Eine Karawane gen Westen

  • Ich konnte es eigentlich überhaupt nicht leiden, wenn Männer meinten mir Befehle geben zu müssen. Vor allem, wenn es sich bei dem entsprechenden Mann eher um einen kleinen Jungen handelte der vermutlich noch nicht einmal seine Unschuld verloren hatte. Aber in dieser Nacht, in dieser kalten Wüste liess ich ihn gewähren und liess mich von ihm rumkommandieren, denn allein wäre ich vermutlich auch nicht besser dran als mit ihm.


    So kamen wir ins Lager und er begann sofort es zu durchsuchen. Zumindest konnte ich mich in diesem Moment nicht darüber beklagen, dass er zu passiv war. Während er nach Wasser suchte, ging ich zu jenem Zelt, in dem ich vor nicht allzulanger Zeit noch geschlafen hatte. Ich weiss nicht, warum ich es tat, vielleicht hoffte ich noch irgendetwas von meinem Besitz zu finden, obwohl ich natürlich wusste, dass sie vermutlich alles mitgenommen oder zerstört hatten.


    Ich wühlte gerade in dem, was einmal der Beutel war, mit dem ich in Mantua aufgebrochen war, und der nun nicht mehr als ein Fetzen war, als der Junge zu rufen begann. Ich liess den Fetzen fallen und ging zu ihm. Er stand mit einem Wasserschlauch (oder vielleicht doch einem Weinschlauch?) da und hielt ihn triumphierend in die Luft. Ich schenkte ihm ein kleines Lächeln, obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass der Inhalt dieses Schlauches nie bis nach Paraetonium bringen würde.


    Vielleicht solltest du erstmal überprüfen, ob es wirklich Wasser ist und nicht Öl oder ähnliches. Und ich nehme nicht an, dass du auch noch was zu Essen gefunden hast, oder? Das ganze kam etwas sarkastischer rüber als ich beabsichtigt hatte, aber ich bereute es nicht, schliesslich musste der Junge sich der Wirklichkeit öffnen.


    Ich denke ausserdem, wir sollten lieber nach Alexandria zurückkehren. Dort können wir besser Hilfe holen als in Paratonium. Es war weniger ein Vorschlag, als mehr ein Befehl und man konnte durchaus hören, dass ich nicht unbedingt bereit war, Widerspruch zu akzeptieren.

  • [Blockierte Grafik: http://www.sai.uni-heidelberg.de/~harm/ImperiumRomanum/Alexandria_et_Aegyptus/KameltreiberNSC.png]


    Wenn der Junge geglaubt hatte, in dieser außergewöhnlichen Situation würden alle Klassenschranken fallen, und wenn er gemeint hatte, nun müsse er als Mann das Heft des Handelns ergreifen und über ihr weiteres Tun alleine entscheiden, dann sah er sich getäuscht. Denn diese römische Dame schien nicht gewillt zu sein, sich von einem kleinen Kameltreiber Befehle erteilen zu lassen.


    Er errötete.
    “Öl?“
    Eifrig öffnete er den Schlauch und ließ etwas von dem Inhalt in seine Hand laufen.
    “Nein, kein Öl. Den Göttern sei dank, es ist Wasser, siehst du!“
    Er verschloss den Schlauch wieder und sah sich hilflos um.
    “Aber zu essen... nein... sie waren sehr gründlich, diese...“
    Bei dem Gedanken an die Vermummten wurde ihm scheinbar wieder Angst und Bange. Wie ein verfolgtes Tier schaute er sich nervös um.
    “Nach Alexandria meinst du?“
    Er sah die Straße entlang nach Westen, wo Paraetonium lag. Dann drehte er sich um und blinzelte in Richtung der aufgehenden Sonne. Dort lag Alexandria. In beide Richtung war nichts als die Straße und ansonsten trostlose Einöde zu erblicken.
    Der Junge zuckte mit den Schultern.
    “Ein Weg ist so gut wie der andere. Wenn du willst, dann eben nach Alexandria zurück.“, meinte er.
    “Aber wir sollten keine Zeit verlieren. Lass uns gleich aufbrechen. Vielleicht kommen sie noch einmal zurück. Wir müssen weg. Es gibt hier doch nichts mehr für uns zu tun.“
    Es drängte ihn sichtlich, diesen schrecklichen Ort zu verlassen.

  • Ich beobachtete den Jungen dabei, wie er den Inhalt des Schlauches überprüfte. Das mit dem Essen war das einzige Problem, doch für den Notfall blieb mir ja noch der Junge, der schmeckte sicherlich auch einigermassen akzeptabel.
    Ich blickte ebenfalls in die Richtung, aus der wir gekommen waren und nickte leicht.

    Lass uns aufbrechen. Du kennst sicherlich den Weg, oder?
    Ohne auf eine Antwort zu warten, begann ich in die Richtung zu marschieren, wo Alexandria meiner Meinung nach liegen musste.

  • [Blockierte Grafik: http://www.sai.uni-heidelberg.de/~harm/ImperiumRomanum/Alexandria_et_Aegyptus/KameltreiberNSC.png]


    Der Junge zuckte mit den Schultern.


    “Natürlich, wir müssen einfach nur der Straße folgen die wir gekommen sind.“, meinte er und zeigte in Richtung der Sonne, die inzwischen vollständig aufgegangen war und ihren Weg über den Himmelskreis begonnen hatte.



    So gingen sie eine ganze Zeit lang. Es war Winter und das war ein großes Glück. Im Sommer hätten sie gewiss sehr gelitten und der Marsch wäre ihnen zur Qual geworden. So blieben die Temperaturen aber angenehm und die Sonne, die Stunde um Stunde immer höher stieg, wärmte sie nur, statt sie schier zu verbrennen.


    Der Junge redete nicht viel.
    Aber irgendwann sagte er unvermittelt und ohne weitere Einleitung:
    “Das waren Garamanten! Ganz bestimmt, Garamanten waren das! Sie bestehlen die Leute und verschleppen sie ins Innere der Wüste. Ich hab' gehört, dass es da eine Stadt aus Sand gibt, mit großen Gärten und Seen. Weit im Süden soll das sein. Und einen Sklavenmarkt gibt es da auch. Da bringen sie ihre Gefangenen hin und verkaufen sie an Sklavenhändler, die von noch weiter aus dem Süden kommen. Schwarze Männer, mit Armen voller Goldreifen und Mänteln aus Löwenfell. Hab' ich gehört!“


    Die Garamanten hatten einst ein großes Reich im südlichen Lybia beherrscht. Sie hatten regen Handel mit den Küstenstädten geführt und wenn sie nicht zum Handeln kamen, dann raubten und plünderten sie und verbreiteten Furcht und Schrecken. Dann waren die Römer gekommen und es hatte Krieg gegeben. Die Garamanten führten Streitwagen ins Feld und die Römer hatten ihre liebe Not mit ihnen. Aber dann war ein römischer Feldherr namens Lucius Cornelius Balbus Minor mit seiner Legion bis zu ihrer Hauptstadt Garama marschiert und hatte sie zerstört. Das war vor über 100 Jahren gewesen und danach hörte man nur noch wenig von von den Garamanten.
    Keiner wusste, ob sie ihre Hauptstadt wieder aufgebaut oder ob sie an einem anderen Ort eine neue errichtet hatten. Es wurde viel gemunkelt, von einem neuen Garamantenreich, dass noch tiefer im Süden lag. Es gab diese Gerüchte von einer Stadt aus Sand, in die sie ihre Gefangenen verschleppten und versklavten, aber niemand wusste etwas genaues. Doch im Küstenvolk war die finstere Erinnerung an die schrecklichen Garamanten lebendig. Wüstenräuber und Garamanten – da machte man keinen Unterschied und man nannte ihren Namen voller Abscheu und Angst. Garamanten, dass war gleichsam das Synonym für alles Böse was aus der Wüste kam.
    Ob diese vermummten Männer der vergangenen Nacht wirklich Garamanten gewesen waren, dass war so ungewiss wie ihre sichere Rückkehr nach Alexandria. Aber der Junge war fest davon überzeugt.


    “Garamanten waren das!“, wiederholte er deshalb voller Inbrunst und spuckte kräftig aus.

  • Ich genoss das Schweigen des Jungen, denn es war eine angenehme Abwechslung zu dem Geschwätz, dass ich im Museion ständig zu hören bekam. Ebenfalls schweigend marschierte ich neben ihm her. Ich hoffte sehr, dass wir es schaffen würden Alexandria zu erreichen, denn das letzte was ich wollte, war in der Wüste zu sterben.


    Die Worte des Jungen hörte ich mit Interesse, doch schüttelte ich dann den Kopf.
    Du solltest es nicht beschreien. Wenn es keine Garamanten gewesen sein sollten, dann bestünde immer noch die Möglichkeit, dass sie durch dein Gerede angelockt werden.
    sagte ich. Natürlich kannte ich die Geschichten, die man sich über die Garamanten erzählte, aber ich war mir sicher, dass es keine waren.

  • Nachdem die Dame ihm derart über den Mund gefahren war schwieg der Junge für eine ganze Weile und sie gingen wortlos weiter. Sie marschierten lange und bald taten ihnen die Füße sehr weh. Doch es nützte ja nichts.
    Der Tag wurde ihnen lang und die eintönige Landschaft trug nichts dazu bei, ihre trübsinnige Stimmung aufzuheitern. Die Straße schien sich schier endlos zu ziehen und der Weg kam ihnen viel länger vor als am Vortag, wo sie ihn zusammen mit ihren Mitreisenden in entgegengesetzter Richtung genommen hatten.


    Es wurde Abend, die Sonne ging, wie immer in Aegyptus, rasch unter und noch war Alexandria nicht in Sicht. Also schlugen sie ein äußerst karges Lager am Straßenrand unter freiem Himmel auf. Sie mussten auf der nackten Erde schlafen, ohne Schutz vor Kälte und Dunkelheit. Das heißt, Iunia Urgulania sollte schlafen, während Kerkidas sich erbot, Wache zu halten.
    Aber er war ein denkbar lausiger Wächter ihrer Nachtruhe, denn schon bald war auch er vor Erschöpfung eingenickt.
    Die beiden ungleichen Reisegefährten wären in dieser Nacht ein leichtes Opfer für Wegelagerer oder bösartige Geschöpfe der Finsternis gewesen. Aber sie blieben unbehelligt und als der Junge am nächsten Morgen erwachte und seinen Fehler voller Scham bemerkte, war alles wie am Abend zuvor. Sie waren alleine und keine Menschenseele weit und breit zu sehen.



    [Blockierte Grafik: http://www.sai.uni-heidelberg.de/~harm/ImperiumRomanum/Alexandria_et_Aegyptus/KameltreiberNSC.png]


    “Wach auf... ähm... Ehenwerte Dame, wach auf. Es kann nicht mehr sehr weit sein. Bestimmt schaffen wir es heute bis nach Alexandria. Aber wir müssen zeitig aufbrechen, damit wir am Ende nicht vor verschlossenen Toren stehen. Die Stadttore werden am Abend geschlossen.“
    Er war ein kleiner Klugscheißer, dieser Kerkidas. ;)

  • Der Marsch durch die Wüste war äusserst anstrengend und ich fühlte mit der Zeit wie alt ich doch tatsächlich war. Mehr als einmal kam in mir der Gedanke auf, dass es besser gewesen wäre, den Jungen allein loszuschicken und selbst da zu warten, wo wir überfallen worden waren. Doch jetzt war ich hier und stapfte an der Seite den Jungen durch den Wüstensand. Entlang der Strasse, die wir am gestrigen Tag auf den Reittieren so schnell hinter uns gebracht hatten. Doch jetzt wirkte sie endlos.
    Als die Nacht hereinbrach, schlugen wir ein kleines Lager auf. Oder besser gesagt wir liessen uns am Wegesrand in den Sand fallen und versuchten es uns bequem zu machen. Der Junge bot sich als Nachtwache an und obwohl ich leichte Zweifel an seiner Zuverlässigkeit hegte, stimmte ich zu. Immerhin war er jünger als ich und brauchte sicherlich auch weniger Schlaf.
    So legte ich mich nieder und versuchte einzuschlafen, was nach einigen Positionswechseln dann auch funktionierte. Die kurze Nacht war erfüllt von einem sehr negativen Traum in dem ich vor mir sah, wie wir von den Räubern eingeholt, gefoltert und ermordet wurden. Es wirkte sehr unwirklich und als ich am Morgen von dem Jungen geweckt wurde, verdrängte ich diesen Traum. Immerhin wollte ich ihn damit ja nicht verängstigen.

    Dann lass uns losgehen. war mein einziger Kommentar, nachdem ich aufgewacht war und mir der Junge vorschlug wir sollten zeitig aufbrechen. Ich hatte keine Lust mehr noch viel länger hier in der Wüste zu bleiben und daher war mir ein zeitiger Aufbruch mehr als recht. Ich stand auf und nachdem ich mir den Wasserschlauch hatte geben und einen winzigen Schluck getrunken hatte, marschierte ich los.

  • [Blockierte Grafik: http://www.sai.uni-heidelberg.…yptus/KameltreiberNSC.png]


    Es wurde erneut ein langer und strapaziöser Tag. Aber noch vor der Mittagsstunde trafen sie erstmals wieder auf Menschen und je näher der Abend rückte, desto belebter wurde die Straße. Da zeichnete sich in der Ferne auch schon längst der steil aufragende Finger des Pharos ab. Je näher sie kamen, desto mehr schälten sich die Umrisse der Stadt Alexandria aus dem Dunst und die Sonne hatte den Horizont noch nicht berührt, als Kerkidas ausrief: “Da ist das Mondtor! Da müssen wir hin!“

  • So alt war ich doch gar nicht. Zumindest versuchte ich mir das den ganzen Tag einzureden. Aber wirklich sicher war ich mir nicht, denn der Tag war anstrengender als alles, was ich bisher in meinem Leben gemacht hatte. Und zu allem Überfluss schleppte sich der Tag auch noch so richtig langsam dahin. Aber dann, der Tag war so gut wie vorbei und ich kurz vor dem Zusammenbruch, da sahen wir zum ersten Mal unser Ziel. Alexandria, in diesem Moment der schönste Ort der Welt. Doch nur weil wir die Stadt sahen, waren wir noch nicht da.
    Der Junge deutete auf das Stadttor, durch dass wir vor zwei Tagen die Stadt verlassen hatten. Ich hatte nie damit gerechnet, dass ich es so bald wiedersehen würde. Oder dass ich überhaupt wieder hierher kommen würde.
    Doch wir hielten uns ran und erreichten das Tor mit letzter Kraft.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!