Eigentlich fand es Cadhla ganz lustig, aus der villa Aurelia auch einmal herausgekommen zu sein. Sie fand Rom an sich, als Stadt, als Produkt vieler einzelner Leben, geschmückt mit herausragenden Bauten, strotzend vor unterschiedlichen Eindrücken und Gerüchen, einen sehr spannenden Ort. Dass sie hier nur durch Zwang hergeraten war, war eine ganz andere Sache, und daran versuchte sie nicht dauernd zu denken. Sich aus dieser ganzen Angelegenheit herauszuwinden würde ohnehin schwer sein, und sie hatte recht wenig Aussicht darauf, dass sich daran in absehbarer Zeit etwas ändern würde. Also verlegte sie sich darauf, mit der neuen Umgebung irgendwie klar zu kommen, und dazu gehörte auch, sich das Leben der Römer aus vielen Blickwinkeln zu betrachten lernen.
Nun in einem anderen, riesigen Haus zu sein, dessen Bewohner anscheinend genauso im Luxus schwelgten wie die Mitglieder der gens Aurelia, war für Cadhla nicht minder spannend wie die Tatsache, in der Einrichtung doch vorhandene Unterschiede zu erkennen. Hier wirkte die ordnende Hand einer Frau wohl schon etwas länger und deutlicher mit, zumindest schien es ihr so, und der zur Schau gestellte Luxus war an einigen Stellen ausgesprochen üppig, an anderen geradezu verschwindend gering. Dies war ein Haus der Gegensätze, soweit sie es gesehen hatte, und das fand sie interessant.
Die Küche der Sklaven war recht sauber und aufgeräumt, und mit den anderen aurelischen Sklaven hatte sie hier zu warten, bis Sisennas Besuch vorüber gegangen war. Unfroh war sie auch darüber nicht, hätte sie wohl zu einem Gespräch unter Römerinnen ohnehin nicht viel beisteuern können. Und sie bekamen hier unten auch etwas zu essen, einen recht wohlschmeckenden Brei, den die Römer puls nannten, wieso auch immer. Zumindest schmeckte er gut, und mehr erwartete sie von Brei auch nicht. Allerdings rächte sich nach recht kurzer Zeit, dass sie an diesem Morgen viel Wasser getrunken hatte - nach einigen Stunden körperlicher Arbeit im Garten war sie durstig gewesen und nun meldete sich ein dringendes körperliches Bedürfnis. Eine der Sklavinnen aus dem claudischen Haushalt erklärte ihr mit gebrochenem Latein und Gesten, wohin sie gehen sollte, um sich zu erleichtern, denn begleiten konnte sie gerade niemand, für den Nachmittag und Abend wurden bereits Speisen vorbereitet und es herrschte eine gute Betriebsamkeit in der Küche selbst. Also machte sich Cadhla selbst auf den Weg und hatte auch nach einigem Suchen (und einem dreimaligen falschen Abbiegen) den richtigen Ort gefunden, um ihr Bedürfnis wieder loszuwerden - nie wieder würde sie so viel Wasser trinken, bevor sie nicht sicher wusste, dass sie am Mittag nicht wieder ausgehen müsste!
Allerdings eröffnete sich nun ein weiteres Problem. Ein fremder Haushalt war immer verwirrend, und auch wenn die villen von Roms Oberschicht einen ähnlichen Grundriß besaßen, sie waren sich nicht vollkommen in allem gleich. Cadhla hatte sich den Rückweg nicht gut genug gemerkt und war so gelaufen, wie sie in der aurelischen villa gelaufen wäre, um wieder die Küche zu finden - und hatte sich prompt verirrt. Jetzt stand sie auf einem Korridor, den sie nicht kannte, in einem Haus, in dem sie fremd war, und die Türen sahen deutlich edler aus als jene im Bereich der Sklaven - schätzungsweise hatte sie sich hier in den Bereich der Herren verirrt, und gerade, als sie umdrehen und wieder zurückgehen wollte, bevor sie noch jemandem begegnete, hörte sie Schritte und blieb wie erstarrt stehen, in den Korridor blickend, in dem sich jemand näherte - das Gesicht kannte sie, einmal hatte sie es schon an einem Festabend gesehen, und einmal im Traum. Ausgerechnet hier ... und ausgerechnet jetzt ...sie schluckte, blickte sich eilig um und überschlug die Möglichkeiten, die sie noch hatte, um sich davon zu stehlen, aber es waren schnelle Schritte, die auf sie zugekommen waren, und ihre Zeit war abgelaufen. Jetzt half es nur noch, sich der Lage zu stellen ... irgendwie ...
Reserviert