Cubiculum C' Callista | Traumwelten: Bevor ich in Nacht und Verlassenheit schritt, o Trauwandler.

  • Wo bist du, die mir zur Seite ging,
    Wo bist du, Himmelsangesicht
    Ein rauher Wind höhnt mir ins Ohr: du Narr!
    Ein Traum! Ein Traum! Du Tor!
    - Georg Trakl, Traumwandler


    Eine silberne Glocke läutet bei jedwedem Schritt. Fein kräuselt sich das Smaragdgrüne Nichts unter ihren Füßen. Solenn gleitet Callista über eine Immensität aus Malve. Schwarze Säulen ragen in die Höhe. Gräulicher Nebel zerfasert zwischen entseelten Gesichtern. Aus Stein.
    Callista, Callista, Claudia.
    Die Münder der Gesichter öffnen sich. Ihre Steinlippen formen den Namen. Callista neigt den Kopf zur Seite. Verhalten sinkt sie in die grüne Leere.
    Nero?
    Keine Antwort. Laut pocht Callistas Herz. Sie greift sich an die Brust. Einsamkeit. Leere. Vergänglichkeit. Sie kann es nicht ertragen.
    Ätherisch wehen ihre Gewänder in der Farbe von reinem Porzellan.
    Du. Du. Nur Du.
    Ich? Ich? Ich.
    Callista erträgt die stummen Vorwürfe nicht. Hurtig entschwebt sie.


    Blaue Berge. Wasser brandet gegen schwarzen Stein. Obsidian verschluckt das fahle Licht der Sonne. Gebieterisch leuchtet er auf dem Stein. Der das Licht zu fressen scheint.
    Es ist nicht Nero. Aber er ist auch willkommen im Wandeln ihres Geistes.
    "Nichts bleibt bestehen im Angesicht der Unendlichkeit."
    Grazil setzt Callista ihren schmalen und nackten Fuß auf den blanken Stein. Ihre Zehen wandeln den Stein. Weiße Mosaiksteine transformieren den Grund. Gieren nach dem Schwarz, verschlingen ihn und leuchten blendend auf.
    "Die Unsterblichen sind ewig. Die Unsterblichen sind perfekt. In der Perfektion liegt das Immerwährende. Die Schönheit ist die Perfektion. Darum ist die Schönheit nicht vergänglich."
    Ein schwarzer Skorpion kriecht über das strahlende Weiß. Ihre schwarzen Haare fallen weich über ihren Rücken. Verzehrend auch die schwarzen Augen der Callista.
    Zweisam, nicht einsam. Callista ist beseelt.


    "Der Tod ist fern. Das Nichts unmöglich. Lass uns den Vogel erklimmen. Ich habe Dir viel zu erzählen."
    Callistas Glück nimmt zu. Er gehört zu denen, die ihre Gedanken fortspinnen können.
    Ein blutroter Vogel verbeugt sich vor den Traumwandlern. Seine Füße sind Krallen besetzt. Sein Schnabel blutig und mit scharfen Zähnen.
    "Ist er nicht schön?"
    Olympisch verneigt sich der Feuervogel. Seine Schwingen breiten sich aus und bilden weiche Treppen.
    "Er ist Wahrheit und darum schön."
    Ein trockener Hauch umweht sie. Zerschnittene Berge fliegen unter ihnen vorbei. Eine Stadt aus blauem Lapislazuli manifestiert sich. Katapulte belagern die Stadt. Schwarzes Felsgestein zertrümmert Dächer und Mauern. Rote Flammenzungen lecken aus den öden Fensterhöhlen hinaus. Callista lacht entzückt auf. Die Schreie der Menschen mischen sich mit dem Brüllen der angreifenden Horden.


    "Es ist ein Epitheton ornans."
    Der heldenmütige Hektor. Seine schwarzen Locken umwehen sein schönes Haupt. Siegesgewiss steht er auf der Mauer. Sein stolzes Kinn erhoben. Sein Schwert ragt in die Höhe. Der blutige Kampf zeichnet seinen Körper. Ein Heroe ist er. Ein Held aus alten Zeiten.
    Wie sehr sie ihn liebt. Ihr Heroe, ihr Hektor.
    Und so endlos fern ist er ihr.
    Silberne Tränen gleiten an ihren goldenen Wangen entlang. Bittere Tränen des Wehmuts. Des Schmerzes. Krokodilstränen.
    Diamanten fallen an Tränen statt. Er fängt sie auf. Weiß schimmernd funkeln sie in seiner Hand.
    "Ich wünschte, ich könnte sie dir schenken, denn nichts gibt es hier, was mehr zum Geschenk dir gereichte, doch gleichsam ist nichts mein Recht hier zu nehmen."
    Das Schimmern zerfließt zwischen ihren Fingern. Liebkosend gleitet es an ihrem Arm hinauf. Tilgt den Schmerz. Lässt sie vergessen. Mondtränen.


    Ihre Hand deutet herrisch nach vorne. Der Vogel schwingt sich über das Nil-Blau. Rauschend nähert er sich dem großem Tempel.
    "Mein Geschenk ist das Erkennen selber. Mein Hirte der Seele."
    Grau wirbelt der Nebel vor ihren Füßen. Kerzen schweben in der Luft. Die Flammen tanzen munter. Milchig wehen sanfte Schleier. Sie schreitet langsam durch den grauen Dunst.
    Ein goldenes Bett. Ein schöner Mann erhebt sich von dem Bett.
    "Dir schenke ich, was niemand erfahren hat."
    Sie betrachtet ihn. Verschwörerisch, geheimnisvoll. Sie weiß nicht, seit wann er ihre Träume aufsucht. Aber er ist ihr vertraut geworden.
    "Der Gott unter den Göttern. Der Kaiser unter den Kaisern. Der Strahlendste. Der Vollkommenste. Und der Schönste."
    Neros schöne Lippen wölben sich zu einem maliziösen Lächeln.
    "Liebste. Du bist zurück gekehrt. Und einen Besucher hast Du mitgebracht?"
    Marmor schillert rein und makellos. Luxeriös ist das Zimmer. Blau glimmt es durch die Fensterhöhlen.
    "Du"
    Souverän verharrt Nero im Raum, schwebend in einem unendlichen Nichts aus Schwarz. Weiße Lichter umwirbeln das Gefilde.
    Betörend legen sich Callistas Finger auf seine goldene Brust. Makellos ist sein Leib. Wunderschön sein Gesicht. Callista legt ihre Lippen auf seine Schulter.
    "Er?"
    Weiß spiegeln sich die Sterne in Callistas schwarzen Augen. Sie saugt das Licht auf. Verzehrt das Schöne. Zerstört das Reine. Verlangt nach mehr. Fordert alles. Und gibt selber nichts.
    "Warum sie?"


    Frenetisch schmiegt sich Callista an Nero. Er liebt sie. Sie liebt ihn. Es war schon immer so gewesen. Seitdem Callista zu reisen vermag. In die Welt der Visionen. Nero hebt seine Hand. Der Marmor verblasst. Der Boden wandelt sich in Stein. Wände wachsen empor. Ein Amphitheater entsteht.
    Im Halbkreis des Koilon sitzen tausende Menschen. Schwarz und rot sind ihre Kleider. Ihre Gesichter helle Fratzen, ohne Gepräge. Ausdruckslos. Leer. Gleich und identisch.
    Nero steht im Mittelpunkt des Orchestra. Seine goldenen Augen sehen über alle hinweg.
    Weiß strahlt der Chor. Klangvoll sind ihre Stimmen. Nur Nero, er schweigt.
    "Suchende suchen. Verlorene werden gefunden. Sie hat mich aufgespürt. Weil sie mich finden wollte."
    Verzehrend zieht es Callista zu Nero. Ihre Gewänder rascheln. Sie nimmt neben ihm Platz. Zwischen all den Fratzen.
    "Erkennt das Theater des Lebens. Wir sind nur Puppen. Schatten der Götter. Sie lenken uns. Sie führen uns. Das Schicksal ist finit."
    Marionetten tanzen an langen silbernen Fäden. Ein grimmiger Jupiter hält sie in seinen Händen. Eine sorglose Venus zieht an den Fäden. Schön ist die Puppe der Callista. Sie tanzt. Tanzt die Liebe mit ihrem Heroe. Der Heroe reißt sich von ihr fort. Er flieht. Hört nicht auf ihre Rufe. Die kleine Callista weint goldene Tränen.
    "Keiner entrinnt dem Los, was uns beschieden wurde."
    Die Faust des Jupiters ergreift die Puppe des berückenden Heroen. Zerbricht sie und wirft sie in den schwarzen Abgrund. Callista seufzt entsetzt auf.
    "Deus ex machina."
    Thanatos umfängt ihn. Jupiter lacht laut. Callista will es nicht hören. Will es nicht sehen. Sie hält sich die Ohren zu und schreit markerschütternd.





    "Herrin? Herrin. So erwache doch."
    Den Schrei auf den Lippen schlägt Callista die Augen auf.
    "Wo sind wir, meine Benohé? Ist er hierselbst?"
    Sanft fährt Benohé mit ihrer Hand durch Callistas schwarze Haare.
    "In Rom, Herrin. Und er ist noch nicht zurück gekehrt."
    Schluchzend vergräbt Callista das Gesicht an der Brust ihrer Sklavin.
    "Er ist tot. Die Götter haben ihn mir entrissen."
    Die Vorhänge wölben sich im nächtlichen Wind. Silbernes Mondlicht fällt in das Gemach hinein. Lange hält Benohé die Patrizierin in ihren Armen. Bis sie darnach erneut entschlummert ist.

  • Du füllst mich an wie Blut die frische Wunde
    und rinnst hernieder seine dunkle Spur,
    du dehnst dich aus wie Nacht in jener Stunde,
    da sich die Matte färbt zur Schattenflur,
    du blühst wie Rosen schwer in Gärten allen,
    du Einsamkeit aus Alter und Verlust,
    du Überleben, wenn die Träume fallen,
    zuviel gelitten und zuviel gewusst.
    - Gottfried Benn, Abschied


    Echo. Stimmen. Lachen.
    Gülden erstrahlt die Sonne. Brennt. Schmerzt in den Augen. Kinderlachen schwingt durch einen Garten. Silberne Diamanten funkeln im Blätterwerk aus feinem Gold. Eine schwarze Mauer erhebt sich um den Garten. Zu hoch und unüberwindlich ist sie. Kalt und bitter ist jeder Stein aus Granit. Aus dem die Mauer erschaffen wurde.
    Im Tau von goldenen Grashalmen sitzt Callista. Klein ist sie. Jung ist sie. Unbedeutend ist sie. Gefangen in einem Meer aus goldener Pracht.
    Atemlos sieht sie einem davon laufenden Jungen hinter her. Ihr Fuß schmerzt. Er ist gebrochen. Sie kann ihm nicht folgen. Er läuft zu schnell. Ihre flehenden Rufe bleiben ungehört.
    Sie sinkt ins Netz von feinen Perlen hinab. Schmuck. Pracht. Was nützt ihr das? Das Unglück hält sie dennoch umfangen. Die Einsamkeit.
    Höhnisch starren die Gesichter der Männer auf sie hinab. Sie stehen auf der Mauer. Bunt sind ihre Gewänder. Grell. Ihre Gesichter weiß geschminkt. Ihre Münder zu hässlichen Fratzen verzerrt. Blut tropft von ihren Fingern. Ihren Klauen. Sie warten darauf. Dass Callista noch schwächer wird. Dann werden sie Callista zerreißen.
    "Jeder ist einsam. Egal womit er sich täuscht."
    Die Wahrheit. Callista kann sie nicht ertragen. Sie vergräbt ihr Gesicht und schluchzt leise. Die Tränen. Sie gelten nur ihr. Callista. Claudia. Nur sie zählt. Für Callista. Claudia. Schritte. Seine Anwesenheit. Endet die Einsamkeit? Callista sieht auf. Vertraut ist er. Sie lächelt.
    "Träget das Schicksal dich, so trage du wieder das Schicksal.
    Folg ihm willig und froh; willst du nicht folgen, - du mußt."


    Gütig ist er. Einem Vater similär. Die kleine Callista hebt er auf seine Arme. Konsolation suchend vergräbt Callista ihr Gesicht an seiner Brust. Beflügelt erklimmt er die Demarkation ihres Kerkers. Das Gold zerfällt zu Asche. Die Bäume vergehen zu Staub. Strahlend ist sein Licht. Und er vertreibt die Klauenmänner. Sie flüchten vor dem güldenen Leuchten von ihm. Er hat sie gerettet. Callista erfüllt tiefe Dankbarkeit.
    "Muss ich."
    Ein Feld aus Feuer brandet vor ihnen. Rauch steigt zum Himmel. Rom. Es brennt. Calllista lächelt. Zwischen den Ruinen tanzen sie. Die beiden Männer, die sie liebt. Und die Callista lieben. Verlangend streckt Callista die Hand nach ihnen aus.
    Rom. Es wird zu einem Bild. Auf einer steinernen Mauer. Die Flammen erstarren.
    "Viel tiefer nur ist zu finden, was des epiphanen Minotaurus' Esprit verbarg und ein einziger Faden nur führt durch das Labyrinth, an dessen Ende des Damokles' Schwert auf uns wartet. Es ist dir überlassen, ob du ihn spinnen, bemessen oder durchtrennen willst."
    Kalt ist der Stahl in ihrer Hand. Leuchtend der Faden. Rostig rot ist das Meer aus Steinen vor ihnen. Kleine Menschen irren herum. Schwarze Spinnen jagen sie. Callista ergötzt sich daran. Der Faden läuft. Verläuft und verliert sich zwischen all den Steinen. Sie findet nicht. Sie irrt. Wo ist er? Der Faden. Er reißt.
    "Komm. Wenn der Morgen Gestern wäre, so könnten wir das Heute genießen, doch es bleibt nicht die Ewigkeit beständig."


    Blaue Wolken wehen von Callistas Lippen hin fort. Botmäßig ist sie ihrem Traumwandler gefolgt. Eisblau glitzert die Welt. Kalt ist das Meer aus ewigem Eis. Mit einem lauten Tosen donnert das Eis in das Meer. Wirbelt Wassermassen nach oben. Feiner Nebel. Callista erschaudert. Unter ihren Füßen gleiten blaue Schemen entlang. Fische mit vielen Köpfen. Kraken mit hundert Armen. Teufelsrochen aus glänzenden roten Schuppen.
    Ein magerer Mann steht im Eis. Seine Hacke schlägt in das Gefrorenes. Es splittert. Verbissen schlägt er erneut zu.
    "Leid ist das Leben. Nur die Würdigen erheben sich darüber hinweg. Sind wir würdig?"
    Es klopft in Callistas Brust. Verwundert öffnet sie ihr Kleid. Ein Schlüssel leuchtet über ihrem Herzen. Sie öffnet ihn. Eine Nachtigall entspringt ihr. Trillernd erhebt sie sich in die Höhe. Jauchzt und frohlockt. Elegisch sieht Callista ihr hinter her. Ist ihr auch das letzte Schöne abhanden gekommen?
    "Vollendet ist der Mensch. Schön ist er. Wenn er rein und lauter ist. Einem Vogel verwandt erhebt sich seine Seele über die Götter. Sie neiden uns. Weil wir größer als sie sind. Darum strafen sie die Sterblichen."
    Niemals hat sie das einer Seele anvertraut. Außer ihrer verwandten Seele. Und nun ihm.


    Die Wahrheit.
    Die Lüge.
    Beides sucht Callista. Und findet nur das Eine.
    Die Klarheit des Eis trübt sich. Der Glanz entschwindet. Das Eis splittert unter ihren Füße.
    "Nicht neiden, nicht strafen kann das Prinzip, denn von Emotio ist es frei. Es ist wahrhaftig, nicht mehr, nicht weniger. Wie kann Schönheit über Schönheit sich erheben, wie kann Wahrheit wahrer sein denn wahr? Einzig der unbedarfte Mensch drängt die Götter in eine Hülle, gibt Stimme und Zorn, denn der unbedarfte Mensch ist es, der die Götter braucht, nicht die Götter den unbedarften Menschen."


    Bitterkaltes Wasser umschlingt Callista. Timide sind ihre Augen geweitet. Sie sinkt. Sinkt stetsfort. Eine silberne Villa leuchtet vor ihr. Schwarze Haare umwehen Callista. Sie braucht keine Luft zu atmen. Der Schrecken ist hinfort. Ein Fisch ist sie. Sie gleitet durch das klare Blau. Ein Rot getupfter Katzenhai schwimmt vorbei. Kleine schwarze Fische tummeln sich um ihre langen Flechten.
    Callista verharrt in der silbernen Villa. Ein Garten aus blauen und roten Algen windet sich zwischen silbernen Säulen. Strahlend steht er inmitten all der Farbenpracht.
    "Lupus est homo homini, non homo, quom qualis sit, non novit.* Nicht Emotio leitet noch den Episit, denn einzig der Drang nach Leben, ein jener Drang, welcher gänzlich unbekannt der Wahrheit ist."
    Eine Nymphe gleitet vorbei. Ihr güldenes Haar wogt in der unendlichen Tiefe. Ihre azurblauen Augen schillern unter dem Wasser. Kritisch wirkt sie. Prüfend. Zweifelnd. Darnach ist sie entschwunden.


    "Wann war je der Mensch schön und lauter, der er seinem Gegenüber einzig neidet, weil es größer ist, als er? Wann war rein der Mensch, der zerfressen von Gier und Neid die Schönheit vor seinem Auge nicht zu denken vermag, die Wahrheit aus seinem Ohr vertrieb und die Wahrhaftigkeit aus seinem Munde spuckte?"
    Ein Spiegel funkelt in seiner Hand. Willenlos ist Callista. Kann den Blick nicht abwenden. Kann sich nicht rühren. Im Silber zeigt sich ihr Angesicht. Schön ist es nicht. Zerfressen. Von Gier und Neid. Sie kann dem Bild nicht standhalten.
    "Die Wahrheit kann ohne die Lüge nicht leben."
    Callista hebt ihr Kinn an. So ist es.
    "Das Schöne besteht nicht ohne das Hässliche. Licht ist blass ohne die Dunkelheit. Die absolute Wahrheit ist eine Lüge. Ein obligates Paradoxon."
    Blut tropft an Callista hinab. Erstaunt betrachtet sie einen Tropfen an ihrer Hand. Stumm folgt sie dem Fluss. Eine Alge streichelt sie liebkosend. Schwarz färbt sich das Wasser. Giert auch nach dem kleinen Paradies ihres Gartens. Callista streckt ihre Hände aus. Umfasst die Seinen.
    "Die Vögel tanzen. Die Fische fliegen. Wollen wir ihnen folgen? In das Reich der ewig Lebenden."
    Sylphidenhaft entschweben sie aller Arglist und Infamie. Wonne und Entzücken laben Callista. In einer uferlosen Farbvielfalt offeriert sich die Welt. Sie gleiten hinweg. Über Sonnenstrahlen und Wolkenfetzen.
    Sie fliegen.
    Sie stehen.
    Alles ist leuchtend weiß: weiß umschweben sie das Wolkenfeld. Er nähert sich ihrem Ohr.
    "Ich bin die Wahrheit. Ich bin die Lüge. Ich bin die Dunkelheit. Ich bin das Licht. Ich bin der Tod. Ich bin das Leben. Ich bin der Fluch. Ich bin die Hoffnung."
    Claudia Callista erkennt.
    Calllista versteht.
    Sie ist.



    Sim-Off:

    * Plautus: Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, kein Mensch, wenn er nicht weiß, welcher Art [sein Gegenüber] ist.

  • Farbenspiel. Himmelsspiel. Seelenspiel. Traumspiel.


    Manchmal
    landet ein Traum
    auf unserer
    offenen Hand
    verwandelt sich
    in eine Seifenblase
    um mit einem letzten
    einmalig schönen
    Farbenspiel
    zu zerplatzen
    - Traum, Engelberk Schinkel



    Iridisierend strömt leuchtendes Blau über den Himmel. Glühende Wirbelwolken schlängeln sie sich über das nächtliche Firmament. Malen mit unsichtbaren Pinsel Figuren in den Himmel. Grüne Lichter mischen sich unter das blendende Blau. Verweben sich mit rotem Schimmer. Donnergrollen erhebt sich über allem. Ein Baum aus purem Licht fährt vom Himmel hinab. Küsst mit dem Gleißen den schwarzen Boden. Verbrennt die Büsche und Gräser. Ein Krater aus schwarzem Glas bleibt zurück. Das Kleid aus silbernen Ketten wiegt schwer an Callistas Leib. Sie beugt sich neben dem Krater. Ihre Finger gleiten über das schwarze Glatt hinweg. Blass ist ihr Spiegelbild. Ein Schatten fällt über ihr Antlitz. Sie erhebt sich.
    "Die Welt ist im Wandel inbegriffen."
    Purpurlicht ergießt sich über das Land. Hüllt sein Gesicht in einen matten Schein. Schmeichelnd. Schön. Steine poltern in den Krater aus Glas. Murmeln gleichend, die die Götter Kindern ähnlich hinein stoßen. Callista ergreift seine Hand.
    "Der Wandel ist ein Muss."
    Ein hölzerner Wagen poltert über den Boden. Wirbelt Staub auf. Ein alter Mann sitzt auf dem Kutschbock. Zahnlos. Glatzköpfig. Hässlich. Alt. Ein glänzender Rappen ist angespannt. Ebenso ein klappriger alter Wallach. Unbedarft steigt Callista auf den Wagen. Macht Platz für ihn.
    "Das Spektakulum dürfen wir nicht verpassen."
    Rumpelnd fährt der Wagen weiter. Erwartungsvoll lächelt Callista. Ihre Hände sind brav auf dem Schoss gefaltet. Bäume ragen in die schwarze Dunkelheit hinauf. Zweige rascheln. Zwischen ihnen verrenken sich bizarr kuriose Wesen. Dürren Menschen gleichend. Schwarze Insektenköpfe tragen sie. Ein Bienenkopf beugt sich unter einem Heuschreckenkopf hinweg. Seine Bienenzunge entrollt sich und schlingt sich um einen schwarzen Baum. Entzückt klatscht Callista in ihre Hände.
    "Das Leben ist eine Inszenierung. Die Seele ein Spiegel der Welt."
    Die Insektenmenschen verschwinden. Das nächste Bild manifestiert sich zwischen schwarzen Bäumen. Dohlen starren von den Ästen. Krächzen ihren Unmut heraus. Callista steht im goldenen Licht. Callista sitzt jedoch auch auf dem Wagen und sieht sich an. Die goldene Callista. Blass ist sie. Ihre Kleider in Fetzen an ihrem Leib. Ihr Gesicht in die Dunkelheit erhoben.
    "Ihr, die mich liebt,
    warum seid ihr so fern?
    Ihr, die mir lauscht,
    warum hört ihr mich nicht an?"

    Callista singt dies. Die andere Callista rezitiert es. Der Kutscher dreht sich um. Es ist Callista.
    "Ich. Ich. Du. Du. Liebe. Leben. Leid. Lust. Es ist alles kongruent. Wir vergehen in den Gefühlen."
    Der Wagenlenker wendet sich um. Sein Gesicht ist erneut faltig. Die goldene Callista zerfällt zu Staub.
    "Das Theater der Seele. Sei willkommen."
    Der Wagen poltert über den holprigen Weg. Wollüstiges Stöhnen mischt sich mit dem Rattern der Räder. Leiber um Leiber umschlingen den Wagen. Lippen suchen nach Lippen. Körper verzehren einander. In einem Reigen der Begierde. Zwischen all den Leibern wälzt sich eine Callista. Die andere Callista sitzt gesittet neben ihm.
    "Kupido."
    Das Meer von Leibern. Es ist ein Meer. Ein See, ein Fluss. Rote Wassermassen bewegen sich auf den Abgrund zu. Tosend donnern sie hinab in eine endlose Lichtlosigkeit. Auf zwei weißen Steinen stehen sie. Mitten im roten Wasser. Callistas Gewänder schweben über dem roten Nass. Weiß. Strahlend. Leuchtend.
    "Du bist aller Anfang"
    Eine Insel leuchtet in der Schwärze. Callista späht über den Abgrund hinweg. Sie müssen fliegen. Das Unmögliche vollführen. Callista ist sich dessen firm.
    "Wenn nur dich ich könnte in meinem Herzen tragen, mein Herz wollte ich tragen zu dir. Wenn dein Licht würde die Stille erleuchten, Schweigen wollte ich auf immer."
    Bravheit und Traute. Die Worten lassen Callista schweben. Über dem Stein. Über dem Abgrund. Callistas Lippen umspielt ein Lächeln. Sie streckt die Hand nach ihm aus. Umgreift sie.
    "Kalliope"
    Unermesslich ist die Leere unter ihnen. Schwebend schreitet Callista darüber hinweg. Führt ihn über die Dunkelheit und auf das goldene Licht zu. Die Steine zerfallen. Werden von den roten Fluten mit gerissen. Vergehen in dem Abgrund. Lautlos wehen ihre Gewänder. Das Ufer. Es ist erreicht. Strahlend erhebt sich der Altar. Die Ambrosia schwebt über dem Stein. Ein silberner Pavillon beschirmt die göttliche Frucht.
    "Die Ewigkeit. In diesen Gefilden vergeht nichts. Es währt in perpetuum. Lass uns gemeinsam verschmelzen. In der Endlosigkeit. Die den Göttern vorher bestimmt ist."
    Mit den Fingerspitzen bricht Callista von der güldenen Frucht ab. Kostet von der Ambrosia. Ihre Finger legen sich an seine Lippen. Liebkosend. Hingebungsvoll. Mit der Götterspeise auf den Fingern.
    "Äonen."
    Sänftiglich berühren Finger ihre Lippen. Das köstliche Süß gleitet in ihren Mund. Dunkle Augen erwidern ihr Betrachten. Deliziös verschwimmt es auf ihrer Zunge. Süß, fruchtig, implodierend, scharf, erregend, gleichsam mit tausend unterschiedlichen Aromen. Ihre Lippen halten die Finger sanft umfangen. Ehe sie die Nämlichen entlässt.
    "Unwirklich"
    Der göttliche Saft rinnt in ihr Innerstes. Die Farben wirbeln um sie herum. Ziehen sie in einem Strom aus myriaden leuchtender Sterne. Callista fängt. Fliegt. Frohlockt.



    Und erwacht. Dunkelheit empfängt sie. Eine kleine Öllampe flackert neben ihrem Bett. Seufzend sinkt Callista auf das weiche Kissen unter ihrem Haupte.
    "Meine Benohé?"
    Ein Flüstern in der Nacht. Keine Antwort. Callistas Haare streichen über Elfenbein farbene Seide. Keine Benohé liegt in ihrem Bett. Der junge Sklave. Hübsch. Athletisch. Mit melodischer Stimme. Aber langweilig. Gänzlich fade. Die Reminiszenz an ihn lässt Callista erkennen. Mit der Hand stößt sie dem Sklaven grob in die Seite. Der Sklave schreckt auf und sieht sie verwirrt an. Mit seinen Meer grünen Augen.
    "Gehe. Hole meine Leibsklavin. Dann kehre wieder in die Sklavenunterkünfte zurück. Ich brauche Dich nicht mehr."
    Der junge Mann rollt sich aus dem Bett. Keine Fragen stellen. Das hat er bereits gelernt. Wenn auch mit schmerzhaften Lektionen. Die grausamen Spiele der Callista hat er bereits kennen gelernt. Erleichtert ist er darum. Selbst wenn er nun nicht mehr so luxeriös seine Tage verbringen darf.
    Seufzend rollt sich Callista in die warmen Decken. Sie möchte nicht alleine sein. Es macht sie unruhig. Nervös. Doch schon hört sie die Füße ihrer Sklavin. Die federleichten Schritte.
    "Du hast mich alleine gelassen, meine Benohé."
    Vorwurfsvoll ist der Klang von Callistas Stimme. Dabei hat sie Benohé doch selber fort geschickt.
    "Komm zu mir, meine Benohé. Lass mich Deine Wärme spüren."
    Quänglerisch. Infantil ist die helle Stimme.
    "Ich habe geträumt. Höre mir zu."
    Warm umschmiegen sie zwei schlanke Arme. Der Wohlgeruch ihrer Sklavin dringt an Callistas Nase. Sie spürt die Lippen ihrer indischen Unfreien auf ihrer Stirn. Auf ihrem Hals. Entzückt seufzt Callista.
    "Er. Es war wieder er. Wer er wohl sein mag? Immer wieder träume ich von ihm. Ich wünschte, er würde mir begegnen. Er ist alles, was ich mir imaginiere. Alles, was ich mir erwünsche. Ein Mensch, der mich verehrt. Der mich versteht. Der mich vergöttert, ohne jemals zu fordern. Ohne mich besitzen zu wollen. Bedingungslose Liebe. Meinst Du, es gibt ihn, meine Benohé?"
    Dunkelbraune Augen und schwarze Augen sehen einander an. Callista kennt die Antwort. Nein. Es gibt keinen solchen Mann. Kein Geschöpf. Selbst ihre selbstlose Benohé ist nicht altruistisch. Callista kennt sie genau. Weiß um ihre Eifersucht. Aber Callista tut so, als ob sie es nicht ahnt. Ein Spiel. Immerzu währt es. Auch diese Nacht. Callista ist abgelenkt. Aber dennoch unglücklich. Die Leere ihres Lebens zeigt sich nach dem Strahlen des Möglichen umso grausamer.

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