Nachdem ich mich einigermaßen ausgeschlafen und frisch gemacht hatte, brach ich schon früh am Morgen auf, um mir die Stadt genauer anzusehen. Zwar war es am Morgen noch angenehm kühl, aber der Tag versprach, besonders in den Mittagstunden, heiß zu werden. Deshalb hatte ich nur eine Tunika und einen luftigen Chiton aus dünnem Stoff angezogen.
Anderseits heißt es ja, dass die quadratisch angeordneten Staßenzüge der Stadt bewusst in einen solchen Winkel konstruiert wurden, dass der Wind die Straßen in diesen Breitengraden angenehm kühl hielt. Aber ich vertraute nicht zu sehr auf Legenden.
Ich bewegte mich über die etwa sieben Meter breite Allee in der Hegesias Haus stand, hin zum Meson Pedion, der Ost-Westachse der Stadt, eine 14 Meter breite Prunkstraße, die sich, von Arkaden gesäumt und ausgestattet mit großen und wichtigen Bauten, Obelisken, Statuen, Tempeln und Heiligtümern vom Westtor zum Kanopischen Tor im Osten quer durch die Stadt zog.
Doch all die Schönheit und Pracht dieser Stadt wirkte nicht so unwirklich und rein, so wie ich es zum Beispiel von einigen Gegenden Roms her kannte, sondern zeigte deutliche Abnutzungserscheinungen urbanen Lebens: Der Putz bröckelte von den Fassaden. Die einst bunten Wände waren Grau und von Schmierereien überdeckt. Statuen fehlten Finger oder hatten glattgerubbelte Nasen. Die Schreine am Wegesrand quellten über von Devotionalien und der Asche ausgebrannten Räucherzeuges. Überall türmte sich der Müll in den Ecken und jeder freie Fleck war zugepflastert mit irgendwelchen Erlässen der Stadt oder einfachen Webeschildern der ansässigen Händler. Der Glanz und die Schönheit wirkten gebraucht, Tag um Tag, Jahr um Jahr dem Leben der menschlichen Herde ausgesetzt.
Kein Wunder: Das Leben, das zu dieser Urzeit auf dem Meson Pedion herrschte, erschlug mich nahezu. Millionen von Menschen rannten und hetzten um mich herum, hauptsächlich Griechen, aber ebenso wie Hegesias von einen Schlag, als die Griechen, die ich aus Athen oder meiner Heimat her kannte: Farbenprächtige Schminke, exotische Kleidung, Amulette, Armreifen, alle möglichen und unmöglichen Accessoires mischten sich bunt und führten einen Konkurrenzkampf um Individualität und Exzentrismus. Menschen schrien, Fuhrwerke klapperten, Pferde, Ochsen, Esel und Kamele muhten, wieherten und blökten. Kinder rasten im lustigen Spiel zwischen den Beinen der Großen umher, gefolgt von kläffenden Straßenhunden. Und auch hier überall die Bettler und Hausierer, die schon am Vortag den Hafen zu tausenden belagerten.
Ich folgte der Straße weiter in östlicher Richtung, wo sie über den Schedia-Kanal ins Delta-Viertel führte, wo die zahlreichen Hebräer Alexandrias ihre Wohnungen hatten, ein Ort, den ich mir sicherlich nicht entgehen lassen würde.
Dann wurde der Meson Pedion von einem riesigen, reich beschmücktem Platz durchbrochen: Dem Alexanderplatz. Dort kreuzten sich die beiden Hauptmagistralen der Stadt. Ich bog in Richtung des Argeus-Boulevards, der Nord-Südachse, benannt zu Ehren des mythologischen König von Argos, der sich zwischen Mond- und Sonnentor, dem Großen Hafen im Norden und der Stadt Iuliopolis mit dem Mareotishafen im Süden erstreckte und über welchen ich gestern zu meiner Unterkunft getragen worden war.
Während ich ging, versuchte ich, mich zu erinnern, was ich über das Brucheion in Erfahrung gebracht hatte.