• Nachdem alles sorgfältig ausgepackt und alles an seinem Platz war, brachte Axilla auch ihre Lares an den für sie vorgesehenen Platz: Das Lararium. Diese eigentlich einfache Aufgabe erwies sich als schwieriger denn angenommen, denn Axilla musste feststellen, dass die Sklaven ihre Sprache wohl nur lückenhaft sprachen – oder sich dumm stellten, was sie aber nicht annahm. Schließlich aber hatte einer doch verstanden, was sie wollte, und sie zum Ara begleitet.
    Wie das ganze Haus war auch der Ara prachtvoll ausgestaltet. Eine schöne Statue der Göttin Iuno stand aus weißem Marmor gehauen erhaben da. Lediglich die etwas welkeren Blumen, die am Altar als kleine Opfergaben aufgestellt waren, ließen erkennen, dass ihre übrige Verwandtschaft die Göttin wohl ebenso langweilig fand wie Axilla. Auch wenn sie das niemals laut gesagt hätte, aber sie konnte mit Ehe und Kinderkriegen und dem Ganzen einfach nicht wirklich etwas anfangen. Da waren Götter wie Mars, Mercurius, Apollo oder auch Diana und Venus einfach viel interessanter als Iuno. Nichts desto trotz beschloss Axilla, sich ein wenig mehr um die Göttin hier zu kümmern. Immerhin war sie Namensgeberin ihrer Gens, und sie wollte ja nicht, dass wegen ein paar Welken Blumen der sprichwörtliche Haussegen schief hing.
    Sie ging zum Lararium direkt neben dem Ara, um dort ihre Lares auch unterzubringen. Schöne, gemalte Schlangen zeigten, dass dieses Haus auch lares loci hatte, die es von diesem Ort aus beschützten. In eine Nische dieser bemalten Wand war eine Art kleiner Tempel gehauen, in der die anderen Lares der Iunier standen.
    Axilla betrachtete ihre eigenen kleinen Statuen. Sie wirkten irgendwie viel schäbiger, abgenutzter, als diese glänzend polierten Lares, die hier schon standen. Und auch irgendwie etwas kleiner. Axilla verschob die vorhandenen Figuren und machte so Platz für ihre Lares. Sie hoffte, die Geister würden sich hier wohl fühlen. Ein bisschen fühlte sie sich selbst wie diese Statuen: Etwas zu gewöhnlich für so einen schönen Haushalt, etwas zu ärmlich und zu ländlich. Aber auch sie hoffte, sich in diesem erhabenen Kreis bald heimisch fühlen zu können.
    Nachdem sie alles zu ihrer Zufriedenheit gerichtet hatte, scheuchte sie noch einen Diener los, ein kleines Schälchen mit Wein für die Laren und frische Blumen für Iuno zu holen. Als auch das zu ihrer Zufriedenheit erledigt war, begab sich Axilla müde in ihr Cubiculum um sich auszuruhen.

  • Jetzt war Axilla wie ein Geist seit Tagen herumgeschlichen. Nach ihrem Besuch im Gymnasion und dem Gespräch mit Ánthimos hatte sie viel nachgedacht. Sehr viel, um genau zu sein. Seine Worte ließen sie nicht los. Sie sollte den Göttern dankbar sein, dass sie sich nicht umbringen konnte, und ihre Chance nutzen. Das ging ihr nicht aus dem Kopf, so sehr sie es versuchte.
    Das Problem an der Sache war nur: Sie hatte die Götter schlecht behandelt, und sie wusste das. Und sie würde die Götter in Zukunft nicht mehr ehren, dafür war die Trauer und die Wut über den Tod der Mutter trotz aller Gebete und aller Opfer einfach zu groß. Wie konnte sie da den Göttern wirklich danken? Axilla machte sich keine Illusionen, dass die Götter auf sie herablächeln könnten. Vermutlich würden sie Opfer von der kleinen Römerin noch nicht einmal annehmen.
    Und dennoch stand sie mal wieder vor dem Hausaltar. Sie ließ ihren Blick über die Blumen schweifen, es waren wieder viele welke dabei. Einzeln sortierte Axilla sie aus, legte sie erst einmal beiseite. Warum genau sie das machte, wusste sie selber noch nicht. Einen vorbeikommenden Sklaven schickte sie in den Hortus, frische Blumen zu schneiden und herzubringen. Als er sie brachte, gab sie ihm die welken mit und schickte ihn weg. Sie selbst arrangierte die frischen Blumen schön neben der Statue von Iuno. Die ganze Zeit hatte sie noch kein Wort gesprochen.
    Während sie die Blumen so anrichtete und immer wieder in das Gesicht der Götterstatue vor ihr sah, fing sie dann auf einmal an, ganz leise. Es war zwar niemand hier, aber ihre Stimme blieb dennoch leise, als wäre sie wirklich ein Geist und könne nur wispern.
    Iuno? Ich weiß, ich hab dich schlecht behandelt. Ich meine, ich sorge hier zwar für frische Blumen, aber sonst…
    Ich weiß, nach Mutters Tod hätte ich dir und auch den anderen Göttern mehr Aufmerksamkeit schenken sollen. Aber ich… naja, ich weiß auch nicht. Es ist einfach…

    Axilla atmete einmal tief durch und schüttelte den Kopf, als könne das die durcheinanderwirbelnden Gedanken in ihrem Kopf wieder zur Ruhe bringen. Die Blumen waren nun fertig, es gab eigentlich nichts mehr zu tun, und trotzdem blieb Axilla. Sie ging vor dem Alter auf die Knie, aber nicht ehrfurchtsvoll, sondern so, wie ein Kind es wohl macht bei seinen Eltern. Sie lehnte sich leicht gegen den Ara, einen Arm sanft abgelegt, den schweren Kopf darauf, und schaute so in diese bequemen Position genau auf die Füße der Göttin. Sie wusste nicht, was sie ihr eigentlich sagen wollte.
    Ich will dir gar nicht versprechen, dass sich das von jetzt an ändern wird. Ich kenn mich da zu gut, und… ich glaube nicht, dass ich jetzt so fromm werde, euch allen oder auch nur dir zu opfern.
    Aber ich weiß, dass das, was ich getan habe, falsch war. Du weißt schon… das mit Silanus, und erst recht das mit Timos. Das war falsch, und ich weiß das. Ich habe dich wahrscheinlich damit beleidigt. Und das wollte ich nicht.
    Ich… ich wollte nur, dass du das weißt. Wahrscheinlich bedeutet dir meine Entschuldigung auch nicht viel. Ich bin nur… ich, und das hier sind nur ein paar Blumen…

    Tränen fingen an, zu fließen. Es tat Axilla wirklich sehr leid, was sie getan hatte. Sie wusste, wie falsch das gewesen war und welches Unrecht sie begangen hatte. Sie schämte sich so deswegen. Sie wollte doch nur einen Menschen, der sie wirklich und aufrecht liebte. Das war doch alles, was sie je gewollt hatte. Jetzt wusste sie, dass das der komplett falsche Weg gewesen war, aber sie konnte nun mal auch nicht aus ihrer Haut.
    Ihre Tränen tropften auf die Füße der Statue, und hastig wischte Axilla sie weg. Sie wollte nicht die Göttin dadurch noch beleidigen, dass sie sie vollheulte. Ganz sorgsam also wischte sie jedes salzige Tröpfchen mit dem Ärmel ihrer Tunika fort, und danach wischte sie sich selber auch noch einmal die Augen.
    Es tut mir leid. Ich wollte nur, dass du das weißt.
    Axilla schaute noch einen Moment in das marmorne Gesicht der Göttin, dann stand sie auf und verließ den Ara. Sie wusste nicht, ob die Göttin ihr zugehört hatte oder ob ihr diese kleine Entschuldigung überhaupt irgendetwas bedeutete. Aber für sie war sie jetzt wichtig gewesen.

  • Es war ein bewölkter Tag in Alexandria. Nicht anders als die Tage davor, denn die Regenzeit brachte jeden Tag viele Wolken und manchmal schüttete es wie aus Kübeln, so dass man meinen mochte, die Welt wolle ertrinken. Und doch war dieser 13. Tag des Februar anders als die Tage davor, zumindest für Axilla. Sie ging nicht zur Arbeit, sie würde es die nächsten neun Tage nicht tun. Dass Nikolaos sie dann auch nicht bezahlte, war ihr egal, und ebenso, dass er deshalb böse auf sie sein könnte. Immerhin war er ein Grieche und wusste darüber hinaus nichts von Axillas genauer Geschichte. Niemand wusste etwas genaues, niemand fragte auch danach. Nicht, dass Axilla etwas erzählt hätte, aber dennoch war es so, dass sich auch niemand dafür zu interessieren schien.
    Und so war dieser 13. Februar etwas besonderes, auch wenn es kein Freitag war. Obwohl das ja auch niemanden eigentlich kümmerte, welcher Tag denn war, konnte doch niemand wissen, dass in über 1800 Jahren ein Haufen Leute wegen kleiner, bedruckter Papierscheinchen so unglücklich sein würden, dass sie wegen deren Verlust an einem Ort namens Nova Eboracum an einem Freitag gleich aus diversen Fenstern springen würden. Wenn es Goldmünzen gewesen wären, die sie verloren hätten, könnte man es ja vielleicht verstehen, aber wer sprang wegen buntem Papier in den Tod?


    Doch an diesem Tag begannen die Parentalia. Axilla hatte schon die Vornacht nicht schlafen können. Es gab nicht viel, was sie feierte, oder was sie fürchtete, insgesamt glaubte sie nicht mehr wirklich daran, dass die Götter den Menschen helfen würden. Der einzige Gott, zu dem sie eine Verbundenheit verspürte, war der wilde und freie Faunus. Daher waren ihr alle Feiertage eigentlich egal. Außer den Parentalia, an denen man der eigenen Vorfahren gedachte.
    Am Morgen hatte sie sich in ihre einfachsten, schlichtesten, schwarzen Sachen gekleidet. Es war nur ein sehr einfaches Kleid und ihr eigentlich fast zu klein, denn in den letzten zwei Jahren war sie doch noch ein Stückchen gewachsen. Aber sie wollte sich kein neues anfertigen lassen, und vor allem wollte sie heute nicht einkaufen. Da nahm sie lieber in Kauf, dass das Kleid etwas zu kurz war und eben nicht bis zum Boden, sondern nur bis knapp zu den Knöcheln ging. Ihr Haar war offen und nicht zusammengesteckt wie sonst meistens. Und sie lief barfuß herum, auch wenn das wohl als übertrieben gelten mochte. Doch war sie ohnehin nur im Haus.
    Ganz in der Frühe hatte sie Leander gebeten, ihr mit der Rüstung des Vaters zu helfen. Sie stellten ein Holzgestell beim Ara und dem Lararium auf, das auch mannshoch war. Auf dieses stellten sie die Rüstung auf, ganz vorsichtig, damit nichts beschädigt wurde. Axilla war da sehr penibel und genau und scheuchte Leander schließlich von der Rüstung, um sie selbst perfekt aufzuhängen und zu verschließen. Selbst den Roßhaarbusch auf den Helm schraubte sie auf, obwohl sie wusste, dass ihr Vater das Teil albern gefunden hatte.
    Sie hatte keine andere Möglichkeit, mit ihren Vorfahren in Kontakt zu treten als mit dieser behelfsmäßigen Sache. Die Gräber ihrer Ahnen waren hauptsächlich in Hispania, aber sie war hier. Nur sie und ihre Laren und die Rüstung waren hier, sonst hatte sie nichts von ihren Vorfahren. Doch Axilla war fest entschlossen, ihrer Vorfahren zu gedenken.
    Danach war die Küche ihr Ziel, wo sie die arme Köchin herumscheuchte. Am Vortag hatte sie einen Hasen gekauft. War gar nicht so einfach gewesen, denn hier in Ägyptus liefen nicht hunderte von diesen Rammlern frei auf den Feldern herum, sondern wurden zumeist im Stall gezüchtet. Nun musste dieser geschlachtet und ausgenommen werden. Und auch, wenn die Köchin heftig widersprach, ließ sich Axilla es nicht nehmen, es selbst zu machen. Das Essen war für ihre Vorfahren, und das würde sie zubereiten.
    Sie nahm also den Hasen aus seinem Verschlag und hielt ihn erstmal nur in der Hand. Das Tierchen hatte Angst, und wenn sie ihn so schlachten würde, würde sein Fleisch ganz zäh sein. So hielt sie den Hasen vorsichtig und doch fest und kraulte ihn ein Weilchen, bis er sich entspannte. Erst, als er sich beruhigt hatte und die Anspannung aus seinen Muskeln gewichen war, kam ein gut gezielter und sehr Kräftiger schlag ins Genick des Tieres, der daraufhin nur einmal kurz ruckte und dann ruhig war. Es war nicht der erste Hase, den Axilla geschlachtet hatte. Beim Ausnehmen und Häuten ließ sie sich aber ausnahmsweise helfen, denn da waren die geschickten Handgriffe der Köchin wirklich besser.
    Dann kam das Anbraten. Am liebsten hätte Axilla das Vieh einfach aufgespießt und auf offener Flamme gebraten, aber das ging bei dem komischen Ofen nicht. Also musste erst vernünftig Brennmaterial herangeschafft werden und nach einigem hin und her an einem Ort entzündet werden, wo nicht Gefahr bestand, das Haus abzufackeln. Dennoch bestand die Köchin auf zwei Sklaven, die mit Wassereimern bereitstanden. Und das, obwohl Axilla eigentlich die Herrin war! Aber sie wollte heute nicht streiten, also nahm sie diese Bewachung zähneknirschend hin.
    Der Hase wurde also mehr oder weniger – mehr weniger – fachgerecht aufgespießt und über die knisternden Flammen gehalten. Das wurde mit der Zeit ganz schön schwer, und auch das drehen fiel Axilla nicht so leicht, und die Versuche der Köchin, ihr zu erklären, dass es für sowas auch handliche Vorrichtungen gab, wo man den Spieß aufhängen konnte, kamen ein wenig zu spät, und Axilla war zu stur, es jetzt anders zu machen. So kochte sie auf ihre bevorzugte Kochweise: Außen schwarz, Innen roh.
    Wieder in der Küche und mit sehr, wirklich sehr sorgfältig gelöschtem Feuer im Garten wurde der Hase dann schließlich verteilt und auf einen Teller angerichtet. Axilla nahm die nicht allzu essbar wirkende äußere Form sehr bedrückt hin. Sie wollte ihre Vorfahren ja nicht vergiften. Sie nahm also zur Wiedergutmachung eine großzügig bemessene Portion Salz zum würzen und gutes Öl, dazu von der Köchin gebackenes Brot und den besten Wein des Hauses. Sie hoffte, Urgulania wäre deshalb nicht böse, aber immerhin ging es hier um ihre Ahnen. So bewaffnet, wobei sie sich von Leander helfen ließ, ging Axilla also wieder zurück zum Ara, damit sie mit der Speisung ihrer Ahnen und deren Gedenken beginnen konnte.

  • Das einfache Weihrauchstäbchen glimmte düster vor sich hin und verbreitete seinen Duft in dem Raum mit dem Ara, überlagerte so den Geruch des Essens leicht, aber nicht vollständig. Axilla nahm ihre Laren ganz vorsichtig, gab jeder einzelnen kleinen Statue einen vorsichtigen Kuss und stellte sie ehrfürchtig wieder so hin, dass sie alle vor dem Teller mit dem Essen standen und neben der Rüstung.
    Außer Leander hatte sie alle Sklaven weggeschickt. Leander hätte sie auch freigegeben, aber sie brauchte jemanden, der ihr half. Und außerdem war der Grieche nun ihr persönlicher Sklave und gehörte damit zu ihrer Familie, damit waren das hier auch irgendwo seine Ahnen. Zumindest im übertragenen Sinne, doch für Axillas Gefühlswelt so stark, dass er teilnehmen sollte. Axilla also kniete sich vor die Rüstung ihres Vaters und den Laren und atmete erst ein paar Mal. Sie überlegte, ob es feste Formeln gab, an die sie sich halten musste, aber sie erinnerte sich nicht daran. Früher hatte ihre Mutter die Gebete initialisiert, und letztes Jahr war sie noch zu verweint um die Zeremonie zu leiten, da ihre Muter erst ein halbes Jahr tot war, so dass ihr Lehrer Iason das übernommen hatte. Dieses Mal war sie zum ersten Mal ganz alleine. Sie ließ den Kopf leicht sinken und atmete ein paar Mal, um sicherzugehen, dass sie ihre Stimme unter Kontrolle haben würde. Sie wollte bei der Ehrung ihrer Ahnen nicht verheult klingen und japsen.


    “Geister meiner Ahnen…“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Wispern, und Axilla räusperte sich einmal, um Klang in ihr Stimmchen zu bekommen. Dann begann sie erneut, diesmal in hörbarer Lautstärke
    “Geister meiner Ahnen, kommt herbei und nehmt die Gaben, die ich euch gebracht habe. Ich habe euch Hase zubereitet, nur für euch. Er ist mir etwas angebrannt, aber man kann ihn essen. Seht…“
    Axilla nahm zum Beweis einen kleinen Bissen. Das äußere war verbrannt und die Idee mit dem Salz war vielleicht nicht gar so gut gewesen. Es schmeckte trotz allem zäh und faserig, außen zu trocken und innen noch zu roh. Selbst Soldaten auf dem Feld würden wohl etwas schmackhafteres zustande bringen als Axilla in der großen Küche. Aber dennoch war es mehr oder weniger essbar. Axilla schluckte schwer und sah betreten zu Boden.
    “Und Brot habe ich euch gebracht, dass die Köchin hier gebacken hat. Das schmeckt sehr gut. Und auch gutes Öl…“
    Leander half Axilla, indem er aus der Amphore das Öl vorsichtig auf das Brot gab.
    “Und ich habe euch Salz und Wein mitgebracht. Nehmt diese Gaben, denn sie sind nur für euch. Geister meiner Ahnen, ich ehre euch. Ich habe euch nicht vergessen und will versuchen… ich will versuchen zu leben, wie ihr mit guten Vorbild….“
    Axilla musste schlucken. Ihr Blick ging hoch zu der Rüstung, die so bedrohlich und doch bekannt dastand. Sie blickte direkt in die dunkle Leere des Helms hinein, als versuche sie, dem Geist ihres Vaters in die Augen zu schauen. Sie wusste, sie lebte nicht wirklich zum besten Andenken ihrer Ahnen. Die Iunier waren eine so altehrwürdige Familie, die soviel geleistet hatte. Und was tat sie? Sie war nicht verheiratet, aber keine Jungfrau mehr. Sie hatte so ziemlich jeden Fehler begangen, den man begehen konnte. Sie konnte ihre Vorfahren nicht anlügen und behaupten, sie würde in ihrem Andenken leben und alles so machen, wie sie wollten.
    “Ich hoffe, ich bin keine zu große Enttäuschung für euch. Ich weiß, dass ich viel falsch mache und viel gemacht habe, worauf man nicht gerade stolz sein kann. Aber ich bemüh mich, wirklich. Ich…
    Ich vermiss dich so.“

    Sie schaute noch immer hoch zu der Rüstung, und so sehr sie sich vorgenommen hatte, nicht zu weinen, es ging einfach nicht. Die Tränen liefen einfach und ihr Körper wurde vom Schluchzen geradezu geschüttelt. Sie wünschte sich ja so sehr, dass er nun hier wäre und ihr helfen würde.
    “Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich will doch so sehr, dass du stolz auf mich bist. Ich will doch nur so sein, wie du es mir beigebracht hast. Aber das ist so schwer alleine.
    Du hast versprochen, du kommst wieder, an dem Tag am Baum. Und jetzt bist du tot. Ich weiß doch nicht….“

    Axilla krümmte sich und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Das Ritual war ihr vollkommen entglitten und sie konnte nur noch weinen und dabei zuckte ihr Körper so heftig, weil sie gar keine Luft mehr bekam. Sie fühlte, wie Leander erst vorsichtig ihr die Hand auf den Rücken legte, als sie sich aber nicht beruhigte, sondern nur immer heftiger zitterte, sie richtig umarmte und an sich zog, so dass sie erst einmal richtig weinen konnte. Und da war es Axilla auch völlig egal, dass er ein Sklave war und für sowas eigentlich ihr Einverständnis brauchte. Sie weinte einfach, bis sie keine Tränen mehr hatte und ihr Körper völlig entkräftet war.


    Sie löste sich wieder aus Leanders Umarmung und schenkte ihm nur einen kurzen Blick, in dem Dankbarkeit und Leid sich vermischten. Es war viel Zeit wohl vergangen, denn der Weihrauch war schon abgebrannt und das Essen war kalt. Aber Axilla wollte das Gebet noch zuende bringen. Nicht, dass ihre Vorfahren als Geister durchs Haus streifen würden, weil sie dachten Axilla hätte sie vergessen und ihren Totenschmaus.
    Nun war ihre Stimme heiser vom Weinen und kaum mehr als ein Hauch.
    “Geister meiner Vorfahren. Ich ehre euch. Ich vermisse euch. Ich will eurer Gedenken. Nehmt diese bescheidenen Gaben als Nahrung an, damit ihr in Plutos Reich versorgt seid, und damit ihr ruhen könnt.“
    Axilla blieb einfach da. Sie ließ sich von den Knien leicht seitlich sinken, so dass sie auf dem Fußboden saß, und schaute einfach hoch und hing ihren Gedanken nach. Um aufzustehen fehlte ihr ohnehin die Kraft, und sie wollte noch ein wenig bleiben in der Hoffnung, vielleicht den Geist ihres Vaters kurz in ihrer Nähe zu fühlen.

  • Es war soweit. Der Tag war gekommen. Natürlich war es unabwendbar gewesen, denn niemand konnte die Zeit aufhalten. Selbst die Götter waren an die Zeit gebunden und erlebten sie wie alle Sterblichen auch. Und sie verflog manchmal wie im Nu.
    Axilla hatte Geburtstag.


    Sie fühlte sich gar nicht nach Geburtstag. Sie fühlte sich auch nicht nach Feiern. In letzter Zeit war so einiges schief gelaufen, weswegen sie auch ihrer Ansicht nach keine Geschenke verdient hatte. Daher hatte sie es auch keinem gesagt. Nur Leander wusste davon – wie er eigentlich von allem wusste, was Axilla so sagte, dachte und tat – aber der hatte ihr hoch und heilig schwören müssen, es niemandem zu sagen. Axilla wollte schließlich nicht feiern.


    Doch einer Sache konnte sie sich nicht ganz verwehren. Ihr Genius, ihr guter Geist, der seit ihrer Geburt über sie wachte, der musste natürlich an diesem Tag geehrt werden. Auch wenn Axilla es nicht so mit der Religion hatte und die Götter gerne mal Götter sein ließ, gab es so ein paar kleine Dinge, die sie doch nicht außer Acht lassen konnte. Und dazu gehörten die Laren, die Manen und eben ihr Genius. An die guten Geister, die sie umgaben, glaubte sie trotz allem und daher gehörte es sich ja auch, ihrer zu gedenken. Vor allem, wenn es nur einmal im Jahr wirklich wichtig war.
    Sie hatte sich also von Leander einen kleinen Opferkuchen besorgen lassen und dazu eine kleine, dünne Kerze. Dazu hatte sie ein paar hübsche Blumen ausgesucht, und nun brachte sie alles zum Hausaltar und baute es auf. Sie sah sich noch mal um, ob auch außer ihrem Sklaven niemand sonst in der Nähe war, der sie am Ende noch verpetzte, ehe sie anfing und die Kerze anzündete.
    “Genius, mein guter Geist. Ein weiteres Jahr ist vergangen, ich bin älter geworden. Ich möchte dir danken, dass du seit meiner Geburt über mich wachst, mein guter Dämon, und mir ein weiteres Jahr mit Glück beigestanden hast. Für dich habe ich Kuchen, eine Kerze und Blumen gebracht. Ich hoffe, du verzeihst, wenn ich dich nicht mit meinem Freunden feiere. Aber ich fühle mich nicht so sehr nach feiern. Du weißt ja, was alles passiert ist, du bist ja stets bei mir. Ich möchte da jetzt nicht noch Geschenke bekommen, daher hab ich nur deine Geschenke hier für dich.“
    Axilla blieb noch ein Weilchen auf ihren Knien einfach sitzen und sah zu, wie die dünne Kerze schnell herunterbrannte und ihr Wachs auf den Kuchen tropfte. Als es zu viel wurde, blies sie die Kerze vorsichtig und sacht aus und sah dem dünnen rauchfaden zu, wie er sich emporschlängelte. Hoffentlich war ihr Genius mit diesem doch recht kleinen Opfer zufrieden. Aber andererseits, es gab auch viele, die diesen Ehrentag gar nicht feierten, und die lebten auch noch.


    Axilla überlegte, was sie nun mit ihrem Geburtstag noch vollends anfangen sollte. Ihr letzter Geburtstag war von den Vorbereitungen für ihre Reise nach Alexandria und den restlichen Verkäufen des elterlichen Anwesens überschattet gewesen. Heute hatte sie nicht zu tun.
    Aber der Himmel war heute wieder klar, die Regenzeit war größtenteils vorüber. Nur ab und an regnete es noch. Axilla beschloss, einfach einmal raus zu gehen und ein wenig zu spazieren. Das machte sie gern, dabei gab es immer etwas zu entdecken und es schien ihr, als könne sie ihre Probleme einfach zurücklassen für eine Weile.

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