Es gab für Cadhla nicht nur einen Grund, nervös zu sein, nein, es gab gleich mehrere. Zum einen waren an diesem Tag die 'Germanen' in die Villa zurückgekehrt - auch unter den Sklaven erfreute sich diese Bezeichnung der jüngst aus der provincia Germania angereisten Familienmitglieder einer gewissen Beliebtheit - zum anderen war dies nun die langersehnte - oder langgefürchtete? - gelegenheit, ihren dominus kennenzulernen, jenen Mann, in dessen Auftrag sie gekauft worden war und dessen Wort entscheiden würde, was mit ihr geschah, ob sie leben durfte, ob sie sterben sollte, weil er es wollte, ob sie bestimmte Dinge tat oder eben nicht. Der Gedanke, vollständig vom Willen eines anderen Menschen abhängig zu sein, ohne zu ahnen, in welche Richtung seine Überlegungen gingen, verursachte der Keltin nicht gerade wenig Magengrimmen, und sie wusste auch, dass sie im Zweifelsfall nur zwei wirkliche Möglichkeiten besaß: Entweder zu akzeptieren, was mit ihr geschah, oder sich dagegen zu wehren. Leise seufzend richtete sie die Dinge auf einem kleinen Tischchen an, die man ihr als notwendige Utensilien für ein angemessenes Bad benannt hatte. Die meisten der Sachen waren ihr neu, unter anderem grün gefärbter Sand, der zudem durchdringend nach Flieder roch, ein Instrument, das wie eine stumpfe Sichel aussah und noch so einiges mehr - hoffentlich würde ihr Herr wissen, wozu man diese Sachen brauchte, fürs Waschen hatte sie sich bisher eigentlich immer mit Wasser und einem Tuch zum abreiben begnügt, falls vorhanden.
Während sie die Handtücher für nach dem Bad ordentlich faltete, ließ sie den Blick durch das prächtig ausstaffierte Bad schweifen - die farbigen Mosaiken an den Wänden fingen den Blick fast von selbst, ließen den Betrachter in eine fremdartige Wasserwelt eintauchen, in der springende Fische, Wasserpflanzen, Meeresungeheuer und Wassermenschen in einem wilden Reigen umeinander glitten, der ganze Raum erhielt durch die maritime Farbwahl eine besondere und geheimnisvolle Atmosphäre. An diesen Bildern konnte sich Cadhla nicht satt sehen, sie kannte dergleichen von zuhause nicht, und so war die fremdartige Kunst Blickfang und Faszinationsgenerator zugleich. Sie hatte wie stets eine einfache Tunika angezogen, mit der schlichten Leibwäsche darunter, die man hier den Sklaven gebot, und auch wenn sie sich noch immer nicht so recht an die rigiden Kleidungsvorschriften in der Villa Aurelia gewöhnen konnte, angesichts so manchen neugierigen Blicks männlicher Sklaven war sie froh um jeden zusätzlichen Fetzen Kleidung, den sie finden konnte. Hier hatte sie keinen Speer, kein Schild, kein Schwert, nichts, um sich zu verteidigen ausser den Fäusten, und für einen Krieger, auch wenn er noch so gut auf sein Leben achten konnte, war das fast nichts.
Gerade, als sie sich überlegte, wie es wohl wäre, sich in dieser Unterwasserwelt vor dem nahenden Unheil, verkörpert durch ihren dominus, verstecken zu können, hörte sie schon seine Schritte nahen und schluckte. Ein schneller Handstreich beseitigte die unordentlich in ihre Stirn fallende Haarsträhne, und sie richtete sich auf, zum Eingang des Baderaums mit seiner warmen Atmosphäre blickend - was mochte dieser Abend noch bringen, der so verwirrend begonnen hatte?