Von Ravenna nach Alexandria- eine leidige Schiffsreise und endlich da!

  • Ich dankte dem freundlichen Soldaten und war froh, dass alles so schnell und einfach ging. Ich lächelte ihn an und als ich bereits weitergehen wollte, fiel mir ein, dass ich gar nicht wusste, wo ich hin sollte. So schaute ich den Soldaten noch einmal freundlich lächelnd an und fragte:
    Verzeihung, aber ich kenne mich hier nicht aus und habe mich gefragt, ob du mir vielleicht sagen könntest, wo ich für ein paar Tage eine Unterkunft finden kann.
    Wieder lächelte ich ihn an.

  • “In der Nähe des Tetragon Alexandris gibt es den Goldenen Ibis, ein sehr ordentliches Gasthaus. Aber nicht ganz billig. Günstiger kommst du in Delta davon und noch weniger verlangen die Wirte in Rhakotis, aber das ist keine Gegend für eine Dame.“, gab der Centurio überraschend bereitwillig Auskunft. Die roten Haare der Dame schienen es ihm wirklich angetan zu haben. Oder er hatte am Vorabend tatsächlich eine mächtig lange Glückssträhne beim Würfeln gehabt.

  • Lang war die Reise gewesen, und aufgrund der Herbststürme auch nicht gerade erbaulich. Die meiste Zeit hatte Valeria unter Deck verbracht, weil sie das Schwanken des Schiffes bei der Sicht auf den Horizont nur umso stärker wahrnahm als in der dunklen Abgeschiedenheit einer Kajüte. Zum Glück waren die wenigsten Leute erpicht darauf, in dieser Jahreszeit eine lustige Seereise nach Alexandrien zu unternehmen. Deswegen hatte sie eine Kajüte für sich allein gehabt und das zweite Bett war leer geblieben.


    Vermutlich war ihre Reise hierher eine voreilige Idee gewesen. Sie hatte niemandem Bescheid gesagt und war einfach nach Ravenna aufgebrochen, denn von Ostia aus fuhren derzeit keine Passagierschiffe nach Alexandrien. Dort hatte sie ihre Überfahrt im Voraus bezahlt, und nun stand sie hier an Deck und betrachtete den massigen Leuchtturm, das Wahrzeichen der Stadt am Nil, der Kapitänen den Weg wies und Besucher willkommen hieß. Die Seekrankheit hatte sie immer noch fest im Griff und würde sie vermutlich erst wieder loslassen, wenn sie festen Boden unter den Füßen und nicht ständig mehr das Gefühl hatte, dass sich ihre kleine Welt auf und ab bewegte. Die See lag seit zwei Tagen erstaunlich ruhig da. Während die Mannschaft noch in der Takelage herumturnte und alles für das Anlegen bereit machte, dachte sie an zu Hause. Vielleicht sorgte man sich um sie. Immerhin war sie auf Lucillas Hochzeit schon sehr schweigsam gewesen, und seitdem hatte sie niemand mehr zu Gesicht bekommen. Vier Tage später war sie aufgebrochen. Ihr Gepäck bestand aus nichts weiter als einem kleinen Seesack, der leicht zu schultern und gerade noch zu tragen war. Darin befanden sich Kosmetika, Kleidung und Bargeld. Das war alles, was sie brauchte, sagte sie sich. Wenn sie hier unten eine Stelle fand, und wenn sie sogar das Glück haben würde, am iatreion anfangen zu dürfen, dann würde sich der Rest gewiss bald wieder anhäufen. Arm war sie schließlich nicht, sah man von fehlenden oder abgerissenen Sozialkontakten ab.


    Eine gute Stunde später donnerte eine breite Planke auf den Anlegesteg. Valeria schulterte ihren Seesack und reihte sich in die kurze Reihe der Passagiere ein. Hinter einem dicken Mann mit grüner Toga verließ sie das Schiff und fand sich sogleich in regem Treiben wieder, vor allem aber auf festem Boden. Sie atmete tief die sonderbare Luft ein. Hier war es viel wärmer als in Rom, und so anders. Valeria wusste nicht, wohin sie sich zuerst wenden sollte. Da waren Verkäufer, die ihr sogleich alles mögliche andrehen wollten, kleine Kinder, die Passanten ihre Geldbeutel abschnitten und rasch davonliefen, nur wenige Sänften, die sich durch das Gewimmel kämpften. Und da war natürlich der riesige Leuchtturm, der über allem thronte und wie ein Mahnmal auf die junge Decima wirkte. Sie dachte an ihren Onkel, an ihre Familie. Schon jetzt bereute sie es, niemandem auf Wiedersehen gesagt zu haben. Aber es war zu spät. Dennoch würde sie bald die ersten Briefe lossenden, nahm sie sich vor.


    Nur wo sollte sie nun hingehen? Valeria war noch nie zuvor in Aleandrien gewesen und dementsprechend hatte sie keine Ahnung, was wo zu finden war. Wahllos steuerte sie jemanden an und lächelte freundlich. "Verzeihung, ich bin gerade eben erst eingetroffen und kenne mich noch nicht aus. Könntest du mir wohl behilflich sein und mir sagen, wo ich das Museion finde?" fragte sie.

  • “Sehr wohl, ehrenwerte Dame.“, antwortete Lyros, der Schreiber, in seiner gleichermaßen höflichen wie steifen Art.
    Er zeigte auf ein Gebäude am Rande der Kaianlagen.
    “Siehst du dort drüben den Tempel? Das ist das Poseidoneion. Dort müsstest du dich nach links wenden. Du wirst dann am Kaisareion vorbei kommen. Dahinter würde ich empfehlen rechts zu gehen, dass Theatron und die Agora linker Hand hinter sich zu lassen und dann, gleich hinter der Agora ist ebenfalls auf der linken Seite das Museion. Es ist ein großes, prachtvolles Haus. Man kann es kaum übersehen.“

  • Es war Valeria zunächst gar nicht aufgefallen, als sie ihre Frage gestellt hatte, doch nun, da der freundliche Mann ihr antwortete, viel ihr auf, dass die meisten um sie herum griechisch sprachen. Valeria kramte in ihrem Gedächtnis und hätte Mühe, dem Mann zu folgen, der freundlicherweise latein sprach, doch mit deutlichem Akzent.


    Als er den Arm hob und auf die Tempel deutete, folgte sie der Geste mit Blicken und prägte sich den Weg gut ein. Links - rechts - links. Sie nickte und überlegte, was wohl nochmal eine Agora war, doch würde sie schon finden, was gemeint war. Zumal das Museion nach der Beschreibung zu urteilen prächtig sein musste.


    "Ich danke dir herzlich für deine Hilfe. Vielleicht sehen wir uns einmal wieder. Vale!" erwiderte sie höflich und machte sich dann auf den Weg durch die Händler und sich drängenden Menschen. Das Poseidoneion fest im Blick, ließ sie sich auch durch die derbsten Ellbogenstöße nicht vom Kurs abbringen. Es dauerte nicht lange, da verließ die Decima den Hafen und damit auch das Gewimmel. Am Rande kaufte sie sich einen kleinen Brotfladen und machte sich kauend, langsam und staunend auf den Weg, den ihr der Mann beschrieben hatte.

  • “Sehr gerne. Willkommen in der schönsten und wundervollsten Stadt der Welt.“, antwortete Lyros. Das war für seine Verhältnisse geradezu ein leidenschaftlicher Ausbruch an Lokalpatriotismus. Er riskierte noch einmal einen Blick auf die elegante Erscheinung der schönen Frau. 'Gewiss eine wohlhabende Rhomäerin.', dachte er bei sich, denn ganz im Inneren seines Bürokratenherzens hatte er eine Schwäche für den Stil und die Eleganz römischer Damen, auch wenn sie ihm, dem ältlichen, unscheinbaren und unbedeutendem Scriba sicherlich niemals größere Beachtung schenken würden.
    “Vale.“, sagte er noch zum Abschied. Dann entfernte er sich in entgegengesetzte Richtung, denn er war auf dem Weg ins Basileia-Viertel.

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