[Templum Martis Ultoris] Ein neuer Discipulus

  • Ticinius begab sich am späten Vormittag des Tages, an dem er und der sacerdos Flavius verabredet waren, zum Forum Augustum. Er trug seine beste Tunica - schließlich musste man einen guten Eindruck machen - und wurde von seinem Sklaven Palamedes begleitet, der eine tabula in der Hand hielt. Ticinius war so aufgeregt, dass er keinen Blick für die Statuen, die in den Säulenhallen und Exedren rund um das Forum standen, obwohl er sonst ein Kunstliebhaber war.


    "Warte hier in Sichtweite des Tempels", wies er seinen Sklaven an, "damit ich dich bei Bedarf herbeiwinken kann. Ich glaube zwar nicht, dass das nötig ist, doch wir sollten für diesen Fall bereit sein.". Mit diesen Worten ließ er Palamedes stehen, ging die Stufen zum Tempel hinauf und betrat ihn.
    Er schaute sich nach einen camillus um. Schnell sah er einen, ging zu ihm hin und sprach ihn an: "Salve, mein Name ist Marcus Matinius Ticinius. Berichte bitte dem sacerdos Flavius Aquilius, dass ich angekommen bin. Er sollte mich erwarten."


    Während der camillus davoneilte, erregte die Figur des Mars Ultor Ticinius Aufmerksamkeit. Es war eine prächtige Statue, die den Gott mit Rüstung, Lanze und Schild zeigte. Bewundernd schaute er sie an.

    statim sapiunt, statim sciunt omnia, neminem verentur, imitantur neminem atque ipsi sibi exempla sunt

  • Für den heutigen Tag erwartete ich Besuch im Tempel - natürlich erwartete man als Priester im Grunde immer Besuch, wenn man von der Masse des römischen Volkes ausging, das wegen des ein oder anderen Grundes beten oder opfern wollte, aber dieser Besuch war dann doch etwas spezielles. Ein Schreiben meines guten Freundes Corvinus hatte mir einen neuen discipulus angetragen und ich war durchaus gespannt darauf, was mir nun ins Haus wehen würde. Ob er motiviert war, war bei diesem Gedanken gar nicht so entscheidend, wichtiger war, dass er genug Selbstdisziplin besaß, die Ausbildung durchzustehen .. ich hatte inzwischen genügend discipuli gerade an diesem Punkt scheitern sehen und war darob nicht mehr allzu gespannt auf neue Schüler, denn letztendlich blieben nur wenige wirklich dabei. Ob es an der Ausbildung lag - denn dies hätte ich mir selbst anlasten müssen - oder ob es daran lag, den ersehnten Rang nicht geschenkt zu erhalten, wusste ich nicht, dass ein Schüler einfach fernblieb und nicht wiederkehrte, war leider oft schon vorgekommen.


    Meine Gedanken wurden durch einen der camilli gestört, der mir entgegen eilte und seine Botschaft überbrachte - ich wies ihn an, den neuen discipulus in einen der Nebenräume zu bringen, die für uns Priester reserviert waren, falls eine Angelegenheit nicht öffentlich besprochen werden musste, und begab mich selbst dorthin, um Matinius Ticinius dort zu erwarten, traditionell in die toga praetexta gewandet, welche die sacerdotes und magistrati Roms kennzeichnete. Ich nahm auf einem der bereitstehenden Stühle Platz und blickte in Richtung der Tür, durch die mein Besucher eintreten musste - inzwischen hatte ihm gewiss der camillus Bescheid gesagt und führte ihn her, wie es sich gehörte. Seltsamerweise funktionierte dieses Spiel mit dienen und befehlen hier weitaus besser als zuhause in der villa Flavia, aber vielleicht lag es auch daran, dass der Respekt vor den Göttern den jungen Burschen eine gewisse Demut einflößte, die in patrizischen Haushalten nicht allzu selten irgendwo in einer Ecke lauerte. Als Matinius Ticinius eintrat - zumindest hielt ich diesen jungen Mann in der sauberen tunica für ebendiesen, nickte ich ihm freundlich zu und winkte ihn näher zu mir heran. "Salve und willkommen im Haus des Mars! Ich bin Caius Flavius Aquilius, sacerdos des cultus Martialis, und Du wurdest mir als neuer Schüler geschickt." Wenn er es jetzt nicht war, wurde es peinlich.


    Sim-Off:

    Sorry für die Verzögerung!

  • Sim-Off:

    Kein Problem


    Kurze Zeit später kam der camillus wieder und bat Ticinius, ihm zu folgen. Neugierig folgte er diesem. Sie gingen quer durch den Tempel zu einem Nebenraum. Dort wünschte der camillus Ticinius viel Erfolg und verschwand. Jener klopfte aus Höflichkeit zwei Mal gegen die Tür, um zu zeigen, dass er vor der Tür stand, und trat dann ein, ohne ein "Herein" abzuwarten - schließlich wurde er erwartet. Dort saß auch schon Flavius Aquilius, der ihm freundlich bedeutete, näher zu kommen. Ticinius ging näher an den sacerdos heran, setzte sich jedoch nicht, bevor er nicht dazu aufgefordert wurde. Dann antwortete er dem Flavier:


    "Salve, sacerdos Flavius Aquilius. Ich danke Dir, dass Du dich bereiterklärt hast, mich auf meinem Weg zum sacerdos zu begleiten."

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  • "Das ist mir stets Ehre und Freude zugleich," erwiederte ich aufrichtig und bedeutete ihm, sich zu mir zu setzen - schließlich sah es immer ziemlich seltsam aus, einen erwachsenen Mann stehen zu lassen, während man selbst saß. Kaiser mochten daran ihr Vergnügen finden, ich war darauf deutlich weniger aus. "In jenem Schreiben, das mich über Dein Ansinnen informiert hat, stand leider nicht dabei, für welchen Gott Du Dich entschieden hast - das solltest Du mir zuerst sagen, denn davon wird unser weiteres Vorgehen abhängen. Hast Du Deinen Schwur als Angehöriger des cultus deorum schon geleistet?" Im Grunde war dies nur eine Formfrage, aber ich stellte sie trotzdem, nicht dass es irgendwann später deswegen Geschrei geben würde - in Rom konnte man schließlich nie wissen, wann irgendein Korinthenkacker irgendein Detail aufstöberte und einem damit richtigen Ärger bereitete.

  • Ticinius setzte sich, als dies ihm bedeutet wurde, und hörte dem Flavier aufmerksam zu und antwortete ihm auf seine Fragen:


    "Als ich mit dem Septemvir Aurelius Corvinus sprach, hatte ich meine Entscheidung noch nicht getroffen. Doch in der Zwischenzeit habe ich nachgedacht. Wenn es möglich ist, würde ich gerne der Göttin Fortuna dienen." Ob dies wohl ein ungewöhnlicher Wunsch war? Vielleicht wählten junge Männer wie er eher Iuppiter oder Mars? "Sie ist die Schutzgöttin der Matinier.", fügte Ticinius deshalb wie zur Erklärung hinzu. "Meinen Schur habe ich noch nicht geleistet.", erklärte er und fragte: "ich nehme an, dies muss ich bald machen?"

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  • Kurz hob ich eine Braue an, als er mir von seinem Wunsch berichtete, Fortuna zu dienen, aber ich ließ mir mein inneres Seufzen nicht anmerken. Wenn er sich dazu berufen fühlte, konnte man ihn ohnehin kaum zu einem anderen Kult bringen, ohne die Göttin zu verärgern. "Möglich ist vieles, und ich denke, Deinem Wunsch kann durchaus auch entsprochen werden. In Rom gibt es genügend Heiligtümer der Fortuna, die eines Priesters bedürfen sollten, und mit Deinem Wunsch, der Fortuna zu dienen, stehst Du in einer alten Tradition - nicht umsonst ist der Kult der Fortuna fast so alt wie Rom selbst." Auch wenn es mir lieber gewesen wäre, Nachwuchs für einen der Staatskulte auszubilden, die Iuppiterpriesterschaft würde irgendwann noch heillos überaltern, weil die wenigsten diesen Weg wagten, so musste man doch eine solche Entscheidung respektieren. "In allen generellen Dingen wirst Du allerdings hier ausgebildet werden, ich unterrichte derzeit eine andere discipula in den Dingen der Götter, diesem Unterricht wirst Du Dich ab dem morgigen Tag anschließen, ebenso den praktischen Übungen. Wieviel Erfahrung hast Du bisher mit blutigen und nichtblutigen Opfern?" Dann stockte ich und schaute ihn überrascht an. "Du hast den Schwur noch nicht geleistet? Dann wirst Du das im Anschluss an unser Gespräch nachholen müssen - einer der camilli wird Dir den Weg dorthin zeigen und Dir die Eidesformel nennen."

  • Ticinius konnte nicht genau abschätzen, wie der Flavier seine Entscheidung aufnahm, doch er war erleichtert, dass es möglich war, sacerdos der Fortuna zu werden. Dann antwortete er wieder auf die Fragen des sacerdos:


    "Praktische Erfahrungen habe ich bei blutigen und unblutigen Opfern fast keine. An Theorie weiß ich, welcher Gottheit welche Tiere geopfert werden müssen und was als unblutiges Opfer gilt." Damit meinte er beispielsweise die Farbe und das Geschlecht der Tiere, die geopfert werden sollen. Dies hatte er oft genug in Hispania und auch in Rom gesehen. "Ich werde mich also ab morgen hier einfinden, um mich in den Dingen der Götter unterrichten zu lassen und die Praxis zu üben. Nach diesem Gespräch werde ich den Schwur leisten.", sagte er wie zur Bestätigung zu dem Flavier. Ob es noch etwas zu besprechen gab?

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  • Ich nickte leicht - das was er an Vorwissen mitbrachte, war der übliche Standard, aber darauf ließ sich ja glücklicherweise immer aufbauen. Die nächste Übung mit Tiberia Camilla würde ohnehin ein Opfer sein müssen, dazu konnte er dann auch gleich kommen - ich vermerkte mir den Gedanken geistig und meinte schließlich: "Frage einfach nach dem Unterrichtsraum, den ich für meine discipuli reserviert habe, es dürfte Dir jeder hier den Weg nennen können. Hast Du noch irgendeine Frage zu Deiner künftigen Ausbildung, Matinius Ticinius?" Meine innere Aufgabenliste war jedenfalls abgehakt, aber man konnte schließlich nie wissen, was da noch als Frage lauern konnte - Unklarheiten gab es schließlich immer wieder, und je mehr wir gleich von Anfang an ausgeräumt haben würden, desto besser war es.

  • Das Gespräch schien sich dem Ende zuzuneigen - da war sich Ticinius fast sicher. Weitere Fragen hatte er momentan auch nicht. "Im Moment habe ich keine Fragen mehr", sagte er also zum sacerdos , "und ich freue mich, morgen am Unterricht teilzunehmen. Wenn du momentan nichts mehr zu besprechen hast, würde ich dir jetzt auch nicht deine Zeit übermaßig beanspruchen und aufbrechen." Fragend schaute er dem Flavier an, ob dieser noch etwas sagen wollte.

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  • Ich nickte beifällig zu seinen Worten - die Erfahrung als Priester hatte mich gelehrt, kurze und prägnante Gespräche zu schätzen, denn man traf früher oder später ohnehin wieder auf irgendwen, der es nicht lassen konnte, stundenlang über irgendein unwichtiges und enervierendes Thema zu salbadern. "Bis jetzt habe ich keine Frage an Dich - und alles weitere wird sich sicherlich während der Ausbildung ergeben. Finde Dich morgen im Tempel ein, ich werde eine praktische Übung ansetzen, die Dich gleich passend in die täglichen Aufgaben eines Priesters einführen wird." Damit erhob ich mich, ein unzweifelhaftes Zeichen dafür, dass unsere Unterredung beendet war, und blickte zu meinem jungen Besucher.

  • Ticinius erhob sich gleichzeitig mit dem sacerdos. "Dann werde ich jetzt meinen Schwur leisten und morgen zum Tempel kommen.", sagte er. Es würde also eine praktische Übung geben - die sicher wichtiger war als Theorie, konnte man diese ja aus Büchern lernen, jene aber nicht. "Ich danke dir noch einmal, dass du dir für mich Zeit genommen hast. Wir werden uns morgen wieder sehen. Vale, Flavius Aquilius!". Nach diesen Worten nickte er noch einmal freundlich dem Flavier zu, dann verließ er den Raum, um seinen Schwur zu leisten.

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  • "Vale, Matinius," erwiederte ich freundlich und nickte ihm verabschiedend zu, ihm nachblickend, als er den Raum verließ, um sich dem ersten Schritt seines neuen Lebenswegs zu stellen - dem Schwur vor den Göttern. Wie lange war es her, dass ich diese Worte gesprochen hatte - ich konnte mich kaum recht daran erinnern, so lange musste es schon sein. Damals hatte ich noch geglaubt, schon vieles zu wissen, aber man lernte doch stetig aufs Neue hinzu - und so würde es auch diesem neuen discipulus ergehen, wie es allen vor ihm auch ergangen war.

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