Die schlechte Nachricht

  • Sie wählte die falschen Worte, dass konnte sie an seinem Gesichtsausdruck sehen. Doch nun war es zu spät, denn die Worte waren heraus. Wie schon zu Anfang, als sie in das Zimmer getreten war machte sich ein ungutes Gefühl in ihr breit. Sie wusste nunmal nicht wie man sich in so einer Situation verhalten musste. Auf ihr Herz war jedenfalls kein Verlass, denn das hatte ja dafür gesorgt, dass sie diesen Fehler begangen hatte. Eine Weile sagte Marcus gar nichts, sondern starrte nur, fast ein wenig verwirrt, auf seine Hand hinunter, die Helena ergriffen hatte. Nunja, immerhin ließ er es zu, dass sie ihn berührte. So falsch war ihr Verhalten wohl doch nicht. Doch dann zog er ruckartig seine Hand fort, mit einem Gesichtsausdruck, der Helena einen schmerzhaften Stich versetzte. Und dem nicht genug, schrie er sie plötzlich an. Bei der heftigen Bewegung, mit der er die Esskastanie in die Ecke warf zuckte Helena so zusammen, dass sie fast die Schale hätte fallen lassen, die sie immer noch hielt.


    "Ich...also..."


    Verwirrt, verständnislos und ein wenig ängstlich sah sie Marcus an. Es war lange her, dass jemand sie angeschrien hatte. Ihre Hände zitterten, so dass sie sich geradezu an die Schale klammerte. ES ging also gar nicht nur um seine Mutter. Auch sein Vater war von ihm gegangen, da er ohne seine Frau nicht mehr leben konnte. Das hatte sie nicht erwartet...Sie sollte verschwinden und zwar sofort. Es war ein Fehler gewesen hier her zu kommen. Wie war sie bloß auf die Idee gekommen, dass er sich von ihr trösten lassen würde? Marcus war mittlerweile wieder ruhiger geworden, doch Helena rutschte trotzdem ein Stück von ihm fort, zumindest so weit es die Bettkante zuließ. Er war ihr mit einem Mal so fremd. Sie lauschte seinen Worten, sagte aber ersteinmal gar nichts. Vielleicht sollte sie wirklich einfach schweigen, denn momentan hatte sie das Gefühl, dass alles was sie sagte nicht richtig war. Sie konnte ihn verstehen, sehr gut sogar und trotzdem erwiderte sie nichts. Seine Verzweiflung konnte sie ihm nicht nehmen. Jetzt nicht, und später auch nicht. Sie hatte kaum einen Platz in seinem Leben.


    Nun war es Marcus, der Helenas Hand nahm. Diesmal jedoch konnte sie es aus irgendeinem Grund nicht ertragen. Sie löste sich von ihm und stand auf. Etwas zu schnell, denn eine der Kastanien hüpfte aus der Schale und landete auf dem Boden. Helena sah ihr hinterher und stellte die Schale dann dort ab, wo sie zuvor noch gesessen hatte. Dann entfernte sie sich ein Stück vom Bett und blieb mit dem Rücken zu Marcus stehen. Da immer noch kein Licht im Zimmer brannte konnte er sie wohl kaum noch sehen. Und das war beabsichtigt. Wenn sie ihn schon nicht trösten konnte, dann konnte sie ihn vielleicht wenigstens wachrütteln. Wahrscheinlich würde er sehr wütend werden, aber Helena wusste sich einfach nicht weiter zu helfen. In ihren Augen bildeten sich Tränen, als ihr bewusst wurde, dass er sie nie so sehen würde, wie sie ihn sah. Als sie nun endlich die Stimme erhob versuchte sie ihr einen harten Klang zu geben.


    "Hörst du dich eigentlich selbst reden? Du versinkst in Selbstmittleid, Marcus. Bis jetzt hattest du kein Problem damit die Verantwortung für deine Familienmitglieder zu übernehmen. Im Gegenteil, ich hatte sogar das Gefühl dass es dir Freude bereitet. Und jetzt hat sich von einem Tag auf den Anderen plötzlich alles geändert? Das kann ich kaum glauben. Du bist nicht allein, aber du wirst allein sein, wenn du niemanden an dich heran lässt. Niemand will dir deine Trauer nehmen, denn Trauer hilft über den Schmerz hinweg zu kommen. Aber lass dich nicht so gehen. Was glaubst du würde dein Vater dazu sagen, wenn er dich so sehen könnte?"

    teeeeeeeeeeeeeeeeeeeessssssssssssssssssssssssttttttttttttttttttt

  • Ich hatte sie erschreckt, natürlich. Allerdings wurde ich mir dessen erst bewusst, als sie aufsprang und Abstand zwischen uns brachte. Stumm betrachtete ich zuerst die zu Boden gefallene Esskastanie, dann die dampfende Schale und schließlich Helenas Rücken. Mir erschien die Situation unwirklich, fast wie aus einem schlechten Theaterstück direkt hierher in mein cubiculum verfrachtet. Ich zog eine Grimasse. Denken konnte ich nicht mehr gescheit, dazu war mir zu warm, der Verstand gleich zu sehr einer klebrigen Masse und außerdem hätte ich gar nicht gewusst, wörüber genau ich nachdenken sollte, denn es gab so vieles, das des Denkens wert gewesen wäre.


    Helenas Körper, umschmeichelt von der Düsternis im Raum, verschmolz mit den Schatten, blieb aber dennoch zumindest in den weiblichen Konturen für mich sichtbar, was nicht zuletzt dem bereits beschriebenen Einfall des Mondlichtes zu verdanken war. Ich seufzte bedrückt. Ich konnte eben nichts richtig machen, und schon gar nicht, wenn es mit Frauen zusammenhing.


    Was aber nun folgte, ließ mir im wahrsten Sinne des Wortes die Ohren schlackern. Nicht nur der unverhofft aggressive Klang von Helenas sonst angenehm klingender Stimme, sondern auch die überraschend biestige Wortwahl ließen mich den Mund verblüfft öffnen und die Augen erschrocken weiten. Selbstmitleid? Sie hatte ja keine Ahnung! Wütend wollte ich auffahren, sie aus meinem Zimmer werfen und anschließend in Schmerz und neu angefachter Wut die hölzerne Tür malträtieren, doch die zu neuem Leben erweckte Stimme des Verstandes ließ mich innehalten und sorgte dafür, dass ich nicht ein Wort hervorbrachte.


    Es war still im Raum. Sie hatte mich schwer getroffen. Zu Enttäuschung, Selbstvorwurf und Wut gesellte sich nun auch noch ein schlechtes Gewissen hinzu, meinem Vater gegenüber, Deandra gegenüber, und auch Helena gegenüber. Ich schloss den Mund und blickte beschämt auf die Decke. Sagen wollte ich nichts auf ihre Worte hin, und als ich nach endlosen, verstrichenen Minuten etwas sagte, war es leise und klang in gewisser Weise zermürbt wie traurig. "Bitte geh jetzt."

  • Helena konnte Marcus Reaktion nicht sehen, da sie ihm immer noch den Rücken zugedreht hatte. Sie hatte die Schultern ein wenig hochgezogen, in Erwartung des folgenden Donnerwetters, und starrte auf das große Wandbild. Was dort abgebildet war sah sie allerdings nicht, denn ihre Sinne waren auf die Person gerichtet, die hinter ihr auf dem Bett saß. Ein Weile kam überhaupt keine Reaktion. Marcus schrie sie nicht wieder an, wie sie es erwartet hatte. Helena wandte den Kopf, doch da sie sich vom Bett entfernt hatte konnte sie sein Gesicht nicht sehen. Hatte er überhaupt verstanden was sie ihm sagen wollte? Sie wollte ihn nicht verletzten. Es war einfach das Einzige gewesen was ihr in diesem Moment richtig vorkam.


    Dann jedoch sagte er doch etwas und sorgte damit dafür, dass Helenas Herz sich schmerzhaft zusammenzog. Er schmiß sie raus. Wahrscheinlich konnte er ihre Nähe einfach nicht mehr ertragen. Helena starrte auf den Schatten in dem Marcus saß und nickte dann langsam. Wortlos wandte sie sich ab und verließ das Zimmer. Nachdem sie vorsichtig die Tür hinter sich geschloßen hatte drang ein verzweifeltes Seufzen über ihre Lippen. Die Tränen, die sich nun ihren Weg bahnen wollten wischte sie ärgerlich zur Seite. Das wäre ja noch schöner wenn ein Sklave sie so sehen wüde. Obwohl sie immer noch nicht wirklich etwas gegessen hatte, war ihr Hunger verflogen. Sie konnte sich nicht vorstellen jetzt hinunter zu gehen und so zu tun, als wäre nichts passiert. Stattdessen lief sie eilig über den Gang und verschwand in ihrem Zimmer.


    Ihr Bettsah auf einmal so einladend aus. Helena ließ sich auf die weichen Decken fallen und schloß die Augen. Hätte sie vielleicht doch anders reagieren sollen? Was, wenn Marcus nun so wütend auf sie war, dass er nicht merh mit ihr sprechen würde? Aber vielleicht war das auch ganz gut so, denn ein wenig Abstand konnte nicht schaden. In diesem Moment konnte Helena sich nicht vorstellen irgendwann wieder normal mit Marcus zu sprechen. Vielleicht sollte sie zurück nach Spanien gehen. Ihre Tante würde sich sicher freuen. Über diese Gedanken schlief Helena schließlich ein. Allerdings war es kein sehr erholsamer Schlaf.

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