cubiculum MAC | Galgen der Zeit


  • Wenn dunkle Gedanken sich träge versammeln,
    die Nacht sie mit fahlgrauen Fäden umflicht,
    erwachen Dämonen in ihren Verstecken
    und zerren die Zweifel ins schwindende Licht.


    Sie beißen sich fest in verheilenden Narben
    und drehen die Zeiger der Uhren zurück,
    sie krallen sich blindwütig tief in die Wunden,
    entwurzeln die Keime der Hoffnung auf Glück.


    So viele Momente des scheinbaren Einklangs,
    ich greife nach ihnen, doch fliehen sie mich,
    nun klaffen unendliche Gräben als Grenzen
    und jeder steht auf seiner Seite - für sich.


    Das Morgen, verschleiert mit blickdichten Tüchern,
    ein Traum baumelt leblos am Galgen der Zeit,
    die Schuld haftet klebrig wie Blut an den Händen...
    die Einsamkeit hüllt sich in Endgültigkeit.



    Zwei Briefe lagen auf dem Tisch. Einer von Ursus, einer von Matho. Ersteren hatte ich zuerst gebrochen und gelesen. Ursus' Worte waren mir reifer erschienen, als ich ihn in Erinnerung hatte. Bei einem guten Wein hatte ich mich schließlich Mathos Brief gewidmet, im Glauben, es handelte sich um den Lagebericht, um den ich gebeten hatte. Stattdessen war ich aus allen Wolken gefallen. Auch das vierte Mal Lesen änderte nichts an dem Inhalt des Briefes, der nun auf jenem von Ursus lag und mich höhnend anzugrinsen schien.


    Während ein Teil von mir sich strikt weigerte zu glauben, was Matho mir da geschrieben hatte, erkannte der andere den Fehler, dem ich um ein Haar anheim gefallen war. Es tut mir leid, dass du dich in ihr getäuscht hast, hatte Matho geschrieben. Emotionslos, da verwirrt, konnte ich ihm da nur beipflichten: Mir tat es auch leid.
    Mein Verstand war immer schon der ausschlaggebende Teil gewesen, was diese unsinnige Erfindung namens Liebe anbelangte. Er hatte mich vor der Lethargie mit Deandra bewahrt und dafür gesorgt, dass ich diese Begebenheit als eine Art Lehre ansah. Zumindest, bis Siv in den Haushalt und damit in mein Leben gepurzelt war. Geistesabwesend nahm ich einen weiteren Schluck Wein. Und nun schaltete er sich automatisch ein und verdrängte die Bitterkeit und die Enttäuschung, die ich über diese Tat empfand. Zurück blieb Wut, die sich allmählich Bahn brach.


    Abwesend strich ich mir durchs Haar, jegliche Grübelei über das Warum zu verbannen suchend. Mein Weinkonsum war seit dem Lesen des Briefes gestiegen, was eigentlich unsinnig war, denn er lähmte nicht nur die Zunge, sondern auch den Geist - der mir half, das Ausmaß dieser von Siv begangenen Tat zu verdrängen. Nachdenklich stützte ich den Ellbogen auf die Sessellehne, den Kopf in die Hand. War ich ein so schlechter Herr? Gar ein so grausiger Liebhaber? Bilder zogen durch meine Gedanken. Bilder der Begegnung im Garten, Bilder einer sich windenden Siv. Ich sah, wie sie ihre Nase kraus zog, wie sie auf eine Rune deutete und mir ihre Bedeutung erklärte. Wie sie meine Hand verband mit einem Streifen ihrer tunica, und wie sie sich für Merit-Amun einsetzte. Missbilligend schüttelte ich den Kopf, um diese Eindrücke zu vertreiben. Sie hatte sich entschieden. Und mit dieser Entscheidung schlug sie sämtliche Annehmlichkeiten aus, die ich ihr als ihr Besitzer zukommen lassen konnte. Hatte zukommen lassen. Verachtend schnaubte ich, den Kloß ignorierend, zu dem sich mein Magen zusammengezogen hatte. Sie musste sich der Konsequenzen bewusst gewesen sein. Anders war es gar nicht möglich. Sie war mit Absicht fortgelaufen, auch wenn ich sie nicht für so dumm gehalten hatte, sich fangen zu lassen.


    Ich erhob mich und trat ans Fenster, das Gesicht eine kalten Maske, die allmählich bröckelte. Und ich hatte ihr vertraut. Ich sah sie vor mir, als wären sie erst gestern abgereist. Wie glaubwürdig sie den Kopf geschüttelt hatte, als ich ihre Loyalität angesprochen hatte! Ich seufzte langgezogen und presste Kiefer und Lippen aufeinander. Und ich hatte geglaubt, da wäre etwas Besonderes zwischen uns. Gezwungen ruhig schloss ich die Augen. Es war falsch gewesen, mich dahingehend zu öffnen. Sie hätte eine normale Sklavin bleiben sollen. Eine von vielen, ein graues Gesicht in der Menge. Plötzlich sehnte ich mich nach Cadhla. Mit Prisca würde ich darüber nicht reden können. Mit ihr wäre es gegangen. Aber damit würde ich mich lächerlich machen. Lächerlicher, als ich es nach der Lösung der Verlobung gewesen war. Nein, beschloss ich. Ich würde mit niemandem darüber reden. Mich niemandem anvertrauen. Was waren schon Hoffnungen und Gefühle? Unnützer Ballast, nichts weiter. Die Träume? Hirngespinste. Zähneknirschend griff ich nach der Amphore: Sie war leer.


    An diesem Abend fand ich erst spät in den Schlaf.

  • .......Die Welt ist eine schwarze Bühne, endlos weit. Dunkelheit liegt über allem wie ein erstickendes Tuch. Wie ist er hierher gekommen? Er sieht sich um und kann doch nichts entdecken. Als er sich in Bewegung setzt, verklingen seine Schritte ungehört in dumpfer Finsternis. Verwirrt bleibt er stehen, dreht sich im Kreis. Was tut er hier? Ein Geräusch lässt ihn herumfahren. Mattes Licht entsteht, wo eben noch keins war, und glimmt schwach. Und plötzlich steht sie in diesem kleinen Kreis aus lebendigem Grau, den Kopf in Scham gesenkt. Er geht auf sie zu, sucht sie zu erreichen, doch schafft es nicht. Von Vorwürfen geprägt ist die Stimme, als er sie erhebt. Leise dröhnt sie in seinen Ohren. “Warum, Siv. Warum. Wie konntest du nur.“ Er wendet den Blick ab, schüttelt in seiner Enttäuschung den Kopf. Schon will er sich umwenden, fortgehen, doch egal wie viele Schritte er tut, etwas zwingt ihn, an Ort und Stelle zu verharren. Zwingt ihn, hier zu bleiben. Mit starrer Maske auf dem Gesicht wendet er sich erneut ihr zu.


    Ihr Blick streift ihn, irrt unstet weiter umher und scheint ihn nicht erfassen zu können. Sieht sie ihn nicht? Oder will sie ihn nicht sehen? Seine Lippen bilden einen nahezu linearen Strich und lassen ihn unnahbar wirken, zumal er seine Arme nun vor der Brust verschränkt hat. Wie sie die Hände ausstreckt, Luft tastend, es kommt ihm wie Hohn vor. "Wo bist du?" wispert sie, und er runzelt die Stirn. Unverstehend. Missfallend. Mit unerschütterlich klarer Stimme fügt sie etwas an. "Lass mich nicht allein", bittet sie. Ihn? Wohl kaum. Denn sie war es doch, die ihn hatte allein lassen wollen. War dies nicht genug? Hat sie damit nicht bestens gezeigt, was sie von ihm hält? Wie sie ihn sieht? Ihn, den Römer? "Es tut mir leid. Es tut mir so leid…" Er schließt die Augen, wendet sich halb ab. Der vage Schmerz in der Brust irritiert dabei. Und doch kann er nicht hier verweilen. Will es nicht, und will es zugleich doch. Schweigsam steht er dort, die Miene eine starre Maske. Gefühlskalt, äußerlich. Ein Schnauben. Die kleine Kreatur in seinem Inneren hat ihre Fänge nun in sein wundes Fleisch geschlagen. Er kann nicht länger an sich halten. Dir tut es leid? DIR?“ donnert er anprangernd. ”Und das soll ich dir glauben? Nachdem du mich so hintergangen hast?“ Nein. Er wird sich gewiss nicht lächerlich machen. Es reicht schon, wenn sie es tut, sagt er sich.


    Wut lodert in seinen Augen. Sie lässt sich soviel leichter mit echtem Schmerz füttern. Nur ihre Tränen stören beim Schüren des inneren Feuers, deswegen wendet er sich erneut ab. "Es tut mir leid. Wirklich, es… tut mir so leid…" Er glaubt ihr nicht, sieht, wie sie zu Boden gleitet und hört, wie sie matt wimmert. Es zerreißt ihn, doch sie ist ja selbst Schuld! Er stellt seine Ohren auf Durchzug, will sie nicht hören. Die Kreatur lechzt nach mehr. Zähneknirschend blickt er sie aus den Augenwinkeln zu ihr, sieht, wie sie ihre Hände nach ihm ausstreckt. Gleichzeitig scheint sie zu schrumpfen, kleiner zu werden. Er entfernt sich von ihr, obwohl er sich nicht bewegt. "Bitte… bleib bei mir… es tut mir doch leid…" Immer leiser wird die Stimme, immer verschwommener seine Umgebung.


    "Marcus?" Ein Hauch. Ein Flüstern nur. "Marcus!" Blätterrascheln im Nachtwind, in der Ferne ein Haus. Wo ist er? Schritte, welche die Stille durchdringen. Er sieht nichts. Hört nur. "Oh bitte…" Ein Käuzchen, das ruft? Marcus….


    ~~~


    Marcus!
    Erschrocken fuhr ich aus dem Schlaf. Kalter Schweiß bedeckte meine Haut. Das Herz raste. Was für einen Schwachsinn hatte ich geträumt? Ich wischte mir über die Stirn und lehnte den Kopf an die kühle Bettkante. An Einschlafen war nun nicht zu denken. War ich wirklich wie der, den ich im Traum gesehen hatte? Der ich gewesen war? Würde ich so reagieren? Ich schloss die Augen. Ich wusste, wer ich war. Doch wie ich reagieren würde, wusste ich nicht, und das war eine Sache, die ich hasste - wenn ich nicht wusste, was zu tun war, oder wenn ich nichts tun konnte.

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