Die Hütte stand hier nun schon seit fünfzig Jahren, und war dementsprechend in die umgebende Vegetation eingewachsen, sie stand auf einer kleinen Lichtung, auf der friedlichen Kleinvieh wie Ziegen oder Hühner asten, und sah aus als wäre sie schon vor Unzeiten von den Menschen vergessen worden.
War sie aber nicht. Es kam nur niemand gerne hierher.
Der Platz war den Menschen unheimlich, und das nicht weil hier unheilige Taten vollbracht wurden, oder ähnliches, sondern einfach weil die einzige Einwohnerin des Ortes die Angewohnheit hatte Recht zu haben, und es auch zu behalten.
Niemand ließ sich gerne die Wahrheit sagen, war es noch so hilfreich, oder noch so warnend, es blieb die Wahrheit, und die war selten bequem. Und dennoch zog es die Menschen immer wieder hierhin. Wenige Schritte vor der Hütte lag ein Felsen, an dem schon einige Kerben zu sehen waren, und vor diesem eine grob behauene Stele aus Holz, die auch schon bessere Zeiten zu Gesicht bekommen hatte.
Dies war eins der wichtigsten Heiligtümer ihrer Völker.
Natürlich gab es andere, aufwendigere, größere, an denen Opfer mit großem Pomp und viel Aufwand dargebracht wurden, doch irgendwie hatte dieser kleine Opferkreis seinen eigenen Charme, besonders für die Götter. Was wohl am deutlichsten dadurch zu sehen war dass weder Haus noch Frau wirkliche Zeichen von Altersschwäche zeigten. Sie sahen alt aus, aber sie verhielten sich nicht so.
Das schon war Grund für die meisten Menschen wirklich nur hierher zu kommen wenn es nicht anders ging. Und wenn es nicht anders ging, hörten die Stammesgrenzen auf zu existieren.
Chauken zog es hierhin, so nah an die römische Grenze, um die alte Frau um Rat und Hilfe zu bitten, Friesen, Hermunduren, Burgunder sogar, und natürlich die letzten Amsivarier.
Und der alten Frau war das alles egal, sie hatte sich schon vor einem halben Jahrhundert aus dem Gefüge der Menschen gelöst, und obwohl sie wohl zu den bestinformiertesten Menschen der nördlichen Gestade zählte, hatte sie nie das Verlangen gehabt ihr Wissen auch einzusetzen.
So fristete Runhild, Tochter Wolfriks, seit ihrem zweiundzwanzigsten Lebensjahr das Dasein einer Dygja, einer Einsiedlerin gleich in den tiefen Wäldern Germaniens...