Eine Insel im Lacus Mareotis | Villa Eos

  • Zärtlich streicht der Wind über das blaue Wasser hinweg. Schilf wogt und tanzt munter mit den Wellen. Seevögel schnattern. Zwitschern. Fliegen auf. Suchen sich ihr Versteck zwischen dem hohen Ried. Ein Fischerboot treibt langsam über das Wasser. Der ägyptische Fischer zieht das Hanfnetz träge hinter sich her. Kaut dabei auf einer berauschenden Mischung von Kräutern herum. In der Ferne streift sein Blick die Insel. Ein prachtvolles Anwesen erhebt sich im Herzen dieser Insel. Luxuriös. Weitläufig. Splendid.
    Eine Laube. Weinreben ranken sich hoch. Blaue Trauben hängen prall im Lichte der Sonne. Die golden roten Blätter rauschen im Wind. Unter der Laube steht ein nackter Jüngling. In Stein gefasst. Sein verklärter Blick ist auf die See gerichtet.
    "Nero selber hat die Statue in Auftrag gegeben. Es heißt. Er hat ganze Abende in dieser Laube verbracht."
    Sabef tritt unter den Trauben an den Rand. Deutet auf den See.
    "Seine schönsten Gedichte sind hier verfasst worden."-
    "Wo genau hat er gesessen?"-
    Sabef wendet sich zu dem dicken Mann um. Seine mit Kohle um malten Augen unterdrücken die Verachtung, die er für den Mann und seine junge Frau verspürt.
    Huldvoll deutet Sabef auf die leuchtend bemalte Marmorbank.
    "Dort. Es heißt, zahlreiche Senatoren haben hier ihr Ende gefunden. Durch seine Hand. Durch sein Urteil. Seinen göttlichen Willen."
    Die junge Frau an der Seite des Händlers erschaudert. Anhimmelnd ist ihr Blick. Schmachtend auf den schönen Sklaven gerichtet.
    "Und wo? Wo hat er geschlafen?"
    Ein schwaches Seufzen ist die Frage der Frau. Immer die gleichen Fragen. Gelangweilt verzieht Sabef das Gesicht. Mit seiner gepflegten Hand wedelt er zu der weitläufigen Villa.
    "Natürlich dort herinnen."
    Er zeigt den Kunden stets das Schlafgemach des Cethegus. Gibt es als das von Nero aus. Dabei weiß es Sabef nicht. Ob der Kaiser jemals die Villa auf der Insel beehrte. Es ist Sabef kongruent. Hauptsache, die Maulaffen zahlen.


    Schritte nähern sich. Zwei muskulöse Männer. Dazwischen ein Mann mit Glatze und tätowiertem Gesicht.
    "Das ist er."
    Der eine Muskelprotz deutet auf Sabef. Die Frau kreischt auf. Als der Grobian sie ungehobelt zur Seite stößt.
    "He."
    Der Ehemann protestiert schwach. Verstummt im Angesicht eines langen Messers vor seinem Gesicht.
    Ehe es sich Sabef versieht, hat ihn der mit den sonderbaren Zeichen im Gesicht gepackt. Grob drückt er ihn gegen die Laube.
    "Wer bist Du? Ein Claudius?"
    Sabef reißt erschrocken die Augen auf. Das Herz rutscht ihm tief. Bis unter den Ansatz seines ägyptischen Rocks.
    "Ich?"
    Seine Arroganz fliegt davon.
    "Nein."
    Grimmig mustern ihn braun graue Augen.
    "So? Und was tust Du hier?"
    Sabef ist kein Dummkopf. Aber die Männer schüchtern ihn ordentlich ein.
    "Ich bewache die Villa. Für meine Herrin."
    Bemüht devot. Bemüht treudoof. So wirkt Sabef.
    "Ach? Und was ist mit den Festen? Den Orgien? Die seit Neuem hier jeden Abend gefeiert werden? Wo ist das kleine Miststück? Diese Callista? Und ihr Bruder?"
    Eine Ahnung keimt in Sabef.
    "Weg. Hinfort. Sie ist nach Rom zurück gekehrt. Zu ihrer Familie."
    Sabef sieht keinen Grund loyal zu sein. Er hasst seine Herrin. Verachtet sie. Besonders seitdem sie ihn fallen gelassen hat. Seitdem er sie langweilt. Sogar seine Stimme wollte sie ihm rauben. Die Götter haben ihn vor diesem Schicksal bewahrt.
    "Und die Orgien?"
    In arge Erklärungsnot kommt Sabef. Er entscheidet sich für die Wahrheit. Erneut.
    "Damit verdiene ich Geld. Alle anderen Sklaven sind weg gelaufen. Und der Herr. Cethegus ist verschollen. Tot."


    Jählings wird Sabef fallen gelassen. Ein dunkles Lachen. Ein kaltes Stück Metall. Was an seiner Wange entlang fährt. Es entfleucht. Elend sitzt Sabef auf dem Steinboden. Zaghaft sieht er auf. Der Tätoowierte setzt sich auf die Bank. Verschränkt die Arme vor der Brust. Das drohende Messer in seiner Rechten.
    "Amüsant. Ist die Katze aus dem Haus. So tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Wie viel verdienst Du mit den Feiern?"
    Sabef leckt sich nervös über die Lippen. Sein Leben ist ihm lieb. Er zaudert nicht lange.
    "Abzüglich der Ausgaben. Um die dreihundert Sesterzen die Nacht. Manchmal auch mehr."
    Beifällig pfeift der Tätoowierte durch die Zähne.
    "Nicht schlecht. Gar nicht mal übel."
    Mit der Spitze des Messers reinigt sich der Tätoowierte die Fingernägel. Er denkt nach.
    "Gut. Das darfst Du weiter machen, Servus. Achtzig Prozent der Einnahmen gehen an mich. Verstanden?"
    Empört blitzen die Augen des schönen Sklaven auf. Doch ehe er protestieren kann, verzieht sich das Gesicht des Geldeintreibers.
    "Nein. Du hast keine Wahl. Frage erst nicht danach. Sonst zerschneide ich Dir Dein hübsches Gesicht, Junge. Und überlasse Dich meinen Männern. Verstanden?"
    Sabef schluckt. Die Drohung ist eindringlich. Sabef hängt zu sehr an seinem Leben. Er nickt.
    "Hervorragend. Das Geld geht an Iufankh. Ich schicke jede Woche einen meiner Männer hier her."
    Iufankh erhebt sich. Steckt das Messer demonstrativ hinfort.
    "Denke nicht daran. Weg zu laufen, Kleiner."
    Mit einem Wink. Die beiden Handlanger folgen Iufankh. Zurück bleibt ein erstarrter Sabef.

  • Flatterndes Rot,
    grellstes der Wiesen,
    unbeständigstes, jähestes Blühn,
    du in den silbernen Mähnen der Wiesen
    einzige Ungeduld:
    Mohn,
    leuchtender als irgendein Licht,
    flammender als Flammen,
    verbrennt sich
    verschenkt sich
    in dir
    die Erde
    an die Himmel voll Wind.
    Was bleibt
    ist die schwarze Kapsel
    bitteren Gifts.
    - Mohn, Gerhard Fritsch



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    Die Sonne tanzt auf den Wellen. Des Mareotis-See. Ihr Abglanz spiegelt sich wieder. Führt ein muntere Reigen mit dem kühlen Nass. Rot und röter färbt sie den See. Je näher sie sich dem Horizont zu wendet. Eine Schar von inkarnaten Vögeln tummelt sich am Rande. Das Schnattern ihrer Schnäbel ist laut. Angestrengt sucht Sabef, sie zu ignorieren. Er presst sich die Hände auf die Ohren und stöhnt. Verhalten. Im Hintergrund spielt Musik. Braune Leiber. Schlängeln sich zu Sphärenklängen. Roter Rebsaft. Rinnt hinab in Hälse. Lachen dringt heraus. Belangloses Geschwätz durchpflügt den Raum. Eine Feier ist im Gange. Wie die meisten Tage in der letzten Zeit. Müde blinzelt Sabef. Hebt die Hand und wischt sich über das Gesicht. Die Kohle um seine Augen ist verschmiert. Sie tragen tiefe Augenringe. Er ist des Feiern überdrüssig. Doch gezwungen durch ein unsichtbares Joch. Das die Angst ihm beschert. Die Bangigkeit vor Iufankh. Das Geld muss fließen. Viel davon geht in die Hände des Ägypters von Rhakotis. Einen Teil streicht auch Sabef ein. Er spart. Um von hier zu entfliehen. Und fern einen neuen Anfang zu beginnen. Doch er meint, die Augen des Ägypters überall zu sehen. Der ihn verfolgt. Im Moment ist an keine Flucht zu denken.
    Sabef sieht zu den Vergnügten. Die Feierlichkeit wird noch mehr in eine Orgie ausarten. Sobald die Sonne sich mit dem Horizont vereinigt. Der Schutz der Dunkelheit raubt jegliche Hemmung. Die jetzt schon abfällt. Nachdem der Wein reichlich geflossen ist.


    "Sabef, mein Schöner. Komme doch zu uns."
    Grell geschminkte Lippen verziehen sich zu einem Lächeln. Dunkel belegte Augenlieder blinzeln dem Sklaven entgegen. Sabef rührt sich nicht von dort. Wo er steht. Am Rande des Sees. Im Garten der Villa Claudia. Der Villa Eos. Ein Lachen in seinem Rücken als sich Sabef abwendet. Ein enttäuschtes Murmeln. Ein albernes Kichern. Sabef schließt die Augen und saugt den Duft um sich herum ein. Es riecht nach verblühenden Rosen. Nach dem Wasser des Sees. Nach Gras. Und einen Duft, den Sabef nicht beschreiben kann. Er ist frisch und herb zu gleich. Eigen. Ein Odeur ohne Namen. Ohne Bezeichnung. Er ist immer hier. Und nur am Rande des Sees. Seevögel gleiten über die Wasseroberfläche. Ihre Leiber spiegeln sich schwarz. Auf der Oberfläche. Ein Fischer wirft sein Netz aus. Sabef greift nach den Weintrauben der Laube neben ihm. Eine Dhau erscheint am Horizont. Ihre Segel sind ausgebreitet. Sie sieht aus wie ein erhabener Schwan. Der langsam und hoheitsvoll über das Wasser gleitet.
    "Schön."
    Es war ein sanftes Murmeln über Sabefs Lippen. Hinter sich hört er Stöhnen. Seufzen. Singende Leiber. Die sich suchen. Der Wind liebkost Sabef. Im Moment ist ihm das lieber. Als die Berührungen einer Frau. Seine Augen sind unverwandt auf das Schiff gerichtet. Welchen Schatz es wohl trägt? Sabef wünscht sich, er könnte auch dahin entschwinden. Auf einem Boot. Doch er hat zu große Angst.





    SERVUS – CLAUDIA CALLISTA

  • Mit fremden Schätzen reich beladen,
    kehrt zu den heimischen Gestaden
    der Schiffe mastenreicher Wald.
    - Der Ring des Polykrates, Schiller


    Das Segel bläht sich, im milden Wind der Heimat. Der Wahl-Heimat. Seile knarren. Rauschend umströmt das Wasser den Bug der Dhau, wogt hoch und beleckt mit Gischtzungen den Rumpf, senkt sich wieder und zerfliesst, von weissen Schaumflocken bedeckt. Nur ein Schiff ist es, das Cethegus heimwärts trägt, eine meroitische Dhau, zusammengefügt aus Bündeln von Schilf und Wülsten von Rohr, ausgebleicht von der Sonnenglut der Landstriche, durch die das letzte Stück des Weges ihn führte. Lange währte diese Reise, führte ihn tief ins Herz der Finsternis. Und wieder zurück. Zuallerletzt durch das Delta, und durch lange Kanäle, von Menschenhand der Natur abgetrotzt, bis zum Lacus Mareotis. Dies sind die letzten Meilen.


    Cethegus steht auf Deck. Hager ist er geworden, und sonnenverbrannt. Harsche Spuren haben sich in sein Gesicht gegraben, künden von seine Fährnissen, von Entbehrung und Krankheit, von Triumphen und Niederlagen, sowie von grenzenloser Ambition. Der Wind fährt ihm ins schwarze Haar. Die kalten Augen, grau wie Stahl, sind fest auf einen Punkt am Horizont gerichtet. Dort... schon kann er die Insel sehen. Ein Versprechen in der Ferne.
    Rote Glut taucht in die Fluten des Sees. Die Schwärme der Seevögel wehen über endlosen Schilfbänken. Schwirren Fluges. Drehen sich, schwenken in Einigkeit, zeichnen schwarze Muster vor dem dämmerklaren Himmel. Erfüllen die Luft mit dem fernen Echo ihrer Stimmen.
    Cethegus' Blick streift den jungen Lycidas. Stumm und still steht der Sklave an der Reling, wie umsponnen von träumerischem Sinnen. Träge streicht der Junge sich durchs güldene Haar. Apollinisch war seine Schönheit einst zu nennen, doch auch sie hat gelitten auf der Reise. Die Leichtigkeit ist dahin. Wenn er sie nicht zurückgewinnt, bei Ruhe und Pflege, wird Cethegus ihn leider ersetzen müssen. Er mag keine lädierte Perfektion. Verabscheut sie mehr als das von Natur aus Hässliche. Sie erinnert ihn zu sehr an die Vergänglichkeit.


    In Silbergrau liegt jetzt der See. Wellen kräuseln die Oberfläche, schimmernd wie das Innere einer Muschel wallt es in dem Grau. Dunkler wird die Dämmerstunde, während die Dhau immer weiter über das Wasser gleitet. Nur noch eine Meile. Fackeln blinken auf der Insel, feurigrot glimmt es in den Gärten. Sie spiegeln sich im Wasser, ein langezogener Widerschein, eine lodernde Spur für Cethegus. Er folgt ihr, segelt auf ihr entlang. Kein widriger Wind erhebt sich, kein Ungetüm taucht aus den Fluten um ihm die Heimkehr zu verwehren. Jetzt sind es nur noch etwa hundert Passus, die ihn trennen, von der Insel der Seligen. Musik weht herüber. Schmelzende Klänge. Cethegus kann Bewegung ausmachen, in den Gärten, Licht in den Gemächern des Anwesens. Seine Schwester wird ein Fest geben.
    Der Bootssteg kommt in Sicht. Es liegen schon zwei Nachen daran vertäut. Die Dhau naht, raschelnd faltet sich das Segel zusammen, als es von vielen kräftigen Händen hinauf an die Rah gezogen wird. Mit der letzten Fahrt gleitet das Schiff längsseits des Steges, zwei Männer springen mit Tauen an Land und legen sie um die hölzernen Poller. Ein Ruck geht durch das Schiff, es schwankt, dann liegt es still.
    Nun wo das Rauschen des Wassers verklungen ist, hört man deutlich das Klirren der Ketten in der Tiefe des Rumpfes, und das kehlige Murmeln der Sklaven aus dem Süden.


    Hoheitsvoll schreitet Cethus über den Steg. Setzt den Fuss an Land. Das unter ihm zu schwanken scheint. Endlich wieder auf heimischen Gestaden! Er lächelt ein wenig und blickt über die Schulter zurück.


    "Wo ist der Python?"


    Nyati bringt ihn. Der grosse Schwarze trägt schwer an dem Korb, in dem sich die Riesenschlange knäult, ein schwarzgefleckter Felsenpython von gewaltigen Ausmassen. Lycidas nimmt die beiden Äffchen, die die Reise überlebt haben, Neanthes die bunten Vögel, andere tragen Schatullen mit köstlichen Geschmeiden und edlen Stoffen, exotischen Ölen, Räucherwerk und Essenzen. Die Sklaven bleiben fürs erste im Schiff zurück. Ihre Ausdünstungen würden Callistas Nase beleidigen.
    So bewegt sich der Zug entlang des Uferweges, Cethegus an der Spitze. Ungeduld treibt seine Schritte. Er durchquert den kleinen Palmenhain, folgt dem Weg hinauf zur Villa. Statuen säumen den Weg, schlanke Zypressen recken sich neben den Fackeln, die das Anwesen auf das märchenhafteste illuminieren. Sehr passend, denkt Cethegus, sehr passend für seine Rückkehr, als er das weinberankte Eingangstor durchschreitet.

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    "Von Dionysos nun, der herrlichen Semele Sohne,
    will ich singen, wie er erschien am Strande des wilden
    Meeres aufragender Klippe hoch oben, ein reifender
    Jüngling,
    frisch und eben erblüht; so schön umflogen die Locken
    dunkel sein Haupt, und ein Mantel umwallte die kräftigen
    Schultern
    purpurrot."

    Lauter und ungetrübt fliegen die Klänge einer reinen Stimme durch die Villa Eos am Mareotis-See. Hell und rein ist die Stimme des Eunuchen. Einem schönen Jüngling. Der niemals zu einem Manne heran reifen wird. Schwarze Seidenhaare streichen über Schultern. Als der Knabe den Kopf in den Nacken legt. Und mit geschlossenen Augen die Hymne an Dionysos singt. Lachen. Gackern. Kichern. Fröhliche Albereien. Nackte Menschen. Sie springen im Garten umher. Ein dicker Grieche. Er jagt eine schlanke Gazelle. Eine junge Frau. Die sich kichernd seinen Händen zu entwinden sucht. Warm roter Wein. Er rinnt über das Gesicht einer Frau. Die schon erfahren an Jahren ist. Runde Trauben wandern in Münder. Es wird getanzt. Es wird gefeiert und niemand lässt sich durch die Ankunft des Schiffes stören. Es bleibt unbemerkt in der wilden Orgie. Die stetsfort in dieser Villa gefeiert wird.
    Unruhig und rastlos. Sabef schreitet durch die Räume. Seine Augen verfolgen trübe das Treiben der Menschen. So viele nackte Leiber hat er gesehen. Immerfort Wein getrunken. Edle Speisen seinen Mund kosten lassen. Gefeiert. Die Lust an der Lustbarkeit zelebriert. Sie ausgekostet. Ausgereizt. Und nun war er dem Ganzen einfach überdrüssig und er ertrug die klare Knabenstimme nicht mehr. Er kann das muntere Geschwätz der Gäste nicht mehr hören. Er will sie am Liebsten alle hinaus werfen. Und für Wochen einfach nur Ruhe haben. Schlafen. Dem Ruf der reinen und klaren Natur nach gehen. Nicht sich in weiches Fleisch ergeben. Dem Singen der Vögel lauschen. Nicht den Oden eines Sängers. Den Duft der Gräser entdecken. Nicht das Odeur süßlicher Parfüms. Aber die Angst. Sie sitzt ihm weiter im Nacken. Er lehnt sich gegen eine Marmorsäule. Betrachtet die schlanke Statue der Artemis. Die mit ihrem Bogen in der Halle steht und den Pfeil auf ihr Opfer richtet. Das dem Menschenauge verborgen ist. Ja. Die Jagd. Das war schon immer das Liebste der Herrschaften gewesen. Seiner Herrin auch. In mannigfaltiger Form liebten sie es.
    Bitter verzieht sich sein Mund. Er hasst das Geschwisterpaar. Er fürchtet sie. Er bangt um sein Leben. Dann wiederum sehnt er sich nach ihrer Anwesenheit. Die die Last von seiner Schulter nimmt. Wenn sie doch nur hier wären! Im nächsten Atemzug verdammt er sie und wischt sie in Gedanken hinfort.


    Artemis ist unberührt. Von seinem Kummer. Sabef dreht sich um. Und erstarrt. Ein Toter ist zurück gekehrt. Aus dem Hades. Bleich und hohlwangig starrt er ihm höhnisch entgegen. So empfindet es Sabef. Als ob Hades durch ihn hindurch sehen würde. Bereits das Urteil über ihn gesprochen hat. Göttlich. Erhaben. Würdevoll schreitend.
    Das kann nicht sein.
    Du siehst es. Es ist kein Zweifel. Er ist es.
    Sabef wird blass. Im Gesicht. Er ist verloren. Fliehen? Er sieht sich um. Nein, an Entkommen ist nicht mehr zu denken. Eine Lüge womöglich? Mit der Macht der Beredsamkeit sich entwinden wie eine Schlange dem Häscher. Sabef wirft sich auf den Boden. Er presst die Stirn auf den kalten Stein.
    "Herr. Welche Freude, Dich wieder zu sehen."
    Warum bloss der Herr? Der ihn noch nie gemocht hat. Aber in Callistas Augen wäre er wohl noch eher verloren. Denn sie ist launisch wie ein Biest.






    SERVUS – CLAUDIA CALLISTA

  • Etwas ist anders. Etwas stimmt hier nicht. Der schummrigrote Feuerschein vermag nicht zu verbergen, dass Unkraut aus den Ritzen des Vorplatzes hervorgewachsen ist. Wilde Malven überwuchern die Platten hellen Mamors, Sanddorn streckt von der Umfriedung her die stacheligen Zweige aus, und an der prachtvollen Fassade der Villa zeigen sich Risse, machen sich Kletterranken breit. Die Natur greift nach diesem Ort, die üppige, wuchernde, wimmelnde, feuchte, sattgrüne Natur, und begehrt den Platz zurück, den Menschenhand ihr entriss. Cethegus' Stirn furcht sich. Wie konnte seine Schwester das Anwesen nur so verkommen lassen? Es ist ihrer beider Heimat. Es ist ein Heiligtum.
    Und wo bleibt sein Hund? Sein treuer Antares? Schweren Herzens hat Cethegus seinen liebsten Jagdhund zu Hause gelassen, einen Tesem von edlem Geblüt, um das hochgezüchtete Tier nicht über Gebühr zu strapazieren. Früher ist Antares ihm doch stets entgegengesprungen, kaum dass Cethegus den Fuss an Land gesetzt hat.
    Unwillig betrachtet Cethegus auch die Orgie. Folgt mit den Augen einer jungen Nymphe, ästimiert ihre geschmeidige Gestalt, und doch - sie wirkt billig. Zu viel Farbe im Gesicht und am Körper. Überladen mit geschmacklosen Ketten, Reifen, Ringen. Als der füllige Satur sie einholt, heben sich Cethegus Augenbrauen. Er ist indigniert. Und verwirrt. Er schätzt schöne Orgien. Mit schönen Menschen. Und Callista hat in dieser Hinsicht ebenso hohe Masstäbe wie er, wenn nicht noch höhere. Aber der Mann da ist fett.


    Auch die Sklavenschaft lässt auf sich warten. Nur einer wirft sich Cethegus zu Füssen. Der Claudier sieht von oben auf ihn herab. Er kennt ihn. Es ist einer von Callistas kleinen Gespielen. Der Jüngling mit den Mädchenaugen.


    "Servus."


    Cethegus Stimme ist kühl. Wer ihn kennt vermag bereits jetzt darin den Unmut zu lesen, der sich dunkel darin zusammenbräut. Der junge Lycidas weicht dezent einen, dann zwei Schritt zurück. Um nicht in Reichweite zu sein, wenn der Herr wütend wird. Soll Sabef es abwettern. Lycidas hat kein Mitgefühl mit ihm, er neidet es dem Ägypter, dass jener seine Stimme behalten durfte. Die anderen Sklaven, Träger, und Sklavenaufseher des Zuges warten, noch immer aufgereiht hinter dem Claudier, reichbeladen mit all den exotischen Schätzen. Eine schöne Inszenierung, doch wertlos ohne die Augen derer, für die sie bestimmt ist. Die Männer starren auf die Blösse der enthemmt Feiernden. Lecken sich die Lippen.


    "Was geht hier vor? Wo ist meine Schwester?"


    Cethegus sieht sich um, erwartet jeden Moment Callista zu erblicken, wie sie aus dem Schatten und Feuer-Mosaik des Gartens tritt, eine wilde Mänade - oder sie im Eingang des Hauses erscheinen zu sehen. Königlich wird sie die Stufen hinabschreiten, um ihn willkommen zu heissen.


    "Und wo ist Antares?! Sprich, Servus."

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    Zeus' Stimme könnte nicht furchtbarer in seinen Ohren klingen. Göttlich. Vernichtend. Erschütternd dröhnen die Worte in Sabefs Ohren. Ein empfindlicher Sklave ist er. Sensibel und zart besaitet. Sagen wir eher. Feige. Sabef windet sich. Seine Finger spüren den kalten Marmor. Die Kälte der Stimme ist horribel. Kriecht über seinen Nacken. Streift seinen Rücken. Lässt ihn schaudern. So dass der Marmor warm erscheint. Dahingegen. Seine Wimpern pressen sich fest auf die Haut. Die Lider sind verschlossen. Versuchen die grausame Wahrheit auszublenden. Der Herr ist zurück gekehrt. Und Sabef kann sein Intention nicht mehr vollführen. Fliehen. Weit. Weit weg von Alexandria. Ein neues Leben beginnen. Als freier Mann. Die Angst. Sie hat ihn im Griff gehalten. Wie die Ketten der Sklavenschaft. Die auch nur aus Angst bestehen. Wie Eisbrocken. So fallen die Worte auf Sabef hernieder. Begraben ihn. Lassen ihn zu Eis erstarren. Die Augen öffnen sich. Sie betrachten die feinen Steine unter ihm. Die ein Muster in dem Marmor bilden.
    Euphonische Klänge. Sie schweben durch den Raum. Weben sich ein Blumenmuster aus filigranen Tönen. Bis zu dem Eingang. Der Halle. Die von der Göttin in Anspruch genommen wird. Artemis. Die Jägerin. Sanftmütige Klänge. Sie erreichen Sabef nicht. Er fängt an zu schwitzen. Feine Perlen treten auf seine Stirn. Liebkosen die Grube unter seiner Nase. Warum muss er die Nachricht dem Herrn mitteilen? Ist es doch bekannt. Dass den Überbringer einer schlechten Nachricht der Zorn trifft. Der Furor der beiden Claudier ist ein Horror für Sabef. Milde und Gnade. Das sind keine Tugenden der Geschwister. Er erbebt. Doch das Zögern währt schon zu lange. Sabef sammelt seine kläglichen Kräfte. Seine Stimme klingt winselnd.
    "Verzeih, Herr, die Herrin, Deine Schwester, ist bereits vor Wochen abgereist. Zu ihren Verwandten nach Rom. Um den Tribulationen zu entgehen. Die anderen Sklaven sind nicht wenig danach davon gelaufen, Herr."
    Unter seinen Armen konnte Sabef es erspähen. Das Leuchten der Festlichter. In den zarten Schirmen aus gefärbten Stoffen oder dünnem Leder. Das dem Fest einen zauberhaften Glanz verleiht. Was soll er dazu sagen? Die Wahrheit? Auf keinen Fall.
    "Herr, all das geschieht im Namen von Iufankh, dem Ägypter. Er fordert große Summen an Geld."
    Mammon, den die Claudier ihm schulden. Sabef glaubt schon selber. Dass er unschuldig ist. Er hat ja nur in den ersten beiden Wochen selber Geld damit verdient. Das ihm durch die Finger glitt. Wie Sand oder Wasser.
    "Euer edles Tier, dem treuen Gefährten, wurde ein anderer Weg zu teil, Herr. Vor Kummer fraß das Tier keinen Bissen mehr und verstarb an der Schwäche."
    Das ist natürlich auch gelogen. Die Sklavenschaft hatte das Tier getötet. Als Rache für die Grausamkeiten. Die die Claudier ihnen erwiesen haben. Devot. Unterwürfig. Selber einem Hund gleichend. Derart kauert der Sklave vor den Füßen des Herrn. Er betet. Stumm. Zu Hermes. Dass er ihm hilft. Dem Schicksal zu entkommen. Das einer über sich bringt, wenn er den Zorn der Claudier weckt.
    Eine Schlange wälzt sich durch die Räume. Betritt die Eingangshalle. Eine, die aus Menschen besteht. Nackt, mit aufgelösten Haaren. Grell geschminkt. Betrunken. Lasterlich lachend. Der Vorderste bleibt stehen und reckt seinen Bauch dem Claudier entgegen.
    "Chaire. Tritt herein. Noch mehr Gäste bringen noch mehr gute Laune."
    Kichern. Die Gruppe schlängelt sich lachend und singend weiter.






    SERVUS – CLAUDIA CALLISTA

  • Abgereist? Abgereist. Unglaublich. Während all der langen Zeit der Reise, erfüllte Cethegus die fraglose Gewissheit, dass Callista weiterhin auf der Insel residiert, Feste feiert und Hof hält, als Königin dieses kleinen Reiches. Dass sie auf ihn wartet. Es ist ein schwerer Schlag. Cethegus' Augen weiten sich, dann führt er gramvoll die Hand zu Schläfe, steht einen Moment gebeugt von der Last dieser Neuigkeit.


    "Abgereist."
    wiederholt er tonlos.


    Es kommt Schlag auf Schlag. Die Sklaven weggelaufen? Treuloses Pack. Und Iufankh, jener schleimige Wucherer, jener peregrine Abschaum, der hat es tatsächlich gewagt in Cethegus' Heim einzudringen, es mit dieser ausgemachten Geschmacklosigkeit zu überziehen.


    "Iufankh..."
    presst Cethegus zwischen den Zähnen hervor. Und spuckt angewidert aus. Allein schon der Name beschmutzt seinen Mund. Cethegus wendet sich in Richtung der Stadt, da wo man über der weiten Wasserfläche ihre Lichter glimmen sieht, ballt die Faust und leistet ein finsteres Versprechen. Voll Ingrimm.


    "Der Ägypter wird bekommen was er verdient. Die Nacht und der See sollen meine Zeugen sein. Ein Claudier bleibt niemandem etwas schuldig."


    Der Sklave windet sich zu Cethegus Füssen. Der Strom der schlechten Nachrichten versiegt nicht. Weinerlich vorgebracht. Antares?!
    Nein! Nicht sein Antares!
    Jetzt schweigt Cethegus. Erschüttert. Ein schwerer Atemzug hebt und senkt seine Brust. Er entsinnt sich glücklicher Tage, als er den kleinen Welpen ins Haus nahm, ihn aufzog, ihn abrichtete. Das gute, gelehrige Tier! Gedenkt der Jagden, die sie gemeinsam bestritten, oft in Gesellschaft seiner Schwester, der Beute die sie erlegten. Das waren gute Zeiten. Antares - sein Getreuer! Klüger als die meisten Menschen, immer aufrichtig, und tausendmal mehr wert als zum Beispiel der Sklave zu Cethegus' Füssen. Der Wurm.
    Aus dem stillen Gedenken seines verstorbenen Jagdhundes wird Cethegus herausgerissen. Durch einen schauerlichen Anblick. Stumpfer Frohsinn. Bodenlose Frechheit. Der Dicke wagt es ihn in sein eigenes, in Cethegus' Haus einzuladen! Jetzt reissen alle Stricke. Cethegus wird blass vor Wut, und an seiner Schläfe schwillt die Ader des Zorns.


    "ICH, CLAUDIUS..."
    donnert er, steigt über den Sklaven hinüber und reisst eine langstielige Fackel aus dem Boden, schwingt sie wild in Richtung der Nackten. Die Flamme bezeichnet einen Kreis in der Dunkelheit, streift einen der Bacchanten.


    "ICH, Claudius Cethegus bin der Herr dieses Hauses!"


    Haare fangen Feuer, flackern hell auf. Funken fallen auf blosse Haut. Es riecht versengt. Schreie ertönen, und die Schlange zerbricht, als die Menschen hellauf entsetzt auseinander stürzen.


    "RAUS! ALLE SOFORT RAUS!!!"


    Die Fackel schwingend jagt Cethegus das Gelichter davon. Dämonisch erscheint sein wutverzerrtes Gesicht. In einem heillosen Durcheinander fliehen die Gäste, nackte Leiber schlagen sich in die dunklen Büsche oder hasten den Weg zum Wasser hinab. Panisch. Eine Frau wälzt sich am Boden, erstickt die Flammen ihres hauchdünnen Chitons. Eine Fliehender stösst gegen Nyati, reisst ihm den Korb aus der Hand, aus dem, aufgeschreckt, der riesige Felsenpython herausschnellt. Er gleitet über den Mamor, unglaublich flink, ein dunkler Schemen nur, und ist schon in Richtung des Gartes verschwunden. Von dort ertönt nun auch schrilles Kreischen.


    Cethegus wendet sich zu seinem Gefolge. Schwer atmend, von Feuerschein umrahmt - denn auch eine Zypresse hat Feuer gefangen. Knisternd gehen die Zweige in Flammen auf, verstömen intensiven Harzgeruch. Cethegus war mit diesem Element schon immer etwas unvorsichtig. Seit jeher fasziniert es ihn, verlockt ihn.


    "Säubert das Anwesen von allen Fremden! Prügelt sie fort von meiner Insel! Sofort! Nur der Sänger. Dem tut ihr nichts. Er singt so schön. - Aber der dort..."


    Cethegus streckt die Hand aus, und zeigt auf den Sklaven, der ihm die unverzeihlich schlechten Nachrichten überbracht hat. Auf Sabef. Bevor der sich davonstehlen kann. Und urteilt.


    "Ergreift ihn. Der kommt ans Kreuz."


    Die Männer sind Cethegus Eigenheiten schon gewöhnt. Sie greifen nach Knüppeln und Peitschen. Nyati und Neanthes sind die ersten die dem Befehl Folge leisten. Sie treten zu Sabef und packen ihn. Fest schliessen ihre Fäuste sich um seine Arme. Brutal verdrehen sie sie ihm auf dem Rücken. Lycidas sieht hin und schaudert. Aus Angst auch so zu enden.
    Cethegus achtet des Sklaven nicht weiter. Er wendet sich ab und schreitet in die Villa, um das was ihm gehört wieder in Besitz zu nehmen. Was, um ganz genau zu sein, eigentlich dem kleinen Nero gehört. Callistas Sohn. Dem Erben der verstorbenen Besitzers. Doch Cethegus sieht das anders.


    Die Zypresse lodert. Das Feuer droht schon auf die Hecken überzugreifen. Lycidas zieht einen anderen Sklaven am Arm, eilt mit ihm zur Zisterne und holt Wasser. Sie tränken ihre Umhänge, schlagen damit auf die Flammen ein. Schliesslich erstirbt das Feuer. Auch die Schreie verklingen nach und nach, und die anderen Geräusche, das Peitschenknallen, das Brüllen, das Brechen von Ästen.


    Leise rauscht der Wind im Geäst. Schilf raschelt. Die Wellen branden an das Ufer. Lycidas hebt das Gesicht gen Himmel. Er sieht Ascheflocken. Die mit dem Wind davongetrieben werden.

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    Pochen. Poltern. Bei jedem Schlag zuckt Sabef zusammen. Den der Hammer vor dem Fenster vollführt. Ein Kreuz nageln sie. Ein Konstrukt, das seinen Tod besiegeln wird. Der Sklave schlingt die Arme um sich. Und zittert. Ein Schluchzen löst sich aus seiner Kehle. Seine Lippe schmerzt. Seine Rippen brennen. Gefleht. Gewimmert. Gewehrt hatte sich Sabef. Doch starke Arme hatten ihn fortgetragen. Geschlagen. Weg von dem Richter. Der Gnade nicht kennt. Nun sitzt Sabef im Morgenlicht der abgeschlossenen Kammer. Ein schmales Fenster lacht ihn höhnisch an. Spielt mit der Aussicht. Die Freiheit und Leben bedeutet. Aber ihm verwehrt bleibt. Das Fenster ist zu schmal. Er hat es schon versucht. Seine Schultern beben. Ein Vogel krächzt. Auf dem Zweig eines Baumes. Der sich im Wind beugt. Dunkle Vogelaugen starren ihn an. Er ist der Bote des Hades. Sabef ist sich sicher. Hermes. Der darauf wartet. Die Seele des Sklaven davon zu tragen. Sabef weint. Um sich selber. Er malt sich aus. Was hätte sein können. Wenn er früher davon gelaufen wäre. Doch zu spät.
    Tränen verschmieren sein schönes Gesicht. Es ist aufgequollen. Er wischt sich die Nase an seinem dünnen Gewand. Das er für die Feier ausgewählt hat. Er friert. Und bangt. Da. Schlüssel ertönen. Sie werden in das Schloss gesteckt. Sabef erzittert. Die Tür stöhnt. Sie öffnet sich. Schemen tauchen am Rahmen auf. Sabef schließt die Augen. Arme packen ihn. Niemand hat Erbarmen. Für das Schluchzen und Wimmern des Sklaven. Sabef hängt schlaff. Wie ein Toter.
    Seine Beine schleifen über Marmorbode. Tränen quellen unaufhörlich hervor. Zwischen seinen langen Wimpern. Die so schwarz wie Ebenholz sind. Sabef weint. Jeder Schritt führt ihn näher. Dann strahlt die helle Morgensonne in sein Gesicht. Sabef blinzelt in die Helligkeit.
    Schwarz und unheildrohend thront es über ihm. Das dunkle Kreuz aus Holz. Umschmeichelt von der goldenen Sonne. Die jetzt sanft liebkost. Und am Mittag schon beißende Hitze auf ihn senken wird. Er wird zu Boden geschleudert. Sabef stöhnt auf. Vor ihm Füße. Er kann nicht erkennen, wem sie gehören. Doch er kauert sich zusammen. Die Angst lähmt ihn. Immer noch will er es nicht begreifen. Dass der Tod ihn holen soll. Qualvoll und langsam. Grausam und maliziös. Die Augen heben sich. Blut klebt im Gesicht. Getrocknet. Schwarzer Schemen. Über ihm. Eine hohe Gestalt. Sabef blinzelt. Die Tränen hinfort. Die einen dichten Schleier bilden vor seinen Augen. Langsam. Da zeigt es sich. Hades steht über ihn. Er ist gekommen ihn zu richten. Ein Vogel krächzt. Der Bote. Er wartet immer noch. Beharrlich. Denn er hat die Zeit der Unsterblichkeit. Keine Seele entkommt ihm. Hades. Pluto. Osiris. Anubis. Götter seiner Vorfahren. Verblasst in den Gedanken. Sabef fürchtet Hades.
    Tot. Sterben. Vergehen. Das wirst Du, Sabef.
    Entsetzt weiten sich die Augen. Er hat bis zum letzten Augenblick gehofft. Auf Gnade. Doch nun kniet er vor dem Herrn. Vor dem Kreuz. Das sein Ende sein wird. Und da packt es ihn. Die Todesangst. Noch schlimmer. Beißender. Sie lacht ihm ins Genick. Sabef sieht panisch in die Gesichter. Keiner wird ihm helfen. Sabef stützt seine Hände ab und springt auf die Beine. Mit einer Kraft, die er sich nicht zu getraut hätte. Er rennt los. Will fliehen. Irgendwo hin. Er weiß nicht wo. Doch wenige Schritte. Dann wird er zu Boden geworfen. Sabef tritt. Er schreit. Er schlägt zu. Er tobt und will entkommen. Doch die Arme sind zu stark. Er wird zurück gezogen. Tiefe Stimme. Sie erhebt sich.
    "Herr?"
    Anweisung. Die seinen Tod besiegeln. Darauf wartet der andere Sklave.






    SERVUS – CLAUDIA CALLISTA

  • Es tagt. Ein neuer Morgen. Cethegus reckt sich, als er aus der Villa tritt, in einen seidenen Kaftan gehüllt. Von seinen Sklaven begleitet schlägt er den Weg hinab zum Ufer ein. Immer den Hammerschlägen nach. Er geniesst das klare Licht, das den weiten Himmel erfüllt. Die schlanken Formen der Zypressen. Die sanft wogenden Blätter der Palmen. Genussvoll zieht er die Luft ein. Sie schmeckt mild und würzig.
    Wunderbar war es, wieder in seinem eigenen Bett zu schlafen. Nachdem er die Bacchanten vertrieben und seinen Palast zurückerobert hat. Doch die Insolenz ihres Treibens erfüllt ihn noch immer mit kaltem Zorn. Sie haben sein Haus entweiht. Seinen Wein getrunken. Seine Kunstschätze gestohlen. Oder zerkratzt. Seine Teppiche mit ihren Körperflüssigkeiten besudelt. Kretins. Dem Sklaven, der ihnen nicht Einhalt geboten hat, gebührt fraglos der Tod.


    Cethegus tritt auf den Ufersaum. Hier schmiegen sich See und Land in einer kleinen, lasziv geschwungenen Bucht aneinander. Am Bootssteg liegt sein Flusschiff, und schwingt sanft in der morgendlichen Brise. Zufrieden sieht Cethegus dass alles bereit ist. Das Kreuz. Und der Verurteilte. Wie er sich windet. Wie er weint. Gelangweilt blickt der Claudier auf ihn hinunter. Warum machen diese Sklaven bloss immer so ein Theater? Keine Würde, keinen Funken von Würde zeigen sie in solchen Situationen. Gebärden sich gerade so, als ob mit ihrem wertlosen kleinen Leben der Welt etwas Bedeutsames verloren ginge. Nun, es sind eben Sklaven.
    Dieser versucht im letzten Moment doch noch zu fliehen. Aber keinen Mut vermag Cethegus darin zu erkennen, lediglich die Verzweiflung einer in die Enge getriebenen Ratte. Indigniert hebt er die Brauen, bewegt sich keinen Schritt. Seine Handlanger schleifen den Todgeweihten zurück. Brav.
    Cethegus hat dieses Stück schon einmal gesehen, und findet es ausgesprochen reizlos. Er möchte sich nicht zu lange damit aufhalten. Schliesslich ist er kein Sadist, der sich an den Qualen anderer weidet. Solche Anwandlungen kennt er nicht, und findet es stets etwas beunruhigend wenn seine Schwester ihnen frönt. Cethegus tut nur was getan werden muss.


    Schon will er den Befehl geben - als ihm noch etwas einfällt. Von ungleich grösserer Wichtigkeit ist es, als dieses Schauspiel hier. Er beugt sich hinab. Fest fasst seine Hand das Kinn Sabefs. Der Daumen ruht auf der Wange, die von Tränen und Blut benetzt ist. Cethegus hebt das Gesicht des Sklaven in die Höhe, zwingt Sabef ihn anzusehen.


    "Servus. Beantworte mir noch eine Frage bevor Du stirbst. Wo habt ihr meinen treuesten Gefährten begraben? Wo ruhen die Gebeine meines guten Antares?"


    Das einst so makellose Gesicht entstellt von panischer Furcht. Es weht Cethegus eisig an. Der Hauch der Vergänglichkeit.

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    Qual. Elend. Tod. Grausam und höhnisch lacht es Sabef entgegen. Denn abermals dreht sich nichts um ihn. Selbst in den letzten Stunden seines Lebens ist der Sklave nur Dreck unter den Füßen. Von dem Patrizier. Sein Hund ist ihm wichtiger. Dieser elende Köter. Sabef hat selber auf ihn eingetreten. Selbst wenn sein Hass auf Callista größer ist. Als auf ihren Bruder. Doch in diesen Stunden wandelt sich das. Callista kann er vielleicht umstimmen. Oder auch nicht. Doch die Vorstellung dem Schicksal zu entgehen, wären die Umstände anders. Die ist drakonisch. Der Leib bebt. Wie ein Grashalm im Wind. Das vom eisigen Hauch des Nordens gequält wird. Und keine Kraft hat, sich ihm entgegen zu stellen. Er sinkt zusammen. Einem verletzlichen Schmetterling similär. Dessen Flügel von der grausamen Menschenhand berührt wird.
    Antares. Der Hund. Zeichen der Herrschaft und der Verachtung ihnen gegenüber. Der Hund. Der Köstlichkeiten bekam. Während die Sklaven sich mit einfachem Essen zufrieden geben mussten. Sabef kneift die Augen zusammen. Sein Geist. Schwebt hinfort. Zu älteren Tagen.
    Zwei Wochen sind vergangen. Die Herrin ist abgereist. Cethegus schon lange verschwunden. Die ständige Angst. Der Sklaven. Sie weicht mit jedem Tag. Jeder Stunde. Die die Herrschaft sie nicht mehr knechtet. Und entlädt sich mit großer Gewalt. Wortgewaltig. Mit rauer Kraft. Fackeln. Sie spiegeln sich in den zornigen Gesichtern wieder. Als sie diskutieren. Ob sie das Haus anzünden sollen. Doch ihr Zorn fährt hernieder auf die Tiere. Hunde bellen. Wimmernde Schreie der Tiere. Sie klingen genauso Mitleid erregend wie bei den Sklaven. Doch auch Sabef tritt mit. Gegen das Tier. Wut. So großer Ingrimm der Demütigungen wegen. Immerfort. Am nächsten Tag sind sie verschwunden. Die Sklaven. Geflohen in alle Himmelsrichtungen, um ihre Freiheit zu erlangen. Damit sie nicht unter eine andere Knute gezwungen werden. Sabef bleibt. Und er ist es. Der die toten Tiere verscharrt. Damit sie nicht stinken. Der die zerschlagenen Möbel beseitigt und als Feuerholz nutzt. Damit er doch noch Gewinn heraus schlagen kann. Aus der Villa. Den Festen. Den Führungen durch den angeblichen Kaisersitzes. Von Nero.
    Grelles Sonnenlicht dringt an Sabefs Augen als er sie öffnet. Seine Augen wandern über die scharfe Horizontkante. Die Konturen der Menschen verschwimmen zu bunten Flecken vor seinen Augen. Warum soll er es dem Patrizier sagen? Wenn er ihn hernach umbringt. Ihm keine Gnade gewährt. Schläge. Qual. Den Zorn des Mannes. All das fürchtet Sabef immer noch. Selbst im Angesicht des Todes. Oder gerade dort?
    "Neben dem alten Zedernbaum an der Apollonstatue."
    Tonlos. Heiser. Gebrochen ist die Stimme von dem Sklaven. Nass und salzig die Wangen. Von all den Tränen. Die schon geflossen sind und immer noch heraus sickern.
    Der Schatten des Kreuzes fällt auf den trockenen Boden. Auf dem Sabef kniet. Und jeden Stein unter seinen aufgeschürften Knien spürt. Die Angst. Sie steigert sich ins Unermessliche. Verzweiflung. Sie beherrscht ihn.
    "Herr, bitte."
    Flehen. Was bleibt ihm anderes übrig.
    "Ich bitte Dich. Um Deine Gnade, Herr."
    Ist ein Funken in jenem Mann. So will Sabef versuchen ihn zu erwecken. Zu entflammen zu einem kleinen Licht. Einer Flamme, die den Hoffnungsschimmer nähren kann. Sabef sieht emphatisch zu dem Claudius hoch.






    SERVUS – CLAUDIA CALLISTA

  • Cethegus seufzt. Leise wiederholt er die Worte.


    "An der Apollonstatue..."


    Trauer legt sich schwer auf sein Gemüt. Seine Hand löst sich vom Gesicht des Sklaven, er tritt einen Schritt zurück von dem Knienden. Nein, dieser Jüngling ist nicht mehr schön zu nennen. Entkleidet seiner Anmut, verringert auf den nackten Drang zu überleben, bleibt nur mehr ein zuckendes, bebendes Bündel Fleisch. Der Tod hat schon die Schwingen um ihn gelegt. Allzu flüchtig ist das Schöne in der Welt. Am Ende obsiegt das Grobe... die Natur. Schmutz und Verfall, und zugleich Gärung, Wucherung, obszöner Trieb zur Existenz.
    Cethegus seufzt noch einmal. Ein paar Tränen sind an seiner Hand haften geblieben. Nun fühlt sie sich schmutzig an. Befleckt von jener niederen Kreatürlichkeit. Er streckt sie Lycidas entgegen.


    "Ein Tuch."


    Rein und weiss leuchtet der feingesponnene Stoff in der Morgensonne, als Lycidas ihn seinem Herrn reicht. Die Augen niedergeschlagen, um nicht das Leid Sabefs sehen zu müssen. Welches eines Tages auch ihn ereilen könnte. Cethegus reibt mit dem Weiss über seine Hand. Tilgt den Makel der Berührung.
    Gnade. Leben will der Sklave. Das geht natürlich nicht, nach allem was vorgefallen ist. Cethegus' kalte Augen wenden sich ab von dem zerstörten Gesicht, von dem verzweifelten Flehen. Sie streifen über die Oberfläche des Sees. Er schweigt, betrachtet den Widerschein des Lichtes auf dem Wasser, das Muster der anbrandenden und abflutenden Wellen. Die Linien im Sand. Endlich entscheidet er sich, und verkündet beinahe zerstreut:


    "Ja, ich gewähre Dir die Gnade... eines schnelleren Todes." An die Männer mit den Stricken, Riemen, Holzblöcken, Hämmern und Nägeln, ergeht ein kurzer Befehl. "Brecht ihm die Beine, bevor ihr das Kreuz aufstellt."


    Das verkürzt die Agonie. Der Sterbende vermag sich nicht abzustützen, so währt sein Todeskampf kürzer. Noch immer stundenlang, einen Tag vielleicht, aber nicht mehrere Tage lang. Vielleicht hat er sogar Glück, und verliert gleich zu Beginn das Bewusstsein.
    Cethegus bedeutet seinen Henkersknechten, mit einem beiläufigen Nicken, zu beginnen. Während sie sich ans Werk machen, blickt der Claudier in die Runde, mustert jeden einzelnen, betrachtet die Gesichter seiner Sklaven und Handlanger.


    "Seht hin."


    Von Entsetzen, Furcht, Hass... über Häme, stumpfe Gleichgültigkeit, bis zu Mitleid... welch ein Reichtum an Gefühlen steht in diesem Augenblick in ihren Gesichtern geschrieben. Eine bunte Palette sklavischer Empfindungen


    "Seht hin sagte ich!"


    Grob packt Cethegus Lycidas im Nacken. Der reisst erschrocken die Augen auf, nickt hastig, und heftet den Blick auf das Geschehen. Blasser wird er, die feingeschnittenen Nasenflügel erzittern, Grauen und Abscheu spiegelt sich in den tiefblauen Augen des sublimen jungen Lyraspielers. Schreie. Knochen knirschen. Lycidas zuckt zusammen, bebt am ganzen Leibe und wagt es doch nicht die Augen wieder abzuwenden. Cethegus lässt von ihm ab. Er weist einen schriftkundigen Sklaven an, unter dem Kreuz zu verharren, und die Äusserungen des Sterbenden zu protokollieren - wie er das jedes Mal macht. Er erhofft sich so Aufschluss zu finden, über den Übergang.


    Darauf kehrt Cethegus der Kreuzigung den Rücken, und den unangenehm lauten Schreien. Er spaziert ein Stück die kleine Bucht entlang, auf dem schmalen Saum zwischen Wasser und Land. Schliesslich streift er den Kaftan ab, und watet nackt in den See hinein. Frisch und kühl umspült es seine Glieder. Cethegus wirft sich in Fluten, taucht kurz unter, teilt das Wasser mit kräftigen Armen und schwimmt weit in den See hinaus, mit langen Zügen, so weit bis die Schreie kaum mehr an sein Ohr dringen. Er lauscht. Auf das Flüstern und Raunen. Konzentriert sich... ja.... wenn er genau hinhört, kann er es immer noch vernehmen. Ganz leise. Den unentwegten Sirenensang der Quellen.

  • Myron rudert über den See. Ruderschlag um Ruderschlag gleitet das Boot über die gleissende Wasserfläche. Mittag ist es, kein Lufthauch regt sich. Die Insel kommt näher, knirschend schiebt sich der Bug auf den Strand. Der kleine Grieche steigt an Land. Wischt sich die schweissnasse Stirn. Und erstarrt. Seine Augen weiten sich. Was ihm ein kahler Baum dünkte, ist in Wirklichkeit ein Kreuz. An dem jemand hängt. Und unter dem jemand wacht.
    Myron umgreift das Amulett des Hermes auf seiner Brust fest mit der Hand. Flüsternd bittet er den flügelfüssigen Schutzherren der Boten, ihn vor dem Zorn des Claudiers zu bewahren. Wenn er ihm die Nachricht überbringt.
    Der Weg zur Villa ist schnell zurückgelegt. Myron bringt sein Begehr vor. Unruhig wartet er in der kühlen Säulenhalle, bis er vor den Hausherren geführt wird. Der empfängt ihn in seinem Studierzimmer, umgeben von halbausgepackten Kisten, seltsamen Pflanzen und Steinen, Tierhäuten und Vogelbälgen. Er zeichnet an einer Karte. Leise schabt die Feder über das Pergament. Die Fensterläden sind halb geschlossen, durch die ausgesparten Ornament fällt das Licht und malt verschlungenen Formen auf den blanken Mamorboden. Myron verbeugt sich tief.


    "Servus. Du kommst aus Athen, von meinem Vilicus?"


    "Ja Dominus Claudius. Ich habe das Meer überquert, und dem Sturm getrotzt, um Dir Botschaft von ihm zu bringen."


    Myron zeigt den Brief, in gewachstes Segeltuch eingeschlagen. Er möchte ihn dem Claudier überreichen, um sich sogleich wieder aus dem Staub zu machen. Wenn der Herr ihn liest, will er am liebsten schon wieder auf der Rückreise sein.


    "Warum schreibt er mir?" forscht Cethegus, "Hat mein Vater endlich wieder Geld geschickt?"


    "N-Nein Dominus. Dein werter Vater, der erhabene Augur hat uns keinerlei Nachricht gesandt. Es kam uns zu Ohren, er habe seiner Ämter entsagt und sich nach Campanien zurückgezogen."


    Kein Geld. Kein Wort. Der alte Knauser. Der Cethegus immer noch in der Fessel seiner Patria Potestas hält. Aber kein Geld rausrückt! Cethegus' Finger pressen sich um die Feder. Ihre Spitze bohrt sich ins Pergament, und vertieft ein Wadi bei Napata zum Kratersee. Seine Stirn ist umwölkt. Wäre das Pergament doch Myrtilus' Herz, und die Feder ein Dolch...


    "Warum also? Rede!"


    "Ehrwürdiger Herr, es kam eine Nachricht aus Rom. Ein offizielles Schreiben betreffs eines... Nachlasses. Erlaube mir, Herr, Dir untertänigst mein tiefstes Beileid auszusprechen, es ist..."


    Cethegus winkt unwirsch ab, ob der Impertinez des Sklaven. Doch jäh erfasst ihn ein heilloser Schrecken.


    "Wer ist gestorben? Doch nicht etwa... nicht meine Mutter!"


    Er greift sich an die Schläfen. Verspürt schon den bohrenden Schmerz. Nein! Ist es nicht genug der Schicksalschläge?!


    "Nein Dominus, nein! Die edle Dame Cornelia Coriolana erfreut sich bester Gesundheit. Sie hat den letzten Sommer auf Paros verbracht und sich dort in Mamor meisseln lassen. Ein Standbild von überwältigender Schönheit, wie man allenthalben hört!"


    Cethegus atmet auf. Der Schmerz verfliegt. Und er entsinnt sich wieder des unverschämten Boten, der einfach nicht auf den Punkt kommt.


    "Wer ist gestorben?"


    "Dein Bruder, Dominus, der hochedle Tiberius Claudius Severus, möge sein Ruhm niemals verblassen, ist vor seiner Zeit zu den Schatten hinabgestiegen. Allseits betrauert. Er stand am Beginn einer glänzenden Karriere."


    Myron schwitzt. Und friert. Eine elende Aufgabe, diese Todesnachricht zu überbringen. Man weiss doch wie labil die Herrschaften Claudier sind. Er sieht sich schon am Kreuz. Hält die Augen niedergeschlagen und schielt vorsichtig zum Herrn.
    Der reisst den Brief auf. Und liest. Der Nachlass ist beträchtlich. Ein ansehnliches Landgut in den Sabiner Bergen und viel Geld. Genug um seine Schulden zu bezahlen und mehr. Des Claudiers Antlitz verzeiht sich zu einer Grimasse. Ein abgehackter Laut kommt aus seiner Kehle. Myron erbleicht. Es folgen weitere Laute, rauh und spröde, bis sie sich zu einem Gelächter vereinen.


    "Hahaha... Tiberius... der Spassvogel!"


    Cethegus lacht herzhaft, krümmt sich zusammen. Schüttelt heiter den Kopf, die Locken fliegen um sein Haupt. Welche Ironie! Welch köstlicher Widersinn. Er hat seinen Halbbruder nicht gerade gehasst, doch stets eine unüberwindliche Abneigung gegen ihn verspürt. Seitdem der Jüngere ihn in ihrer Kindheit einmal kaltblütig ans Messer geliefert hat. Damals behauptete der kleine Tiberius, der kleine Lucius sei derjenige, der das Gartenhaus angezündet habe. Das war die Wahrheit. Cethegus, schon damals von grenzenlosem Forscherdrang beseelt, wollte nur sehen ob es brennt. Es brannte sehr gut. Nun hat der Verräter von damals ihn zu seinem Alleinerben eingesetzt. Er muss mehr Humor gehabt haben als Cethegus ihm zugetraut hat. Oder er gönnte das Erbe seinen anderen Verwandten noch weniger.


    "Ja", seufzt der Claudier dann. "Mein armer Bruder. Ich werde seiner stets gedenken..." wenn ich sein Geld ausgebe.


    Er greift in einen Kasten. Aus einer Laune heraus schnippt er dem Boten einen Aureus zu. Ungläubig fängt Myron das Geldstück auf.


    "Und Du bleibst hier. Ich kann einen sprechenden Sklaven zur Zeit gut gebrauchen."


    Nur mit Stummen, mit Männern aus Lybien die bloss ihre eigenen seltsamen Sprachen sprechen, mit meroitischem Rohmaterial und mit groben Aufsehern, die sich nicht zu artikulieren wissen, lässt sich nicht arbeiten. Und den einzigen, der noch brauchbar gewesen wäre, den ägyptischen Gespielen seiner Schwester hat Cethegus am Morgen gekreuzigt. Er hat sogar schon seinen Lycidas als Boten in die Stadt schicken müssen, da es eine Aufgabe von höchster Dringlichkeit zu erledigen gilt. Da kommt der Laufbursche gerade recht. Er ist zwar nicht schön, doch er spricht ein gutes Attisch und scheint nicht dumm. Das wird fürs Erste genügen müssen.


    "Sehr wohl Dominus."


    Myron verbeugt sich erneut. Tief. Die Münze scheint zu brennen, in seiner Hand. Als der Claudier ihn entlässt, zieht der Sklave sich eilig zurück. Für den Moment erleichtert. Doch was die Zukunft angeht, so plagen ihn dunkle Vorahnungen.

  • Eines Nachts kam ein Kahn über den im Mondlicht schimmernden schwarzen Spiegel der glatten Wasserfläche. Nur leicht kräuselten sich Wellen im Nachtwind, der zum Meer wehte. Nur leicht wurde das Kielwasser des Kahnes aufgewirbelt, nur wenig rührten es die gelegentlichen, ruhigen Ruderschläge auf. Nur das Mondlicht erhellte die Dunkelheit, die spärlichen Lichter der nahen Stadt und die Laterne am Bug des Kahns.
    Im Boot stand ein Fährmann, der das Ruder bewegte. Daneben saß eine Gestalt, die in ein dunkles, schweres Himation gewickelt war. Es war Regenzeit, jederzeit konnte ein Unwetter aufkommen. Dennoch hatte er die Fahrt durch den großen See zur Insel gewagt. Er hatte eine schwere Last bei sich im Boot. Bitterkeit trieb den Passagier. Er hatte in einem Lederbeutel sorgsam versteut eine Bleitafel bei sich, in der eingeritzt war von seiner eigenen Hand:


    Ich binde Ánthimos, Sohn des Kyriâkos, an deine, oh gütige Isis, große Gerechtigkeit.
    Möge seine Jugend schneller verwelken als die Blumen, die er seiner Geliebten schenkte.
    Möge sein Liebesglück bald schon von einem Wellenschlag des Lebens fortgespült werden.
    Möge er seine Beleidung gegen mich bitter bereuen und tausend Tränen nachweinen dem Augenblick, als er noch nicht beleidigt hatte.


    Fest umklammerte der Passagier seine Last. Schwer lag das Blei in seinen Händen.


    "Ist die Insel wirklich unbewohnt?", fragte er den Fährmann. Ihm fröstelte. Oft blickte er auf die Wasserfläche. Er hoffte inständig, es möge kein Sturm aufkommen.
    "Halte an. Ich will der Isis ein Opfer bringen."
    Aus einem anderem Beutel nahm er Weihrauchharz und Räucherkräuter. Er legte ein Stück Holz auf das Wasser, platzierte darauf die Opfergaben. Der Fährmann reichte ihm einen Kienspan, mit dem er die Opfergabe anzündete. Dann ließ er das Stück Holz los und sah ihm zu, wie es mit seiner brennenden Last über das Wasser trieb. Erst als das kleine Floß untergegangen oder verloschen war, nickte er dem Fährmann zum Zeichen, weiterzurudern, zu.


    "Ist die Insel wirklich unbewohnt?", fragte er erneut.


    "Nur ein altes Lusthaus steht dort. Die Familie, der es gehörte, ist nicht mehr in dieser Gegend... ."


    Der Passagier war merklich ungeduldig.


    "Ich fragte nicht, ob der Besitzer es bewohnt, sondern ob überhaupt jemand es bewohnt... ."


    "Ich glaube nicht."


    "Wehe dir, wenn doch. Kritias wird vorangehen."


    Mit diesen Worten trat der Herr gegen ein Bündel, das im Boot lag, und sich daraufhin krümmte und wimmerte.


    "Herr, ich bitte dich... . Er ist ... er hat Angst vor Wasser."


    "Ich weiß.", zischte der Herr.

  • Die Gestalt unter dem Himation drückte die Ledertasche noch fester an sich. Der Kahn näherte sich dem Ufer der Insel.


    "Es ist kein Licht zu sehen... ."


    "Herr, das Haus ist auf der anderen Seite..."


    Das Bündel wimmerte und hustete.


    Nur noch etwa siebzig griechische Ellen trennten das Boot vom Ufer. Schon die ersten Schilfrohre streifte es. Dicht stand das Schilf und verbarg das Boot. Der Passagier brach ein Schilfrohr und stieß es in das Wasser.


    "Wir machen hier fest. Das Wasser ist keine zwei Ellen mehr tief. Kritias soll nun losgehen."


    "Herr, Kritias hat..."


    "Ich weiß. Er soll dennoch vorangehen."


    Das Bündel schluchszte nun laut. Es wand sich am Boden des Bootes. Ein Fuß kam zum Vorschein. Er trat um sich.


    "Kritias soll schweigen.", knurrte der Passagier. "Wirf ihn aus dem Kahn."


    "Aber..."


    "Wirf ihn aus dem Kahn!"


    Das Bündel richtete sich auf. Die Decken glitten hinab und gaben einen Mann frei. Er zitterte und biss sich auf die Hand, um nicht mehr zu weinen. Starr vor Furcht starrte er den Passagier an.


    "Wirf-"


    Der Mann sprang ins Wasser. Es reichte ihm nicht einmal zur Brust. Dennoch strampelte er wie ein ertrinkender Hund. Bald war er im Schilfwald verschwunden.


    "Verdecke die Laterne mit einem Tuch."


    Der Fährmann tat, wie ihm geheißen.


    Kritias indes hatte, von oben bis unten durchnässt, das Ufer erreicht. Scheinbar ziellos ging er am Ufer entlang, dann auf das Innere der kleinen Insel zu und in Richtung des Anwesens. Sein Schritt festigte sich mit wachsender Entfernung zum Wasser.

  • Cethegus hat eine Vision.
    Die er sofort auf Pergament bannen muss. Fieberhaft zeichnet er, auf der seitlichen Terrasse des Anwesens, niedergelassen auf einem Scherenstuhl, den ein weiches Pantherfell polstert. In manischem Schaffensdrang achtet er nicht der hereinbrechenden Nacht, die einen kühlen Hauch mit sich bringt. Nicht der Sklaven, die ihm Windlichter entzünden, neues Schreibmaterial bringen. Die müde am Rande der Terrasse warten, während die Nacht voranschreitet. Der Mond erhebt sich, sein bleicher Glanz legt sich über die Umgebung. Die Säulen des Hauses, die schlanken Zypressen, ein jeder Grashalm wird von jenem kalkigblassen Licht umflossen. Scheint verändert. Es leuchten die Statuen, welche die Gärten zieren. Die Luft ist schwer von Feuchtigkeit. Tau setzt sich auf dem Mamor ab, in kleinen Tröpfchen. Dunst liegt über dem See. Irgendwo dort draussen treibt eine kleine Flamme über das Wasser. Bis sie verlischt. Unbemerkt von dem Claudier.


    "Und am Ufer: ein Pfirsichhain. Das wird ihr gefallen...", murmelt der soeben.


    Die Feder zieht kühne Striche. Leise weht das Rauschen des Röhrichts heran. Da taumelt ein Nachtfalter aus der Schwärze. Schlägt gegen das Glas eines Windlichtes. Graue Flügel, schwarz gemasert schlagen wild. Das reisst Cethegus aus seinem Tun. Er betrachtet die kleine Kreatur, wie sie die Flamme umkreist. Die sich lockend windet, glühende Verheissungen macht. Vehement sucht der Falter durch das Glas zu dringen. Sich mit seiner Sehnsucht zu vereinen, die ihn versengen wird. Ein sardonisches Lächeln kräuselt Cethegus' Lippen bei diesem Schauspiel. Für einen Moment sinkt der Falter, erschöpft von dem Kampf, auf seine Zeichnung. Ein Netz von Entwässerungsgräben sieht man dort, und die Skizze einer prächtigen Parkanlage.
    Ganz langsam senkt sich Cethegus' Hand. Mit der Feder, die eine eiserne Spitze trägt. Die Fühler des Falters bewegen sich, seine Flügel sind ausgebreitet. Feinster Staub schimmert auf ihnen. Jäh fährt die Feder hernieder und durchbohrt den schmalen Körper. Noch einmal schlagen die Flügel. Ein Hauch wie von Asche rieselt von ihnen. Dann sind sie still.


    Cethegus betrachtet seine Beute. Deren Farben sind gewöhnlich, doch die Flügelzeichnung ist interessant. Diese kleinen Tierchen sind faszinierend. Das Geheimnis ihrer Metamorphose. Das Sinnbild der Psyche. Und dabei so zerbrechlich. So flüchtig. Er teilt dieses Interesse mit seiner Schwester. Wo immer sie weilen mag. Cethegus winkt einen Stummen herbei und reicht ihm die Feder mit dem toten Insekt.


    "Servus. Tu das zu meiner Schmetterlingssammlung. Vorsichtig. - Und du, bring meinen Mantel. Und eine Laterne. - Du, nimm die Pläne und das Schreibzeug."


    Jetzt ist es doch kühl geworden. Cethegus erhebt sich. Er trägt nur eine seidene Synthesis. Da er in Trauer ist, eine schwarze. Durchwirkt mit goldenen Ornamenten. Unrasiert ist er auch. Ein Sklave legt ihm den Mantel um die Schultern und hakt die verschnörkelte Schliesse ineinander.
    Der Claudier steigt die Stufen der Terasse hinunter. Durchquert mit grossen Schritten den mondbeschienenen Garten. Zwei Sklaven folgen ihm, als er von der Anhöhe mit der Villa herab, auf den hinteren Teil der Insel zuhält. Den wilderen Teil. Wo die Natur noch ungehemmt wuchert, wo niemand sie in ihre Schranken verwiesen hat. Noch nicht. Es verlangt Cethegus, noch heute Nacht das Gelände zu inspizieren, wo er seine grossen Pläne zu verwirklichen gedenkt.
    Seine Vision.

  • Kritias Kleidung trocknete schnell in der letzten Wärme des vergangenen Tages. Auch seine Sinne festigten sich. Seine Angst hatte ihn verlassen. Ein guter Späher wurde er. Er schlich sich durch das Gehölz, das auf der Insel wuchs, auf das Lusthaus zu. Nur leise knackten Zweige am Boden unter seinen Füßen. Er vertand es, unbemerkt zu bleiben. So ging das Geräusch seiner Schritte und das seiner Bewegungen durch das Gestrüpp im Zirpen der Zikaden unter und im Summen der Mücken. Dieser See war nicht gut. Ihm entstiegen Miasmen. Gerade deshalb hatte jedoch Kritias Herr diesen Ort ausgewählt. Kritias sah das Licht einer Laterne zwischen den Sträuchern hindurchschimmern. Er hielt inne und sah genau hin. Mit einer Hand schob er Äste beiseite. Drei Gestalten konnte er erkennen. Sie näherten sich seinem Versteck, dann entfernten sie sich wieder. Auf allen Vieren kriechend folgte der Späher ihnen leise, geschützt durch Dornenbüsche, die ihm die Kleidung zerrissen und die Haut. Dies schien er nicht einmal zu spüren. Alles hielt er aus, nur kein Wasser... . Er hatte guten Grund dazu. Kritias sah, dass die drei Gestalten sich auf den Teil des Insel-Ufers zubewegten, vor dem der Kahn des Herren lag. Allerdings würden sie ihn nicht sehen, denn er im hohen Schilf. Dennoch beschloss Kritias, den Herren und den Fährmann zu warnen. Er ließ die drei Gestalten nicht aus den Augen. Hatten sie gar das Boot kommen sehen? Der Herr würde zürnen. Kritias erschauderte. Er wusste, dass der Herr etwas sehr Bedeutenes tun würde; nur wusste er nicht, worum es sich handelte. Der Herr war ihm dunkel und geheimnisvoll. Er machte ihm mehr Angst, als der grobe Fährmann, der ihn oft schlug, mit der Hand, mit der Peitsche, mit dem Knüppel oder mit einem alten Wasserrohr aus Blei, das unbrauchbar war, da sich im Inneren Salz abgelagert hatte. Der Herr schlug nicht. Der Herr hatte zarte Hände, die nie schmutzig waren. Kritias sah die drei Gestalten. Eine von ihnen war prachtvoller gekleidet als die anderen. Es waren keine Landstreicher oder Strauchdiebe, die auf der scheinbar verlassenen Insel einen Unterschlupf gefunden hatten.

  • Und wie‘s auch rast und ringt und rennt,
    Wir kriegen es unter, das Element.
    - Brück’ am Tay, Fontane


    Schlamm haftet an den Sohlen. Schwere Klumpen beschweren jeden Schritt. Weit übermannshoch ist das Schilf, wuchert wild im hinteren Teil der Insel. Schlingpflanzen durchweben das Dickicht. Wurzel ragen ins trübe Wasser. Beflügelt von seiner Vision, betrunken vom Licht des Mondes, bricht Cethegus durch diese Wildnis. Er sieht nicht was ist, er sieht was sein wird.


    “Hier. Hier kreuzen sich die zentralen Entwässerungskanäle.“


    Ein Pfahl wird in den sumpfigen Boden gerammt. Landnahme, Vorposten der Zivilisation.


    “Das Gestrüpp wird gerodet. Boden aufgeschüttet. Dort will ich Reben haben. Dort Kirschbäume. Dort einen künstlichen Hügel mit Pavillon.“ Ganz nach ihrem Geschmack. “Notiert das.“


    Die Sklaven, Kummer gewöhnt, folgen ihrem Herrn wie der Schweif eines Kometen. Cethegus‘ Hand greift nach einer Schlingpflanze, reißt en passant Dolden weißer Blüten ab, lässt sie fallen und strebt weiter. Immer prachtvoller entfaltet sich die Szenerie vor ihm. Elegante Parkanalagen, Zierfischteiche, Lauben. Thematisch angelegte Statuengärten. Ein Ahnenschrein.
    Es ist an der Zeit auch diesen Winkel der Insel dem Chaos zu entreissen, ihn dem Wirken des claudischen Geistes zu unterwerfen. Sinnierend streicht der Inselfürst sich über das seiner Trauer wegen stoppelige Kinn. Wird in seinem Gedankengang gestört, durch ein lautes Rascheln im Röhricht. Ein trockenes Schaben. Schilf schwankt.


    “Der Python!“


    Ein Sklave schreit es heraus. Springt entsetzt zur Seite. Ein Platschen in der Nähe.


    “Den Schlangenstock! Schnell!“


    Jemand rennt zur Villa. Doch bis Cethegus den gegabelten Stock in der Hand hält, ist das was die Geräusche verursachte längst verschwunden. Trotzdem wird Jagd auf die Riesenschlange gemacht. Stundenlang. Schon neigt sich der Mond, taucht die kalkweiße Scheibe in die Fluten des Lacus Mareotis, belegt sie mit verschwenderischem Silberglanz, als Cethegus schließlich aufgibt. Das Jagdfieber weicht einem Frösteln. Mit einem Mal dringt der feuchtkühle Hauch der frühen Morgenstunde ihm bis ins Mark. Faulig mischen sich die Miasmen der Sümpfe in seinen Atem.


    Als Cethegus sich zu Bett legt ist sein Schlaf unruhig. Traumgesichter umgaukeln ihn. Der silberne Strom. Die Quellen. Das verschleierte Antlitz. Hitze. Kälte.
    Am nächsten Tag fällt Regen, schwer und ohne Unterlass. Cethegus liegt im Fieber. Das Wechselfieber, welches ihm schon im Herzen Libyens den Weg verwehrte. Die heimtückische Krankheit hat ihn wieder eingeholt.

  • Stille füllt die flimmernde Rotunde;
    aus den Marmorsäulen
    blickt die Mittagsglut.
    -Das Erwachen, Demel


    Im Schatten einer Palme hat sich der Jüngling auf einer weißen Bank niedergelassen. Ein goldener Reif umschließt seinen Hals. Wasserblaue Juwelen sind darin eingelassen. Über der Insel liegt die Mittagshitze, macht die die Lider schwer. Den Kopf geneigt, die Augen halb geschlossen, spielt Lycidas leise auf seiner Lyra. Er liebt dieses Instrument. Mehr als alles andere auf der Welt. Sanft, dem auf und ab der Wellen folgend, die unweit an das Ufer rollen, zupfen schlanke Finger die Saiten. Schwebende Klänge wehen über die Insel. Verbinden sich zu sublimen Harmonien.


    Viel Zeit ist seit der Rückkehr verstrichen. Lycidas geht es gut. Denn sein Herr ist zu krank gewesen, um ihn zu tyrannisieren. Ein Fieberschub folgte auf den anderen. Ärzte kamen und gingen.
    Der neue Verwalter Myron kümmert sich um alles. Setzt die Wünsche des Herrn um. Die Sklaven in den Käfigen sind verkauft. Handwerker, Gärtner, Maler wurden von Alexandria übergesetzt. Ihre Arbeit lässt die Villa in neuem Glanz erstrahlen.


    Lycidas interessiert sich kaum für diese Dinge. Er ist froh, die Insel nicht noch einmal verlassen zu müssen. Die Außenwelt dünkt ihm bei weitem zu bedrohlich. Und zu schmutzig. Er ist sich selbst überlassen. Hat Zeit für sich. Zeit für seine Lyra. Ein Ibis gleitet über den See. Schwingt sich hoch auf und scheint mit der Sonne zu verschmelzen. Traumverloren webt der Sklave seine Melodie.

  • "Ach wie bald, ach, wie bald,
    schwindet Schönheit und Gestalt."
    - Wilhelm Hauff, Reiters Morgengesang


    Lycidas Idyll währt nicht mehr lange. Das Befinden des Herrn hat sich gebessert. Er lässt den Sklaven zu sich rufen. In seinem Schlafgemach ruht der Claudier auf einem opulenten Himmelbett. Weiche Kissen stützen den Kranken in eine halbsitzende Position. Sattrote Seide. Sie lässt das fahle Gesicht noch farbloser erscheinen. Durch die Lamellen der Fensterläden fallen schmale Lichtstrahlen.
    Zwei Frauen sind um den Herrn. Ranke Ägypterinnen. Neu erworbene Schmuckstücke. Sie pflegen den Herrn, und sie tragen dabei sehr wenig Stoff am Leib. Goldglanz auf der samtigen Haut. Die Brüste bloß, um die Hüften halbdurchscheinende Tücher geschlungen. Lycidas hat ein seltsames Gefühl wenn er sie ansieht. Seit neuestem verwirren ihn solche Aussichten. Schnell schlägt er die Augen nieder. Um den Claudier nicht zu reizen. Cethegus‘ Stimme ist trocken. Unduldsam.


    “Servus, mir ist zu Ohren gekommen, dass sie in einigen Tagen in der Stadt das Neujahrsagon feiern. Mit einem Wettstreit der Sänger und Kitharöden. Du wirst dir das anhören, und mir danach genau berichten. Ich muss wissen, wer der größte… muss wissen wer nach dem Niedergang des Philolaos der allergrößte Künstler von Alexandria ist.“


    Nach Alexandria. Das erschreckt den jungen Sklaven erst einmal. Doch ein Wettstreit der Sänger könnte ihm gefallen. Ihm neue Inspiration verschaffen. Unterwürfig neigt er das Haupt. Cethegus winkt ihn näher.


    “Spiel für mich.“


    Anmutig sinkt der Lyder auf einen Schemel zu Seiten des Bettes. Umfasst zärtlich die Lyra und beginnt eines der Lieder zu spielen, die er in den letzten Monaten erdacht hat. Es spricht vom Wind, der aus der Ferne kommt. Über den See streicht. Im Schilf raschelt. Welke Blätter mit sich fort trägt. Vorsichtig späht Lycidas nach dem Ausdruck im Gesicht des Herrn. Der hat sich zurückgelehnt, scheint die Klänge zu genießen. Eine der Frauen fächert ihm mit einem Pfauenwedel Luft zu. Die andere massiert ihm die Schläfen mit einem duftenden Öl. Beruhigt spielt der Sklave weiter. Versinkt selbst in seiner Musik. Träumt.


    Bis eine magere Hand hart sein Kinn umfasst. Erschrocken vergreift er sich. Ein Missklang. Die Melodie bricht ab. Ohne sich zu regen sieht Lycidas zum Herrn auf. Hält still wie ein Kaninchen. Schrecken in den weitgeöffneten Augen. Er ist sich keiner Schuld bewusst.


    “Was ist das?!“


    Abscheu liegt in diesen Worten. Bestürzung. Die entfleischten Finger bohren sich schmerzhaft in Lycidas Gesicht. Drehen seinen Kopf hin und her. Der Herr zieht ihn näher heran. Begutachtet ihn wie ein Insekt. Dann verzieht sich seine Miene. Erschüttert. Die Lippen zucken angewidert. Und noch ein weiterer Ausdruck mischt sich hinein. Lycidas meint, dass es Furcht ist, die ihren Schatten auf das Antlitz des Herrn wirft.


    Das beleidigt mein Auge. Geh!“


    Ein Befehl wie ein Peitschenschlag. Der Sklave zuckt zusammen. Schmerzlich greift der Claudier sich an die Schläfen. Wendet sich ab. Sinkt erschöpft in die Kissen.
    Lycidas springt auf, die Lyra an sich gepresst, und stürzt aus dem Schlafgemach. Aufgewühlt flieht er in seine eigene Kammer. Was ist es, was den Unmut des Herrn geweckt hat?


    Ein Handspiegel hält die Antwort bereit. Lycidas tritt ans Fenster. Betrachtet forschend sein Spiegelbild. Und erblickt auf seiner rechten Wange eine Unreinheit. Einen Makel. Nahe dem Haaransatz hat sich die sonst so feine, glatte Haut gerötet. Winzige Pusteln sind dort erblüht. Die ersten Anzeichen des Verhängnisses: Akne.


    Mit namenlosem Schrecken muss Lycidas erkennen: nicht länger ist seine Schönheit vollkommen. Die Metamorphose des Älterwerdens hat ihn erfasst. Der schöne Knabe wandelt sich zum ungelenken Adoleszent. Befleckt ist die Perfektion. Verhöhnt die Vollkommenheit. Das wird der Herr niemals hinnehmen.
    Verzweifelt lässt der Sklave den Spiegel sinken. Seine Schultern beginnen zu zucken. Raue Laute dringen aus seiner verstümmelten Kehle. Lycidas weint bittere Tränen.

  • Die rosenfingrige Eos gab der Villa den Namen. Zu Recht. Dem Morgen zugewandt bieten die vorderen Terrassen einen splendiden Ausblick auf den Sonnenaufgang. Der erste Tag des Neujahrsagon rötet den Horizont. Schräge Strahlen überhauchen die Säulen. Liebkosen die Statuen mit ihrem klaren Glanz.


    Lycidas schlägt den Weg zum Bootssteg ein. Angetan mit einem elfenbeinfarbenen Chiton und einem silberbestickten Himation welches er eng um die Schultern gezogen hat. Schweren Schrittes folgt ihm sein Leibwächter. Wieder ist es der große dunkle Meroer.
    Der Sand knirscht leise. Hohl hallen die Bohlen des Steges. Wellen klatschen gegen die muschelbewachsenen Balken. Die Sklaven steigen in einen kleinen Nachen. Der Meroer löst das Tau. Ergreift die Ruder. Stößt sich vom Steg ab und steuert das Boot mit kräftigen Zügen auf den See hinaus.


    Lycidas sitzt am Bug. Den Kasten mit der Lyra auf den Knien. Schwer zu fassen, welche Farbe das Wasser zu dieser Stunde hat. Die Töne changieren je nach dem Blickwinkel. Der Tiefe. Der Bewegung der Wellen. Weindunkel. Rosé. Perlmuttfarben.
    Er sieht zurück zur Insel. Die Palmen am Ufersaum zeichnen sich scharf gegen den Himmel ab. Schön und stolz thront das Anwesen inmitten der Gärten. Der Mamor glüht im Morgenlicht. Märchenhaft. Verführerisch. Ein Paradies. Scheint dort zu liegen. Immer kleiner wird die Insel. Entschwindet im gleißenden Spiel des Lichts auf dem Spiegel des Sees.


    Der Nachen nähert sich Alexandria. Dem lärmenden Treiben des Portus Mareotis. Dort legt der Meroer an. Vertäut das Boot. Hilft Lycidas an Land. Der junge Lyder ordnet den Fall seines Chiton. Sieht misstrauisch zu den rauen Gestalten der Hafenarbeiter. Sodann begibt er sich zaudernd in sein Abenteuer. Schlägt mit klopfendem Herzen den Weg gen Broucheion ein.

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