hortus | Das Blätterräumkommando unterwegs

  • Der Morgen hatte sich schon eine Weile hingezogen, und nachdem Cadhla wie an jedem Tag der letzten Woche das cubiculum ihres Herrn sorgsam aufgeräumt hatte - viel gab es da ohnehin nicht zu tun, er war einigermaßen ordentlich und hielt sich selten für mehr als zum schlafen darin auf - hatte sie einiges an freier Zeit gehabt. Seit sie den Sprung von der einfachen Haussklavin zur Leibsklavin geschafft hatte, waren ihre Pflichten weniger geworden. Sie musste nicht mehr so viele schwere Dingen schleppen, sie hatte neue Kleidung bekommen, und vor allem, sie hatte das Training am Morgen mit Aurelius Ursus aufnehmen dürfen - am heutigen Tag allerdings hatte er anderes zu tun gehabt, und so verfügte sie über den Luxus freier Zeit. Nachdem sie in den letzten Monaten gewöhnt gewesen war, viel tun zu müssen, waren diese Stunden der beschäftigungslosen Kontemplation eigenartig.


    Cadhla fühlte sich nutzlos und ärgerte sich selbst darüber, denn im Grunde war auch freie Zeit als Sklavin verlorene Zeit. Lieber wäre sie durch den Wald um das heimatliche Dorf gestrichen, hätte gejagt, gekämpft ...die Sehnsucht nach der Heimat hatte ihr die Kehle zugeschnürt und sie schließlich in den Garten geführt, wo sie auf den maiordomus getroffen war. Der hatte noch einige andere Sklavinnen und Sklaven im Schlepptau, unter anderem erkannte sie Siv und lächelte ihr kurz verstohlen zu. "He, Du! Cadhla! Hilfst Du uns beim Gartenaufräumen oder bist Du Dir da neuerdings auch zu fein dazu?" Er hatte anscheinend die Sklaven schon zu Zweiergruppen eingeteilt und Siv stand ohne Partner da - was wohl ein Grund für Mathos Unmut war, denn alleine wollte er sie nicht schicken, dafür war sie noch zu neu im Haushalt. "Ich helfen," sagte Cadhla kurzentschlossen und stellte sich neben die blondhaarige Germanin.


    "Dann jetzt los, sammelt an den besprochenen Ecken des Gartens Blätter und Unkräuter!" kommendierte der maiordomus und wandte sich grummelnd um. So viel gab es noch zu tun und diese Sklavinnen waren auch nicht mehr das, was sie mal gewesen waren. Cadhla verdrehte nur die Augen, nahm sich einen der für das Unkraut gedachten Körbe und bedeutete Siv, mit ihr zu kommen. "Das wenigstens Arbeit ist die können machen gemütlich," sagte sie schmunzelnd, denn wenn sie im hintersten Eck des Gartens sein würden, sah sie dort kein Mensch.

  • Siv hatte gerade Niki in der Küche geholfen, als Dina hereinkam und ihr sagte, dass Matho sie im Garten brauchte. Die Germanin wischte sich die Hände ab und ging nach draußen – egal was für eine Arbeit der Maiordomus für sie haben mochte, solange es draußen war, konnte es ihr nur recht sein. Im Garten angekommen stellte sie sich zu den anderen Sklaven, die schon da waren, und sah dem Mann, der sie auf dem Sklavenmarkt gekauft hatte, zu, wie er sie in Paare einteilte und ihnen sagte, was sie tun sollten. Dass Siv alleine übrig blieb, fiel ihm erst auf als er im Grunde schon alles fertig hatte, und irgendwie schien ihm das gar nicht zu gefallen. Die Germanin runzelte leicht die Stirn. Sie mochte neu sein, aber soweit sie begriffen hatte ging es nur darum, Blätter einzusammeln. So schwer oder kompliziert, dass sie das nicht auch alleine hätte machen können, war das nun auch wieder nicht. Aber Matho hatte einen ihrer Temperamentsausbrüche in der Küche mitbekommen und schien ihr seitdem zu misstrauen, und Siv zuckte nur die Achseln und wartete gespannt, was für eine Lösung er sich einfallen lassen würde.


    Das musste er allerdings gar nicht, denn in diesem Augenblick erschien Cadhla im Garten. Inzwischen wusste Siv, dass die Keltin die Leibsklavin ihres Herrn war – ihres gemeinsamen Herrn, denn dass sie in Corvinus’ Auftrag gekauft worden war, hatte sie inzwischen auch begriffen. Ihr war nicht ganz klar, was eine Leibsklavin war, aber es schien einige Vorteile mit sich zu bringen. Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, beneidete Siv die Rothaarige nicht. Nicht im Geringsten. Nicht alle in der Sklavenschaft waren davon begeistert, zumal Cadhla ebenfalls noch nicht lange hier war. Mathos Kommentar zeigte das sehr deutlich – Siv verstand zwar nicht wirklich, was er sagte, aber das musste sie auch nicht, war der Ton doch deutlich genug. Davon abgesehen musste Cadhla mehr Zeit mit Römern verbringen. Siv erwiderte das kurze Lächeln, dass sie ihr zuwarf, und sie freute sich, als die Keltin sich zu ihr stellte – auch wenn sie gerne erlebt hätte, wie Matho sein Dilemma mit ihr gelöst hätte, wäre Cadhla nicht gekommen.


    Siv nahm sich ebenfalls einen Korb und folgte Cadhla in den hinteren Teil des Gartens. Seit ihrem ersten Abend hier hatte sich in ihr ein Gefühl gebildet, dass sich langsam, aber sicher als Bewunderung für die Keltin herausstellte. Cadhla war, zumindest meinte Siv das in diesem ersten Gespräch erkannt zu haben, mindestens genauso aufgewühlt über ihr Dasein als Sklavin wie sie selbst. Die Gelassenheit, mit der sie ihr Schicksal aber für den Moment annahm, hatte nichts mit Apathie oder Ergebenheit zu tun, sondern war die Gelassenheit einer Kriegerin, die auf den richtigen Moment wartete, warten musste – angeeignet im Training und durch Erfahrung, und Cadhla bewahrte sie, auch wenn es ihr schwer fiel. Hätten ihr Vater oder ihre Brüder von ihren Gedanken gerade gewusst, hätten sie sie vermutlich nur sprachlos angestarrt, denn ihnen hatte Siv nicht einmal die Gunst des Zweifels zugestanden, wenn es um so etwas wie Geduld oder Gelassenheit gegenüber Feinden ging. Aber Siv fiel es nicht wirklich auf. Sie schloss mit ein paar schnellen Schritten zu Cadhla auf und sah sie von der Seite an. "Arbeit was? Ich nicht, nicht wissen Worte." Sie lächelte kurz und zuckte dann die Achseln. "Für ich, … egal… Es ist mir egal, ob die Arbeit… Für ich, … Arbeit schwer, Arbeit leicht, ich nicht brauchen." Ihr fiel nicht auf, dass brauchen das falsche Wort war. "Wichtig ist, Arbeit in Garten."

  • Der aurelische Garten war der einzige wirkliche Trost, den man als Sklave in diesem Haushalt haben konnte - denn für Cadhlas Geschmack war er zwar an vielen Ecken zu gezähmt, aber es gab doch den ein oder anderen lauschigen Fleck, an dem sehr bewusst der Natur gestattet worden war, über die Ordnung zu triumphieren, es gab dunklere Ecken, in denen man noch fast glauben konnte, die Freiheit zu riechen, die sie mit der Natur verband. Auch wenn die meisten Gartenarbeiten mühsam waren und auch anstrengend, es war die Anstrengung in jedem Fall wert. Nirgends sonst war man um diese Jahreszeit vor den Rmern sicherer als im Garten, den meisten Bewohnern der villa Aurelia war es momentan schlichtweg zu kalt - für Cadhla hingegen waren die mild kühlen Temperaturen sehr angenehm, war sie doch deutlich strengere Winter aus ihrer Heimat gewöhnt. Und es war schön, mit jemandem zusammen zu arbeiten, bei dem es recht unwahrscheinlich war, dass man die unangenehme Arbeit zugeschoben bekam oder dass sich jemand zu drücken versuchte. Und ... Siv war ihr sympathisch. Sie hätte sich nicht bei jedem bereiterklärt zu helfen, die meisten Sklaven der villa Aurelia waren doch recht überheblich und hielten vor allem, seit sie Corvinus' Leibsklavin geworden war, Abstand.


    "Es draußen ist wie zuhause. Fast wie zuhause," sagte Cadhla und ging Siv durch den Garten voran - Matho hatte keinen Endzeitpunkt für die Arbeit genannt, und das war auch gut so, da konnte man sich nach einer gewissen Zeit zu anderen Pflichten schleichen, wenn man fror. "Arbeit ist gemütlich hier ... leicht .. Du nicht müssen machen schnell, nur passen auf dass nehmen alles Blatt." Kurz schmunzelte die Keltin und meintedann trocken: "Matho nicht gern in Garten, er lieber in Haus, wir also haben Zeit." Sie durchquerten eine kleine, sorgsam gestutzte Rasenfläche, bevor sie einen Teil des Gartens erreichten, der bisher wohl noch von Blätter sammelnden Händen verschont geblieben worden war, die Laubbäume waren inzwischen recht kahl und der Boden von bräunlich-rötlichen Blättern bedeckt.
    "Hier gut, nicht sehen von Haus, dass wir hier," meinte Cadhla, nachdem sie sich umgeblickt hatte, bevor sie sich gemächlich streckte. Eilig hatte sie es wirklich nicht. "Du gehen besser inzwischen? Erste Tage sind schwerste Tage in fremde Haus."

  • Siv lächelte, mit einer Mischung aus Wehmut und Freude. Sie deutete in die Ecke, in der Tillas Kletterbaum stand. "Dort wie Zuhause, mein Zuhause." Sie liebte den ganzen Garten, schien nicht genug bekommen zu können von all den fremdartigen Pflanzen hier, aber die Ecke, in der die Nordgewächse waren, mochte sie immer noch am liebsten, boten sie ihr doch noch am ehesten so etwas wie Zuflucht, wenn ihr alles zuviel wurde. Es war nichts im Vergleich zu den Wäldern ihrer Heimat, aber es war immerhin etwas – und es war mehr, als sie die letzten Wochen gehabt hatte. "Gemütlich", wiederholte Siv etwas nachdenklich und versuchte eine passende Entsprechung in ihrer Sprache für Cadhlas Beschreibung zu finden. Dann zuckte sie die Achseln und grinste leicht. "Matho sein… nicht sein mich. Er mag mich nicht, glaub ich, seit dem in der Küche." Siv grübelte kurz, ob sich ihr Zorn auf Matho selbst entladen hatte, aber soweit sie wusste, hatte er es nur mitbekommen. Sie zuckte leicht mit den Achseln. "Dabei hat er gar keinen Grund dafür… Egal."


    Während Cadhla sich streckte, schob Siv ein paar Blätter beiseite, um dann die beiden Körbe auf den freigewordenen Platz zu stellen. Danach richtete sie sich wieder auf und sah die Keltin für einen Moment an, bevor sie anfing, mit einem mitgebrachten Rechen die Blätter zusammen zu harken. Ging es ihr besser? Sie wusste es nicht. Es ging ihr besser, insofern zumindest, dass sie gute Kleidung hatte, regelmäßig essen konnte, ein vernünftiges Bett hatte – und vieles war sogar besser als das, was sie von Zuhause kannte. Aber ihr Inneres wollte sich nicht beruhigen. Sie sehnte sich nach ihrer Heimat, ihrer Familie und ihren Freunden. Gerade hier, wo es ihr gut ging, wo sie nicht mehr die Soldaten hatte, die ihren Zorn ständig von neuem entflammten und ihm ein Ziel gaben, etwas, worauf sie ihn fokussieren konnte, spürte sie die Sehnsucht stärker als je zuvor. Erst jetzt realisierte sie, wie sehr ihr diese unbändige Wut geholfen hatte, alle anderen Empfindungen, Gefühle die sie schwach sein ließen, zu unterdrücken. Gleichzeitig nahm immer noch häufig genug ihr Zorn überhand, aber sie hatte hier nicht oft jemanden wie die Soldaten, denen sie konkret für etwas die Schuld zuschieben konnte, und in diesen Momenten mischte sich ihre Wut mit ihrer Sehnsucht zu etwas, was Siv innerlich zu zerreißen drohte. Ohne zu Cadhla zu sehen, zuckte sie mit den Achseln. "Ich nicht weiß. Ich… Leben besser hier, besser wie bei Zuhause. Aber…" Siv sah auf, und ihre Augen loderten in einem unruhigen Feuer. "Hier falsch. Hier nicht Zuhause, aber Römer hier, und, und… Ich nicht ruhig. Ich, ich viel Zorn, und, ich, ich war nie ruhig, oder beherrscht. Ich hab nie…" Siv verstummte, denn diesmal wusste sie noch nicht einmal auf Germanisch, wie sie ausdrücken sollte was sie empfand. Sie hatte nie wirklich gelernt, auch mal nachzugeben. Sie hatte nie ihren Stolz aufgeben, ja, noch nicht einmal wirklich zurückstecken müssen. Hier musste sie es, und Siv war ein sehr stolzer Mensch – möglicherweise zu sehr. Und dazu kam die Wut und die Sehnsucht… Sie presste die Lippen zusammen und begann mit heftigen Bewegungen, die Blätter weiterzuharken. "Viel Zorn. Und Zorn helfen. Helfen leben. Nicht zu verzweifeln."

  • Cadhla betrachtete schweigend die Bäume und Gewächse, die Siv zu erkennen schien, und so einige davon kannte sie selbst auch aus ihrer Heimat. Dennoch, wirklich zuhause fühlte sie sich hier nicht. Ihr fehlte der so oft am Morgen sichtbare Nebel, die weiche, nieselkalte Decke, unter der die Welt noch atmen konnte, einige wenige Stunden des Tages versteckt blieb, um sich im strahlenden Sonnenschein umso schöner zu präsentieren. Ein schöner Ort, soviel war sicher, und sie mochte den Garten, aber wirklich zuhause fühlte sie sich auch dort nicht.
    "Matho ist jemand der brauchen Gefühl von sein jemand. Sein wichtig und mächtig. Wenn er nicht fühlen, dann er sich fühlen schlecht und sein zornig. Er mich nicht mögen, weil ich nicht Angst vor ihm. Ich glauben, er wissen, dass ich nicht würde zurückhalten vor töten," erklärte Cadhla und schmunzelte kurz. Im Grunde gab es niemanden in diesem Haushalt, den sie wirklich fürchtete - wenigstens in diesen Dingen war sie sich ihrer selbst sicher genug, um nicht in stetiger Angst oder dem Gefühl einer überwältigenden Schwäche leben zu müssen. In sofern wunderte sie sich auch nicht darüber, dass Matho mit Siv wenig anfangen konnte, schien sie doch auch nicht gerade zu den beugsamen Jasagerinnen zu gehören, von denen es nach Cadhlas Geschmack ohnehin zuviele gab.


    Gemächlich bückte sich die Keltin und begann, Blätter unter einem Laubbaum einzusammeln, der seiner Silhouette und der Stammfärbung nach eine Birke sein musste. Das war wirklich eine erträgliche, wenngleich langweilige Arbeit, und sie fragte sich, was man wohl im Sommer tun musste - Blätter von den Wegen klauben?
    "Du gekannt hast wie ist Freiheit, und dann Zorn ist normal. Nicht können entscheiden über wohin gehen oder was tun, ist Demütigung, die kommt neu jeden Tag. Ich kennen Gefühl, das Du haben, Siv." So klar hatte sie es bisher nur bei einem Menschen formuliert, und dieser hatte es nicht unbedingt vollständig verstanden, zumindest dachte Cadhla das. Aber wie konnte ein Römer auch ermessen, wie es war, in seinem Leben bereits einen Platz gefunden zu haben, der einem einfach ohne jeden Grund genommen wurde?
    "Aber Zorn nicht genug , Siv. Zorn macht blind irgendwann. Du nur noch siehst Wut und Hass, nicht mehr Wesentliches. Wenn Du wollen sehen, dann Du musst sehen alles. Ich wissen, weil versuchen oft genug und es sein sehr schwer. Ich nicht geboren zu kriechen vor anderen," einige Blätter stopfte sie etwas heftiger in den Korb und atmete dann tief ein. Die scharfe, kühle Luft tat gut, und sie fühlte sich wenigstens für den Moment von den engen Mauern der villa frei.

  • Sivs Bewegungen wurden noch heftiger, so als ob sie ihren Zorn an den Blättern auslassen wollte – so heftig, dass sie nach hinten wieder aufwirbelten, anstatt einen vernünftigen Haufen zu bilden. Aber wie schon an ihrem ersten Abend fand Cadhla Worte, die Siv inne halten ließen und zum Nachdenken brachten – und das, obwohl sie wie üblich Mühe hatte, alles zu verstehen. Sie hörte auf, die Blätter zu malträtieren, stützte sich auf den Stiel auf sah die Keltin an. Sie konnte viel besser in Worte fassen, wie Siv sich im Moment fühlte, als sie selbst es sogar in ihrer Muttersprache gekonnt hätte. Sie spürte immer nur diesen unbändigen Zorn in sich, aber sie hatte immer nur darüber nachgedacht, worauf sie so zornig war – nicht, warum. Sie war sich noch nicht ganz sicher, ob es für ihre Situation einen Unterschied machte, aber es war in jedem Fall eine andere Sichtweise, noch dazu eine, die etwas Ruhe in ihr Denken brachte, zumindest im Moment. "Zorn ist… so, so stark, in mir. So…"


    Die Germanin verstummte für einen Moment und lauschte Cadhlas weiteren Worten. Zorn ist nicht genug… Stimmte das? Ihr Zorn war die ganzen letzten Wochen das gewesen, woran sie sich hatte festhalten können. Er hatte ihr geholfen… Oder doch nicht? Oder half er ihr nur hier nicht mehr? Siv seufzte leise, als sie daran denken musste, dass sie inzwischen schon ein paar mal in Situation geraten war, in denen ihr Zorn ihr entweder nicht hatte helfen können oder sie sogar im Stich gelassen hatte. Aber er war doch das einzige, was sie noch hatte…zusammen mit ihrem Stolz. "Zorn nicht genug? Aber Zorn…" Siv brach wieder ab, als ihr klar wurde, dass sie sich nur wiederholte. "Ich denke, du richtig ist. Du… du so, so… ruhig. So… gelassen, und überlegt, und… Du sein gut, und… Ich denke, es gut sein, wenn wie du. Aber ich…" Sie zuckte nur die Achseln. "Zorn viel. Und ich brauchen Zorn… Ohne Zorn, wenig… Halt. Wenig sicher. Ohne Zorn, ich sein wenig." Siv harkte wieder weiter, mit ruhigeren Bewegungen diesmal. Es war das erste Mal gewesen, dass sie jemandem so etwas gesagt hatte, dass sie eingestand, dass sie etwas brauchte, dass sie sich unsicher fühlte, und sie hatte Cadhla bei diesem Eingeständnis nicht angesehen, sah sie immer noch nicht an.

  • Langsam streckte Cadhla eine Hand aus und lehnte sich an den Baumstamm der Birke, an die weißlich-helle Rinde, die so hoch und fast gerade gewachsen war, dass es nur die sorgsame Pflege einer ruhigen Hand sein konnte, die zu jenem Gelingen der natürlichen Wuchsessenz hatte beitragen können. Überhaupt war dieser Garten in vielem eine interessante Kombination aus Wildheit und sorgfältiger Pflege, und sie konnte nur schwer ermessen, wo das eine aufhörte und das andere begann, sie konnte es nur mit den Augen einer Frau betrachten und bewundern, die bisher nichts als natürliche Wildheit gekannt hatte. Siv passte in diese Umgebung, und sie konnte sich die Germanin gut in der freien Natur vorstellen, bei der Jagd, bei einem fröhlichen Spiel mit Menschen aus ihrer Sippe, oder einfach nur beim Laufen durch eine sommergetränkte Wiese, das Leben genießend. Und wie gut konnte sie verstehen, wie es ihr ergehen musste!
    "Zorn Dich bringt voran, Siv, er Dir geben Kraft um immer zu hoffen. Aber er nicht genug um finden in Leben von jetzt genug, dass auch bleiben lebenswert. Um finden auch hier Dinge, die sind schön. Die Dir geben Kraft auf andere Weise. Ich würden so gern kämpfen Weg frei aus villa. Mit Waffe, wie ich gelernt, wie ich getan seit viele Jahre. Aber es nicht geht gegen so viele Gegner, und überleben in gleicher Zeit. Halt Dir gibt Zorn nicht allein. Schönes Dir gibt mehr Halt."


    Manchmal waren es nur wenige Worte, aus denen man Kraft schöpfen konnte. Nur wenige Momente, geisterhaft vorbeistreichende Augenblicke, die man nicht einmal zur Gänze erfassen konnte. Aber sie waren da, und man konnte auf sie bauen. Zumindest war dies etwas, was Cadhla zu erkennen glaubte, einige Wochen und Monate, seitdem sie Sklavin des Aurelius Corvinus geworden war.
    "Wenn Du fühlen schwach, dann ich Dir geben Halt, Siv. Du Geist von Kriegerin in Herz, ich sehen deutlich. Du vielleicht nie gelernt hast Führen von Speer, aber Du Mut. Du noch stehen, auch wenn haben nichts anderes als Zorn. Du noch gehen aufrecht in Herz. Das wichtig. Sie Dir können nehmen alles, aber nicht nehmen Mut und Herz und .." Langsam hob sie ein Blatt vom Boden auf. ".. sie Dir nicht nehmen Erinnerung an alles, was gewesen ist gut und schön. Und vielleicht finden neues, das ist schön." Langsam legte sie das Blatt zu den anderen in ihren Korb, bückte sich, und sammelte weiter jene Blätter ein, die sich zwischen der Beetbegrenzung und den Baumwurzeln verfangen hatten. Beherrschte, ruhige Bewegungen, ohne Hast, als hätte sie alle Zeit der Welt. Seit jenem Nachmittag der Tränen war sie ruhig geworden, ruhig im Inneren, als hätte sie zumindest ein klein wenig dessen zurückerlangt, was ihr verloren gegangen war.

  • Siv sah auch noch nicht hoch, als Cadhla zu antworten begann. Zu sehr hatten ihre eigenen Worte sie überrascht – nicht nur, dass sie Cadhla diese Art von Eingeständnis gemacht hatte… Sondern dass es tatsächlich so war. Sie hatte bisher nicht einmal vor sich selbst zugegeben, wie sehr sie ihren Zorn brauchte, um sich nicht schwach und verloren zu fühlen. Sie hatte es zwar gewusst, in ihrem tiefsten Inneren, aber sie hatte nie zugelassen, dass es bis an ihr Bewusstsein drang. Und jetzt war es raus, war es gesagt, und es ließ sich nicht mehr zurücknehmen. Siv biss sich heftig auf die Unterlippe und wünschte sich, einen Wall um sich herum aufbauen zu können, hinter den sie sich verkriechen konnte, der sie beschützen würde. Aber genau das war es ja – sie hatte sich bisher immer versteckt, hinter einer Mauer aus Zorn. Nicht nur hier, bei den Römern. Im Grunde immer, wenn es Probleme gab oder etwas nicht so lief, wie sie wollte. Es fiel ihr schwer, sich das wirklich einzugestehen, aber jetzt wo sie es einmal realisiert hatte, stand ihr zumindest diese Mauer nicht mehr zur Verfügung. Ihr Zorn war noch da, würde sie weiterhin schützen und genauso sehr noch oft genug ihr Urteilsvermögen beeinträchtigen, aber zumindest im Moment ließ er sie im Stich – so wie sie ihn im Stich gelassen hatte, als sie Cadhla dieses Eingeständnis gemacht hatte. "Ich, ich Angst, dass Leben hier sein gut. Sein… lebens… wert. Angst, dass, dass, … ich aufgeben dann. Dass ich vergesse, wer ich bin. Wo ich herkomme. Dass ich eigentlich frei bin, und sein will. Du… du denken dass Schönes Halt? Halt für weiter, weiter… kämpfen?"


    Obwohl sie die Keltin immer noch nicht ansah, hörte sie ihr doch weiter aufmerksam zu, und so offen und verwundbar, wie Siv sich im Moment fühlte, fielen deren Worte, soweit sie verstanden wurden, auf fruchtbaren Boden. Siv hatte nie erleben dürfen, wie es war eine Mutter zu haben, hatte keine Schwestern, und sie hatte auch sonst kaum mit den Frauen ihrer Sippe zu tun gehabt. Und zumindest bisher hatte sie weibliche Gesellschaft auch nicht wirklich vermisst – es hatte ihr gereicht, gelegentlich mit den Frauen zu reden, aber im Übrigen hatte sie ihre Zeit lieber mit ihren Brüdern verbracht, oder draußen, im Wald. Jetzt begann sie zum ersten Mal zu verstehen, was es bedeuten konnte, eine Freundin zu haben, eine Vertraute. Unwillkürlich fragte sie sich, wie es war, eine Mutter zu haben, die für einen da war. Eine Mutter… Endlich sah Siv hoch. "Du Halt geben? Für mich?" Ihre Unterlippe begann leicht zu zittern. "Ich… würde so gerne jemanden haben… Ich, ich sein froh. Ich brauchen Halt. Ich nicht bin wie du, so… so stark." Siv holte tief Luft, auf eine Art und Weise, die an einen Ertrinkenden erinnern mochte. In diesem Moment fühlte sie sich schwach, und sie kämpfte immer noch mit sich, diese Schwäche auch mal zuzulassen – ohne sich im nächsten Moment dafür selbst zu verachten. Unvermittelt fragte sie: "Erinnerung… Du haben Erinnerung bei, bei… Mutter? Frau, die… Du Kind, von diese Frau… Du wisst? Wie sie ist?"

  • Still blickte Cadhla die junge Frau an, in deren Augen sie so vieles erkennen konnte und durfte, das ihr bekannt schien. Das seltsam vertraut war - denn sie hatte es selbst erlebt, dieses Schwanken zwischen Hoffnungslosigkeit und Zorn, dieser Hass auf die Römer, auf die Fremdbestimmung, auf alles, was man nicht mehr selbst entscheiden durfte, dieses Klammern an den Zorn, der als einziges geblieben schien. Und auch wenn sie in diesem Moment die Klammern ihrer eigenen Existenz stärker um sich schneiden fühlte, so empfand sie doch vor allem Mitgefühl für Siv, die so verzweifelt schien.
    "Leben immer muss haben Schönes, Siv. Auch wenn Du nicht wollen. Was Du wollen tun, wenn Zorn ist weg? Wenn nur noch Hass ist in Deinem Herz? Du willst wirklich nur hassen? Ich gesehen viel Blut, viel Tod in Leben, und zu kämpfen hilft Hass und Zorn. Aber irgendwann es nicht mehr ist genug. Dann da muss sein Schönes, woran Du erinnern, um wieder stehen auf und gehen weiter. Denn wenn nicht haben wenigstens ein Ding, wofür lohnt leben, dann Du Dich kannst gleich töten. Leben für Hass die Götter nicht wollen. Sie wollen dass Du glücklich. Dass Du hast schöne Momente, dass Du lachen und bist fröhlich."


    Sie seufzte leise und richtete sich wieder auf, um dann den Blick in eine Ferne zu richten, in der ihr das Erinnern leichter fiel. "Nach Kampf wir immer gefeiert, Krieger unter Kriegern, haben gut gegessen, getrunken, gelacht, damit Schmerz ist weniger groß. Alle mit Wunden auch gewesen bei Feier, denn wenn lachen, alles heilt besser. Wenn Du hast wenigstens einen Mensch, der verstehen, wenn Du traurig, dann alles leichter." Langsam nahm sie weitere Blätter auf und legte sie sorgfältig in den Korb, als gelte es, ihre Blätter besonders sauber zu stapeln - aber es half auch, bei so vielen gewichtigen Worten nicht durcheinander zu kommen. Auf Latein die Dinge zu sagen, die wirklich wichtig waren für sie, fiel ihr schwer, und es würde ihr wohl immer schwer fallen.
    "Ja, ich erinnern an Mutter, an Geschwister, an Vater - und sie immer gute Frau gewesen. Ich nicht weiss ob sie noch leben, aber ich hoffen, dass sie tun. Sie mich hat viel gelehrt, und war nicht glücklich, als ich gegangen Weg von Kriegerin. Aber sie immer hat gesagt wenn ich glücklich damit, dann sie auch glücklich. Ich sie vermissen sehr." Vor allem ihr Lachen fehlte Cadhla, diese immerwährende Fröhlichkeit, die auch die dunkelste Stube hatte erhellen können. "Ich auch nicht bin stark, Siv. Aber solange stehen, dann noch nicht ich bin Sklavin in Herz."

  • Sivs Augen loderten nach wie vor in diesem unruhigen Feuer, das sie so oft zu beherrschen schien. Nein, sie wollte nicht, dass Hass das einzige war was ihr blieb. Aber wollte sie tatsächlich hier etwas Schönes finden, etwas das lebenswert war? Wollte sie sich eingestehen, dass sie das hier überhaupt konnte? Sie wusste es nicht. Es schien so wenig zu geben, über dass sie sich noch sicher war, wenn sie ihren Zorn einmal losließ. "Ich… nicht weiß. Nicht wollen Hass. Aber ohne Zorn…" Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern. "Hast ein Mensch, der verstehen…" Hatte sie das? Cadhla schien nur zu gut zu verstehen, was in ihr vorging. Aber war das genug? Genug um ihr zu helfen, genug um es wirklich leichter zu machen? Und dann waren da nach wie vor die Gedanken, ob sie wirklich wollte, dass es leichter wurde… Weil sie Angst hatte, sich dann zu verlieren. Aber sie wusste auch, dass Cadhla recht hatte. Dass sie auf Dauer mehr brauchen würde als nur die Erinnerung an ihre Heimat, die noch dazu zumindest im Moment noch hauptsächlich schmerzlich war, um sich nicht irgendwann in Hass und Bitterkeit zu verlieren.


    Die Germanin widmete sich wieder der Arbeit, legte den Rechen weg und verfrachtete den Haufen Blätter, den sie zusammengerecht hatte, in den Korb. Nebenbei lauschte sie Cadhlas Erzählung, auch wenn sie – wie fast immer – lange nicht alles verstand. Aber daran gewöhnte sie sich langsam. "Ich… Mutter? Nicht wissen. Sie tot, tot wenn ich neu bin, neu… Kind. Ich wissen nur Vater, und Bruder, viel Bruder. Ich nicht weiß, wie, wie… Leben bei Mutter." Siv seufzte leise. Machte es einen Unterschied? Wäre sie anders geworden, wenn sie eine Mutter gehabt hätte? Sie hatte noch wirklich darüber nachgedacht, und es hatte nur selten Momente gegeben, in denen sie sich eine Mutter gewünscht hätte, in denen sie sie vermisst hatte. Aber sie hatte sie ja nie kennen gelernt, während Cadhla… Spontan streckte Siv die Hand aus und strich kurz über Cadhlas Handrücken. "Mutter von dir leben. Ich glaube. Und ich bin mir sicher, dass sie stolz ist auf dich. Du sein stark, Cadhla. Viel stark. Du… nicht Sklavin. Nie."

  • Man konnte förmlich sehen, wie Siv die Worte auf sich wirken ließ, von denen sie, wie Cadhla vermutete, einen guten Teil nur schwerlich rein von der Sprache her hatte verstehen können - auch wenn sie sich wirklich Mühe gegeben hatte, so deutlich wie möglich zu sprechen, sie wusste nicht so recht, ob sie mit ihrem eigenen grässlichen Latein wirklich hatte ausdrücken können, worauf es ihr ankam, und ob dies auch bei Siv angekommen war, die ebenso erst Latein lernte. Nicht zum ersten Mal wünschte sich die Keltin, sie hätten eine gemeinsame Sprache haben können, die nicht alles so kompliziert gemacht hätte. Sie ließ ihr die Zeit, nachzudenken, ihre Gedanken zu sammeln und dies in das unzureichende lateinische Wortkorsett zu kleiden, das zu benutzen die beiden Frauen gezwungen waren, während sie selbst wieder einen guten Schwung Blätter einsammelte und sie in ihrem Korb zusammendrückte. Später würden sie wohl im Feuer landen oder im Schweinekoben, darüber dachte Cadhla im Moment nicht wirklich nach und es interessierte sie auch nicht besonders.


    "Es mir tut leid," sagte sie schlicht, als Siv von ihrer Mutter erzählte und auch, dass sie ohne diese aufgewachsen war. "Manchmal Götter tun Dinge, die wir nicht verstehen, und ich nicht können verstehen, warum nehmen Kind die Mutter. Vielleicht wollten, dass Du wirst stark und frei in Geist wie Mann, ich nicht weiss. Aber sie Dich sicher hat sehr geliebt, Siv, weil gegeben Leben für Deines." Dieser entscheidende Kampf im Leben einer Frau war immer gefährlich, egal, wie kräftig sie war, dabei konnte so vieles schief gehen, das wusste Cadhla wohl. Sie hatte nicht nur eine Geburt mitgemacht, da Männer dabei nicht anwesend sein durften und oft genug kräftige Hände und Arme gebraucht worden waren. Als sie die Berührung von Sivs Fingern spürte, lächelte sie unwillkürlich.


    "Du auch stark, Siv, aber Du vielleicht noch nicht gesehen hast, wie stark Du kannst sein. Es nicht entscheidend, wer uns legt Fesseln an, solange wir nicht tun selbst. Du nicht Sklavin in Herz bist, und Du nicht wirst sein, wenn Du nicht wollen. Und das ist mehr als viele hier haben." Sie hob die Hand etwas an und griff die Finger der Germanin, um sie sanft zu drücken. "Du sicher wärst gute Mutter." Es klang überzeugt, und in diesem Augenblick war die Keltin dies auch - so viel Sehnsucht hatte in der Stimme Sivs geklungen, dass sie kaum glauben kopnnte, dass sie sich nicht bestens um ihre eigenen Kinder kümmern würde, nicht zuletzt um nachzuholen, was sie selbst nie erlebt hatte.

  • Cadhlas Worte wirkten, und sie würden noch weiter wirken, gaben sie Siv doch einiges zu denken – viel mehr, als sie jetzt wirklich verarbeiten konnte. Was die Keltin gesagt hatte, widersprach vielem von Sivs bisheriger Einstellung. Cadhla war nicht die erste, die ihr so etwas in der Art zu sagen versuchte, aber sie war die erste, die Worte fand, die Siv wirklich berührten, so sehr, dass sie darüber nachzudenken begann. Oder lag es an der Art, wie sie es sagte? Oder daran, dass Cadhla Kriegerin war, wofür allein Siv sie schon bewunderte? Oder vielleicht daran, dass die Keltin in derselben Situation war wie sie, dass sie Sklavin war, aber ihr Schicksal mit so viel mehr Würde und Stärke zu tragen schien als es ihr, Siv, möglich war? Die Germanin dachte in diesem Moment nicht darüber nach, warum es ausgerechnet Cadhlas Worte schafften, was ihr Vater jahrelang vergeblich versucht hatte, und wenn sie es getan hätte, hätte sie nicht sagen können warum. Sie spürte nur, dass die Worte der Keltin ihr Ziel trafen und etwas bewegten, ob sie es wollte oder nicht.


    Nachdem sie ihren ersten Blätterhaufen in den Korb geschaufelt hatte, begann sie wieder damit, neue einzusammeln, während Cadhla über ihre Mutter sprach. Siv zuckte leicht die Achseln. "Nicht, nicht… leid tun. Ich nie… Ich hab sie nie kennen gelernt. Ich weiß nur nicht, ob ich sie vermisst hätte, ob etwas anders gewesen wäre… Ich sie nicht kennen. Ich nicht weiß, wie Leben… von mir… sein mit Mutter." Die Götter? Siv wusste nicht, was die Götter wollten, aber ohne Mutter aufzuwachsen hatte ihre Entwicklung mit Sicherheit beeinflusst, hatte sie vielleicht nicht nur trotziger, sondern auch stärker werden lassen als es sonst der Fall gewesen wäre. Aber ob sie sie geliebt hatte… "Vielleicht… vielleicht ich stark, mehr stark als, als ich sonst wäre. Aber… ich nicht weiß, dass Mutter mich lieben. Wie? Sie mich nicht kennen. Sie tot. Sie, sie keine Wahl wie geben Leben, wenn ich neu bin." Siv zuckte erneut mit den Achseln. Sie wollte gerne daran glauben, dass ihre Mutter sie geliebt hatte, aber sie konnte es nicht so recht, nicht unter diesen Umständen.


    Als Cadhla weitersprach und schließlich nach ihrer Hand griff, sah Siv auf. "Ich stark? Ich versuchen. Ich wolle stark sein, und… wenn Zorn haben, dann, dann, dann funktioniert das auch. Mit Zorn nicht so schwer sein. Aber ohne… ich versuchen. Ich nicht wollen sein Sklavin. Nicht hier." Sie legte ihre andere Hand auf ihr Herz. "Du wirklich glauben, ich stark bin?" Im nächsten Moment lachte die Germanin ungläubig auf. Sie? Eine gute Mutter? Das wagte sie stark zu bezweifeln. Natürlich waren Kinder schon ein Thema gewesen, immerhin war sie fast zwei Jahre verheiratet gewesen, und auch wenn sie tagsüber nicht immer das Leben einer Ehefrau geführt hatte, war es doch nachts so gewesen. Aber wenn sie über Kinder nachgedacht hatte, dann hatte sie gehofft, dass die Götter ihr noch Zeit ließen, weil sie sich dafür noch nicht bereit fühlte – auch wenn sie Ragin das nie so deutlich gesagt hatte. "Ich, Mutter? Nein. Ich nicht glaube, ich bin gute Mutter. Und auch wenn Mann traurig, ich froh, ich kein Kind haben." Jetzt noch mehr als ohnehin schon. Hätte sie ein Kind, wäre es entweder auch versklavt, oder aber fern von ihr in Germanien.

  • Langsam häuften sich die Blätter in Cadhlas Korb, und sie würde ihn wohl bald ausleeren müssen, um wieder Platz für Neue zu schaffen - nicht wirklich anspruchsvolle Arbeit, eindeutig, aber sie hatte auch nichts dagegen, diese Art von Arbeit zu verrichten, bei der man sich unterhalten konnte und nicht dauernd Gefahr lief, über irgendeinen Römer zu stolpern, der einen maßregeln konnte.
    "Man immer hat Wahl, Siv, ich gesehen viele Geburten, und ich wissen, dass Du immer hast Wahl. Entweder Mutter oder Kind, das ist Wahl von schwere Geburt, und sie sich hat entschieden zu schenken Dir Leben, das mir sagt, dass Du hattest Mutter, die Dich hat geliebt. Das mehr ist als viele andere haben, und auch wenn Du sie nie kennen, Du nun weisst, dass sie Dich lieben, wenn sterben, damit Du leben." Sie lächelte Siv ermutigend an, und am liebsten hätte sie die Germanin in die Arme genommen, so nachdenklich, aber auch irgendwie verloren wirkte sie. Vielleicht war es eine Folge des ganzen Geschehens, dieser seltsamen Gesamtsituation als Sklave überhaupt, dass sie so empfand, aber sie fühlte sich dieser eigentlich noch unbekannten Frau sehr nahe, konnte ihre Gefühle besser nachempfinden als die anderer. Und sie wollte ihr Mut machen, so gut sie es konnte.


    "Meine Mutter mir gesagt, als ich gewählt Weg von Kriegerin, dass ich nicht darf zu sehr hassen Feind. Wenn Du haben nur Hass um gehen weiter, dann irgendwann Du nicht mehr hast irgendwas. Deswegen ich auch denken, dass Du wären gute Mutter. Du hättest Kind um zu lieben, und Du haben Halt in Stunden von Not in Kind, denn Du immer wissen, warum leben, warum kämpfen, und warum schreiten voran. Es nicht mehr bleibt viel Platz für Hass, wenn lieben einen Mensch, und ich Dir wünschen viel Liebe in Leben, Siv." Sie sprach es schlicht, ohne zu kitschig zu werden, und ihr ruhiger, aufrichtiger Blick tat ein Übriges, den ernsthaften Anstrich zu verstärken, den ihre Worte zu erwecken versuchten. "Ich denken, Du stark, weil Du stehen aufrecht, weil Du nicht buckeln vor Römer, weil Du sein frei in Herz, jedes Wort das Du sagen, mir sagen, Du sein stark. Es nicht ist zu übersehen." Dann, in einem Moment jähen, breiten Lächelns, fügte sie an: "Ich mich frage, warum Du nie geworden Kriegerin. Du hättest Herz für Weg des Schwerts." Im Grunde jeoch, das hatte Cadhla inzwischen erkannt, war es auch nicht entscheidend, ob man die Waffe in der and trug. Man musste sie im Inneren tragen.

  • Siv stockte für einen Moment und starrte die Keltin an, als diese voller Überzeugung erklärte, dass ihre Mutter sie einfach geliebt haben musste. Das war etwas, worüber sie so bisher noch nicht nachgedacht hatte. Sie wusste, aus Erzählungen, dass ihre Mutter eine liebe und gutherzige Frau gewesen sein musste, die sie mit Sicherheit geliebt hätte, hätte sie die Gelegenheit dazu gehabt. Aber Tatsache war, dass sie gestorben war, bevor sie sich wirklich hatten kennen lernen können, und für Siv war es, zumindest bisher, ebenfalls eine Tatsache gewesen, dass ihre Mutter nicht großartig die Wahl gehabt hatte. Jetzt erzählte Cadhla ihr etwas anderes, zumindest verstand sie sie so. Einen Moment zögerte sie, bevor sie schließlich leise antwortete. "Das… So ich nicht denken, über Mutter. Bis, bis heute ich meine. Ich möge denken, dass Mutter lieben mich…" Langsam breitete sich ein leichtes Lächeln auf Sivs Gesicht aus, als die Keltin ihr ebenfalls zulächelte. Sie mochte den Gedanken tatsächlich, und auch wenn sich jetzt so etwas wie leise Wehmut in ihr breit zu machen begann, darüber, dass sie ihre Mutter nie hatte kennen lernen können, hielt sie den Gedanken fest. Sie hatte bisher nie viel über ihre Mutter nachgedacht, aber vielleicht war das deshalb, weil ihr nie das in den Sinn gekommen war, was Cadhla eben gesagt hatte. Und zum Glück fiel ihr zumindest im Moment nicht auf, wie sehr das Leben eigentlich mit ihr spielte – sie begann zum ersten Mal ernsthaft über ihre Mutter nachzudenken, sich für sie zu interessieren. Und das zu einem Zeitpunkt in ihrem Leben, wo sie keinen mehr um sich hatte, den sie nach der Frau, die sie geboren hatte, hätte fragen können.


    Ihr Korb war inzwischen voll, aber die Germanin wollte ihn noch nicht wegschleppen, also begann sie zunächst damit, weitere Blätter zu größeren Haufen zusammen zu rechen, die später leicht in den Korb geworfen werden konnten. Sie wurde etwas verlegen, als Cadhla darauf bestand, dass sie eine gute Mutter wäre, und noch verlegener, als sie ihr sagte, dass sie ihr viel Liebe wünschte. Sie kratzte sich am Kopf, ohne aufzusehen. "Ich nicht viel weiß bei, bei… von Liebe. Ich liebe Vater, und Bruder. Ich möge andere Menschen, möge… meine Freunde zuhause. Und Ragin mochte ich auch. Aber ihn hab ich nicht geliebt, und das ist wohl auch gut so… Wie würds mir denn jetzt sonst gehen…" Sie seufzte leise. "Ich nicht weiß, Liebe wichtig ist. Wie wichtig. Freiheit wichtig, und stark sein… Menschen wichtig, manche." Liebe war so etwas ungreifbares für Siv. Sicher liebte sie ihren Vater und ihre Brüder, aber die waren auch immer für sie da gewesen, sie kannte nichts anderes als sie zu lieben. Aber darüber hinaus? Bei Cadhlas anschließenden Worten sah sie sie wieder an, mit einem Lächeln, aber immer noch verlegen. "Was du sagst klingen wie ich stark sein. Wie… wie… es sein richtig. Aber ich nicht weiß, ich… ich wollen sein Kriegerin. Immer wollen. Aber nicht sein machen, in Heimat. Mein Vater nicht wollen, und Mädchen nicht sein Kriegerinnen. Aber ich immer wollen…"

  • "Manchmal brauchen einfach Mensch der sieht Dinge anders als man selbst. Du erkennen viel mit zwei Augen, aber mehr mit vier," sagte Cadhla lächelnd und sah Siv offen und warmherzig an. In diesem Moment flog ihr Herz der fremden jungen Frau einfach zu, weil sie so vieles so gut verstehen konnte, auch wenn sich beide an der lateinischen Sprache elend abmühen mussten. Im Grunde brauchte es nicht unbedingt dieselben Worte, wenn man sich im tiefsten Inneren gut verstand, denn Worte waren auch nur Behelfsmittel. In Sivs Augen erkannte Cadhla mehr von dem, was ihr selbst vertraut war, was sie sich bei einem Menschen zu erkennen wünschte, als ihre Worte es ihr jemals hätten sagen können, und damit war die Keltin vollkommen zufrieden.


    "Sie Deine Mutter gewesen, ich kennen keine Mutter die hassen Kind. Vielleicht nicht immer können zeigen, und vielleicht auch machen viel falsch, aber wenn haben Kind, dann doch immer ist Liebe da, weil neues Leben schenkt Glück." Das war dann der etwas naivere Teil ihrer Lebenssicht, aber sie hatte es eben nie anders kennengelernt, auch wenn ihr Volk in ständiger Bedrohung von außen gelebt hatte, war die Sippe innerlich doch stets intakt und zufrieden gewesen, die Kinder glücklich und mit wenig Sorgen aufgewachsen, da die Erwachsenen die Sorgen schulterten.


    Langsam ging sie auf Siv zu, ließ den Korb auf dem Boden stehen und streckte eine Hand aus, die Hand der Germanin ergreifend - ohne Zugzwang drehte sie diese so, dass sie die Handfläche Sivs sehen konnte und blickte darauf. "Du haben starke Lebenslinie, sehen hier?" Sie fuhr mit einem Finger jene Linie entlang, die von der Handwurzel halbwegs senkrecht empor stieg und sich knapp unterhalb des Mittelfingers verästelte.


    "Das ist Hand von Kriegerin, aber Du auch kannst kämpfen ohne führen Waffe in Hand. Solange Du führen Schwert in Herz, Du immer bist stark. Solange Du aufstehen, wenn gefallen auf Boden, Du bist mehr Kriegerin als viele Krieger, die können nur kämpfen und nichts sonst. Du hast Wahl zu sein zufrieden in Zeit des Friedens und in schlechter Zeit gleichzeitig, andere nur sind zufrieden wenn kämpfen dauernd."
    Wieder umspielte ein leichtes Lächeln ihre Mundwinkel, und der sonstige Ernst schien für den Moment geschwunden, in dem sie sprach, Siv direkt anblickte, selbst die grünen Augen der Keltin schienen ihr Lächeln spiegeln zu können. "Du selbst entscheiden, was wichtig für Dich. Liebe, oder Freiheit, oder Familie .. ich nicht weiss was Du Dir wünschen. Aber ich hoffen, Du irgendwann wirst erkennen."

  • Siv wurde warm, als sie Cadhlas Lächeln sah, und sie konnte gar nicht anders als das ihre zu erwidern. Sie hatte das Gefühl, als ob die Keltin wusste, was sie sagen wollte. Sie fand einfach die Worte nicht, um wirklich auszudrücken was sie fühlte, aber das schien keine Rolle zu spielen. Cadhla verstand sie trotzdem. Und Siv war das eher fremd – sie war zwar oft leicht zu durchschauen, weil sie ihre Gefühle nicht nur lebte anstatt sie in sich zu verbergen, sondern ihnen oft genug auch freien Lauf ließ. Aber es war etwas anderes, tatsächlich über sie zu reden, sich über sie bewusst zu werden. Vor allem wenn so viele verwirrende Faktoren dazu kamen, dass sie sich selbst nicht mehr im Klaren war, was sie eigentlich genau empfand. Und das, worüber sie hier redeten, ihre Mutter, die Situation als Sklavin, wie unsicher sie sich manchmal fühlte, wieso sie sich wirklich so an ihren Zorn klammerte… Wenn Siv derartige Gedanken kamen, dann verdrängte sie sie meistens. Aber Cadhla hatte eine Art an sich, die sie dazu brachte, nachzudenken, tiefer zu gehen. Und es half ihr, jedenfalls fühlte sie sich insgesamt ruhiger, gelassener. Die Germanin nickte, als Cadhla über Mütter sprach – auch wenn sie selbst die ihre nie kennen gelernt hatte, kannte sie doch andere, und davon abgesehen hatte sie eine Familie. Ihr kam die Lebenssicht der Keltin nicht naiv vor, war sie doch ähnlich aufgewachsen wie sie. Natürlich gab es auch in einer Sippe Streit, aber man hielt zusammen – schon allein, weil man anders den Bedrohungen von außen gar nicht widerstehen konnte.


    Siv ließ zu, dass Cadhla ihre Hand nahm und über die Innenfläche strich. Die Hand einer Kriegerin… Siv starrte nachdenklich auf ihre Hand hinunter, die immer noch in der von Cadhla lag. Sie war sich nicht so sicher, ob sie zu denen gehörte, die in Zeiten des Friedens zufrieden sein konnten. Oder in einer schlechten Zeit. Oder ob sie nicht doch eher eine von denen war, die nur glücklich waren, wenn sie kämpfen konnten. Wieso sonst klammerte sie sich so an ihre Wut? Aber es klang gut, was die Keltin sagte. Es klang gut, selbst entscheiden zu können, wann man sich zufrieden fühlte… und nicht zuließ, dass einen die Umstände derart beeinflussten. "Ich… ich nicht weiß… Aber ich versuchen. Versuchen, so sein wie… wie du denken ich bin." Sie lächelte Cadhla an und wurde dann wieder verlegen, als diese von Liebe, von Familie sprach. "Ääähm. Ich… Ich auch nicht weiß, was wünschen. Ich… Gut, wünschen Freiheit, ja. Aber…" Sie zuckte mit den Achseln. Liebe? Ihre Nase kräuselte sich. Sie konnte nicht wirklich viel mit diesem Wort anfangen, nicht wenn es die Liebe zwischen Mann und Frau betraf jedenfalls. Diese Frage hatte sich ihr bisher auch nie gestellt, war ihr Verhältnis zu Ragin doch ein völlig anderes gewesen. Und über Familie hatte sie ebenfalls noch nie wirklich nachgedacht, nicht was sie selbst anging. Sie zuckte die Achseln und musterte Cadhla. "Was mit du? Du wünschen Liebe, Familie?" Zum Teil wollte Siv von sich selbst ablenken, um nicht noch mehr zu entblößen, wie verlegen sie dieses Thema machte, aber zu einem weit größeren Teil interessierte sie einfach, was Cadhla darüber dachte, was sie erlebt hatte, was sie sich wünschte. "Du haben Familie, eigene Familie, haben Mann?"

  • Langsam entließ sie Sivs Hand aus der eigenen, die ihre langen Jahre mit einer Waffe in der Hand allzu deutlich verriet - Cadhlas Finger würden wohl nie die sanfte Weichheit erhalten, die man bei einer Patrizierin finden konnte, und auch nicht die weiche Festigkeit der Hände einer Bürgersfrau, die zwar bisweilen im Haushalt noch anpackte, aber doch schon Sklaven besaß, die ihr vieles abnehmen konnten. Cadhlas Hände verrieten, wie oft sie ihre Waffe geführt hatte, dass ihre Finger daran gewöhnt waren, hartes Tagewerk zu verrichten, und ihr Griff war für gewöhnlich auch ein sehr fester - nur wenn sie sanft sein wollte, veränderte sich das, und Sivs Hand hatte sie sehr behutsam berührt.
    "Du nicht werden wie ich denken Du bist," erwiederte sie schließlich und nach einigem Überlegen. "Du werden so wie Du denken, wie Du wollen sein, das großer Unterschied ist." Sachte lächelte sie, selbst wissend, dass dies wohl keinem Menschen wirklich gelingen konnte, aber wenn man es nicht zumindest versuchte, dann veränderte man sich gar nicht, und das konnte nicht Ziel und Sinn der Sache sein. Der Wille war manchmal schon der erste Schritt, wirklich etwas anders zu machen, und gerade Siv wünschte sie, in dieser fremden Stadt, mit diesem Leben, glücklich zu werden, wenigstens ein kleines Stück ihres Glücks zu finden.


    Als Siv sie dann aber nach ihren Wünschen fragte, seufzte Cadhla leise, denn eigentlich war die Frage unausweichbar gewesen, sie hatte trotzdem gehofft, sie würde nicht darauf antworten müssen - aber Siv war so offen gewesen, es wäre unfair gewesen, ihr nicht aufrichtig ihre eigenen Wünsche zu sagen. Dass die andere dies vielleicht ausnutzen konnte, daran dachte sie gar nicht, denn das war etwas, was in ihrer Sippe nicht vorgekommen war, und ihr darob fremd war.
    "Ich mir wünschen zu sein frei in Entscheidung, wohin gehen .. ich wieder will kämpfen, weil ich weiss, dass ich kann gut ... und .. vielleicht irgendwann, leben mit Mann, den ich können und dürfen lieben. Vielleicht auch haben Kind. Aber so, in diese Leben, ich nicht will Kind, das komme auf Welt und sein Sklave wie ich. Das nicht ist guter Beginn für Kind." Sie machte eine kleine Pause und fuhr dann, etwas nachdenklicher fort. "Ich nie gehabt Mann oder Kind, wenn Du nehmen Schwert zu schützen Stamm, Du schwören, zu nehmen niemals Mann, alle Deine Familie, alle Deine Verwandten. Du leben alleine, und sein alleine, wenn kehren heim ..." Ihre Züge verschleierten sich einige Momente lang, dann sagte sie leise: "Aber es haben geschworen nicht verhindern, dass ... wachsen Liebe zu Mann, den nicht dürfen lieben und von dem wissen, dass er nicht können lieben zurück."

  • Die Keltin ließ Sivs Hand schließlich los, aber die Berührung, wie sie sie gehalten hatte, war seltsam vertraut gewesen, so als ob sie sich schon viel länger kennen würden… Cadhla hatte Recht, dass es ein Unterschied war, ob sie es selbst wollte. Siv hatte sich bisher selten an die Wünsche und Erwartungen anderer angepasst, und sie hatte nicht vor das zu ändern. Aber Siv wollte so sein, wie Cadhla es beschrieben hatte. Sie lächelte die Keltin an. "Ja, sein Unterschied. Aber ich wollen sein wie du denken. Was du denkst ich bin, das… das ist gut. Ist… ist gut zu sein. Ich will so… so sein." Sie musterte Cadhla, und erneut kam ihr der Gedanke, wie aufrecht, stolz und unabhängig die Keltin doch wirkte, wie unantastbar… Und das trotz allem, was ihr widerfahren sein mochte. Siv war sich durchaus im Klaren darüber, dass Cadhla vermutlich auch ihre Probleme hatte mit ihrer Situation klar zu kommen – sie musste einfach Probleme damit haben, alles andere hätte Siv verzweifeln lassen –, aber sie schien ihr Schicksal einfach mit… so viel Würde zu tragen, dass es Siv vorkam, dass die Keltin mit allem fertig werden konnte, egal wie schwer es für sie sein mochte.


    Sivs Fragen brachten das Gesprächsthema an einen Punkt, an dem wenigstens ansatzweise zu merken war, dass Siv Recht hatte in ihrer Annahme, Cadhla habe ebenso wie sie mit ihrer momentan Lage zu kämpfen. Dennoch sprach die Keltin ruhig über das, was ihr am Herzen lag, was sie sich wünschte, was in ihrer Vergangenheit gelegen hatte… Siv nickte anfangs nur. Sie konnte gut nachvollziehen, was Cadhla meinte. Auch wenn Siv sich nicht danach sehnte, irgendwann mit einem Mann zu leben oder Kinder zu haben, sehnte sie sich nach dem, was darunter lag – das Leben selbst bestimmen zu können. Dann wurde die Germanin ebenfalls nachdenklicher, als Cadhla von ihrem bisherigen Leben sprach. "Immer allein? Du nicht leben… bei Familie, Vater, Mutter?" Kriegerin zu sein war wohl nicht ganz so, wie Siv es sich vorgestellt hatte. Sie wusste nicht, ob sie wirklich hätte allein leben wollen. Jetzt war es Cadhla, die etwas verloren klang. Und ihre nächsten Worte machten Siv betroffen. Einen Moment sah sie sie einfach nur an und schwieg, dann fragte sie zögernd: "Du… du lieben Mann? Hier? Aber nicht dürfen?" Abgesehen davon, dass sie sich ohnehin nicht vorstellen konnte, einen Mann zu lieben, auf die Art von der Cadhla sprach – sie konnte es sich nicht vorstellen, wie es sein mochte, zu lieben und es nicht zu dürfen. Es nicht leben zu dürfen. Aber auf wen traf das zu? Inzwischen wusste Siv, dass Beziehungen unter den Sklaven durchaus toleriert wurden. Und das ließ eigentlich nur einen Schluss zu. Ihr Magen zog sich etwas zusammen, als sie begriff, dass Cadhla von einem Römer sprechen musste. Ihre erste, spontane Reaktion war, verständnislos den Kopf zu schütteln. Aber dass es ausgerechnet Cadhla war, die das sagte, hinderte sie daran – die Keltin hatte ihr so sehr geholfen, hatte ihr so viel Mut gegeben, wirkte so stolz, aufrichtig und anständig… Siv konnte nicht anders als sie ernst nehmen. "Er sein… sein Römer, ja?" Es war mehr eine Feststellung denn eine Frage. "Ich… ich wünsche ich könne helfen. Aber ich… nicht habe viel, viel… Wissen für Liebe. Aber wenn du, du willst reden… Ich höre. Ich versuche helfen. Ich da sein."

  • "Wenn Du wollen sein so, dann Du können auch werden so," bekräftigte Cadhla ihre Worte mit einem zuversichtlichen Klang ihrer Stimme. So war sie erzogen worden, in dem festen Wissen darum, dass derjenige, der hart arbeitete, letztlich auch sein Ziel erreichen konnte, und Siv war ein Mensch, dem sie die Entschlossenheit für einen solchen Weg zutraute. Sie hielt sich aufrecht, sie war von den Römern nicht gebrochen worden, und vor allem, sie hatte sich ihren eigenen Blick auf die Tatsachen bewahrt, ohne sich zu sehr von anderen beeinflussen zu lassen. "Du nur können vertrauen auf Dich, auf niemand sonst. Freund und Mann und Geliebter irgendwann fort und Du allein, und dann Du müssen haben Dich um sein stark, Deinen Willen, Deine Entscheidung." Das war auch eine Erfahrung, die sie hatte machen müssen, während sie zur Kriegerin ausgebildet worden war. Befreundet konnte man sein, man konnte auch verwandt sein, vielleicht sogar verliebt, aber letztendlich kämpfte man alleine und wenn man sich selbst nicht vertraute, war man verloren. Unwillkürlich lächelte sie, für einen Moment lang von einer Erinnerung erfüllt, die ihren eigenen, schweren Weg reflektierte.


    Dann schüttelte sie den Kopf. "Seit ich lernen Kampf mit Schwert, ich nicht mehr leben bei Familie, sondern allein. Für Mann Weg ist einfach. Er nehmen Schwert und gehen kämpfen, und haben Frau für Heim und Kinder. Aber wenn haben Frau Schwert, Du nicht kannst haben Mann für Heim und Kinder, sie zu stolz tun sowas. Also Kriegerin lebt allein, denn haben Schwert, Kind und Heim, das nicht geht, Du nicht kannst sein Mutter und töten Feind gleichzeitig. Man immer muss verzichten, wenn gehen Weg, den nicht gehen jeder," sagte sie nachdenklich, und atmete dann tief ein. Es hatte immer Momente gegeben, in denen sie ihren Entschluss bereut hatte, vor allem nach Kämpfen, wenn sie die einzige war, die an eine kalte Herdstelle zurückkehrte. Sivs Frage ließ Cadhlas Kopf emporschnellen, dann nickte sie langsam, als müsste sie damit eine schwere Sünde gestehen. "Ich nicht gesucht Liebe zu ihm. Nicht gewollt lieben .. Mann von Volk, das mich gemacht hat zu Sklave, zu Besitz." Das letzte Wort klang scharf und verachtungsvoll, und es sagte im Grunde alles zum Thema Sklaverei, was Cadhla hätte sagen können - sehr viel mehr Worte musste es dazu auch nicht geben, an diesem unveränderlichen Zustand der ewigen Gefangenschaft.


    "Es sein Ursus. Aurelius Ursus. Und Corvinus sicher nicht sein .. voller Freude falls jemals erfahren, weil er mich wollen haben für sein Bett," sagte die Keltin schlicht und atmete tief ein,den Blick zu Boden wendend. "Ich lange gelebt allein und nie vermisst Mann an Seite, der mir sagen was tun oder halten Hand, ich nie gebraucht. Aber er hier und er lachen und ..." Cadhla presste die Lippen aufeinander und abermals konnte man ein leises Seufzen hören. "Wenn er ist fröhlich, mein Herz lachen mit ihm, ich nicht kann ändern, auch wenn versuchen, es bleiben. Und ich haben versucht, sehr stark versucht, zu töten Gefühl in mir. Es nicht geht."

  • Siv war betroffen, als Cadhla ihr so deutlich sagte, dass sie allein gelebt hatte, seit sie Kriegerin war. So sehr kämpfen hatte lernen wollen, so sehr sie es immer noch lernen wollte, wusste sie doch nicht, ob sie dafür wirklich diesen Preis hätte zahlen wollen. Alleine sein? Sie war in einer großen Familie aufgewachsen, sie war nie wirklich allein gewesen, erst als sie verschleppt worden war, hatte sie festgestellt wie es war, niemanden mehr zu haben außer sich selbst. Und es hatte ihr nicht gefallen. Sie hatte sehr schnell zu den anderen Gefangenen Kontakte geknüpft, soweit die Soldaten das zuließen – weil sie im Grunde ein offener Mensch war und es ihr leicht fiel, auf andere zuzugehen, wenn sie wollte. Aber in dieser Zeit hatte sie festgestellt, dass es ihr nicht nur leicht fiel, sondern dass sie es brauchte. Sie brauchte die Gesellschaft anderer, sie konnte nicht allein sein, nicht völlig allein. Sie musste nicht viele Freunde haben, aber ein, zwei gute, mit denen sie wirklich reden konnte, brauchte sie. Siv musterte die Keltin nachdenklich und grübelte kurz, aber sie war sich nicht sicher, was für eine Entscheidung sie unter diesen Umständen getroffen hätte. "Ich nicht weiß… was ich tun. Dass ich Kriegerin sein, wenn dafür allein. Ich weiß nicht ob ich das könnte, ob es das wert wäre…"


    Die Germanin hatte nicht wirklich damit gerechnet, aber Cadhla nahm ihr Angebot an. Tatsächlich schien sie sogar darauf gewartet zu haben, so sehr sprudelten die Worte auf einmal aus ihr heraus. Siv stützte sich auf den Rechen und hörte aufmerksam zu, konzentrierte sich noch mehr als normalerweise, um so viel wie möglich zu verstehen. Nur leider gab es herzlich wenig, was sie ihr sagen konnte. Sie hatte ja selbst keine Erfahrung mit Liebe – sie war mal verliebt gewesen, in Vilmar. Aber das war eigentlich keine Verliebtheit gewesen, sondern bloße Schwärmerei… Vilmar hatte sie mit 13 Jahren angehimmelt, als sie gerade mal an der Schwelle zur Frau gestanden hatte, und er hatte nie wirklich Augen für sie gehabt, niemals. Irgendwann war ihre Schwärmerei abgeflaut, auch wenn sie nie ganz das Interesse verloren hatte, aber erst als sie Ragin versprochen worden war, schien Vilmar auf einmal auf sie aufmerksam zu werden. Als Ragin dann gestorben war, hatte es nicht allzu lange gedauert, bis sie und Vilmar dann zueinander gefunden hatten, aber ihre Schwärmerei für ihn hatte sich nicht von neuem entzündet – es war bei körperlicher Anziehungskraft geblieben. Dennoch hätte sie Vilmar vielleicht geheiratet, denn lange hätte sie nicht Witwe bleiben können, wenn nicht die Römer gewesen wären… Kurz, Siv konnte Cadhla nicht wirklich helfen. Aber sie versuchte es.


    "Ich… ich nicht weiß, wie Liebe… sein. Aber ich glaube nicht, dass man es sich aussuchen kann… Jedenfalls haben mir das immer alle anderen erzählt, wenn ich gesagt hab dass ich mich nie verlieben will…" Sie streckte ihre Hand aus und nahm Cadhlas erneut in ihre. In Ursus hatte sie sich also verliebt, und woran Siv gar nicht gedacht hätte, machte die Keltin gleich darauf klar – die Komplikationen die es gab, weil nicht Ursus, sondern Corvinus ihr Herr war. Allerdings leuchtete ihr der Grund nicht ganz ein. Selbst wenn er Cadhla für sein Bett wollte, offenbar akzeptierte er ein Nein – und es war ja nicht so, dass er sonst niemanden hatte, mit der er das Bett teilen konnte. "Oh, ich habe Mann, aber nicht brauchen Mann für sagen was tun… Mann kann sein gut für andere Dinge," meinte die Germanin trocken. Sie kam gar nicht auf die Idee, dass Cadhla noch nie bei einem Mann gelegen hatte. Sie zuckte die Achseln. "Corvinus dann nicht erfahren dürfen", meinte sie pragmatisch. Was die Keltin aber dann sagte, machte sie betroffen. Sie kannte zwar nicht, was die Keltin beschrieb, aber es klang gut – und doch hörte sie den Schmerz, der aus ihren Worten klang. "Was… was er denken? Er weiß? Er… dich lieben auch?" Dass sie als Sklavin kaum mit ihm würde glücklich zusammenleben können, selbst wenn er ihre Gefühle erwiderte, ließ Siv für den Moment außen vor.

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