Claudia's Suche nach Antworten

  • Eine Priesterin tritt an die junge Frau heran, ihre Augen sind von feinen Fältchen umrahmt, ihr Blick ist aufmerksam und freundlich. "Salve, kann ich dir helfen?"

  • Die Priesterin nimmt den Beutel entgegen und öffnet ihn. Mit der Hand greift sie ein paar Körner aus dem Inneren und riecht daran. Dann nickt sie. "Wie lautet deine Frage?"

  • Claudia hatte schon seit Tagen an einer genialen Frage gefeilt, doch in diesem Moment fiel ihr nur eins ein: "Was halten die Götter für meine Zukunft bereit? Werde ich glücklich?"

  • Die übliche Frage also, dabei erübrigt es sich, eine Notiz zu machen. Noch einmal nickt die Priesterin, dann dreht sie sich mit dem Weihrauchbeutel in der Hand um und verschwindet den langen Gang entlang zum Heiligtum hin, aus dem Licht in den Schatten, aus dem Schatten ins Licht, Licht, Schatten, Schatten, Licht, bis sie in der Dunkelheit verschwunden ist.



    Stille folgt. Auf die Stille folgt Flüstern, das Flüstern wird zu Lachen, vielleicht auch das Meckern einer Ziege, vielleicht eine einzelne Frau, vielleicht zwei oder viele. Aus dem Lachen wird Kreischen, Flehen oder Weinen, vielleicht auch nur Zürnen.

  • Aus dem Lärm wird Stille, aus der Stille tritt die Priesterin hervor, aus dem Schatten ins Licht, in den Schatten ins Licht, bis sie schließlich vor Claudia steht. Emotionslos und unbeteiligt liest sie die Weissagung der Sibylle vor.


    "Dies sind die Worte der Sibylle:


    Dunkel wirds, der Mond scheint helle,
    Laufe Biest, verlier dich in der Schnelle!
    Denn nur das vorwärts wird dich retten,
    Verharren musst du längst in Ketten.
    Der Morgen verhangen, von Nebel schwarz,
    Wie Blut erscheint das Abendrot.
    Warte, nur warte,
    Und der Tag ist tot.
    Die Furien mit dir auf dem gleichen Schiff,
    Es steuert beharrlich auf das verborgene Riff.
    Haltlos entfesselt, voll rasender Gier,
    Wo ist das dort und wo ist das hier?
    Den Löffel hältst du fest in der Hand,
    Gräbst dir dein eigenes goldenes Grab,
    Warte, nur, warte,
    Und der Tag senkt sich herab.
    Nach vorn, zurück, im Kreis herum,
    Weise sind die Weisen, doch wer ist dumm?
    Schau in dich hinein, sieh dein wahres Gesicht,
    Wer ist schön, wer ist es nicht?
    Der Höllenhund ist nah und gierig,
    Der Odem des Hades ein kalter Hauch,
    Warte nur, warte,
    Dann spürst du es auch."


    Sie lässt die Tabula, auf der die Worte geschrieben stehen, sinken, dreht sich um und verschwindet wortlos in einen kleinen Gang.

  • Claudia hört sich die Worte an, prägt sie sich ein. Als die Priesterin so schnell und wortlos verschwindet schaut sie ihr noch eine Weile lang nach. Sie starrte in den Gang in dem sie verschwunden war und seufzte leise.


    Nach einigen Minuten verliess sie das Orakel und verschwand in der römischen Menge.

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