist jetzt alles Nacht," sagte ich leise, denn seine Worte hatten mich aufhorchen lassen. Hatte auch er jemanden verloren, den er geliebt hatte? Eine Liebe an die Götter zu verlieren musste schrecklich sein, aber wie war es erst, wenn man liebte und diese Liebe lebte, man diese Liebe fast jeden Tag sehen würde müssen, ihr vielleicht zufällig begegnen konnte? Rom war mir zu einer Prüfung geworden, und ich hatte sie nicht bestanden.
    "Wenn es wenigstens einen eindeutigen Schnitt gäbe. Aber ich darf nichts empfinden für meine Sonne, denn wir stehen einander zu nahe. Es ist verboten, es wird immer verboten sein, und wir fallen ewiger Verdammnis anheim, sollten wir es wagen, dieses Gefühl zu leben. Ich frage Dich, ist der Sprung dann nicht besser? Damit wenigstens meine Sonne leben kann, wenn ich es schon nicht vermag?"

  • Unweigerlich fuhr seine Hand unter seine Toga, dort wo er immer diesem kleinen Dolch trug, jenen Dolch, mit dem Nova ihren Leben ein Ende gesetzt. Die Worte des Mannes hatten in ihm jene Momente zurück gerufen, in welchen er von seinem Pater Gentes vom Tode Novas erfahren hatte. Wie war er kurz davor gewesen, den Überbringer der Nachricht zu töten, welchen Schmerz hatte er an diesem Tag erlitten und das, obwohl die Zeichen zuvor so viel davon berichtet hatten, er wochenlang geahnt hatte, das ihr etwas passiert war.
    Und er spürte auch den Zorn, den er gespürt hatte, den Zorn auf alles und jeden inklusive auf Nova. Und dieser Zorn übertrug sich unweigerlich auf den Mann neben sich, den den gleichen, leichten Weg nehmen wollte, wie es damals Nova getan hatte. Überlegte er sich garnicht, was für eine Folge dieser kleine Schritt über den Abgrund für die haben würde, die zurückblieben ? Und so klabg etwas von diesem Zorm mit, als er den anderen Antworte, immer noch grübelnd, wer der Mann war, er kannte ihn, das war ihm schon bewusst, doch wer war er ?


    "Und du glaubst, sie wird leben können, nur weil du gestorben bist ? Meinst du nicht, das dieser Schritt für sie noch schmerzhafter ist, als es jetzt schon ist, da ihr euch nicht nahe sein dürft ? Das dieser Schritt von dir für sie noch schmerzhafter ist als er es für dich sein wird ?" Er zog den Dolch unter der Toga hervor, das Licht des Mondes spiegelte sich auf der Klinge. "Mit dieser Waffe hat meine Sonne ihren Leben ein Ende gesetzt,..." und da fiel es ihm ein,..."Flavius Aquilius !"

  • Erst als er meinen Namen nannte, wandte ich ihm meinen Blick zu, gleichermaßen erstaunt wie erschreckt. Musste ich denn hier ausgerechnet an jemanden geraten, der mich kannte und es womöglich in der halben Stadt herumtratschen würde, dass es mir einfach nur schlecht ging? Und dann erkannte ich ihn gleichermaßen, Tiberia Calvinas übellauniger Vormund, dessen eisige Höflichkeit mir schon auf dem Markt den Wunsch erweckt hatte, ihn so bald nicht wiedersehen zu wollen. Es schien der heutige wirklich nicht mein Glückstag zu sein, aber seit Gracchus mir gesagt hatte, dass ich gehen sollte, waren alle Tage Pechtage gewesen, überall hatte nur noch Dunkelheit gewohnt. Selbst jetzt fühlte ich diese Leere um mich und in mir, als sei sie greifbar wie der Stoff meiner Toga und Tunika.


    "Tiberius Vitamalacus." Und schon verfiel ich in die Eigenart unserer Schicht, meine Gefühle so weit als möglich zu verbergen, denn ein Patrizier war dem anderen sicherlich kein Freund. Es gab zu vieles, was er erraten konnte, zu vieles, mit dem er meiner gens nun schaden konnte, ich hatte schon viel zuviel gesagt, zu viel offenbart. "Letztendlich gibt es wohl keine Lösung, ausser es zu ertragen oder dem allem irgendein Ende zu setzen, so oder so. Es ist mir lieber, ehrenhaft zu gehen, mit allen Dingen so geregelt, wie sie geregelt sein sollten, wenn ein Mann das Leben verlässt, auf eigenen Wunsch, als jahrelang dabei zusehen zu müssen, wie der Mensch, den ich liebe, sein Leben lebt, an dem ich keinen Anteil habe, wohl wissend, dass mein Gefühl erwiedert wird und nicht erwiedert werden darf. Wir lieben uns schon so lange. Man kann ein Gefühl nicht einfach .. töten. Und doch gibt es keinen Ausweg, nichts, das meiner Sonne gleichkäme."

  • Ihm war eigentlich egal, wer hier neben ihm stand, wäre es ein einfacher Plebjer gewesen, hätte er sich nicht anders reagiert gehabt. Er war ein Offizier, gewohnt die Verantwortung für jene um sich herum zu übernehmen, so hatte es sein Grossvater es ihm seit frühester Kindheit gelehrt. Und genau das tat er auch hier, er wollte nicht zu lassen, das hier ein Mann aus reinem Liebeskummer seinem Leben ein Ende setzte. Er selbst hatte es damals nicht getan, auch wenn damals etwas in ihm gestorben war, doch er hatte weiter seine Pflicht getan. Tiberius Vitamalacus konnte diese Flucht, die die der junge Flavier erwog, einfach nicht nicht gut heissen.


    "Natürlich, " meinte er kühl, "du kannst diesen Schritt tun. DEINEM Schmerz ein Ende bereiten. Aber du sagst, das sie deine Gefühle erwiedert. Dein Tod wird ihr unglaub SCHMERZ zufügen. Wenn sie dir etwas bedeutet, lass es bleiben." Seine Stimme ist noch hart und kühl und er hält den Dolch immer noch in seiner Hand, blickt auf die blanke Klinge, mit der sich Nova einst ihren Leben ein Ende setzte. Er trug diese WAffe mit sich und irgendwann, wenn sein Überleben schändlicher als sein Tod wäre, würde er ihn in sein Herz rammen. Doch solche Gelegenheiten waren fern.


    *Vertrau einem Mann, der ähnliches schon erlebt hat. Geh, aber geh nicht in den Tod !" Seine Stimme zeugt von Offenheit, der Offenheit die ihrem Stand so fern ist, die sich aber besorgter Offizier zu eigen machen kann, wenn es um das Heil eines Untergebenen geht. "Du kannst es nicht töten dieses Gefühl, aber irgendwann wird der Schmerz vergehen."

  • Wieder zupfte und zerrte der Wind an meiner Toga, ließ den Saum meiner Tunika flattern und gab mir einen Eindruck dessen, wie es wohl wäre, dort hinab zu fliegen, die letzten Augenblicke vor dem Ende zu erleben. Es wäre die vollkommene Freiheit, die Freiheit von allem, was mich noch hielt. Eine Familie, die sich gegenseitig belauerte und beargwöhnte, eine Nichte - oder Großcousine, wie auch immer, letztendlich waren wir zu nahe verwandt, so oder so - die versuchte, mich zu verführen, ein Vetter, dessen Hauptbeschäftigung im Leben zu sein schien, möglichst viel zu trinken und der Bildung weitläufig aus dem Weg zu gehen, ein weiterer Vetter, der seine Hochzeit nicht auf die Reihe brachte und stattdessen sich mehr wie ein Plebejer aufführte denn wie ein Patrizier, ein weiterer Vetter, den ... warum endeten denn alle meine Gedanken bei ihm, nur bei ihm? Es konnte nicht wahr sein, gab es denn nichts mehr, was für mich sonst zählte? Konnte ich diesem Schmerz denn niemals entkommen?


    "Meine Sonne muss ihr Leben leben," sagte ich leise und verschwieg dabei klugerweise, dass es sich um einen Mann handelte. "Ich habe darin wohl einfach keinen Platz mehr. Es ist schlimm genug, jeden Tag dieses geliebte Gesicht zu sehen und zu wissen, dass wir einander niemals haben werden, nicht haben dürfen, dass ich dabei zusehen muss, wie meine Sonne eine Ehe lebt, in der sie nicht glücklich wird, nicht werden kann - verstehst Du das? Es ist, als ramme man mir täglich, immer wieder aufs Neue, einen Dolch in die Brust und drehe ihn darin, damit es richtig gut wehtut, immer wieder. Ich weiss nicht, wie lange ich das noch ertragen kann. Ob ich nun auf Raten sterbe, jeden Tag ein wenig, oder es gleich ganz erledige, letztendlich ist es dasselbe Ergebnis," fuhr ich in meinen Gedanken fort. Wie lächerlich, 'irgendwann wird der Schmerz vergehen'. Wie konnte er wissen, was mich und Manius alles verband? Niemand konnte das wissen, niemand konnte es verstehen.

  • Wie sehr erinnerten ihn die Worte des Flaviers an seine eigene Vergangeheit. Ja, er verstand, mehr als der Fkavier ahnen konnte, weit mehr, als er eigentlich zugeben würde. Jahrelang hatte er dieser Schmerz in sich getragen, nur ein eiserner Panzer, der sich um sein Herz gelegt hatte, als er von Novas Tot erfuhr, hatte ihn davor bewahrt, ähnliches in Erwägung zu ziehen, was der Flavier für sich überlegte. Was für eine Ehe hatte er geführt, ein Jahr lang hatten er und seine Frau sich das Leben zur hölle gemacht. Und wie gross war seine Erleichterung, als er erfuhr, das sie im Kindbett verstarb, er hatte Freude über den Tot eines Menschen empfunden, eines Menschen, den er zumindest hatte ehren und schützen sollen.


    "Und wie soll sie leben, wenn sie von deinem Tod erfährt ? Sie wird zwangsläufig sich die Schuld an deinem Tod geben." Er schüttelte den Kopf, wohl ahnend, das solche Gedankengänge dem Flavier jetzt, in seiner lage fern und unverständlich waren. Er hatte damals auch nicht glauben können, nicht glauben wollen, das sei Schmerz irgendwann verklingen würde. "Ich weis wovon ich spreche."


    Er blickte wieder auf den Dolch in seiner Hand, er wirkte so klein,so unscheinbar und schuldig und doch hatte dieser Dolch seiner Liebsten ein Ende bereitet. Und in diesem Moment fasste er den Entschluss noch einen Schritt weiter zugehen in seiner Offenheit . "Du hast mir viel von dir erzählt," setzte er zu sprechen an, die Worte ruhig und mitbedacht wählend, "so will ich dir etwas von mir erzählen : Sie war meine Schwester, Adoptivschwester zwar nur, doch es blieb meine Schwester. Als wir uns kennen- und lieben lernten, wussten wir es nicht, bis ich meinen Grossvater von meinem Wunsch berichtete, sie zu heiraten und er mir die Zukunft offenbarte, die er für mich geplant hatte. Ich musste tun, was zu tun war, heiratete eine Andere. Doch nie starb meine Liebe zu Nova, die Liebe dioe so weit über das hinausging, was ein Bruder für eine Schwester empfinden darf. Und irgandwann, meine Frau war gestorben, trafen wir uns wieder, doch immer noch stand diese Hürde da. Und bald darauf setzte sie ihrem Leben ein Ende, dort unten, am Ianusbogen."


    Er deutete mit dem Dolch in das dunkel der Nacht, etwa in die richtung, in der der Ianusbogen stand. "Es hat gedauert, bis der Schmerz verging, lange Jahre, doch nun ist er vorbei und es gibt eine andere Frau in meinem Leben."

  • Er glaubte immernoch, dass ich um eine Frau trauerte, aber die volle Wahrheit hätte ihn wohl kaum jauchzend zustimmen lassen. Dieses stille Geheimnis würde ich wohl immer in meinem Inneren vor mich hin schleppen und hoffen müssen, dass es irgendwie zu ertragen sein würde. Still blickte ich auf die ewige Stadt herunter, das Leben darin, welches zur Nacht jetzt erst erwachte, wo es hier oben auf dem Capitol langsam ruhiger verlief. Seine Worte perlten matt schimmernd durch die Nacht und wenn ich eines nie erwartet hätte, dann wohl das, dass er einen ähnlichen Schmerz mit sich trug, wie ich ihn nun auf meine Seele geladen hatte. Liebe war wohl stets mit Schmerz verbunden, gab es die Liebe denn überhaupt in einer reinen, schöneren Form, die einen nicht in die tiefsten Tiefen stürzen und dort zerschellen ließ? Ich wusste es nicht, hatte ich dies doch nie erfahren, immer war die leise Wehmut dabei gewesen, den Menschen nicht haben zu dürfen, den ich liebte.


    "Wie überlebt man das alles?" fragte ich leise und wieder flatterten unsere Kleider vom kühl gewordenen Wind auf dem tarpeischen Felsen, als wollte er uns nach vorn locken, in die stille, dunkle Tiefe, in das Vergessen, das darin ebenso begründet lag wie ein wirklich endgültiges Ende.
    "Wie überlebt man das Wissen, einen Menschen stets vor sich zu haben, nach dem man sich mit jeder Faser sehnt, mit jedem Gedanken, jedem Atemzug, und doch genau zu wissen, dass es verboten ist, dass der Götter Fluch einen trifft, sobald man die Distanz überwindet, die noch zwischen der Sonne und einem selbst liegt? Eine Distanz, die mit Eiden und Schwüren gesichert werden musste, um uns davon abzuhalten, einander zu lieben ..." Langsam schüttelte ich den Kopf. "Du kennst Rom, du weisst, wie unser Volk lebt, wie verlogen das alles in vielem ist. Ich habe keine Hoffnung, irgendwann jemanden zu treffen, der ... so versteht, wie es meine Sonne tut."

  • Immer wieder blickte er er auf den Dolch in seiner Hand und die Fragen des Flaviers schwirrte durch seine Gedankengänge. Wie überlebt man das ? Irgendwie hatte er es getan, einen Weg gefunden, den Schmerz tief in sich zu verbergen, ihn fest einzuschliessen, so das er nicht heraus konnte. Und doch, immer wieder hatte der Schmerz einen Weg gefunden, meist tief in der Nacht.


    "Wie überlebt ein Soldat eine Schlacht ? Wie überlebt man es, wenn hunderte von Barbaren darauf aus sind, einem den Schädel einzuschlagen ?" antwortete er ruhig, sein Blick wieder in die Dunkelheit gerichtet, doch vor seinem Augen sah er die zahlreichen Schlachten, die er erlebt hatte. "Man kämpft jeden Moment, um nicht getötet zu werden, man denkt nicht darüber nach, man tut es einfach. Und so musst du auch diesen Schmerz bekämpfen, mit aller Kraft die dir zur Verfügung steht. Und auch wenn du es jetzt nicht glauben willst, irgendwann wirst du es schaffen, diesen Schmerz zu ertragen und vielleicht wirst du auch jemand anders treffen."


    Der Dolch verschwand wieder in den Tiefen der Toga und unweigerlich heftete sich der Blick des Tiberius auf den Punkt, an dem sich der Ianusbogen befand, dort wo seine Liebe zu Nova geendet hatte und etwas Neues, etwas das er selbst noch nicht wirklich fassen konnte.


    "Doch bis dahin, empfehle ich dir, das du einen gewissen Räumlichen Abstand zu ihr schaffst, es wird alles leichter machen..."

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