Früh am Morgen, als es noch kühl war und in den Straßen Alexandrias noch nicht allzu viele Fuhrwerke, Fußgänger, Straßenhändler, Bettler, spielende Kinder lärmten, begann auf der Agora, vor der Vorhalle des Tychaions, eine Prozession, die an einen Begräbniszug ohne Leiche erinnerte. Von Beginn an standen Klageweiber da und zerfetzten sich die Haut an Armen und über ihren Brüsten. Lange Fingernägel bohrten sie in die Haut, manchmal bis ins Fleisch und rissen. Ihre Hände waren schon ganz blutig. Die Schreie der Klageweiber waren die einzigen Laute, die auf der Agora zu hören waren an diesem Morgen. Die anderen Anwesenden schwiegen.
Der Exegetes hatte seine Amtstracht gegen ein schwarzes Gewand getauscht. Sein Gesicht war weiß geschminkt, unter den Augen dunkelblau. Er trug eine goldene Schale mit Weihrauch bei sich, hinter ihm führten zwei ebenfalls schwarz gekleidete Diener ein Lamm mit sich. Dieses hatte der Exegetes selbst bezahlt, um es dem Basileus zu opfern, der Agoranomos mit einem Kalb, das das Opfertier vonseiten der Polis war, würde hoffentlich bald erscheinen. Das Fell des Lammes strahlte in unbefleckter Reinheit. Es trug einen Kranz aus blauem Mohn um den Hals, was ein Zeichen der Kore war, die wiederum eine Gefährtin einer Gestalt des Dionysos war, und Dionysos hatte sich wiederum in der Gestalt des Basileus den Alexandrinern gezeigt. Während die Klageweiber sich ohne Unterlaß die Haut vom Fleisch rissen und tierische Schreie ausstießen, warteten Nikolaos und seine Diener, sowie die ihm zugeteilten Epheben und einige Günstlinge, auf das Erscheinen der anderen Pyrtanen und hoffentlich auch auf das des Eparchos.
Die Prozession zum Kaisareion
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Die Gruppe um den Agoranomos erreichte den Ausgangspunkt der Zeremonie nur wenig später. Mithridates war darüber leicht verärgert, hatte er sich doch vorgenommen, vor den anderen Pyrtanen und insbesondere vor dem Exegetes auf der Agorá zu erscheinen. Doch unfähige Diener und ein widerwilliges schwarzes Kleidungsstück hatten diese Pläne durchkreuzt. Weiteres Missfallen erregte in ihm neben dem Gezeter der obligatorischen Klageweiber die Tatsache, dass Nikolaos Kerykes mit einem eigenen Opfertier aufwartete. Typisch für ihn. Musste mal wieder aus der Reihe tanzen.
Wenigstens war er bei einem Lamm geblieben und nicht gleich mit einem Stier aufgekreuzt, was für das Ansehen der Polis nicht gerade förderlich gewesen wäre. Leicht beunruhigt warf M.C. noch einmal einen Blick auf das mitgebrachte, ruhig gestellte Kalb, ob es auch wrklich durch diese Makellosigkeit ausgezeichnet war, die ihn zum Kauf des Tiers bewogen hatte. Von einer ähnlichen Farbe wie das Lamm, natürlich ein Stück größer, insgesamt konnte es durchaus mit Nikolaos Lamm mithalten, wie der Agoranomos erfreut feststellte.
Er setzte also eine ernsthafte, beinahe trauervolle Miene auf, reihte sich mit einem lautlosen Gruß in Richtung der versammelten Würdenträger ein, um auf die Ankunft des noch abwesenden Eparchos zu warten. -
Sahed hatte sich am morgen aus dem Haus geschlichen. Sie war wieder zuhause und somit ihren eigene Traditionen und Bräuche verpflichtet. Nicht das sie die ihrer Herrin verachtet doch so richtig verstandne hatte sie sie nicht.
Sie war aufmerksam und hörte was man auf den Straßen und Plätzen ihrer Geburtsstadt sagte, so wusste sie auch von dieser Prozession zu Ehren des verstorbene Kaiser. Sie hatte ihn nie zu Gesicht bekommen doch hatte sie unter ihm gut gelebt und ihr Anstand gebot es ihr nun jetzt hier ihm dies mit ihrer Anwesenheit zurückzugeben.
Ob sie als Frau und dazu noch Sklavin eigentlich dabei sein durfte wusste sie nicht und interessierte sie auch nicht. Man sah ihr nicht gleich an das sie nicht eine einfache Bürgerin Alexandrias war, sondern eine Sklavin einer Römerin.
Sie näherte sich dem Platz wo man schon von weiten das heulen und schreien der Klageweiber hörte. Gerade waren die Opfertiere gebracht worden und der Platz füllte sich etwas. -
Cleonymus hatte für den heutigen Tag strickte Vorschriften verlauten lassen, alle Stadtwächter trugen zu Ehren des verstorbenen Kaisers eine schwarze Binde um ihren linken Arm und diejenigen die als Leibgarde der Prozession abgestellt waren, trugen zusätzlich noch Scwarzes Rosshaar auf ihren Helmen und an den Lanzen. Nun da sich Cleonymus in seiner schwarzen Gewandung zu den anderen Prytanen gesellte nickte er Nikolaos freundlich zu, bevor er seinen, durch die Schreie der Klageweiber, ohnehin schon nervösen Blick auf die geplante Route richtete und seine Umgebung in sich aufnahm ...
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Für seine Verhältnisse überaus bescheiden nahm auch der Praefectus Aegypti an der Trauerprozession teil. Er trug eine schlichte, dunkle toga pulla und nur wenige, eher niederrangige Beamte der Regia Praefecti begleiteten ihn.
Seit seiner Ankunft als Statthalter von Aegyptus waren ihm die Menschen der Stadt selten so nahe gekommen, zumindest nicht so zahlreich. Er schien die Nähe der Menge nicht gerade zu genießen. Sein Blick wirkte gequält, vielleicht aber auch deshalb, weil ihm das Geschrei der Klageweiber im Ohr schmerzte. Die Hände vor sich verschränkt und mit leicht gesenktem Blick ging er langsam im Zug der Prozession, die gemächlich ihren Weg zum Kaisareion nahm. -
Höflich nickte Nikolaos den Pyrtanen und dem Eparchos zu, wobei er den Strategos eher streng ansah. Dann versenkte er sich wieder in gespielte Trauer. Die Prozession setzte sich in Bewegung. Die Teilnehmer schwiegen, nur vereinzelt war leises Gemurmel zu vernehmen, das jedoch übertönt wurde von den gellenden Schreien der Klageweiber, die in den Ohren schmerzten, und dem dumpfen Schlag eines Tympanions. Voran gingen Tempeldiener, die Gefäße mit Rosmarinwasser schwenkten, in denen feine Löcher waren, sodass bei den Bewegungen immer etwas von dem duftenden Wasser fein zerstäubt das Gefäß verließ und die Straße benetzte und die Luft schwängerte mit Duft, der den Gestank überdecken sollte. Andere Tempeldiener trugen Schalen mit Räucherwerk, das während der ganzen Dauer des Zuges abbrannte und gelegentlich erneuert wurde. So wurde der Trauerzug in eine Wolke aus Rosmarinwassernebel und schwerem duftenden Rauch gehüllt. Langsam näherte er sich dem Kaisareion.
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Wie eine schwarze Flut ergoß sich der Strom der Trauernden (mehr oder weniger Trauernden) auf den Platz vor dem Tempel des Basileus.
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