Severus meldete sich am Tor ab, zeigte die Wachstafel, die ihm der Centurio gegeben hatte und ihm als Probatus Sonderausgang gewährte. Ein paar Schritte weiter und er stand ausserhalb der Castra. Ein seltsames Gefühl. Obwohl er sie jeden Tag verließ, um auf dem Campus zu exerzieren oder bei einem Appell anzutreten, war es diesmal irgendwie anders. Schwer zu beschreiben. Er schritt die Via Praetoria entlang, in Richtung Forum. Viel Zeit hatte er nicht, musste in einigen Stunden schon wieder zurück sein. Severus wollte die Ruhestätte seiner Ahnen besuchen, mit ihnen gemeinsam speisen. Dass er dort jemanden von den Verwandten mütterlicherseits antraf, bezweifelte er. Es war zu spät am Tag und viele lebten ohnehin nicht hier, sondern drüben in Colonia Claudia Ara Agrippinensium. Dennoch stand auf der Via Bingia ein bescheidenes Grabmahl für einige seiner Ahnen.
Eine Taberna kam in Sicht. Nicht eine von diesen, die kaum mehr waren, als eine Theke, an der man sein Essen oder Trinken bekam und gleich wieder verschwand. Hier konnte man reingehen, sich niederlassen, in aller Ruhe speisen und wieder seiner Wege gehen. Severus beschloss, hier seine Speisen, welche er mit den Ahnen teilen wollte, zu kaufen und ausserdem eine Weile zu bleiben, einen Becher Wein zu sich zu nehmen, sich für einige Minuten zu entspannen und zu wärmen. Lange war es her, dass er das konnte und wer wusste schon zu sagen, wann er das nächste Mal wieder Ausgang haben würde.
Er öffnete die Tür und trat hinein. Ihm schlug eine Wärme entgegen, nicht unangenehmn, wenn man bedenkt, dass draussen Eiseskälte herrschte. Severus suchte sich einen Tisch in der Ecke, unweit eines größeren, andem ein halbes Dutzend dubiöser Typen saßen und um Geld würfelten, nahm Platz, legte seine Habseligkeiten auf den Tisch und winkte eine Bedienung zu sich. Eine doch eher mittelmäßig aussehende Bedienung, aber nach Wochen in der Castra war der Anblick einer jeden Frau irgendwie schöner, als sonst. Severus fragte sich, wie es Silana ging. Sie hatten sich gestritten, an dem Tag, als er sub aquila ging. Und seit dem nicht mehr gesehen. Bestimmt hatte sie längst jemand anderen. War auch gut so. Sie hatte davon geträumt, Kinder zu haben, Mutter zu werden und das möglichst bald. Würde ihn schon schwer wundern, wenn sie etwas von ihm wissen wollte. Im Grunde war er, so ungern er sich das eingestand, ganzder Sohn seines Vaters. Verließ sein Mädchen, um zum Militär zu gehen. Wäre sie schwanger, ohne dass er es wüsste, wäre er sogar so ziemlich wie sein Vater, da auch er dann für sein Kind nicht mehr da sein würde. Ohne es zu wollen, war er eigentlich genau das, was er so sehr verabscheute.
Die Bedienung brachte ihm seine Bestellung. Einfache Dinge, denn viel konnte sich Severus gewiss nicht leisten bei dem mikrigen Sold, den ihm die Legio als Probatus bezahlte und das Geld, das hin und wieder in Form von Schuldscheinen von seinem vater ankam, rührte er nicht an. Brot, etwas Käse, einige Würste, dazu Wein. Alles nicht gerade preiswert. Einen Teil aß Severus vor Ort, biß genüßlich kleine Stücke von der Wurst ab, die gar nicht mal übel schmeckte. Zwei Soldaten kamen rein. Klein war doch die Welt, Severus erkannte darin die beiden Legionäre aus der Centurie des Primus Pilus, den langgewachsenen und seinen Kumpanen, der ihn so abwertend Grünschnabel genannt hatte, nachdem er ihm eine Lektion erteilt hatte, als sie gegeneinander kämpften.
Sie erkannten Severus, kamen dazu.
"Na sowas, sowas, sowas. Salve, Grünschnabel"
sagte grüßte der kleinere ihn.
"Was machst'n hier? Haben probati neuerdings Ausgang?"
Severus, der gerade einen großen Bissen Fleisch kaute, nickte, griff nach dem Becher mit dem etwas zu stark verdünnten - verdammter Geizhals, dieser Wirt - Wein und spülte ihn hinunter.
"Allerdings... ich habe Ausgang"
Die beiden waren vermutlich privat unterwegs und nicht auf Patroullie, aber dennoch zeigte er die Wachstafel vor.
"Lass stecken..."
sagte der Miles und winkte ab. Severus zuckte mit den Schultern und aß weiter.
"Also, was machst du hier?"
Severus sah verwirrt auf. Was wollten die beiden bloß?
"Was meinst du?"
fragte er mit vollem Mund. Offenbar verstand Severus den Umgangston der Milites noch nicht, der kleinere klopfte ihm mit den Knöcheln auf den Kopf, lachend.
"Hallo... ist jemand da?"
"Was soll denn der Scheiß?"
brauste Severus auf. Was bildete sich dieses Arschloch eigentlich ein?
"Schon gut, Junge, beruhig dich. Der will dich doch bloß ärgern. Catus, lass den Scheiß"
mischte sich der langgwachsene Miles ein.