Plutarchs Reisen | Der Große Markt

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    Bei meinen Erkundungsgängen durch die Stadt schlenderte ich einmal wieder den Hafen entlang, wobei ich in den Westteil des Brucheions kam, von dem ich mir ganz Besonderes versprach: Hier lag die Gegend, die von den Alexandrinern einfach "Der Fremdenmarkt" genannt wurde.


    Allerdings handelte es sich beim Fremdenmarkt nicht um einen Markt im herkömmlichen Sinne: Es gab keine freie Fläche, wo die Händler ihre Stände aufgebaut hatten, keine Agora, kein festes Zentrum. Nichts dergleichen: Vielmehr sah es hier aus, wie überall im Brucheion: 7 Meter breite Straßen, die sich im Schachbrettmuster kreuzten, Wohngebäude und, wegen der Nähe zum Hafen, Lagerhäuser.


    Trotzdem war die Gegend ganz anders: Herrschte schon auf den anderen zentralen Magistralen, dem Meson Pedion und dem Argeus- Boulevard ein dichtes Gedrängel an Menschen - genau genommen kam mir eigentlich die ganze Stadt wie ein einziges Gedrängel vor - so steigerte sich dieser Eindruck hier zur Superlative:


    Es gab praktisch keinen freien Raum! eine einzige Menschenschlange zog sich zäh durch die Straßen, die trotz ihrer Breite sehr eng waren aufgrund der zahllosen Verkaufsstände. Hier konnte man Tage lang durchstreifen, ohne jemals das Ende zu finden und auf den Warentischen, in Fässern, Schalen, Säcken und Amphoren wurden alle Güter der bekannten Welt und weit darüber hinaus gehandelt: Ich sah Säcke, voll mit wohlriechenden und bunten Gewürzen aus Indien und den fernen Inseln, riesige Stoff- und Seidenballen mit den kunstvollsten Web- und Stickmustern, Stapel von Elephantenzähnen und bereits bearbeitetem Elfenbein, wertvolle Edelhölzer von südlich der Sahara, Räucherwerk und Weihrauchklumpen aus Arabia Felix, Griechische Bildhauerkunst und Darstellungen unbekannter Gottheiten. Ich sah Schriftrollen, Edelsteine, Drogen, Schmuck, Apparate, Sklaven und wilde Tiere.
    Und wo ich nur hinschaute, überall Gedränge, Geschrei und die unmöglichsten Gerüche.

  • Und genauso zahlreich und vielfältig wie die hier angebotenen Waren waren auch die Menschen, die hier kauften und verkauften. Hier gab es nicht nurmehr Griechen und Ägypter: Hier gab sich die große weite Welt im Kleinen die Hand. Nicht nur alle Völker und Rassen des Imperiums waren hier vertreten, sondern ebenso alle weit über dessen Grenzen hinaus.


    Hier feilschte ein blondhaariger Gallier mit einem Händler mit Parthermütze, dort stand eine Gruppe von Beduinen aus der Wüste mit ihren Kamelen. Ein in dichte Tücher gehüllter Händler aus dem Reich der Garamanten schloss ein Geschäft mit zwei Äthiopiern ab und verdrängte einen römischen Ritter, der sich darüber sehr ärgerte. Zwei Perser saßen mit einen Numiden und einen Syrer da, rauchten eine qualmende Wasserpfeife und würfelten um ihre Erträge. Ein reicher Araber spuckte seinen augekauten Betelkern aus und hinterließ einen roten Fleck am Straßenbelag, während ein Nubier sich eine Kolanuss zu Munde führte.


    Und am nächsten Stand begutachtete eine Gruppe Inder einen fein gewebten Stoff. Mit ihnen dabei stand ein Sklave von den fernen Gewürzinseln, klein und braun im Gesicht und mit geschlitzten Augen. Und dort, an einen Seidenstand sah ich sogar einen Mann aus dem fernen und sagenhaften Imperium Serea mit geschlitzten Augen und Kleidung, wie ich sie noch nie sah. Aber er stand dort, als wäre es das normalste auf der Welt und mir fiel auf, dass ich wohl der einzige war, der hier etwas Ungewöhnliches darin sah.


    Schnell bewegte ich mich weiter, da kam ich zu einen Stand, der alle möglichen Sachen aus dem hohen Norden Skythias verkaufte. Der Händler grinste mich freundlich an. Er kam mir bekannt vor. Es war der Sarmather vom Schiff!

  • Natürlich kamen wir sofort ins Gespräch und der Sarmather erklärte mir, was er hier trieb: Er war Zwischenhändler eines reichen Alexandriners, der über ein gewaltiges Handelsimperium verfügte. Seine Aufgabe war es, die Waren, die im Kontor in Panticapaeum im Bosporanischen Reich gelagert wurden, an den Markt von Alexandria zu führen.


    Der Nordhandel war nämliich ein äußerst lukratives Geschäft. In Panticapaeum liefen nämlich vor allem die Güter der Flüsse Tanais (Don) und Borysthenes (Dnjepr) zusammen, also Felle, Weizen, Honig, Sklaven und Bernstein. Dazu kamen noch die Güter aus Colchis und Armenien, also Marmor, aber auch Seide und Gewürze. Diese Güter wurden nach Alexandria transportiert und gegen die lokalen Erzeugnisse Wein, Glas, Papier und Öl sowie gegen die Güter des Fremdenmarktes getauscht.


    Aber, so fuhr mein Gesprächspartner fort, sei dies nicht das einzige Handelsnetz, das sein Auftaggeber besäße. Er besäße auch noch weitere Filialen im Reich: In Petra, Tyrus, Antiochia, Rhodos, Milet, Ephesus, Korinth, Aquileia, Ostia, Carthago, Massila, Burdigala und Londinium.


    Des weiteren gab es noch andere große Handelsnetze. Die wichtigsten waren die Bernsteinstraße durch Großgermanien, der vom Volke der Garamanten kontrollierte Transsaharahandel, der Ebenholz, Elfenbein, Edelsteine und wilde Tiere von den reichen Königreichen unterhalb der Wüste ins Imperium brachte, die Weihrauchstraße nach Arabia Felix, die Gewürzstraße durch das riesige Gebiet des Indischen Ozeans und letztendlich die von den Parthern kontrollierte Seidenstraße ins Riesenreich Serea.


    Aber damit nicht genug: Immer mehr Städte, Orte und Reiche wurden mir genannt, von denen ich nie gehört hatte und deren Geschichten mir wie Märchen und Legenden klangen. Ich war skeptisch und sagte das den Sarmather. Der aber lächelte nur: Nicht einmal der Kaiser selbst wüsste von den meisten dieser Orte Bescheid!


    Denn es war eine uralte Geschäftsstrategie der an den Handelsgewinnen Beteiligten, die genaue Herkunft und Lage der von ihnen gehandelten Güter niemandem zu erzählen, Fehlinformationen zu verbreiten und sie mit allerlei Schaudergeschichten auszuschmücken, um schon von vornherein alle Konkurrenz auszuschalten. Die Kaiser, Großkönige und Fürsten dieser Welt mögen zwar über große Reiche herrschen, meinte er dann, aber die wahren Herren der Welt fand man hier in Alexandria, wo sie von ihren Schreibtischen in ihren Palästen Räume kontrollierten, gegen die das römische Reich nur ein kleiner und unbedeutender Fleck Erde war.


    Diese Geschichte widerum hielt ich dann doch ein bisschen für zu übertrieben. Außerdem wollte ich langsam weiter, um noch mehr von den Wundern des Marktes zu sehen. Also bedankte ich mich bei meinem Gesprächspartner und wir tauschten unsere Adressen, damit wir uns vielleicht eines Abends auf einen Wein treffen konnten. Ich verabschiedete mich und zog weiter durch das bunte Treiben.

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