Eine Reisende auf Irrwegen

  • Dicht an dicht drängten sich hier die Häuser in engen Gassen, die nicht mehr so schmuck aussahen wie an den großen Prachtstraßen der Metropole. Ärmliche und magere Kinder spielten in den Gassen, die einheimische Bevölkerung, die Ägypter und somit Bürger dritter Klasse, drängten sich, ihrem Tagewerk nachgehend, durch das Viertel. Eine Frau unterhielt sich lauthals mit ihrer Nachbarin auf der Gegenseite der Straße. Beide schimpften erbittert auf Demotisch über ihre Ehemänner, die sie nur für faules Pack hielten. In den Läden quoll es über von Waren, doch meist war es nicht die beste Qualität die dort feil geboten wurde. Und jeder zweiter Laden schien ein Ramschladen zu sein oder ein Laden, wo man sich Amulette, Schutzanhänger oder magische Utensilien kaufen konnte. Katzen streunerten an jeder Ecke entlang und obwohl sie manches mal dreist von den wenigen Metzgern eine Wurst klauten oder böse fauchten, so vertrieb keiner der Ägypter die Tiere von ihrer Straße, schließlich würde das Unglück bringen. Nur ein armer Hund hatte nicht so viel Gnade empfangen. Einige Kinder hatten ihm ein Stück in Flammen gesetzten Stoff umgebunden und jagten ihn mit dem brennenden Stoff durch die Gassen.


    „Domina, es kann nicht mehr weit sein. Der Ägypter dort hinten hat mir ganz genau den Weg beschrieben.“ Pumilus, der kleinwüchsige Sklave von Medeia, nickte eifrig und deutete vor sich. Was er seiner Herrin nicht sagte, eigentlich hatten der Ägypter und er sich in keinster Weise verständigen können. Pumilus sprach kein Griechisch, noch Demotisch, und der Ägypter kein Latein. Aber aus den Gesten glaubte Pumilus genug heraus gesehen zu haben.


    Erschöpft folgte ihm die Sklavin Olympia und ihre Herrin Artoria Medeia. Medeia hatte sich mittlerweile angewöhnt einen feinen Schleier zu tragen, der sie vor der Sonne schützte. Aber eine Sänfte hatte sie an dem Tag nicht mehr mieten können. Doch wollte sie es sich dennoch nicht nehmen lassen, die Stadt weiter zu erkunden. Und das Sarapeion lag heute auf ihrem Tagesprogramm. Dummerweise hatten sie sich in dem Elendsviertel völlig verlaufen. Und dem Leibwächter hatte sie an jenem Tag auch unglücklicherweise nicht Bescheid gegeben. Medeia zog ihre safranfarbene Palla zurecht und sah sich etwas unbehaglich um. Denn sie meinte schon all die Blick derer zu erspüren, die nur darauf warteten sie auszurauben. Medeia blieb stehen und atmete in der nachmittäglichen Hitze tief ein.


    Eine Katze kam heran gehuscht und wollte sich gleich an ihr Bein schmiegen. Angewidert (mit Plautius Katze hatte Medeia schon genug Ärger) machte Medeia einen Schritt zur Seite, doch die Katze war weiter hin penetrant an schmiegsam. Schnell trat Medeia nach dem Tier. Wütend fauchend sprang die Katze davon und zog beleidigt von dannen. Einige Menschen blieben stehen und sahen Medeia darauf hin feindselig an. Eine Frau trat auf sie zu und schimpfte laut auf Medeia ein. Mit Unverständnis im Gesicht sah Medeia auf die kleine, dicke Frau hinab und wechselte ratlose Blicke mit ihrer Sklavin.



    SimOFF
    Wer Lust hat, darf sich eingeladen fühlen. =)

  • Um eine Straßenecke kam ein junger Mann, oder eher noch Knabe. Er war offenbar allein hier, und er passte nicht so recht in dieses Viertel. Zwar war seine Kleidung ärmlich und ausgeblichen, doch sie schien sauber zu sein. Erwähnte Kleidung bestand aus einem Chiton, die wohl einst smaragdgrün gewesen sein mochte, jetzt aber blassgrün war und somit etwa die Farbe von Salbeiblättern hatte, einer weißen Chlamys, wobei dieses Weiß etwas vergilbt war, und Schaftstiefeln aus etwas sprödem Leder. Um die Taille trug der junge Mann einen einfachen Strick als Gürtel. Sein Gesicht war fein geschnitten und hatte einen Ausdruck inne, der einerseits vornehm war, andererseits auch eine gewisse Arroganz gegenüber der Bevölkerung dieses Viertels zeigte. Seine Haut war heller als die der schmutzigen Ägypter, offenbar war er auch der Abstammung nach Grieche. Er stieg mit einem Ausdruck des Ekels über Kothaufen, Tierkadaver und Bettler hinweg, als habe er keine schützenden Stiefel mit dicker Sohle, sondern ginge barfuß durch jenen stinkenden Morast. Zuerst überquerte er die enge, ungepflasterte Straße ohne Notiz von der Frau zu nehmen, die noch weniger als er hier hinzupassen schien. Dann aber bemerkte er sie. Vorsichtig näherte er sich ihr. "Chaire, edle Frau. Darf ich fragen, weshalb du dich an diesem trübseligen Ort aufhälst? Entschuldige, falls ich dich belästigen sollte, ich sah dich hier sitzen und du kamst mir etwas verloren vor.", sprach der junge Mann die vornehm gekleidete Frau in einem Koine an, das sehr attisch geprägt schien und überaus sauber und deutlich war. "Mein Name ist Nikolaos aus Athen, Sohn des Philon.", stellte er sich vor. Zwar war sein Sprachgebrauch sehr gewählt, doch er blieb dabei elegant und ließ sich nicht zu einer geschwollenen Sprache hinreißen. Nach Ende seiner kurzen Rede sah er die Frau an, eine Antwort erwartend.

  • Die dichten Häuser schienen die Hitze mit ihren Wänden, ihren schwarzen Löchern, die wie leere Augenhöhlen auf sie hinab sahen, in sich halten zu wollen. Wäre nicht all die lebhaften Menschen in der Gasse, Medeia hätte schon ein Schaudern vor diesen seelenlosen und geisterhaften Häusern bekommen können. Erschöpft ging sie noch einige Schritte weiter und zu einem kleinen Brunnen, der nicht den Glanz großer Prachtbrunnen der breiten Straßen Alexandrias aufwies. Kein griechischer Knabe mit einer Amphore ließ munter das Wasser in ein strahlend helles Becken fallen, es war ein schwaches Rinnsal, was in einem tiefen schwarzen Loch zu verschwinden schien. Medeia sah nicht hinab, wollte gar nicht wissen was dort unten womöglich hausen konnte. Doch dies war die einzige Sitzgelegenheit, die sich ihr bot. Olympia versuchte ihr mit einem Stück ihrer Sonnenschutzes ein wenig Luft zu zu fächeln, doch Medeia winkte schnell ab.


    Pumilus, der zwergenhafte Leibsklave von Medeia, sah ratlos in die eine, dann die andere Gasse und trabte Schulter zuckend zurück. „Der muss mich schamlos angelogen haben, Domina. Wollte uns vielleicht in eine Falle locken. Ich geh mal die netten Herren dort drüben fragen, Domina.“ Medeia nickte nur schwach und erst als Pumilus schon zu den 'netten' Herren hinüber watschelte, sah sie genauer rüber und gab ein leises. „Oh...besser nicht.“ von sich. Doch Pumilus war schon dort angekommen.


    Die Gruppe 'netter' Herren waren drei Männer, die mit dem Wort 'Halunken' wohl noch gut weg kamen. In elenden Lumpen waren sie gehüllt. Einer trug Binden um sein Auge geschlungen, an denen eitrig rote Farbe haftete, seine Hautfarbe war durch den Dreck schon nicht mehr zu erkennen. In seiner Hand hielt er eine Bettelschüssel und schob sich justament ungeniert die Blindenbinde von seinen gesunden Augen. Daneben stand ein Mann mit Krücken, die nun gegen die Häuserwand gelehnt war und zu seinen Füßen saß eine Junge, der aussah als ob er ein Aussätziger wäre, nur bis zu dem Zeitpunkt als er sich kratzte und das Zeug von ihm abrieselte. „Fünf Tage nicht arbeiten...pah, so behaupten die immer. Aber die feinen Leute auf der Agora sind sich doch zu schade, Krüppeln etwas abzugeben von ihrem Glück.“, meinte der 'Blinde'. Der mit den Krücken zuckte mit der Schulter und kratzte sich ungeniert am Schritt. „Die Zeiten sind halt schlechter geworden...“ Da zupft ihm Pumilus am lumpigen Gewand. Alle Drei wandten ihre Aufmerksamkeit dem kleinen Sklaven zu.


    Und Medeia dem ankommenden griechischen Jüngling. Ein freudiges Lächeln breitete sich in ihrem Gesicht aus als sie den vertrauten Klang ihrer Muttersprache vernahm zwischen all dem unverständlichen Kauderwelsch, was sie in der Gasse sonst zu umgeben schien. Der feine Schleier, den sie auch über das Gesicht trug gegen die Sonne, raschelte leise als sie sich ganz dem jungen Mann um wandte. „Chaire.“, grüßte sie ihn nicht minder höflich. „Du musst Dich wahrlich nicht enschuldigen, Nikolaos von Athen, Sohn des Philon. Denn um es einzugestehen, ich bin tatsächlich verloren. Meine Sklaven finden nicht den rechten Weg. Aber wenn ich mich vorstellen darf? Mein Name ist Artoria Medeia.“ Medeia schenkte ihm ein freundliches Lächeln. „Ich war auf der Suche nach dem Serapeion. Doch scheinbar sind wir vom rechten Weg abgekommen. Denn dies sieht mir nicht nach einem Ort aus, der einen solchen Tempel des Wissens beherbergen mag.“ Medeia sah sich nur kurz noch mal in der herunter gekommenen Gasse um und sah mit dem Ausdruck milder Ratlosigkeit in ihren grünen Augen zu Nikolaos.

  • Nikolaos lächelte. In seinem Lächeln war etwas jungenhaftes, wobei er auch kaum dem Knabenalter lange entwachsen schien. Seine großen, braunen Augen hatten einen fast kindlichen Glanz, als er der vornehmen Frau antwortete. "Ich freue mich sehr, dich kennenzulernen, Artoria Medeia." Sein Tonfall deutete darauf hin, dass er wirklich Freude empfand. Offenbar hatte auch er nicht damit gerechnet, in in diesem heruntergekommenen Viertel eine Hellenin zu treffen, oder zumindest eine Person, die gut Koiné sprach und nicht ägyptisch aussah und zudem gut gekleidet, also kurz nicht in die trostlose Umgebung passte. "Auch ich war auf dem Weg zum Sarapeion. Zugegeben bin ich erst seit kurzem Bürger Alexandrias und deshalb auch noch nicht sehr vertraut mit den vielen Wegen dieser Stadt. Doch ich bin mir ziemlich sicher, dass das Sarapeion in der Richtung liegen müsste, die ich eingeschlagen hatte, bevor ich dich traf. Wenn es dir recht ist, könnte ich dich dorthin begleiten. In der Tat scheint dieser berühmte und heilige Ort nicht in diese Gegend zu passen, doch das scheint mir für Alexandria keine seltene Erscheinung zu sein. In dieser Stadt liegt Strahlendes neben Schmutzigem, und ein Heiligtum, das in der ganzen Welt

    Sim-Off:

    Nikolaos geht natürlich nur von der "Welt" aus, von der er weiß, dass es sie gibt, und die reicht gerade mal vom Sudan bis nach Germania Superior, von Hispania bis nach Indien

    so berühmt ist, liegt in einem Viertel, für das sich Alexandria wahrscheinlich schämt." Seine Augen leuchteten, offenbar hatte er Freude daran gefunden, sich mit der Fremden zu unterhalten. Dennoch wahrte er, wie es sich gegenüber einer vornehmen Frau gebührte, eine angemessene Distanz. Offenbar war dieser junge Mensch gut erzogen worden.


    edit: SimOff-Funktion eingefügt, sonst hätte Nikolaos einen Kommentar über sich selbst mitten in seiner Wörtlichen Rede...

  • Drei Katzen stritten sich laut fauchend um etwas Abfall, was eine Frau just in dem Augenblick von einem hoch gelegenen Fenster direkt auf die Straße warf. Etwas von dem fauligen Gemüseresten und widerlich stinkenden Knochenstücke landete nicht unweit von Medeia, dem griechischen Jüngling Nikolaos und dem schäbigen Brunnen, der Medeia für eine kurze Weile lang als Rastplatz gedient hatte. Nun ein wenig mehr mit Kräften wieder ausgestattet, erhob sich Medeia und strich den Stoff ihres Schleiers glatt, in einer Geste, die mehr unbewusst und geistesabwesend sich vollzog. Der Schleier schien Medeias Antlitz noch etwas weicher zu zeichnen. „Das wäre in der Tat nicht nur vortrefflich, sondern auch im höchsten Maße liebenswürdig von Dir!“, gab Medeia mit einem erfreuten Lächeln zur Antwort. Was für ein Glück. Selbst in diesem Elend fand man doch noch einen Kavalier, der sie auf dem ägyptischen Sumpf zu erretten schien. Schon seit dem Moment, wo Medeia das erste Mal wieder ihre Heimatsprache gehört hatte, fühlte sie sich in Alexandria, das ihr noch so unbekannt ansonsten war, wie zu Hause. Und so wölbten sich ihre Lippen weiterhin zu einem erfreuten Lächeln als sie die gepflegte Aussprache des jungen Mannes vernahm. „Und fürwahr, Du hast Recht, werter Nikolaos. Dass diese großartige und inspirierende Stadt auch so viel Elend bergen kann, obwohl sie doch so viele Wunder offenbart, wusste ich bis heute noch nicht. Ein schauriges Viertel hier.“ Medeia sah einen Augenblick lang pikiert auf die stinkenden Reste in ihrer Nähe und trat unwillkürlich etwas davon weg.


    „DAS habe ich nicht gesagt...“, krakeelte Pumilus von der gegenüberliegenden Straßenseite. „Oh doch, Du Wicht, Du hast gesagt ich bin ein Betrüger.“ - „Ahhhh!“ Just wurde Pumilus von dem 'Bettler' mit den Krücken gepackt und hoch gehoben. „Lasst mich runter, los....Dooooomina, Hilfe!“ japste Pumilus. Medeia sah verwundert hinüber. „Oh.“, murmelte sie als sie Pumilus in Bedrängnis sah. Einen Augenblick dachte sie darüber nach, ob es sich nicht lohnen würde, den zwergenhaften Sklaven aufzugeben und sich einen Respektvolleren zu erwerben. „Gehört der etwa zu euch?“, fragte der 'Blinde' an Nikolaos gewandt.

  • "Nun denn, lasst uns rasch zum Serapeion aufbrechen, um diesen trostlosen Ort schnell zu verlassen.", sagte Nikolaos, allerdings gar nicht mal ungeduldig. Ihm schien es zu gefallen, ausgerechnet hier, wo er es am wenigsten erwartet hätte, eine Hellenin zu finden."Wenn du noch länger in der Stadt bleiben möchtest, rate ich dir, eine Sänfte zu beschaffen. Es ist um einiges angenehmer, über den Schmutz hinweggetragen zu werden als durch ihn zu gehen." Er lächelte freundlich. "Auf zum Serapeion, Artoria Medeia." Doch plötzlich war Geschrei zu hören. Nikolaos sah, dass der kleine Sklave der Artoria Medeia sich in einer sehr unangenehmen Lage befand. Trotz seinem Hang zur Hilfsbereitschaft wollte er es aber der Besitzerin überlassen, über das Schicksal des Sklaven zu entscheiden. Jedoch sprach ausgerechnet ihn eine der finsteren Gestalten an. Er sah Artoria Medeia hilfslos und entschuldigend an. Was sollte er tun? Der Zwerg war nur ein Sklave und zudem hatte er sich selbst in diese Lage gebracht. Doch bei seinem Anblick, obgleich dieser lächerlich war, empfand Nikolaos Mitleid. "Der Zwerg gehört zu uns. Aus diesem Grunde möchte ich dich bitten, ihn freizugeben. Er war unverschämt zu dir, das haben wir schon gesehen. Er wird seine Strafe bekommen, und diese wird nicht angenehm ausfallen. Doch es wäre schade, ihn zu zerstören, vor allem, da du von seiner Zerstörung keine Vorteile hast. Wenn du aber nachsichtig bist und mildtätig, und dafür halte ich dich, wirst du Vorteile davon haben, ihn nicht zerstört zu haben." Er sah den Bettler fest in die Augen. Dann zog er einen kleinen Geldbeutel hervor und hielt ihm dem Bettler hin. "Nun gib ihn frei." Er hoffte, Artoria Medeia würde ihm seinen Alleingang bezüglich des Schicksals ihres Sklavens verzeihen.


    edit: rechtschreibfehler verbessert

  • Unschlüssig leckte sich der Mann mit den Krücken über seine spröden und ausgetrockneten Lippen. Er hatte schon seit heute morgen nur einen Scheffel voll brackigem Wasser getrunken und es dürstete ihn nach dem billigen Dattelfusel von dem herunter gekommenem Gasthaus, wo er und seine Kumpanen, wenn sie genug erschnorrt oder gestohlen hatten, hin gingen, um sich mit ihrem wenigen Geld den Segen des Vergessens zu holen, der leider auch immer schlimme Kopfschmerzen nach sich zogen. Der Beutel mit den klimpernden Münzen kam deswegen recht, denn die Herrschaften auf der Agora waren an dem Tag des triumphalen Einzugs des neuen Praefectus nicht sehr spendabel gewesen. Je teurer die Feste, desto geiziger wurden die Griechen. Der 'Blinde', der zu ähnlichen Schlüssen gekommen war und das sehr viel schneller als sein Kumpane, nickte eifrig und erhob sich. Schlurfend und schon einen widerlichen Odeur mit sich tragend, kam er auf Nikolaos zu, griff hastig nach dem Geldbeutel und entriss sie dem jungen Mann in einer groben Geste, so dass ein Teil des ledernen Bandes riss und in den Händen von Nikolaos verblieb. „AUU!“, schrie der zwergenhafte Sklave von Medeia auf als er grob auf den Boden geworfen wurde. Die drei 'Bettler' und Halsabschneider warfen Nikolaos einen mürrischen Blick zu ehe sie sich verdrückten.


    Medeia atmete erleichtert auf und lächelte Nikolaos unter ihrem Schleier dankbar an, denn einen Augenblick hatte sie schon geglaubt, dass jener Betrüger mit der hölzernen Schale das schartige lange Messer unter seinen fleckigen Lumpen hervor ziehen wollte, was sie einen Augenblick erspäht hatte. Doch das Geld hatte alle beruhigt und Nikolaos hatte sie klug und bedacht aus dieser womöglich brenzligen Situation gerettet. Ihrem Sklaven warf Medeia einen vernichtenden Blick zu, denn dass er eine gehörige Strafe bekommen würde, das war eindeutig. Dieses Mal würde sie ihm den Rücken blutig schlagen. Doch Nikolaos erntete wieder ihr liebenswürdigstes Lächeln. „Werter Nikolaos, ich bin Dir zu großem Dank verpflichtet. Natürlich werde ich für die materiellen Unannehmlichkeiten aufkommen und Dich entschädigen. Doch kann ich Dir noch auf andere Weise danken?“

  • Erleichtert atmete Nikolaos auf, als die Bettler, die wahrscheinlich nebenberuflich Kriminelle waren, sich trollten. "Das ist noch einmal gut gegangen.", murmelte er. Den Verlust des Geldes konnte er gut verkraften. Es hatte sich dabei nur um einige rhomäische Kupfermünzen gehandelt. Dann lächelte er Artoria mild zu. "Aber nicht doch, Artoria Medeia. Es ist mir Dank genug, dich zum Serapeion begleiten zu dürfen. Vielleicht möchtest du mir auch erlauben zu fragen, ob du erst seit kurzem in der Stadt lebst-" Ihr Leichtsinn, sich als Frau mit nur einem etwas kuriosem Sklaven und sonst allein ins Rhakotis-Viertel zu begeben, schien ihm dafür zu sprechen."-und wo du untergekommen bist. Vielleicht erscheint dir mein Anliegen sehr aufdringlich, doch ich kann versichern, dass das Gegenteil der Fall ist. Auch ich bin noch nicht allzu lange in der Stadt und habe bisher wenige Gesprächspartner gefunden. Es wäre mir daher eine Freude, noch häufiger deine wohltuende Gesellschaft zu genießen." Mit dem Gesichtsausdruck eines unschuldigen Jungens nahm er diesen Worten alles an unbeabsichtigter Konnotation. Sein Blick und die höfliche aber freundliche Distanz, mit der er diese Worte sprach, ließen keine Zweideutigkeiten zu. "Doch bevor wir erneut in eine unangenehme Situation geraten, schlage ich vor, dass wir nun zum Serapeion aufbrechen sollten. Auf dem Weg werden wir Gelegenheit finden, unsere Unterhaltung fortzuführen."

  • Kläffende Hunde balgten sich nur einige Schritt entfernt um die Reste, die die Frau in einem hohen Bogen aus dem Fenster geworfen hatte. Ein alter Mann schlurfte langsam die Straße entlang. Auf seinem Rücken trug er einen großen geflochtenen Korb voll mit Holzresten. Sein Stöhnen, was er kurz von sich gab, als er eine kurze Pause von sich gab, war deutlich zu vernehmen. Doch schon einen Moment später setzte er sein Schlürfen fort und wischte sich mit seiner von Arbeit breiten Hand über die faltige und verschwitzte Stirn. Medeias Augen ruhten einen Augenblick auf dem alten Ägypter ehe sie abermals Nikolaos ein Lächeln schenkte. Sinnend betrachtete sie den jungen Mann vor sich als ob sie sein Anliegen, seine Frage nach ihrem Gasthaus erst überdenken wollte. Doch mehr war es etwas anderes, was Medeia sich fragte, ein gewisses Déjà-Vue, was sie erfasste und eine Erinnerung aus einer weit vergangenen Zeit an Licht zerren wollte.


    Doch ehe dieser Gedanke sich den Weg an die Oberfläche ihres Geistes bahnen konnte, neigte sie leicht den Kopf. „Aber natürlich gestatte ich Dir die Frage. Ich bin erst seit einigen Tagen hier in Alexandria. Was auch leider der Grund ist, warum ich mich derart verlaufen habe.“ Mittlerweile hatten sich auch wieder ihr Gefolge, bestehend aus ihrer Sklavin Olympia und ihrem Zwergensklaven Pumilus, bei ihnen eingefunden. „Ich gastierte zur Zeit im Goldenen Ibis an der Agora. Womöglich ist Dir das Gasthaus ein Begriff? Aber ich gedenke, in nächster Zeit mir ein Anwesen in oder um Alexandria zu erwerben. Je nachdem, welches häuslichen Bauten hier komfortabler und gut bewohnbar sind.“ Ihr Blick schweifte kurz zu den herunter gekommenen Häusern. „Ein Viertel kann ich zumindest schon ausschließen. Egal welcher prachtvolle Tempel und großartige Bibliothek hier auch liegen mag, so ist es eine Perle, die vor Säue geworfen wurde, wenn Du mir diesen Vergleich gestattest.“


    Ihren törichten Sklaven, Pumilus, der ganz zerknirscht und kleinlaut hinter ihr stand, würdigte Medeia keines Blickes mehr. Auch Olympia schien stilles Mäuschen hinter ihrer Herrin zu spielen. „Und habe keine Sorge, als aufdringlich empfinde ich Deinen Vorschlag nicht. Im Gegenteil, es freut mich sehr, nach so vielen Jahren fern von Achaia einem gebildeten und derart höflichen Athener wieder begegnen zu dürfen. Viel zu selten hab ich die Sprache meiner Heimat in letzter Zeit vernehmen dürfen.“ Auch Medeia, selbst wenn sie gepflegte Worte nutzte, gebrauchte stark den attischen Dialekt, den man nicht so einfach abstreifen konnte, entstammte man doch der Stadt Athen. Doch der Vorschlag von Nikolaos war eine formidabler Einfall, wie Medeia befand. Denn länger wollte sie sich in dem Elendsviertel nicht aufhalten. Zum einen, weil ihr der Geruch missfiel, die Gefahr überfallen zu werden, aber auch weil sie das Elend abstieß. So neigte sie abermals zustimmend den Kopf. „Ich gebe Dir Recht, suchen wir den Weg zu dem Stern des Wissens in diesem doch unwirk- und unwirtlichen Viertel.“, sprach Medeia und trat den Gang an, den Nikolaos jedoch anleiten musste, denn immerhin hatte Medeia weiterhin keine Ahnung, wo sie eigentlich waren und wo die Bibliothek lag.

  • "Vom goldenen Ibis hörte ich schon.", sagte Nikolaos. "Es steht im Ruf, das beste Gasthaus in Alexandria zu sein, und vor allem bisher das einzige, in dem auch anständige und vornehme Reisende, wie du eine bist, unterkommen können, ohne um ihr Geld und ihre Unversehrtheit fürchten zu müssen." Erst jetzt fiel ihm ihr vornehmer, attischer Dialekt auf. Auf ihre Andeutungen hin frage er: "Kommst du auch aus Athen, Artoria Medeia?" Langsam ging er voran, als er gesehen hatte, dass die Frau den Gang antrat. Er führte sie durch die schäbigen, dunklen Gassen zum Sarapeion, das in der Tat wie eine Perle in einem Schweinestall wirkte.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!