• Von der Basilica Iulia aus war es kein weiter Weg bis hinauf auf den Esquilin, zumindest nicht, wenn man wie Macer gerne zu Fuß ging und zumindest tagsüber auch den direkten Weg durch die Subura nicht scheute und somit über Argiletum und den Clivus suburanus zu seinem Ziel gelangen konnte. Macer hatte nur einen kleinen Umweg gemacht, um bei einem Weinhändler eine Amphore abzuholen, die er für seine bevorstehende Amtshandlung brauchte.


    Dort, wo der Clivus suburanus seinen letzten leichten Knick machte, bevor er durch das Tor zur Stadt hinaus führte, befand sich das Wasserbecken, an dem die Aqua Anio Vetus endete, eine der ältesten und längsten Wasserleitungen zur Stadt. Das Wasserbecken war vielleicht nicht eines der schönsten und auch nicht als Nymphaeum ausgebaut, aber Macer hatte sich trotzdem dazu entschlossen, genau hier den Göttern zum beginn seiner Amtszeit ein Opfer zu bringen. Während die Klienten, die ihn begleitet hatten, einen Foculus aufbauten und die Kohle zum Glühen brachten, führte Macer sein erstes dienstliches Gespräch mit dem Aufseher des Wasserbeckens. Von hier aus wurde der Zufluss des Wassers in die kleineren Leitungen geregelt, die die öffentlichen Brunnen, städtischen Gebäude und privaten Häuser auf dem Esquilin, dem Oppius und bis hinunter zum Forum regelten. Auch wegen dieser zentralen Bedeutung hatte macer sich den Platz ausgesucht. Entsprechend groß war auch die Belegschaft, die diesem Bezirk zugeordnet war und dafür sorgte, dass das Wasser sauber war und niemand die Leitungen heimlich anzapfte.

  • Nachdem alles vorbereitet war, zog sich Macer den Saum der Toga über den Kopf und legte zunächst etwas Weihrauch in die Schale. Während der Rauch sich langsam entwickelte und nach oben zog, sammelte er noch einmal seine Gedanken. Die anderen Anwesenden schweigen und nur das Rauschen des Wassers, das aus dem Aquädukt kam, war zu hören. Dass dieses Rauschen nie versiegen möge war eines von Macers wichtigsten Anliegen.


    So rief er dann in seinem folgenden Gebet nacheinander alle Götter an, die mit Wasser, der Wasserversorgung und dem Wasser in Rom zu tun hatten. Zuallererst natürlich Fons, den Gott der Quellen, damit selbige nie versiegen sollten. Auch Neptun wurde in das Gebet mit eingebunden, immer ebenfalls ein alter Quellgott und von den Wasserbauern noch regelmäßig verehrt. Dann wandte sich Macer an den Tiber als Stellvertreter aller Flüsse Italias, damit diese Rom ebenfalls mit Wasser versorgen mögen. Außerdem sollte der Tiber nicht zu oft über die Ufer treten, um die Kanalisation damit zu stören. Zuletzt schloß er auch noch alle Nymphen und Quellgeister in seine Gedanken, Bitten und Versprechen mit ein. Jede Anrufung wurde begleitetvon einem Opfer des mitgebrachten Weins, der Bitte um Wohlwollen und der Versprechung weiterer Opfer und Ehrungen, wenn Macer ein seiner Amtszeit auf möglichst wenig Probleme treffen würde.


    Nachdem er das Opfer beendet hatte, hatte sich eine ganzen Menge Wein über den Boden verteilt, die langsam versickerte. Sicher würde es nicht dfas letzte Opfer sein, welches Macer dargebracht hatte. Immerhin gab es für Fons auch noch einen eigenen Altar und die zahlreichen Nympheae in der Stadt würde er wohl auch noch alle besuchen. Vielleicht bot es sich auch an, zu irgendeiner Gelegenheit einen Weihestein zu setzen, aber das würde die Zeit zeigen. Zunächst einmal ließ Macer das Wasserbecken hinter sich und macht sich zu Fuß auf den Weg, um weitere Angestellte der Wasserversorgung aufzusuchen.

  • Sein Weg führte ihn weiter nach Norden, zunächst am Verlauf des Anio Vetus entlang und dann am Nordhang des Viminalis vorbei, um das große Wasserbecken am Endpunkt der Aqua Marcia Tepula Iulia zu erreichen. Hier wollte er sich überzeugen, dass auch die zweite der drei großen Wasserleitungen, die Rom von Osten her erreichten, sorgfältig überwacht wurde. Am Endpunkt befand sich hier nicht nur ein Sammelbecken, aus dem über Rohrleitungen die weitere Verteilung vorgenommen wurde, sondern sehr großes Außenbecken mit einer hübschen Einfassung und einem kleinen Springbrunnen. Eher unscheinbar stand daneben ein Gebäude der Wasserverwaltung, das Macer nun betrat.


    In der Stube traf er auf einen einzelnen Mann, der an einem Tisch saß und gelangweilt mit ein paar Würfeln spielte.


    "Der Bezirksvorsteher ist mit Kolonne I unterwegs", berichtete er, nachdem sich Macer vorgestellt hatte. "Kolonne II arbeitet an einem Rohrschaden am Vicus Longus. Kolonne III hat Nachtschicht und schläft drüben." Seine Hand deutete auf eine Tür auf der anderen Seite des Flures, die wohl in den Schlafraum für die hier eingesetzten Sklaven und Freigelassenen führte.


    Macer hatte noch ein paar Daten zur personalstärke für diesen Bezirk im Kopf und erkundigte sich nach Details dazu. Nachdem er fast alle Auskünfte zu seiner Zufriedenheit erhalten hatte und für den Rest an den Bezirksvorsteher verwiesen wurde, verabschiedete er sich wieder und machte sich auf den Rückweg in Richtung Innenstadt.

  • Auf dem Weg in die Innenstadt traf Macer an einer Straßenecke im nächsten Stadtbezirk auf eine weitere Wartungskolonne der Wasserversorgung. Diesmal waren es Arbeiter, die bei der Entwässerung tätig waren und sich hier um einen Wasserabfluss in den Kanal scharten. Macer stellte sich kurz vor und erkundigte sich erst, von wem die Männer hierher geschickt worden waren und dann, was sie hier taten.


    "Irgendwas soll hier mit dem Kanal nicht stimmen. Beim letzten Regen muss da unten eine Menge Wasser zusammen gekommen sein, obwohl es eigentlich hier abfließen sollte", erläuterte der Vorarbeiter das Problem und deutete mit dem Arm die Straße hinunter bis zu einem kleinen Platz.


    Dann erteilte er seinen Leuten einige Anweisungen in irgendeiner fremden Sprache, die Macer nicht verstand und einer der Männer legte sich flach auf den Boden, um irgendwie in das Abflussloch hinein zu schauen. Zuerst murmelte er ein paar dumpfe Worte, dann schob er seinen Arm durch das Loch und murmelte weitere Worte. Offensichtlich war einiges davon witzig, denn die anderen Arbeiter grinsten zumindest. Macer verzichtete darauf, den Vorarbeiter um eine Übersetzung zu bitten und schaute sich währenddessen die Umgebung ein wenig an, da er in diesem Stadtbezirk nicht ganz so häufig unterwegs war.


    Ein freudig klingender Ausruf des Arbeiters ließ ihn wieder zu der Einsatzstelle blicken und wenig später zog der Arbeiter die Ursache für die Fehlfunktion des Abschlußlochs aus der Dunkelheit hervor: eine tote Katze.


    "Sowas kommt häufiger vor", erläuterte der Vorarbeiter gelassen. "Meistens versuchen sie Ratten zu jagen. Wenn sie Glück haben, fallen sie ganz durch das Loch bin in den Kanal, dann werden sie halt nass, kommen aber irgendwo lebend wieder raus. Wenn sie kein Glück haben, müssen wir sie eben rausholen."


    Macer quittierte diese Erkenntnis mit einen langsamen Nicken und verabschiedete sich wenig später von der Arbeiterkolonne und setzte seinen Weg fort.

  • Ein paar Tage später kam Macer durch dieselbe Straße, allerdings in die andere Richtung, als er auf dem Weg zum Praefectus Urbi war. Schon kurz nach seiner Amtsübernahme hatte er sich an die täglichen Fußmärsch durch Rom gewöhnt und wieder Spass daran gefunden. An der Straßenkreuzung, an der sich durch das verstopfte Kanalloch das Wasser gestaut hatte, lag ein Barbierladen, bei dem sich Macer kurzerhand erkundigte, ob nun alles in Ordnung sei.


    "Ja, beim letzten Regenschauer gestern war das schon sehr viel besser. Danke der Nachfrage. Möchtest du vielleicht eine Rasur?"


    Macer lehnte dankend ab und verließ den Laden wieder, dessen Besitzer offenbar überrascht gewesen war, den Curator Aquarum persönlich wegen so einer Kleinigkeit vor sich zu haben. Seine Geschäftstüchtigkeit schien er dabei aber nicht vergessen zu haben. Macer beschloß, sich für seine nächsten Nachfragen lieber Passanten auszusuchen, um nicht jedesmal in Verkaufsgespräche verwickelt zu werden.


    Im weiteren Straßenverlauf schaute Macer auch noch einmal im Gebäude am Wasserbecken vorbei. Diesmal saßen gleich mehrere Männer am Tisch und löffelten einen Eintiopf. Die Tür zum Schlafraum war offen und einige Männer schienen sich dort gerade umzuziehen. Da es nichts wichtiges zu berichten gab, setzte Macer seinen Weg schon wenig später fort.

  • Nachdem Macer die letzten Tage immer nur mit offiziellen Amtsträgern, ehemaligen Amtsträgern und städtischen Arbeitern verbracht hatte, hatte er nun endlich auch ein wenig Zeit, sich mit Privatpersonen zu treffen, die als Großkunden oder Auftragnehmer der Wasserversorgung von belang waren. Wobei die Bezeichnung als Privatperson zumindest bei seinem heutigen besuchsprogramm nicht in allen Fällen ganz zutreffen war, immerhin suchte er mehrere Betreiber von Thermenanlagen auf. Der Betreiber der von Kaiser Titus gestifteten Thermen am Fuß des Esquilin verdankte seine Arbeitsstelle und seine Einnahmen immerhin eben jenem ehemaligen Kaiser, auch wenn er nicht von ihm selber dort eingesetzt worden war. Entsprechend respektvoll war Macers Umgang mit diesem Mann, als er ihn in seinem Büro in einer unauffälligen Ecke des Gebäudes aufsuchte. Über die Wassermenge, die täglich von den Thermen verbraucht wurde, gab es natürlich auch in Macers Büro Aufzeichnungen, aber für die Großabnehmer wollte er sich eben mehr Zeit nehmen. Gemeinsam diskutierten die Männer also die Zuverlässigkeit der Wasserleitung, die Qualität des Wassers, verschiedene technische Probleme, ein paar vergangene Ereignisse und vieles mehr. Konkrete Beanstandungen gab es zum Glück nicht, so dass Macer das Büro später verlassen konnte, ohne gleich neue Arbeitsaufträge weiterleiten zu müssen.


    Bei den Betreibern verschiedener kleiner privater Thermen im Osten der Stadt verliefen die besuche weniger förmlich. Viele Betreiber freuten sich, dass der Curator Aquarum persönlich bei ihnen vorbei schaute. Hier und da gab es Klagen über die hohen Gebühren oder darüber, dass eine Anlage zu wenig Wasser bekam. Macer versprach, solchen Dingen nachzugehen und in den Aufzeichnungen an den zuständigen Wasserverteilern nachzuschauen. Meistens hatten die Betroffenen genau notiert, wann der Wasserzufluss schwächer als normal ausfiel und mit diesen Hinweisen konnte man zumindest theoretisch feststellen, ob zum Beispiel die Sperrung eines Sammelbeckens der Auslöser war.

  • Die römische Religion kannte so viele Götter und Schutzgeister, dass man unmöglich zu allen von ihnen beten konnte und der Festkalender kannte so viele Feiertage, dass man sie unmöglich alle feiern konnte. Der heutige Festtag der Minerva war für Macer daher kein Grund für besondere Handlungen und auch die mehrtägigen Parentalia hielten ihn nicht davon ab, wieder im Auftrag der Cura Aquarum unterwegs zu sein.


    Dummerweise führten ihn seine Schritte wieder einmal auf den Esquilin, und auf dem befand sich ein Tempel der Minerva, welchem die Göttin als Minerva medica insbesondere von Ärzten verehrt wurde. Eine nicht unerhebliche Anzahl von meist älteren und gebildet aussehenden Männern war daher auf den Straßen unterwegs, um eine kleine Prozession abzuhalten. Respektvoll bleibt Macer am Straßenrand stehen und ließ den Zug passieren, bevor er seinen Weg fortsetzte und aufpasste, den Prozessionsweg nicht noch einmal zu kreuzen. Auf dem Rückweg von einem Besuch an einem Wasserverteiler verstopfte ohnehin die Versammlung der Männer zwecks Opferzeremonie vor dem Tempel den Weg und Macer musste eine andere Straße vom Esquilin hinab nehmen.


    Aber damit war der von ihm nicht gefeierte Feiertag noch nicht ausgestanden. Denn nicht nur die Ärzte verehrten ihre Minerva, sondern sie war auch für alle anderen Handwerker die Schutzgöttin. Was dazu führte, dass Macer einen Hersteller von Rohren und Ventilen, dem er eigentlich einen Besuch abstatten wollte, nicht in seiner Werkstatt antraf, weil auch er sich bei einer Feierlichkeit befand. Um die Erkenntnis reicher, dass es keine gute Idee war, am Festtag der Minerva Handwerker zu geschäftlichen Zwecken besuchen zu wollen, beendete Macer seinen dienstlichen Rundgang für diesen Tag und kehrte zur Basilica Iulia zurück.

  • Man hätte Macer wohl vorwerfen können, dass er zu misstrauisch seinen Mitarbeitern gegenüber war. Oder man hätte ihn für übereifrig halten können. Jedenfalls war er diesmal in der Dunkelheit unterwegs, um stichprobenartig nachzuschauen, ob auch die Nachtschichten an den Wasserverteilern sorgfältig ihren Dienst versahen. Schließlich wollte niemand in Rom morgens aufwachen und feststellen, dass der Stadt das Wasser ausgegangen war, weil ein paar Arbeiter die Nacht in einer Taberna verbracht hatten und deshalb eine Fehlfunktion eines Ventils oder ähnliches nicht bemerkten. Da es in der Dunkelheit nicht ganz ungefährlich in Rom war, mied Macer natürlich die besonders kritischen Ecken der Stadt, hatte zwei seiner Sklaven mit Fackeln dabei und meldete sich zwischendurch hier und dort auch mal bei einer Nachtpatrouille der Vigiles.


    Die meisten Mitarbeiter der Cura Aquarum staunten nicht schlecht, wenn plötzlich ihr oberster Chef an ihren Arbeitsplätzen auftauchte. Dass er die Männer oft im flackernden Schein einer Öllampe beim Würfelspielen oder ähnlichen Vergnügungen antraf, störte ihn nicht weiter. Immerhin war er nicht mehr bei der Legion, wo so etwas als schlimme Verfehlung geahndet worden wäre. Hier kam es ihm nur darauf an, dass die Männer dort waren, wo sie hingehörten und nicht in irgendwelchen Lupanaren die Nacht verbrachten.


    Auch die Männer an Brunnenstube VIII (deren Lage aus Gründen der Diskretion hier verschiwegen wird), schienen es mit dieser Weisung genau zu nehmen und hatten sich die Lupae daher einfach an ihren Arbeitsplatz bestellt. Gleich neben einer leise rauschenden Wasserleitung sein Vergnügen zu finden, war durchaus eine nicht ganz unattraktive Vorstellung, musste Macer feststellen. Was ihn aber trotzdem nicht daran hinderte, den Männern einen Verweis zu erteilen und die Damen wegzuschicken. Ob er auf das Angebot eines kostenlosen Besuchs an ihrer eigentlichen Arbeitsstätte zurückkomen würde, wollte er sich später überlegen.

  • Eine der lästigsten und ärgerlichsten Angewohnheiten, die ein Einwohner Roms aus der Sicht des Curator Aquarum haben konnte, war wohl die, beim Bau eines Hauses heimlich Wasserleitungen anzuzapfen, um sein Haus kostenlos mit frischem Wasser zu versorgen. Deshalb hatten die Männer der Wasserverteilung immer ein besonders kritisches Auge auf frisch ausgehobene Baugruben und gerade gesetzte Kellerfundamente und gingen jedem Verdachtsmoment nach. Da jede dieser Meldungen auch über den Tisch des Curator Aquarum ging, hatte sich Macer kurzerhand einmal einer solchen Überprüfung angeschlossen.


    Zusammen mit einigen Technikern betrat er das Baugelände und während die Männer nach illegalen Anschlüssen suchten, erklärte Macer dem aufgeschreckten Bauherrn den Grund für den Besuch. Der konnte sich nicht erklären, woher die Wasserverwaltung einen Tipp bekommen haben sollte und vermutete böswillige Nachbarn, die ihn anschwärzen wollten. Tatsächlich ergab die Überprüfung auch keinerlei heimlich verlegten Rohre oder Durchstiche zur Hauptwasserleitung, die ohnehin nicht direkt am Grundstück vorbei führte. Lächelnd entschuldigte sich Macer für die kurzzeitige Störung des Baubetriebes und rückte mit den Männern wieder ab. Es enttäuschte ihn nicht, mal einen ehrlichen Bürger getroffen zu haben, denn die nächste illegale Leitung würde sicher nicht allzu lange auf sich warten lassen.

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