Cubiculum | Decimus Tiberius Lupus

  • Nachdem Durus und ich uns fürs erste getrennt hatten, war nun die Zeit gekommen mein Cubiculum zu erobern. Wie ich während des vorigen Gespräches schon bemerkt hatte, hatten die Sklaven sich bereits ans Werk gemacht und damit begonnen mein Gepäck in eines der Zimmer zu bringen, an denen ich auf der Suche nach meinem vorbeischlenderte. Viele der Türen waren verschlossen, sodass ich keinen Blick hineinwerfen konnte, um zu erkennen, ob sie bewohnt waren oder gar, ob der Anwohner wohl männlichen oder weiblichen Geschlechts war. Aber einige erlaubten mir Einblick in das römische Leben der Tiberier und verschafften mit eine Ahnung des Lebensstiles, den man hier pflegte.
    Der Unordnung und dem geschäftigen Treiben nach zu urteilen, langte ich schließlich in meinem Cubiculum an. Ich verlangsamte meinen Schritt und sah zuerst von der Türschwelle aus hinein, um mir einen groben Überblick zu verschaffen, was leichter gesagt war, denn getan. Man hatte bereits begonnen, die Möbel nach meinen Gewohnheiten und meinem Geschmack umzustellen. Das Bett beispielsweise, das vorher nach Norden ausgerichtet gewesen war, wurde so herum gestellt, dass meine Beine nach Westen zeigen würden, wenn ich es mir zur Nacht bequem machte. Es war eine Eigenart, die mir so noch bei keinem anderen Menschen begegnet war; die dennoch aber sicherstellte, dass ich meinen Schlaf bekam.


    Nach einem Moment des Zögerns trat ich ein, womit ich unweigerlich zum Hindernis wurde, um das man herumzufuhrwerken hatte. Man tat dies ohne zu murren und gab mir damit Gelegenheit, mir in Ruhe ein Plätzchen zu suchen, von dem aus ich weiterhin beobachten und gleichzeitig sogar erholen konnte. Dieses Plätzchen stellte ein Korbsessel nahe eines verhangenen Fensters dar, der mit allerhand Tuch gepolstert wurde und nicht nur seines Standortes, sondern auch der Gemütlichkeit wegen, die er ausstrahlte, bereits jetzt zu einem meiner Lieblingsplätze erkoren wurde. Erledigt ließ ich mich darauf nieder. Was für ein Tag, der da hinter mir lag. Tage, wenn man es genau nahm. Erst die Aufregung in Sicilia und die Vorkehrungen, die ich hatte treffen müssen, damit die Sklavin meine Sachen packen, verladen und zum Hafen schaffen konnten. Dann die Reise auf dem Schiff, auf dem ich zwar beinahe ausschließlich nur rumgelegen und gelesen hatte, während meine Sklaven mich versorgt hatten. Die Leibesübungen waren gleich doppelt und dreifach so anstrengend ausgefallen, hatte ich doch das Geschaukel ausbalancieren müssen, bei allem, was ich tat, sodass ich sie auf ein duldbares Minimum reduziert hatte. Dann der schaukelige Transport von Ostia hierher... Ja, ich hatte schon ein paar sehr anstrengende Tage hinter mir.


    Während ich mich erneut von einer Trägheit bedrängt fühlte, die durch das Hin und Her vor meinen Augen nur noch verstärkt wurde, anstatt aufgefangen zu werden, wurde alles allmählich wohnlicher hergerichtet.

  • Noch während dem Gesprächs im atrium wurde sie entlassen und durfte sich der Aufgabe des Einrichtens widmen. Crista erkundigte sich bei einem tiberischen Sklaven, wo denn die Räume ihres Herrn seien, die hoffentlich bereits hergerichtet worden und liess sich dorthin führen. Mit einem netten Lächeln bat sie den anderen die eigenen Sklaven von der porta hierher zu schicken.


    Die Räume waren groß und schön hell. Sie übernahm den Part der Fenstergestaltung und überwachte von einem Hocker aus das Gewusel der anderen Mitsklaven. Alle wollten eigentlich nur noch fertig werden und sich dann zurückziehen dürfen. Sie konnte sie nur zu gut verstehen und blieb ganz gelassen angesichts der vielen Fragen, die auf sie einsprudelten.


    Crista schloß eine leere Truhe als Lupus hereinkam und musterte forschend sein Gesicht. Er sah ganz schön erschöpft aus und liess sich sogleich in seinem Korbsessel nieder. Schtschht.. nicht so laut. Seht zu, dass das ihr fertig werdet. Dann könnt ihr gehen. warnte sie die anderen vor und ging zu einer Anrichte wo Amphoren standen. Aus einer solchen füllte sie einen tönernen Becher voll und ging damit zu Lupus rüber. Hier.. für Euch.. Apfelfruchtsaft... ein erfrischendes Getränk. Langsam leerte sich das cubiculum und das stets anwesende Gemurmel verebbte. Crista atmete tief durch. Bleiben wir jetzt hier, Herr?

  • Schwerfällig sah ich zu, wie die letzten Verbesserungen vorgenommen wurden und nach und nach ein Sklave nach dem anderen verschwand. Allmählich kamen die Möbel hinter den Truhen zum Vorschein, was die Rumpelkammer allmählich in das Zimmer verwandelte, das von nun an mein Schlafraum würde sein. Mein Blick wanderte einmal langsam durch das gesamte Cubiculum, das daraufhin nur noch ich und Crista, die Sklavin aus Sicilia, teilten. Diese hielt mir kaum später einen Becher hin, den ich ihr wortlos abnahm und unter meine Nase hielt. Apfelfruchtsaft. Er roch säuerlich und etwas nussig. Der erste Schluck schmeckte auch ebenso, dabei aber noch recht süß und wahrlich erfrischend. Nach zwei kleinen Schlücken mehr, die ich genießerisch in aller Ruhe auskostete, indem ich sie nicht gleich gierig hinunterschluckte, gab ich Crista den Becher wieder und sah zu ihr auf.


    "Vorerst, ja. Ich werde mich noch etwas ausruhen und hinterher essen. Zum Abend hin soll mir ein Bad eingelassen werden."


    Als ich wieder von ihr wegsah, wanderte mein Blick rastlos aber langsam durch das Zimmer. Ich wartete noch auf das Gefühl, das mich heimisch werden ließ, hier in diesen Räumen. Aber so schnell schien sich das nicht einstellen zu wollen. "Gefällt es dir hier?", fragte ich sie, um zu erfahren, wie es ihr erging. Schließlich war auch sie in ihrem ganzen Leben noch nirgends anders als auf Sicilia gewesen und nun das erste mal weitab der Heimat.

  • Er trank nicht alles, was sie ihm eingeschenkt hatte und nahm den Becher wieder entgegen. Sie würde später einmal davon probieren, denn zwei der Amphoren hatte sie den entschwundenen Sklaven mitgegeben, damit auch sie ihren Durst stillen konnten undhoffentlich, hoffentlich blieb etwas für sie übrig. In Ordnung. Crista nickte zu Lupus Wünschen und merkte diese sich.


    Bestimmt haben wir bis dahin, äh.. bis zur Dämmerung das balneum gefunden. Ein wichtiger Umstand, den sie noch beheben musste, um sich in diesemn fremden Haus zurecht zu finden. Sicher bedeutete es wieder die anderen tiberischen Sklaven zu fragen. Crista sah sich kurz um und zögerte bevor sie anfing zu sprechen. Ich denke.. es ist alles noch zu fremd um mir gleich zu gefallen, Herr. Vielleicht dauert es ein bisschen bis all die bekannten Sachen hervorkommen, die ich von.. von daheim kenne. Sie schluckte und sah zum Fenster hinaus. Nur ein kleines bisschen Zeit.. bitte. Es ist alles so aufregend. Vor vielen Tagen noch saß ich am Bett meines Vaters und.. jetzt bin ich davon weiter entfernt als jemals zuvor. Ich hoffe es geht ihm gut, da wo er jetzt ist. Selten sprach sie von ihrem verstorbenen Vater, trauerte selbst noch um ihn und überhäufte sich mit Arbeit um die Trauer bewältigen zu können.

  • "Bestimmt haben wir bis dahin, äh.. bis zur Dämmerung das balneum gefunden."


    Für einen Augenblick war mir ein Lächeln anzusehen, nachdem die Sklavin das gesagt hatte und mir damit andeutete, dass sie ebenso wie ich recht orientierungslos war, obgleich die Häuser hier und auf Sicilia vom Kern her gleich aufgebaut waren. Dennoch war alles etwas anders und das weckte in mir Neugier und den Drang aufzustehen und durch die Villa zu gehen, um jede Ecke dieses Hauses kennen zu lernen. Gleichzeitig sagte ich mir jedoch, dass der Rundgang nicht davonlaufen würde und ich mir ruhig etwas Zeit lassen konnte, was ich mir ja nun auch so gewünscht hatte. Seufzend ließ ich den Kopf an ein Kissen sinken, das mir zuvor meinen Nacken gestützt hatte; dann lauschte ich Cristas Worten.
    Sie klangen sehr wehmütig und bei weitem weniger tapfer, als ich es erwartet hatte. So hatte ich die serva, die noch gar nicht allzu lange in meinen Diensten stand, bislang nicht erlebt. Ein Teil meiner ersten Worte zu ihr war gewesen, dass ich Ehrlichkeit schätzte, sowohl von Familienangehörigen und Freunden, die zumeist ja ohnehin danach strebten tugendhaft zu sein, aber auch von Pädagogen und Sklaven. Das nicht unbegründet. Von beiden letzteren hatte ich während meines Aufwachsens häufiger das Gefühl vermittelt bekommen, dass man mir, meines eigenen Schutzes wegen oder möglicherweise aus Angst heraus, gerügt zu werden, Dinge verschwieg. Keineswegs war meine Erziehung darauf ausgerichtet, mich vor allen möglichen Schwierigkeiten - sei es im Alltag, im Umgang mit Menschen, gar mir selbst - abzuschotten, wie ich es bei anderen Nachkommen patrizischer Familien wohl gelegentlich beobachten konnte, allerdings fühlte ich mich trotzdem gelegentlich in die Zuschauerrolle meines eigenen Lebens versetzt, wenn man mir - wissentlich oder auch nicht, das kann und mag ich nicht beurteilen - zu verstehen gegeben hatte, dass nur die Hälfte ausgesprochen worden, während der Rest nicht für meine Ohren bestimmt war. Auch wenn diese Ahnung nicht zu den vorwiegenden Zuständen meiner Jugend gehörte, so war sie doch in irgendeiner Weise, im Nachhinein betrachtet, betitelnd gewesen. Und was ist das für ein grässliches Gefühl, immer nur die Halbwahrheit zu erfahren und im Glauben gelassen zu werden, dass man tatsächlich im vollen Werte seiner selbst anerkannt und einbezogen wurde - begründet wie auch immer?


    Hier hatte ich nun also eine ehrliche Antwort erhalten und war, das musste ich mir eingestehen, ob der Offenheit und zum Trotze meines Wunsches, die Wahrheit zu hören, irritiert. Nun ja, ich hatte so viel Offenheit letzens selten erfahren und nicht darauf spekuliert, diese ausgerechnet durch eine Sklavin zu erfahren. Das wiederum rührte mich und es rührte mich, in welch melancholischem Ton sie von ihrem Vater sprach, den zuweilen auch ich gekannt hatte. Im Zwiespalt meiner strengen Erziehung, die es mir nicht erlaubte mit Sklaven zu kommunizieren, als seien sie uns gleichgestellt, und meines menschlichen Wesens, das gerne etwas Trost ausgesprochen hätte, kam mir der Mittelweg, den ich so häufig ergriff, um mein Innerstes zu verschleiern, gerade recht. "Aber ja, es wird genügend Zeit geben, in der du dich hier eingewöhnen wirst", sprach ich und meine Stimme verriet Mitgefühl. Noch etwas zögerte ich ob meiner Antwort bezüglich ihres Vaters und blinzelte vorher träge. "Du solltest zu den Göttern beten, wenn du noch hoffst, dass es ihm gut geht. Eigentlich solltest du es jedoch wissen." Es lag nicht in meiner Absicht, die serva vor den Kopf zu stoßen, zugleich konnte ich mich dieser Bemerkung nicht erwehren, war ich doch in meinem Glauben gefestigt und konnte auf die Gottheiten vertrauen. Wenn es auch nicht vieles gab, das in unserer Zeit noch sicher war, so gehörten die Götter und ihr Wirken in meinen Augen garantiert zu den Dingen im Leben, auf die man sich als Römer blind verlassen konnte, wenn man sich entsprechend bemühte, in ihrer Gunst zu stehen. Sie betrachtend, legte ich den Kopf etwas schief, sodass meine Stirn den weichen Stoff des Kissens berührte. Ich schmiegte diese Seite noch etwas tiefer ins Kissen. "Wenn du magst, werde ich ihn in meine Gebete einbeziehen."
    Solch ein Angebot hatte wohl Seltenheitswert, denn so häufig kam es wohl nicht vor, dass ein Patrizier für einen Sklaven beten würde. Seufzend schloss ich meine Augen. "Sing mir etwas vor."

  • "Hoffentlich... das Wasser könnte langsam wieder wärmer werden." Sie meinte damit auch, mit der Aufnahme ihres Dienstes in seinen Reihen und der Abreise aus Sizilien ins kalte Wasser geworfen worden zu sein. Crista senkte den Kopf. Soviel Neues und Fremdes auf einmal gesehen hatte sie noch nie. "Ja.. das werde ich tun." Ob es meinem verstorbenen Vater gut geht oder nicht, das überlasse doch mir, fügte sie in Gedanken hinzu. Wir hatten eine enge Vater-Tochter-Beziehung. "Du willst ihn mit einbeziehen? Das.. das ist nett. Nein.. das ist wunderbar." Sie hob den Kopf und sah ihn direkt erleichtert lächelnd an. Lupus lehnte sich zurück, den Kopf ins Kissen gebettet. "Ein Lied.." Crista räusperte sich, sah zu den Gardinen.


    In einem Garten.
    Verborgen ist ein Bronne,
    Behütet von dem harten
    Geleucht' der Mittagssonne,
    Er steigt in schlankem Strahle
    In dunkle Laubesnacht
    Und sinkt in eine Schale
    Und übergießt sie sacht.
    Die Wasser steigen nieder
    In zweiter Schale Mitte,
    Und voll ist diese wieder,
    Sie fluten in die dritte:
    Ein Nehmen und ein Geben,
    Und alle bleiben reich,
    Und alle Fluten leben
    Und ruhen doch zugleich.

  • Sie freute sich über mein Angebot und das gab mir ein gutes Gefühl. Sicherlich hatte sie mittlerweile mitbekommen, wie sehr die Götter Teil meines Lebens waren und dass ich es sehr ernst mit ihnen nahm. Später am Abend würde ich Neptununs für meine alles in allem ungefährliche Seereise ein kleines Opfer darbringen, da würde ich gleich noch für Cristas Vater beten. Wenn ich den Weg zum Altar dieser Villa, die so groß und voller fremder Räume und Einwohner war, fand.


    Meine Gedanken wurden von einer Stimme, die ich schon häufig angehört hatte und die mir doch immer wieder angenehm neu vorkam, unterbrochen, die die Zeilen eines Liedes mit Klang erfüllte. Ich konzentrierte mich auf diese Stimme, die sanft an meine Ohren drang und mir ein warmes Gefühl von Wohlbehagen vermittelte, dass ich aus jenen Kindertagen kannte, an denen meine Mutter für mich und meine Geschwister gesungen hatte. Die Worte, die Crista sang, passten sich sehr gut in das Bild, das ich vor meinen geschlossenen Augen sehen konnte, ein und trugen mich fort in diese Szene, die breits einige Jahre alt und schon längst vergangen war.
    Über diesen Spaziergang, den meine Gedanken wie von alleine machten, während ich immer schwerer atmend lauschte, gelangte ich in einen erholsamen Schlaf.

  • Cristas Lied verstummte mit dem letzten Wort. Ihr Blick wanderte zu Lupus der inzwischen eingeschlafen war. Wieviel er noch von ihrer Stimme gehört hatte? Sicher nicht sehr viel. Sie lächelte und holte eine Bettdecke, mit der sie ihren schlafenden Herrn zudeckte. Behutsam zog sie die Gardinen zu, um das Zimmer etwas abzudunkeln, zündete eine Öllampe neben der Tür an.


    Leise verliess sie cubiculum und erkundete den Weg zu den Räumen für die Sklaven. Eine kurze Stippvisite im Bad inklusive Wechseln der Kleidung trug dazu bei, dass sie sich erfrischt fühlte. Die mitgekommenen und durchaus erschöpften Sklaven schliefen. Sie wühlte nach ihrem Reisebeutel und fand ihn, auch das selbstgefärbte Laken war noch dabei. Crista beschloß es ihnen nachzumachen und legte sich auf ein freies Bett, froh ein vertraut riechendes Laken über sich zu haben. Der Schlaf fing sie recht bald ein...

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