Die Sonne war längst untergegangen, doch herrschte auf dem Capitol noch lebendiges Treiben, wie es doch stets bei Nacht in dieser schmutzigen, furchtbaren und alles verschlingenden Stadt der Fall war. Rom hatte mir kein Glück gebracht, wie ich es auch geahnt hatte, wie ich es vielleicht schon zuvor gewusst hatte, und es konfrontierte mich jeden Tag aufs Neue mit meinen Unzulänglichkeiten, mit all jenen Dingen, die ich aus tiefster Seele zu besitzen wünschte und niemals haben würde.
Warum mich meine Schritte ausgerechnet zu diesem Ort geführt hatten, wusste ich nicht einmal sicher. Ich hatte eine weiße Toga angelegt, eine dunkelrote Tunika und einfache Sandalen, keinen Schmuck, nichts, das mich aus der Masse herausgehoben hätte ausser vielleicht der sorgfältige Schnitt meines Haars und die gute Stoffqualität meiner Kleidung. Wenigstens in dieser Nacht schien das Gesindel Roms einen Bogen um mich gemacht zu haben, warum es das tat, war mir auch egal, wahrscheinlich hätte ich mich nicht einmal mehr gewehrt, wäre ich überfallen worden.
Noch hob und senkte sich meine Brust schneller vom Aufstieg, das letzte Mal, dass ich hier gestanden hatte, war eine Weile her. Der tarpeische Fels, jener Ort, an dem man zuletzt unter Kaiser Claudius Reichsverräter mit dem Felssturz bestraft hatte, lag ruhig und gravitätisch vor mir, als gäbe es hier, wo so viele ihr Leben ließen, weil sie sich gegen Volk und Rom selbst vergangen hatten, keinen Schmerz mehr, keine Sorgen, keine Gedanken an all jene höchst alltäglichen Dinge, an denen ein Mensch verzweifeln konnte. Tagelang war ich seit der Hochzeit wie eine falsche Münze in der Villa Flavia umher gestrichen, gefangen zwischen Wein, Schlaf und den sinnlosen Versuchen Nefertiris, mich irgendwie aufzumuntern, bis ich es nicht mehr ausgehalten hatte, den Menschen, den ich bis zum Wahnsinn liebte, in meiner Nähe zu wissen, nur einige Zimmer weiter, ohne ihn doch jemals erreichen zu können.
Seine Worte hatten mich von sich getoßen und ich konnte nicht mehr kämpfen. Er hatte auf Iuppiter geschworen und welches Recht hatte ich Mensch, dagegen noch anzugehen? Welches Recht besaß ich, den Mann unglücklich zu machen mit meiner Liebe, den ich zufrieden und lebenssatt sehen wollte, dessen Lächeln mir den Tag erhellen würde, wann immer ich es sah? Welches Recht hatte ich, mein Unglück vor mir her zu schleppen, wohl wissend, dass es ihm hinterbracht würde und er ebenso leiden musste, wie ich es tat? Vielleicht war es besser, alles zu beenden, ein sauberer Schnitt eines bisher ausgesprochen sinnlosen Lebens.
Was für einen Sinn hatte es alles noch, wenn selbst der, den ich liebte, mic zurückwies? Ich würde nur noch mehr Männer und Frauen in meinen Armen haben, sie seufzen lassen, ihr Stöhnen hören und doch niemals die letztendliche Befriedigung finden, weil sie nicht der waren, den ich lieben wollte.
So ging ich einige Schritte nach vorn, unter dem schwachen Licht des Mondes, unter dem Fackelschein der nahen Tempel und öffentlichen Gebäude. Scribae suchten ihren Heimweg, die Menschen verließen die Räume, an denen sie tagsüber beteten und dienten, und doch nahm ich von jenen ebensowenig Notiz wie von dem pulsierenden Leben unter mir. Rom verschlang einen, nahm einem alles, um dann irgendwann eine leere, müde Hülle auszuspucken, die vielleicht einige wenige glückliche Stunden verlebt hatte - vielleicht auch nicht. Es wäre so einfach, nur noch einige Schritte, nur ein wenig voran, dann ein Flug und ich wäre endlich von alledem frei. Die Unterwelt erschien mir in diesem Moment als besserer Ort denn die Welt, in der ich keinen Weg mehr fand, keinen Weg mehr sah.
Und letztendlich, war ich nicht ein Verräter an unserer stolzen gens, dass ich es wagte, einen der unseren zu lieben? Der Tod eines Verräters für einen Verräter ... ein lauer Wind kam auf und zog ein wenig an meiner Toga, ließ den Stoff dem Licht einer Fackel gleich flackern, und meine Gedanken schweiften in die Ferne, als ich in der Nähe des Abgrunds stand und die Bilanz eines Lebens zog, eine erschreckend kurze, eindeutige Bilanz, die einen Buchhalter sicherlich erfreut hätte:
"Ama te, Manius ..."
Wer mag, der darf.