Sie hielt sich im Verborgenen und beobachtete genau. Jeden seiner Schritte hatte sie verfolgt, war ihm hinterher geschlichen und hatte peinlich genau darauf geachtet, daß er sie nicht bemerkte. Sie hatte einen Entschluß gefaßt und sie war sich sicher, daß es getan werden mußte. Der Schaft des Messers lag in ihrer Hand und sie wog es darin. Es war ein gutes Messer! Eines, womit man Fleisch schnitt oder Knochen ausbeinte. Die Klinge war sehr scharf. Bevor sie es entwendet hatte, schärfte sie es noch einmal, damit es auch seinen Zweck erfüllen konnte.
Unmittelbar vor ihr zeichnete sich in der Dämmerung der Umriß jenes Mannes ab, den sie bis ins bodenlose verabscheute und haßte. Niemand sonst, außer ihnen beiden war noch auf dem Hof. Sie waren allein. Niemand war da, der sie zurückhalten konnte oder der ihm noch helfen konnte. Sein Schicksal war besiegelt. Er hatte es verdient! Und sie gewährte kein Pardon!
Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Nun war es soweit. Es gab keinen Aufschub mehr. Sie verließ ihr Versteck und trat mit leisen Schritten auf ihn zu. Das letzte, was er in diesem Leben noch sehen sollte, war diejenige, die ihn vom Leben in den Tod beförderte. Er hatte sie immer noch nicht bemerkt. Als sie direkt vor ihm stand, sagte sie seinen Namen. „ Matho!“ Er sah überrascht zu ihr auf, wollte noch etwas sagen. Doch dazu kam es nicht mehr. Sie rammte ihm das Messer tief in die Brust. Ein ersterbender Laut, einem Seufzer gleich, konnte man hören, als er zu Boden sank. Sie spürte die warme Flüssigkeit an ihren Händen. Zielsicher kniete sie sich zu ihm hinunter. Wieder und wieder stach sie zu. Sie wollte ganz sicher sein. Er sollte nicht davon kommen. Diesmal nicht! Bald hauchte er seinen letzten Atem aus. Wie ihm Wahn stach sie immer noch zu. Ihr Gesicht und die Hände waren blutverschmiert. Ebenso ihre Kleidung. Der raue Stoff der Tunika, die einmal weiß gewesen war, war nun rot gefärbt, vollgesogen von Blut. In seinem Gesicht lag immer noch dieser Ausdruck des Erstaunens.
Als sie sich endlich sicher sein konnte, daß er tot war, ließ sie von dem leblosen Körper ab. Sie war sich durchaus bewußt, was sie getan hatte. Bevor sie sich wieder aufrichtete, Zog sie das Messer aus seiner Brust. An der Klinge tropfte das Blut entlang und saugte sich in den Sand auf dem Boden.
Wie ferngesteuert, ging sie ins Haus zurückt. In ihrer Rechten das mit Blut beschmierte Messer in der Hand. Sie hinterließ eine Spur von Blut, wo sie entlang ging. Es gab nur einen Weg, den sie nun gehen konnte. Auch wenn es ihr letzter Weg sein sollte. Niemand würde verstehen, warum sie es getan hatte. Damit mußte sie rechnen.
Sie öffnete die Tür, ohne anzuklopfen und trat ein. Nein, sie war nicht zu Corvinus gegangen, so wie sie es hätte tun sollen. Sie stand vor Orestes, der lesend auf einer Kline in seinem cubiculum lag.
Wortkarg und mit versteinertem Blick, warf sie das blutbefleckte Messer vor ihm auf den Boden. Wie angewurzelt blieb sie stehen. Die Augen waren an Orestes geheftet. Sie schwieg.
area |Wem die Stunde schlägt
- Fhionn
- Geschlossen
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Matho war zur späten Stunde noch unterwegs. Wie immer überprüfte er höchstpersönlich selbst jedes Schloss der villa, wenn es Zeit für die Nachtruhe war - dem faulen Pack war schließlich nicht zu trauen, also tat er es auch in dieser Hinsicht nicht. Mit einem riesigen Schlüsselbund bewaffnet und einer lichtspendenden Öllampe in der anderen Hand, kehrte er gerade von der fein säuberlich abgeschlossenen Tür der Stallungen zurück, als er ein Geräusch hörte und kurz lauschend inne hielt. Doch nichts weiter passierte, weswegen er die Schultern hob und seinen Weg fortsetzte. Nun fehlten nur noch die Hintertür und das Eingagsportal, letzterem wollte er sich zuletzt widmen.
Er war nur noch ein paar wenige Schritte vom Eingang entfernt und ließ bereits die Hand mit der Lampe sinken, als jemand seinen Namen sagte und er verblüfft herumfuhr. Innerhalb eines Sekundenbruchteils gewahrte er Fhionn, die unnütze britannische Sklavin mit ihrem tiefroten Haar, und hatte bereits einen scharfen Verweis auf der Zunge, als ein plötzlicher, scharfer Schmerz unterhalb seines Herzens den Fluch in ein kraftloses Ächzen verwandelte und er Fhionn entgeistert anstarrte. Hatte sie...? Sie hatte doch nicht etwa...? Welch Dummheit, schoss es ihm durch den Kopf, noch ehe er registrierte, dass diese Begegnung für ihn womöglich ziemlich mies ausgehen konnte. Zumal sich diese Wendung bereits zuvor angebahnt hatte. Wie in Zeitlupe entglitt dem maiordomus der Schlüsselbund, schellte mit einem metallischen Laut auf dem unebenen Boden auf und blieb schließlich liegen. Matho hatte derweil Schwierigkeiten zu atmen. Der Schmerz wuchs noch an, als Fhionn das Messer aus seiner Brust zog und erneut zustach. Mit panischem Blick und doch wie gelähmt sah Matho sie an. "Was...was tust du.." hechelte er kraftlos - sie hatte mit dem ersten Stich seine Lunge getroffen, die sich nun rasch mit Flüssigkeit füllte. Eine halbherzige Abwehbewegung erzielte keinen Erfolg, und haltlos taumelte er zwei Schritte zurück, bis er die den Hof begrenzende Wand im Rücken spürte und merkte, dass beim dritten Stich seine Beine ihn nicht mehr tragen wollten. Fassungslos und anklagend starrte er Fhionn an, den Schmerz inzwischen irreal wahrnehmend, als sei es nicht sein Körper, sondern der eines anderen. Gegen seinen Willen glitt der Zeigefinger aus dem Ring der Öllampe, die sich ihrerseits langsam gen Boden neigte und diesem unendlich langsam entgegen fiel. Das Geräusch, mit dem sie schließlich dort aufschlug, klang weit entfernt und dumpf. Matho rutschte an der Wand hinab, zog blutige Schlieren mit sich hinunter und war nicht länger im Stande, Fhionn auch nur irgendetwas entgegenzusetzen.
Als die Lampe am Boden aufschlug, zerbarst das filigrane Gehäuse und das Öl bildete augenblicklich große, eine feurige Lache zwischen den Steinen am Boden, was die Szenerie noch einmal mehr erhellte und skurille Akzente setzte in dieser Nacht, in der Matho sein Leben aushauchte. Sein Geist war inzwischen verschwommen und schlierig, eine Hand zuckte unkontrolliert und Blut trat aus seinem Mund. Da sah er im Feuer oder irgendwo sonst - er wusste es nicht - ein Gesicht, verwundert, dass es überhaupt da war. Und das letzte, was er gurgelnder Weise und mit verwundertem Ausdruck sagte, war ein undeutliches: "Siv...?" Und dieser Ausdruck stand ihm noch auf dem Gesicht, als seine Seele bereits nicht mehr im Körper weilte, und Fhionn doch weiterhin zustach, als sei sie dem Wahn anheim gefallen.
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Noch jemand huschte an diesem Abend, der bereits an der Schwelle zur Nacht stand, durch die Gänge. Siv war unterwegs, vorsichtig, leise, schlich an den Wänden entlang, bemüht, kein Geräusch zu verursachen. Eine Decke über dem Arm, war sie auf dem Weg in den Garten. Seit sie aus Germanien zurück war, war ihr Schlaf alles andere als erholsam, sofern sie im Haus war. Es war wie ganz am Anfang, als sie neu hier war. Sie meinte zu ersticken, meinte die Wände auf sich zukommen zu sehen, sobald sie im Bett lag, und wenn sie endlich eingeschlafen war, war ihr Schlaf unruhig – so sehr, dass sie schon des öfteren aufgeweckt worden war, weil ihre heftigen Bewegungen und ihr unbewusstes Sprechen die anderen störte. Hatte vor der Reise noch festgestanden, dass sie Cadhlas Platz einnehmen würde, war jetzt nicht mehr die Rede davon, und sie fragte auch nicht danach. Cadhla… Wie oft hatte Siv sich in den letzten Tagen und Wochen gewünscht, die Keltin wäre hier, nur um dann wieder froh zu sein, dass sie es nicht war. Sie hatte Angst vor ihrer Reaktion. Angst vor Unverständnis – und, seltsam genug, Angst vor Verständnis. Es gab im Moment nur wenige, deren Gesellschaft die Germanin ertrug. Von den meisten in der Sklavenschaft wurde sie ohnehin geschnitten, den Rest mied sie weitestgehend. Sie ertrug das Mitleid nicht, das manche für sie hatten. Sie hatte selbst kein Mitleid für sich übrig, und im selben Maß, in dem andere Verständnis für sie aufbrachten, verringerte sich das, das sie selbst für sich hatte. Am liebsten schob sie alle Gedanken weit weg, die ihren Fluchtversuch betrafen, aber jeder, den sie traf, erinnerte sie in irgendeiner Form daran – sei es weil er sie mit Verachtung strafte, oder sei es weil er sie aufmuntern wollte. Daher hatte sie sich zurückgezogen, weitestgehend, erledigte ihre Arbeiten, klagte nicht darüber, dass sie seit Wochen die schwersten und unangenehmsten bekam, die sonst, wenn nicht gerade einer sie als Strafe ein paar Tage hintereinander erledigen musste, im Wechsel verteilt wurden. Es interessierte sie auch kaum. Im Gegenteil, sie war eher froh darüber, dass sie dadurch nur selten Zeit hatte darüber nachzudenken, wie sehr sich ihr Leben verändert hatte. Es waren nicht nur die anderen Sklaven, mit denen sie am meisten zu tun hatte. Corvinus weigerte sich, sie auch nur anzusehen – wenn sie sich denn überhaupt begegneten. Anfangs hatte sie noch nach seiner Nähe gesucht, hatte versucht ihn zu treffen, um mit ihm zu reden, aber er ließ keine Gelegenheit zu. Wenn sie vor ihm stand, ignorierte er sie, wenn sie zu sprechen begann, verschwand er oder gab anderen ein Zeichen, sie wegzubringen. Und schon bald hatte dieses Benehmen dazu geführt, dass sie es aufgab. Es mochte untypisch für sie sein, aber Corvinus so ablehnend zu sehen, seine abweisende Haltung zu spüren, tat ihr einfach zu weh. Sie hatte nach wie vor das Gefühl, dass sie ihr Verhalten erklären konnte, dass er es verstehen könnte, wenn er nur zuhören würde. Aber sie konnte ihn nicht zwingen. Und so, von den einen geschnitten, von den anderen selbst abgekapselt, fühlte sie sich einsam.
Allerdings machte sich dieses Leben bemerkbar. Sie war schmal geblieben – Matho hatte zwar keine Gelegenheit mehr, ihr Essen zu rationieren, aber oft genug hatte sie keinen Appetit. Sie war blass und hatte Ringe unter den Augen – selbst wenn sie es schaffte sich nachts in den Garten zu schleichen, wurde sie häufig von Träumen geplagt, wenn auch ihr Schlaf besser war als drinnen. Und auch die Einsamkeit hatte Auswirkungen – alles in allem ging es ihr im Moment nicht wirklich gut, auch wenn sie sich bemühte, sich nichts davon anmerken zu lassen. Besorgten Blicken wich sie aus oder ignorierte sie, Bemerkungen oder Fragen ließ sie abprallen. Es geht mir gut, war ihre Standardantwort, und dann verschwand sie oder war auf Anhieb so beschäftigt, dass sie keine Zeit zum Reden fand. Trotzdem konnte sie nicht verbergen, dass es ihr eben nicht gut ging, und so bemühte sie sich, wenigstens nach außen hin den Anschein zu wahren. Sie versuchte mehr zu essen, aber bereits nach ein paar Bissen musste sie die Nahrung oft mehr runterwürgen als alles andere, weswegen es in der Regel bei dem Versuch blieb. Aber sie schlich sich öfter in den Garten, nachts, und auch wenn sich ihr Schlaf nur langsam besserte, tat er es doch inzwischen spürbar, wann immer sie draußen schlief. Das war das einzige, wo sie selbst den Erfolg einigermaßen spüren konnte, inzwischen wenigstens, und so war sie auch diese Nacht unterwegs. Leise, weil sie wusste, dass sie um keinen Preis erwischt werden durfte. Sie ging davon aus, dass schon alles schlief, aber gelegentlich war Matho noch um diese Zeit unterwegs, um abzuschließen, oder andere, um was auch immer zu tun.
Als sie plötzlich ein Geräusch hörte, blieb sie wie angewurzelt stehen. Ein Schlüsselbund klirrte. Matho war also noch unterwegs. Siv stockte der Atem, während sie ein Stoßgebet zu Hel schickte, dass der Maiordomus sie nicht erwischen möge. Sonst würde er ihr vermutlich einen zweiten Fluchtversuch anhängen, und nach dem was Corvinus inzwischen von ihr hielt, würde er das glauben. Und was dann mit ihr geschehen würde, daran wagte sie gar nicht zu denken. Es blieb still, und nach ein paar Augenblicken schlich sie, noch leiser als bisher, weiter. Dann hielt sie erneut inne. Ein Lichtschein tauchte auf, und sie fluchte lautlos, während sie sich in die Schatten presste. Matho kam direkt auf sie zu, und insgeheim machte sie sich bereits darauf gefasst, dass er im nächsten Moment Zeter und Mordio schreien würde. Umso überraschter war sie, als auf einmal eine weitere Gestalt auftauchte. Im Schein der Öllampe erkannte sie Fhionn, und für einen kurzen Augenblick fragte sie sich, was die Keltin von Matho wollte. Fhionn hatte, wie auch Merit und ein paar der anderen, sich bemüht, Siv das Leben wenigstens etwas zu erleichtern – nur mit dem kleinen Unterschied, dass Matho die Keltin erwischt hatte. Im Gegensatz zu Siv setzte er aber die andere Sklavin nicht offen unter Druck, sondern tat es heimlich. Die Germanin war die einzige, die wenigstens annähernd Bescheid wusste, und sie hätte den anderen etwas gesagt, damit wenigstens die Keltin ihre Ruhe hatte. Aber Fhionn hatte nicht gewollt, dass etwas bekannt wurde, und obwohl Siv ahnte, dass nach dieser ersten Begegnung nicht alles ausgestanden war, hatten es sowohl die Keltin als auch der Maiordomus verstanden, alles weitere vor allzu neugierigen Augen zu verbergen. Fhionn hatte, auch Siv gegenüber, keinen Anlass gegeben, Schlimmeres zu vermuten, und so hatte sie es auf sich beruhen lassen. Sie konnte, gerade jetzt, nur zu gut verstehen, wenn jemand nicht bedrängt werden wollte, und so ließ sie Fhionn in Ruhe. Jetzt aber begann in ihr die Erkenntnis aufzublühen, dass das womöglich die falsche Entscheidung gewesen war. Fassungslos sah sie, wie Fhionn ein Messer hob. Sonderbar irreal, und wie in Zeitlupe, senkte sich die Hand, berührte das Messer Mathos Brust, versank fast zärtlich in ihm. Löste sich wieder und hinterließ einen roten Fleck, der auf der Tunika zu einer unregelmäßig geformten Blume erblühte. Versank erneut, ohne allzu viele Geräusche, ohne Gegenwehr, ohne sichtbaren Widerstand, tauchte ein wie ein Fisch, der aus dem Wasser gesprungen war, erhob sich wieder, ohne Wellen auszulösen, versank ein weiteres Mal. Die Öllampe zersprang auf dem Boden, flackernder Schein breitete sich aus. Der Maiordomus strauchelte, sank zu Boden, während das Messer seine merkwürdige Weise weiter fortführte, einem für Siv unhörbaren Rhythmus folgend, der aber da war, da die Flammen ihm ebenfalls zu folgen schienen, zuckten und sich wanden, Reflexe auf der Klinge hervorriefen und sich mit Fhionns Bewegungen zu einem grotesken Tanz vereinten. Sie meinte ihren Namen zu hören, gehaucht von einem Sterbenden, und auch dieses Wort wob sich auf unheimliche Art ein in das Gesamtbild. Sie blieb im Schatten, war wie erstarrt, unfähig sich zu rühren, stumme Beobachterin, ohne selbst gesehen werden zu können. Vor ihren Augen spielte sich die Szene immer noch ab, als Fhionn schließlich von Matho abließ und verschwand. Erst nach einem weiteren Moment bewegte Siv sich, trat aus den Schatten und in den flackernden Schein des Feuers, das bereits kleiner wurde, da es das ausgelaufene Öl rasend schnell verbrauchte und auf dem Stein keine zusätzliche Nahrung mehr fand. Wie in Trance setzte sie einen Schritt vor den anderen, ließ sich neben Matho auf die Knie sinken. Ihre Hände schwebten einen Moment über dem Maiordomus, ohne ihn zu berühren, während ihre nackten Füße und der Saum ihrer Schlaftunika sich blutig färbten in der Lache, die sich um Matho ausbreitete. Dann, schließlich, senkten sich ihre Finger, tasteten über die Wunden, fühlten nach dem Puls, aber da war nichts. Und nach einem weiteren Augenblick, in dem der Schreck Siv nur noch mehr in seine Gewalt zog, erhob sie sich und hastete durch die Gänge. Sie begriff nicht wirklich, was soeben geschehen war. Sie wusste nur, dass sie irgendjemandem Bescheid sagen musste, und so trugen ihre Füße sie zu dem Menschen, der ihr in dieser Villa – trotz der Ablehnung, die sie in den letzten Wochen von eben diesem Menschen erfahren hatte – am meisten bedeutete, dem sie vertraute wie keinem anderen hier.
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Es war spät geworden und Orestes - auf einer Kline in seinem Cubiculum liegend - hatte den ganzen Abend seit der Cena studiert. De natura Deorum vom großen Tullius Cicero. Es wusste nicht, ob es wirklich die beste Vorbereitung für die Opferprüfung war, aber er hatte die Handbücher und Ritualien schon fast auswendig gelernt, so dass eine Reflexion über den Cultus auch einmal gut tat. Deswegen hatte er sich auch so sehr vertieft, dass ihm nicht aufgefallen war, dass die Zeit verflogen war. - Und es wäre ihm wahrscheinlich auch erst einige Kapitel später aufgefallen, wenn er nicht durch das Geräusch eines fallenden Gegenstandes aus seinen Studien aufgeschreckt worden wäre. Er blickte auf.
Starren Blickes stand Fhionn die keltische Sklavin, die er vor Kurzem des Nachts in der culina getroffen hatte und die in ihm einige denkprozesse in Gang gesetzt hatte, mit blutverschmierter Tunika ein ebenso blutverschmiertes Messer vor ihr auf dem Boden. Sie selbst blutverschmiert.
"Fhionn!", entfuhr es ihm, "ist Dir etwas passiert?" Er hätte nicht fragen müssen. Wenn sie soviel Blut verloren hätte, wie sich an ihrer Tunika, ihren Händen und ihrem Gesicht befand, hätte sie es schwerlich in sein Zimmer geschafft. "Was ist passiert, Fhionn. Was ist los?", sagte er in einem Tonfall, der je mehr in seinen Denkapparat der Gedanke Raum gewann, dass Fhionn - egal was passiert war - eher Täterin denn Opfer gewesen sein muss, immer mehr zu einer merkwürdige Mischung aus Verzweiflung und Wut wurde. "Was hast Du mit dem Messer gemacht." Er sprach dabei allerdings leise, da nicht alle sofort aufwachen sollten. In diesem Moment sah er aber die Blutspur, die sie hinter sich her gezogen hatte. Eine Blutspur, die aus seinem Zimmer herausführte. Hatte sie etwa..? Er verlor den letzten Rest von innerer Ruhe. Er ging auf sie zu, packte sie und schüttelte sie."Wo führt die Blutspur hin? Was hast Du getan?"
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Wie traumatisiert blieb sie stehen. Die Augen schienen ins Nichts zu starren.
Immer wieder sah sie die gleichen Bilder vor sich: Das Messer in ihren Händen, der überraschte Gesichtsausdrück Mathos, als sie zugestochen hatte. Nicht nur einmal oder zweimal hatte sie zugestochen. Nein unzählige male hatte sie ihm das Messer in die Brust gerammt, bis er endlich sein elendes Leben ausgehaucht hatte.
In ihrem Inneren fühlte sie plötzlich wie die Anspannung von ihr abließ. So eine Art Genugtuung war es wohl, die ihr wenigstens für den Augenblick ein wenig Frieden schenkte. Sie hatte kein schlechtes Gewissen! Oh nein! Das mußte sie nicht haben! Diesem Dreckskerl würde sowieso niemand eine Träne nachweinen. Er hatte genau das bekommen, was er verdient hatte! Nie wieder würde er sie oder einen anderen bis aufs Blut schikanieren und sich daran auch noch ergötzen... und nie wieder würde er sie anfassen.
War dies alles nur Einblidung und ihre Sinne spielten nur ein Spiel mit ihr? Es hatte sich so real angefühlt. Aber hatte sie wirklich soviel Mut aufbringen können, um es zu tun?Orestes Fragen prallten an ihr ab. Sie hatte kein Ohr dafür, um zu bemerken, wie seine Stimme den besorgten Klang verloren hatte. Wie sich immer mehr Wut und Verzweiflung in ihr breit machten. Schließlich packte er sie mit beiden Händen und schüttelte sie heftig. Es war wie ein Wachrütteln. Fhionn jedoch war zu weit entfernt, als daß sie sofort aus ihrem Traum hätte erwachen können. Allmählich drangen Wortfetzen an sie heran, die etwas Anklagendes an sich hatten, die sie aber nicht gleich verarbeiten konnte. "…Blutspur hin? Was hast Du getan?"
Fast schien es schon, als fände sie doch den Weg in die Realität zurück. Verwundert blickte sie Orestes an. Sie verstand nicht, was geschehen war. Was hast Du getan? Nichts! , wollte sie ihm schon entgegnen. Dann sah sie auf sich herab und erkannte das Blut an ihren Händen und an ihrer Kleidung. Am Boden lag noch das blutverschmierte Messer. Jetzt realisierte sie, was geschehen war. Es war kein Traum. "Matho," sagte sie leise. "Matho tot!" -
"Matho tot?". Bei diesen Worten, die erst nach einigem Schütteln aus ihr herausgefallen waren. Gab es eine merkwürdige Erleichterung, er hatte schon fast befürchtet, dass sie einen Aurelier niedergestochen hatte, aber es war nur ein Sklave. Der Majordomus zwar, aber ein Sklave. Es hätte ihm schon in dieser Nacht auffallen müssen, dass sie unter der Schar der Sklaven ausgerechnet den Majordomus (einen der wenigen, die Orestes schon kennengelernt hatte) weggelassen hatte. Aber wer denkt sich denn gleich etwas dabei.
Nach dieser sekundenhaften Erleichterung wurde ihm aber bewusst, dass das die Situation für Fhionn nicht gerade besser machte - Kreuzigung blieb Kreuzigung. Wenn Matho noch leben würde, dann gäbe es vielleicht eine Chance. Orestes hörte auf sie zu schütteln. "Bring mich zu Matho, schnell!" Natürlich würde er anhand der Blutspur auch alleine den Weg finden, aber sobald Fhionn begreifen würde, dass ihr Leben verwirkt ist, wäre ein Fluchtversuch nicht auszuschließen, also würde sie ihn begleiten. "Los. Vielleicht ist er noch zu retten!" - und damit auch Du, dummes Kind. Er würde sie hinter sich herziehen, wenn sie nicht mitgehen wollte.
Wirre Gedankenfetzen schwirrten durch sein doch sonst so aufgeräumtes Gehirn. Gedanken und Emotionen vermischten sich. Er hoffte, dass sich alles noch aufklären ließe, er fragte sich, warum und wie diese schüchterne Sklavin aus der Küche zu einer Tat fähig wäre, für ein paar Bruchteile einer Sekunde fragte er sich sogar, welcher Geist ihm so einen Traum bescherte. So verwirrt verließ er sein Zimmer, noch einmal herumblickend ob Fhionn ihm folgen würde.
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Fhionn, immer noch wie gelähmt da stehend, sah in die Augen des Aureliers, in denen sie so etwas wie Furcht und Zorn erkennenen konnte. Er hatte von ihr abgelassen, schüttelte sie nicht mehr. Das, was er hören wollte, hatte er erfahren. Jetzt wollte er sie mit sich reißen. Mit zu Matho. Warum, begriff sie nicht gleich. Sie ahnte nicht, was auf sie zu kommen mochte. Fhionn genoß für einen kurzen Herzschlag diese innere Befreiung. Endlich hatte sie sich von Matho und seinen Schikanen entledigt! Für alle, die unter ihm gelitten hatten, mußte das ein Festtag sein, so glaubte sie. Dabei konnte sie Orestes´ Besorgnis gar nicht nachvollziehen. Warum nur wollte er zu diesem Scheusal zurückkehren? Retten? Wozu retten? Mattho hatte das bekommen, was er verdient hatte. "Matho tot!", wiederholte sie eindringlich, als wolle sie damit sagen, daß es zwecklos war, nach ihm zu schauen.
Orestes war schon dabei, seine Räumlichkeit zu verlassen, als sie immer noch da stand und nicht begriff. Konnte man sie dafür bestrafen, was sie getan hatte? Aber sie hatte es doch aus einer Not heraus getan! So konnte sie doch nicht weiter leben!
Dann fiel ihr die Blutspur, die sie auf dem Boden hinterlassen hatte, ins Auge. Orestes brauchte ihr nur zu folgen. Sie würde ihn zu Matho führen, der tot in seiner Blutlache lag.
Letztendlich folgte sie ihm doch, eher zögerlich, hinaus auf den Korridor. -
Kaum waren die letzten Tage angenehm zu nennen gewesen. Sie waren nun einmal vorhanden und sie wollten gelebt werden, ohne Rücksicht auf die Menschen, die mit ihnen fertig werden mussten. Wie so oft flüchtete ich mich in die Arbeit, und mir graute es bereits vor dem Ende der Amtszeit, wenn die zäh dahintropfende Zeit nurmehr durchbrochen wurde von der allmorgendlichen salutatio, den regelmäßigen Zusammenkünften des collegium septemvirorum und der Zeit, die ich in jenem kleinen Büro in der regia verbringen würde.
Verkniffen und verbissen - und doch keinesfalls ungern, lenkte mich die geistige Arbeit doch von anderen Gedanken ab - brütete ich derzeit über Catulus' ersten Versuchen der Buchprüfung, strich hier Zahlen fort und fügte dort einen Kommentar an. Die Sklaven wussten um diese meine Vorliebe in der letzten Zeit und hüteten sich davor, mich zu stören, und selbst die Familie verirrte sich nur selten in mein officium in letzter Zeit, und niemals zu dieser Uhrzeit. Das Geräusch der Schritte, die vor der Tür laut wurden, vernahm ich schon eine Nuance bevor selbige aufgestoßen wurde. Missbilligend verzog ich die Lippen, blickte erst dann auf - und sah Siv in der Tür stehen. Langsam musterte ich sie, bemüht, meinen gewohnt neutralen Ausdruck wieder auf das Antlitz zu zwingen. Ich mochte die Situation nicht, ich wich ihr aus, seit der Trupp zurück war - der Situation und Siv. Es war, als schliche der Wolf um das Lamm herum. Eine durch und durch gedrückte Stimmung, wie die Ruhe vor dem Sturm, und das schon seit unzähligen Tagen. Schon vermutete ich, dass sie nun diesen Sturm provozieren wollte - was ich in diesem Moment beinahe dankbar angenommen hatte, denn mir schlug dieses Umschleichen allmählich aufs Gemüt - da entdeckte ich Sivs rot gefärbte Füße in rot gefärbten Sandalen und hob nur die Brauen, statt etwas zu sagen. Fragend blickte ich ihr ins Gesicht und wusste nicht, was ich davon halten sollte. Und bei dieser Gelegenheit stach auch das bleiche Antlitz heraus, das, gepaart mit den schreckgeweiteten Augen, mir doch eine steile Falte auf die Stirn trieb. So sah niemand aus, der einen anderen zum Gespräch stellen sollte. Siv sah eher so aus, als hatte sie soeben einen Geist gesehen.
-
"Nun, komm schon!", rief er Fhionn zu und als er sah, dass sie sich in Bewegung setzte und weil sie ihm hinterhertrottete musste er der Blutspur folgen, die ihn sehr bald zum leblosen Körper Mathos führte. Er lag da und ein einfacher Blick auf die von vielen Stichen aufgerissene Brust des nun ehemaligen Majordomus der Aurelier ließ Orests letzte Hoffnung, dass das Leben der Täterin, das Leben Fhionns noch zu retten sei, entschwinden. Du.. Du hast ihn wirklich umgebracht. Scheiße, Scheiße, Scheiße!. Natürlich wusste Orestes nicht, dass es sich um einen Tyrannemord handelte.
Er drehte sich zu Fhionn um und schaute sie traurig an. "Weißt Du, was das bedeutet???Wahrscheinlich nicht! Oh Mist." Nicht unwesentlich verzweifelt scahute er herum. Gab es irgendeine Möglichkeit es zu vertuschen. Nein, die Blutspur und so weiter. Und selbst wenn käme das nicht in Frage. Gerechtigkeit musste geschehen. Er merkte wie er sich langsam wieder fing und seine Gedanken wieder klarer und geordneter wurde. "Wir müssen zu Corvinus." Er hätte sie jetzt fairerweise darauf hinweisen sollen, dass sie mit Sicherheit gekreuzigt werden würde, aber es fiel ihm schwer. , sagte er schließlich nach einigen Sekunden stille mit ruhiger und fester Stimme."Los, gehen wir."
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Siv hastete durch die Gänge, ging den Weg zu Corvinus’ Gemach, den sie in letzter Zeit nur selten beschritten hatte. Ihr Kopf war wie leer gefegt, bis auf dieses Bild – Matho, der in einer immer größer werdenden Blutlache lag, die Augen weit aufgerissen, leblos und doch scheinbar erfüllt von unheimlichem Leben, hervorgerufen durch die schimmernden, tanzenden Reflexe, die die Flammen darin zeichneten. Siv riss die Tür auf, ohne zu klopfen, und blieb dann wie erstarrt im Rahmen stehen. Auf dem Weg hierher hatte sie nur das Bedürfnis gehabt, zu ihm zu gehen. Jetzt wo sie hier war, fragte sich ihr Unterbewusstsein für einen Moment, was sie hier überhaupt wollte, bei ihm, der ihr seit ihrer Rückkehr aus dem Weg ging und nichts mehr von ihr wissen wollte – dem sie offenbar so egal geworden war, dass er es noch nicht einmal für nötig hielt, sie in irgendeiner Form zu bestrafen für ihren Fluchtversuch, außer dass sie unter den Sklaven des Haushalts zu den geringsten gehörte und dementsprechende Arbeiten verrichten musste. Ebenso registrierte sie, unbewusst, wie furchtbar neutral sein Gesichtsausdruck war. Bewusst wurde ihr kaum etwas davon.
Einen Moment stand sie nur da, dann hob sie hilflos blutbefleckte Finger. "Matho", murmelte sie. Dem leise ausgesprochenen Wort folgte ein tiefer, zitternder Atemzug, der deutlicher hörbar war als der Name. Immer noch zitternd stieß sie die Luft heftig wieder aus, während sich ihre rechte Hand hob und auf die Stirn legte, einen Augenblick verharrte, dann einige Strähnen zurückstrich, bevor sie wieder sank. Langsam fand Siv ihre Fassung wieder, und jetzt wurde ihr zum ersten Mal die Situation wirklich bewusst – nicht Mathos Tod oder wie er gestorben war, sondern diese. Wie oft hatte sie sich vorgestellt, zu Corvinus zu gehen – oder eher zu stürmen – und ihn zur Rede zu stellen? Ihn zu zwingen, ihr zuzuhören, ihm einfach zu sagen, was sie ihm sagen wollte, egal ob er es hören wollte? Dann konnte er ihr immer noch sagen, dass es ihm egal war… Aber immerhin konnte sie sich dann sagen, dass sie tatsächlich alles versucht, alles getan hatte. Immerhin würde er dann Bescheid wissen. Würde wissen, was wirklich gewesen war. Würde wissen, dass sie ihn nicht verletzen wollte, um nichts in der Welt. Auch wenn er nicht den Eindruck machte, verletzt zu sein – oder Wert auf diese Information zu legen. Aber ihr war es wichtig, dass er es wusste, das war ihr schon in Germanien klar gewesen – nur bisher hatte sie sich nicht getraut, zu ihm zu gehen. Hatte Angst vor der Reaktion. Fürchtete sich davor, dass er ihr tatsächlich sagte, dass es ihm egal war. Dass sie ihm egal war.
Dieser Moment dauerte nur einen Bruchteil eines Augenblicks, die Gedanken rasten innerhalb kürzester Zeit durch ihren Kopf – dann drängte sich Matho wieder in den Vordergrund, und der Schrecken nahm erneut überhand. "Matho", wiederholte sie, ihre Stimme diesmal etwas lauter, aber um keinen Deut fester. Sie zitterte eher noch mehr als zuvor. "Matho ist tot. Er… Fhionn…" Hilflos gestikulierte sie zur Tür hinaus. "Ich… ich nicht gewisst was tun… Und ich, denke du… wisst…" Sie brach ab und sah ihn an, ihr Blick, ohne es zu merken, ausdrückend was sie empfand – Bitte und Vertrauen zugleich. Dass ihn der Schock nicht lähmen würde, so wie sie im Augenblick. Dass er die Nerven behalten würde. Dass er wissen würde, was zu tun war. "Sie, sie… hat Messer, und er…"
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Die Falte auf meiner Stirn wurde steiler, als sich der Ausdruck auf meinem Gesicht in Richtung leicht grimmigen Unverständnisses verzog. Was redete Siv da? Ich gestand mir ein, dass ihre Art, ihre Haltung, ja ihre ganze Körpersprache mich besorgte. Ich glaubte, sie zu kennen, zumindest ansatzweise, und Siv war niemand, der so etwas derart überzeugend spielen konnte und vor allem würde. Skeptisch lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück, beobachtete, wie sie sich fing - und hatte doch tatsächlich vergessen, dass ich ihr eigentlich lieber aus dem Weg gehen und gar nicht erst zuhören sollte.
Das Zittern in ihrer Stimme war beinahe besorgniserregender als der Inhalt dessen, was sie sagte, zumindest, bis ich begriff, was sie da erzählte. Entgeistert starrte ich sie an, dann kam die vermeintliche Erkenntnis, und ich starrte Siv schockiert an. Sie hatte Matho getötet? Und Fhionn war nun bei ihm? Oder...? "Moment - was redest du da?" verlangte ich zu wissen und schüttelte andeutungsweise unverstehend den Kopf. Es war das erste Mal, dass ich Siv direkt ansprach, seitdem sie wieder zu Hause war. "Matho ist tot?" hakte ich nach. Sie würde das doch nicht einfach so erzählen, nein, das glaubte ich nicht, auch wenn ich mir da nicht gänzlich sicher sein konnte, immerhin hatte sie mich bereits einmal hintergangen. Dann stutzte ich. "Sie? Fhionn? Sie hat Matho angegriffen, mit einem Messer? Was?" Unfassbar. Ich starrte Siv entgeistert an, griff mir mit Daumen und Zeigefinger der Rechten an die Nasenwurzel und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Dann stand ich auf. "Wo ist er jetzt? Und wo ist Fhionn?" fragte ich Siv, während ich bereits um den Tisch herum ging und ihr mit einem Nicken verdeutlichte, dass sie vorausgehen sollte. Seltsam, wie schnell das persönliche Empfinden einer Situation unwichtig werden konnte.
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Siv sah Corvinus an, aber irgendwie sah sie ihn auch wieder nicht – sie konzentrierte sich auf seinen Blick, auf seine Augen, aber alles, was ihr in irgendeiner Form ihre Hoffnung nehmen könnte, dass er wüsste was zu tun war, schob ihr Unterbewusstsein weg und ignorierte es. Sie registrierte sein tiefes Stirnrunzeln genauso wie den auf einmal grimmigen Gesichtsausdruck, als sie zu reden begann – aber den Schock, der sich auf seinen Zügen abzeichnete, als er zu begreifen begann, nahm sie nicht wahr. Sie stand selbst noch viel zu sehr unter dem Bann dessen, was geschehen war, was sie gesehen hatte. Sie hatte ja selbst noch kaum realisiert, was sich ereignet hatte, wie hätte sie ihm da helfen können, es schneller zu begreifen? Plötzlich sehnte sie sich danach, dass er sie in den Arm nahm und einfach nur hielt, aber sie schüttelte den Gedanken ab, kam er ihr doch – nach dem, was die letzten Wochen gewesen war – utopisch vor.
"Matho ist tot", bestätigte Siv auf seine Frage hin, nun immer stärker zitternd, als sie immer mehr zu realisieren begann, was passiert war. Sie begriff gar nicht, dass Corvinus zuerst dachte, sie hätte den Maiordomus getötet. Sie fuhr sich erneut über das Gesicht, diesmal mit beiden Händen, und hinterließ dabei blutige Spuren. Auf seine weiteren Worte nickte sie nur, und jetzt, wo die eigentliche Bedeutung des Mordes immer mehr auf sie eindrang, wo die Realität sie immer mehr einholte und die schützende Wirkung des Schocks nachzulassen begann, begann sie auch zu sehen, wie entgeistert Corvinus war. Und das brachte sie noch mehr aus der Fassung. Sich noch hilfloser fühlend als kurz zuvor beobachtete sie, wie Corvinus aufstand und um den Tisch herum kam. "Ich…" Siv holte tief Luft und bemühte sich, die Kontrolle über sich zu behalten. Und ein Teil von ihr gewann tatsächlich die Beherrschung zurück, genug, um sich innerlich selbst als schwach zu beschimpfen. Immerhin hatte sie nicht nur einen Überfall der Römer durchlebt, hatte schon mehr als einen Menschen sterben sehen – aber das war doch immer etwas anderes gewesen. Kämpfe, sogar Überfälle durch Römer hatten zu ihrem Leben irgendwie dazu gehört, und Krankheiten sowieso. Aber jemanden zu ermorden… Fhionn war nicht zufällig auf Matho getroffen, das war deutlich gewesen. Sie hatten keinen Streit gehabt, Matho hatte sie nicht bedroht, und Fhionn hatte sich nicht zur Wehr gesetzt, mit einem kleinen Messer, dass sie oft bei sich trug, so wie sie selbst auch. Der Maiordomus hatte nicht einmal Gelegenheit gehabt, etwas zu sagen. Nein, die Keltin hatte auf Matho gewartet – oder ihn gesucht. Und hatte das Ziel gehabt, seinem Leben ein Ende zu setzen. Und Siv wusste nicht, was sie davon halten sollte. Alle möglichen Empfindungen wühlten sie im Moment auf, aber es war keine Trauer, nicht einmal Bedauern für Matho dabei – im Gegenteil, tief unter der Schicht aus Entsetzen war so etwas wie Genugtuung da, und Erleichterung. Dennoch, trotz allem, was Matho getan hatte, trotz dem, wie sehr ausgerechnet sie während der Reise unter ihm hatte leiden müssen, weil ihr Fluchtversuch ihm den perfekten Grund geliefert hatte… wäre Mord für sie nie in Frage gekommen.
Erst nach einem Moment realisierte sie, dass Corvinus inzwischen neben ihr stand und sie auffordernd ansah. "Matho. Wo. Richtig", murmelte sie, mehr zu sich selbst als zu ihm. Dass sie beide, zumindest für den Moment, sämtliche Distanz vergessen zu haben schienen, fiel ihr kaum auf. Stattdessen gestikulierte sie in die Richtung, aus der sie gekommen war, und setzte sich in Bewegung. "Matho nah ist bei Porta. Fhionn, sie wo ist, ich weiß nicht. Sie… sie ist gegeht, weg. Ich… da gebin, ich… gesehen habe, was… was ist. War. Aber…" Ihre Stimme stockte und klang für einen Augenblick fast gequält. "Es, es sein so schnell, und ich steh da und… und, da nichts denken, nur… nur Entsetzen, und gepassiert. Matho liegt da. Und Fhionn geht weg. Und ich…" Sie zuckte hilflos die Achseln, während sie ihm den Weg wies zu Mathos Leiche.
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Fhionn war Orestes in den Hof gefolgt. Die Blutspur, die sie hinterlassen hatte, führte ihn in den Hof. Dabei konnte sie nicht verstehen, warum er es dabei so eilig hatte. Das Schwein hat bekommen, was es verdient hat, sagte sie sich im Geiste immer wieder vor.
Um Mathos leblosen Körper herum hatte sich eine große Blutlache gebildet. Da lag er also, mit weitaufgerissenen Mund Augen, den Schrecken seines letzen Momentes wiederspiegelnd. Mit einer gewissen Genugtuung sah sie auf den Toten. Durch die vielen Stiche, die sie ihm versetzt hatte, wirkte seine Brust wie aufgerissen.
Verständnislos sah sie zu Orestes, der wild gestikulierend auf sie einredete. Es war, als wäre sie gar nicht wirklich voll anwesend, nur ihre Hülle stand da. Ihr Geist war an einem anderen Ort und hatte noch gar nicht voll realisiert, was sie letztendlich getan hatte und welche Folgen ihre Tat mit sich brachten. Eines war für dsie klar: sie hatte endlich alle, die unter Matho gelitten hatten, von ihrem Tyrannen befreit. Daß man sie dafür zur Verantwortung ziehen und gar noch bestrafen könnte, entzog sich ihrem Verständnis. Sie war der Meinung, einzig richtig gehandelt zu haben. Hätte sie es nicht getan, hätte es sicher ein anderer getan.Orestes hatte sich nach einer Weile wieder gefangen. Mit fester Stimme sprach er auf sie ein. Die Worte allerdings prallten an ihr ab. Sie verstand nicht, weswegen sie seine Aufforderung nur mit einem verständnislosen Blick quittierte. Als sie aus dem Haus Schritte kommen hörte, wandte sie sich von Orestes ab.
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Ich war viel zu überrascht, um das Ausmaß dieser ganzen Informationen zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt begreifen zu können. In mir residierten lediglich Verwunderung und Enttäuschung, und eine leise Stimme flüsterte beharrlich, dass es doch ein Fehler gewesen sein musste, Fhionn damals von diesem unfähigen Sklaventreiber zu erstehen. Doch diese Gedanken führten zu nichts, also schob ich sie entschlossen beiseite, um mich den wichtigen Fakten zu widmen. Matho war vermutlich tot, vermutlich getötet von Fhionn. Zuerst galt es nun, diese Behauptung zu überprüfen und gegebenenfalls nach einem medicus zu schicken, falls er noch lebte. Fhionn musste gefunden und festgesetzt werden, damit sie später befragt werden konnte.
Sivs Wanken registrierte ich nicht einmal, da ich tief in Gedanken verstrickt war und daher einfach an ihr vorbei schritt. Sie folgte mir nur einen kurzen Augenblick später. In diesem Moment ging mir ihr schlechtes Latein einfach nur auf die Nerven. Voller Ingrimm verzog ich das Gesicht, während ich mit ausgreifenden Schritten den Ort ansteuerte, den ich aus ihrem Kauderwelsch herausgefiltert hatte, und als ich in den Gang einbog, der über kurz oder lang zum Ort des Geschehens führen würde, prallte ich beinahe mit Orestes zusammen. Fhionn bemerkte ich nicht. "Manius!" rief ich, und ich glaubte an seiner Miene erkennen zu können, dass er bereits von dem Vorfall wusste, der sich ereignet hatte.
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Orest bemerkte den einherschreitenden Corvinus rechtzeitig, so dass er stehen bleiben konnte. Ein Blick in die Augen des Verwandten schien anzudeuten, dass es kein Zufall war, dass sich die beiden Aurelier an diesem Ort zu dieser Zeit begegneten. "Marcus! Dein Maiordomus - ist tot. Fhionn hat ihn umgebracht. Sie steht dorthinten." Die Einsilbigkeit und Nüchternheit dieser Worte erschreckte Orestes. Er hatte auf irgendeine innere Distanz umgeschaltet.Er deutete mit seinem Finger auf Fhionn, die immer noch einfach so da stand, wie Orestes fand, einfach so. "Sie hat ihn äußerst brutal erstochen. Das Tatmesser liegt noch in meinem cubiculum, wo sie es hat fallengelassen." Merkwürdigerweise dachte Orestes in diesem Moment an den finanziellen Verlust, den diese dumme Sklavin der Familie entgegengebracht hatte: Zwei Sklaven auf einmal zu verlieren war einfach teuer. Diesen Gedanken nachgehend drehte er sich wieder in Richtugn Tatort, um zusammen mit Corvinus die letzten Schritte zu Mathos Leiche hinzugehen.
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Corvinus machte so weitausgreifende Schritte, dass Siv beinahe zu laufen anfangen musste, um noch mit ihm mitzukommen. Er reagierte nicht weiter auf ihre Worte, nur das Gesicht verzog er, auf eine Weise, die Siv beinahe Angst machte, so grimmig wirkte er nun. Ihre Stimme erstarb, und den Rest des Wegs führte sie ihn schweigend durch die Gänge. Aus dem Augenwinkel warf sie ihm hin und wieder einen Blick zu, verstohlen, unauffällig. Sie sehnte sich danach, von ihm berührt, in den Arm genommen zu werden. Der Schock saß ihr tief in den Gliedern, zu tief, als dass sie ihn einfach hätte verdrängen können. Die Szene begann sich wieder abzuspielen, in ihrem Kopf, so lebhaft, dass sie sich mit der Hand über die Augen fuhr, als könnte sie die Bilder auf die Art wegwischen. Und neben sich fühlte sie Corvinus, seine Nähe, seine Bewegungen, seinen Geruch. Zum ersten Mal seit sie nach Germanien aufgebrochen war, war sie so lange in seiner Gegenwart – und es verstörte sie nur noch mehr, als sie ohnehin schon war. Sie war nervös, sie sehnte sich nach ihm, sie fühlte sich zurückgewiesen und unerwünscht, und das alles gleichzeitig.
Sie brauchten nicht lange, um bis zu dem Ort zu kommen, an dem Matho lag – aber kurz bevor sie den Bereich betreten konnten, tauchte aus den Schatten jemand auf, und Siv unterdrückte einen Aufschrei, als sie ihm ersten Moment glaubte, Matho stünde vor ihnen. Das konnte doch nicht sein, sie hatte doch gesehen… Entsetzt blieb sie stehen, bis sie begriff, dass die Gestalt Matho nicht im Geringsten ähnelte. Aurelius Orestes – ein neuer Bewohner des Hauses, der angekommen war in der Zeit, als sie in Germanien gewesen war. Sie hatte noch nicht wirklich viel mit ihm zu tun gehabt, aber das hatte nicht viel zu sagen, hatte sie doch kaum mit den Aureliern Kontakt, seit sie wieder hier war und nur die niedrigsten Arbeiten verrichten durfte. Zufällig lief sie dem einen oder anderen über den Weg, wenn sie in der Villa herumlief, oder begegnete jemanden bei der Gartenarbeit. Ohne etwas zu sagen, lauschte die Germanin den beiden, hörte, wie Orestes von Mathos Tod berichtete, von dem Mord, von Fhionn… Sivs Augen suchten nach der Keltin, als Orestes auf sie wies, aber sie bewegte sich nicht, hätte sie sich dafür doch an den beiden Römern vorbei drängen müssen. Stattdessen wurde das Zittern wieder stärker, beinahe unkontrollierbar. Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper, als es sie trotz der lauen Nachtluft zu frösteln begann, und versuchte angestrengt und fast schon verzweifelt, die Beherrschung zu behalten.
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Eine seltsame Ruhe war in Fhionn eingekehrt, so als sei nun alles wieder im Einklang. Das Ungleichgewicht, der Störfaktor, war beseitigt worden. Jetzt hatte sie wieder Luft zum atmen und sie genoß diese Leichtigkeit mit jedem Atemzug. Was um sie herum geschah, war zu weit weg, als daß sie es bewußt wahrgenommen hätte. So auch das Erscheinen von Corvinus und Siv.
Leere Worthüllen, deren Bedeutung sie nicht verstand, drangen an ihr Ohr. Ihr Name wurde genannt. Ein kurzer Blick in die Richtung, aus der die Stimmen kamen, dann wandte sie sich wieder ab. Weswegen war sie eigentlich noch da? Sie hatte doch alles getan, was man von ihr verlangt hatte! Warum also nicht einfach gehen?
Mit einem Mal spürte sie eine Müdigkeit in sich aufsteigen, die sie in solch einer Intensität lange nicht mehr erlebt hatte. Einmal wieder eine ganze Nacht durchschlafen und erholt am nächsten Tag erwachen. Das war es, was ihr lange nicht mehr widerfahren war. Zu wissen, daß der neue Tag mit einer fast schon vergessenen Beschwingtheit beginnen konnte und zu wissen, daß es keinen Grund zur Furcht mehr gab.
Ohne auf die Anwesenden, die sich im Hof vor Mathos Leiche versammtelt hatten, zu achten, begann sie gemächlich in Richtung des Hauses zu schlendern.
Als sie die beiden Römer und Siv passierte, drehte sie sich kurz zu der Germanin um. Sie hatte ihr zittern bemerkt und ihren angsterfüllten Blick. Warum noch Angst haben? Der Tyrann ist tot!
Ein warmes Lächeln umschmeichelte ihre Lippen und sie zwinkerte ihr kurz aufmunternd zu, so als wolle sie ihr sagen, hab keine Angst, er wird uns nichts mehr tun! So ging sie an ihr vorbei und näherte sich schon dem Eingang zum Inneren der Villa. -
Meinen maiordomus. Ich starrte grimmig Orestes an, ganz so, als sei er mitverantwortlich dafür. Die steile Falte, die sich zwischen meinen Brauen gebildet hatte und sich bis weit in die Stirn hinaufzog, musste ohnehin Bände sprechen. Ich wandte bei seinen Worten den Kopf und sah in die Schatten, in denen ich nun tatsächlich einen menschlichen Schemen ausmachen konnte. Fhionns Gesicht konnte ich indes nicht Erkennen, dafür wandte ich mich nun an Siv. "Bring sie in mein Arbeitszimmer und sorg dafür, dass sie es nicht verlässt", presste ich hervor, und, nachdem ich kurz innegehalten und Siv eindringlich gemustert hatte, fügte ich hinzu: "Und gib auf dich acht." Nur kurz noch ruhte mein Blick auf Siv, der ich ohne weiteres zutraute, diesen Befehl ausführen zu können - immerhin war sie Germanin, Vertreterin eines kämpferischen Volkes. Dann wandte ich mich zu Orestes um. "Komm", sagte ich nur und setzte mich auch sogleich in Bewegung, um vorauszugehen. Siv und Fhionn ließ ich einfach stehen, ungeachtet dessen, was sich hier noch ereignen würde.
Als wir auf den Hof hinaustraten, tanzten nur noch wenige kleine Flämmchen auf dem Öl der zu Bruch gegangenen Lampe. Dennoch reichte das wenige Licht aus, um zu erkennen, dass es wahr war - Matho war tot. Er lehnte, halb sitzend und halb liegend, an der Wand und starrte mit weit aufgerissenen Augen in unsere Richtung. Ich presste die Lippen aufeinander und ging näher heran. Matho lag in einer Blutlache, abgestochen wie ein Opferschwein, verschmiert mit seinem eigenen Blut und bedeckt mit einer Unmenge an Stichen und Schnitten. Ich ging zögerlich neben ihm in die Hocke, streckte die Hand nach der großen Ader an seinem Hals aus und berührte ihn flüchtig. Dann schloss ich seine Augen und erhob mich wieder. "Törichte Sklavin", murmelte ich und schüttelte den Kopf. "Ihr muss klar sein, was das bedeutet." Und zwar das Kreuz. Immerhin hatte Matho sie nicht angegriffen, es gab weder eine Waffe noch ein Motiv, noch waren Kampfspuren zu sehen. Erneut schüttelte ich den Kopf. Ich verstand nicht, wie das hatte passieren können. Dieser Vorfall würde für Unruhe und Furcht innerhalb der Sklavenschaft sorgen, und noch dazu stellte er mich vor das Problem, einen geeigneten neuen maiordomus zu erwählen.
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Siv befand sich in einer Spirale aus Verstörtheit und Entsetzen, die sie der Panik immer näher brachte, je mehr die schützende Wirkung des Schocks nachließ. Nach außen zeigte sich das nur durch ihr Zittern – und sie kämpfte darum, nicht stärker zu zeigen, was in ihr vorging, wie kurz sie inzwischen davor war, weinend zusammenzubrechen. Nicht, weil sie um den Maiordomus trauerte, das ganz gewiss nicht. Siv hasste ihn nicht. Sie konnte sich schnell über andere aufregen; es gab einige Menschen, die sie nicht leiden konnte; sie war, zumindest was Römer betraf, eine Zeitlang schnell dabei gewesen zu behaupten, sie würde sie hassen, und zumindest unter den Soldaten, die sie nach Rom gebracht hatten, hatte es ein paar gegeben, denen gegenüber sie tatsächlich so etwas wie Hass empfunden hatte – die Wahrheit war aber, dass Siv im Grunde kein Mensch war, der hasste. Es brauchte lange, bis sie dieses Gefühl auch nur ansatzweise entwickelte, wirklichen, reinen Hass, nicht nur tiefe Abneigung. Hätte sie bewusst darüber nachgedacht, sie wäre zu dem Schluss gekommen, dass Matho ein so tiefes Gefühl gar nicht verdient hatte. Und seit sie wieder in Rom war, hatte der Maiordomus nicht mehr völlig freie Hand ihr gegenüber, und darüber hinaus konnte sie ihm hier aus dem Weg gehen, waren ihre Aufgaben doch so niedrig, dass sich der Maiordomus darum in der Regel nicht persönlich kümmerte, weil er schlicht Wichtigeres zu tun hatte. Nein – Siv hasste ihn nicht, nicht wirklich. Sie konnte ihn nur von Grund auf nicht ausstehen. Aber Fhionns scheinbare Kaltblütigkeit, wie sie auf Matho eingestochen hatte, wie dieser zu Boden gesackt war, blutüberströmt, und die Keltin hatte immer noch weiter gemacht… Siv hatte kein Problem Blut zu sehen, aber in ihrer Vorstellung, die ihr die Bilder wieder und wieder zeigte, nahm es in Kombination mit der Tat an sich einfach überhand.
Sie kämpfte dagegen an, rang um Selbstbeherrschung, aber erst Corvinus’ Worte, direkt an sie gerichtet, durchbrachen die Spirale und drangen zu ihr vor. Sie ballte die Hände zu Fäusten und grub ihre Fingernägel in die Handflächen, und der Schmerz half zusätzlich. Sie erwiderte seinen Blick und nickte nur. Sie sah den beiden Römern nach und wandte sich dann Fhionn zu, die gerade an ihr vorbei Richtung Haus ging und ihr zulächelte. Siv starrte sie für einen Moment fassungslos an, sah ihr zu, wie sie an ihr vorbeiging. Sie lächelte? Verstand Fhionn denn nicht, was sie getan hatte? Oder verstand sie es gerade und war tatsächlich so kaltblütig, wie sie gewirkt hatte? Es dauerte einen Moment, bis Siv begriff, dass Fhionn selbst unter Schock stehen musste. In der Zwischenzeit hatte Fhionn schon fast die Tür erreicht, und Siv war mit ein paar schnellen Schritten neben ihr. "Fhionn. Fhionn! Warte!" Sie erreichte die Keltin und legte ihr eine Hand auf den Arm. Sie hatte keine Befürchtung, Fhionn könnte ihr etwas antun – zwar war ihr nach wie vor unverständlich, wie die Keltin so weit hatte getrieben werden können, aber zumindest ihr war klar, dass es einen Grund geben musste. Dass Matho sie nicht in Ruhe gelassen hatte nach diesem einen Zusammenstoß, den Siv miterlebt hatte. Der wegen mir passiert ist. Unwillkürlich erstarrte sie, als ihr klar wurde, dass der Mord damit zum Teil ihre Schuld war. Fhionn hatte sich mit Matho wegen ihr angelegt. Und nicht nur das, sie hatte es mitbekommen – und hatte nichts gesagt. Spielte es eine Rolle, dass sowohl Matho als auch Fhionn danach dafür gesorgt hatten, dass keiner mehr etwas mitbekam? Sie hatte doch gewusst, aus eigener Erfahrung, wie der Maiordomus war. Aber sie war einfach davon ausgegangen, dass alles soweit in Ordnung war, nur weil die Keltin sich nichts hatte anmerken lassen. Und dabei hätte sie auch das wissen müssen, war sie selbst doch genauso.
Mühsam schüttelte sie diese Gedanken ab. "Du in Ordnung bist? Komm mit." Der Griff um Fhionns Arm verstärkte sich etwas, als Siv die Keltin mit sich zog, war aber lange nicht so fest, dass er hätte schmerzen können. Im Gegenteil, Siv wollte mit dem Griff Fhionn Halt vermitteln. Hatte sie sich kurz zuvor noch entsetzt gefragt, wie die Keltin einen Mord hatte begehen können, fragte Siv sich jetzt, wie schlimm es gewesen sein musste, dass sie zu dieser Tat getrieben worden war. Und wie es ihr jetzt gehen musste. Mit sanftem Druck geleitete sie die Keltin ins Haus und in Richtung von Corvinus’ Officium. "Warum? Warum du getan, das? Matho ist so viel schlimm gesein?"
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Kurz bevor sie die Tür erreicht hatte, hielt sie inne und sah sich um. Das Rufen ihres Namens war an ihr Ohr gedrungen. Erst hatte sie es gar nicht registriert, da es so verschwommen gelungen hatte und sie nicht damit gerechnet hatte, daß es real gewesen war. Doch als sie dann die Hand an ihrem Arm spürte, konnte sie gewiss sein, daß es real gewesen war. Sie erkannte Siv, die sie dort ergriffen hatte, und lächelte ihr erneut freundlich zu. Fhionns Erleichterung konnte die Germanin nicht teilen. Sie wirkte bestürzt, so als wolle sie erstarren. Warum, Siv? Die Frage lag auf ihrer Zunge, jedoch stellte sie sie ihr nicht. Lag es an ihr? Unwillkürlich sah Fhionn an sich selbst herab. Ihre Tunika, die die Spuren eines arbeitsreichen Tages trug, war blutverschmiert. Besonders der Bereich des Saumes, war regelrecht mit dem Blut vollgesogen, das in der Zwischenzeit allerdings schon getrocknet war und den leichtfallenden Stoff steif wirken ließ. Sie besah sich auch ihre beiden Hände, an der sich eine klebende Substanz befinden mußte. Als sie schließlich realisierte, daß es sich hierbei auch um Blut handelte, stockte ihr der Atem. Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen. Das Blut reichte bis hinauf zu ihren Ellenbögen. Diese Erkenntnis löste in ihr eine Kaskade der Angst aus. "Was?... Was passiert?" Ihre Stimme und auch ihr Blick in Sivs Gesicht waren mit Furcht erfüllt. Was hatte sie nur getan? Von ihrer Furcht geplagt sah sie sich um und erblickte schließlich Mathos Leiche. War ich das? Ich war das! Ihre Vermutung wurde immer mehr bestätigt. Nicht nur durch das Blut, das an ihr haftete auch durch Sivs anhaltenden entsetzen Blick. Hatte sie es mitbeobachtet, was geschehen war? Sie musste es gesehen haben.
Sivs Frage verwirrte sie noch mehr. Nein, rein gar nichts war in Ordnung! Komm mit- wohin? Sie traute sich nicht, diese Frage zu stellen, denn sie wußte jetzt, daß diese, ihre Tat nicht ungesühnt bleiben konnte.
Sivs Griff hatte sich noch verstärkt, allerdings nicht so, daß er schmerzte. Sie zog sie ins Innere des Hauses hinein durch die Gänge. Fhionn wußte nicht, ob sie sich sträuben sollte oder ob sie einfach nur folgen sollte. Mit dieser Tat hatte sie ihr Leben verwirkt. Die Römer ahndeten Mord mit dem Tod am Kreuz. Das war ihr gewiß. Sie selbst hatte eine Kreuzigung schon einmal miterleben müssen und sie wußte darum, wie langwierig und qualvoll dieser Tod war.
Am ganzen Körper zitternd erreichten sie schließlich die Tür zu Corvinus´ Officium. Sie wußte, was das zu bedeuten hatte. Spätestens schon morgen würde es aus mit ihr sein. Bei diesem Gedanken zog sich alles in ihr zusammen. Sivs Frage nach dem Warum ließ sie erst wieder entspannen. Angsterfüllt blickte sie in Sivs Augen. Ihre Lippen versuchten die richtigen Worte zu formen, doch dies gelang ihr nicht sofort. "Ja, so viel schlimm! Er hat mich dazu getrieben! Jeden Tag setzte er mich mehr mit seinen Worten unter Druck, bis ich fast am zerbersten war." Ungeachtet dessen, daß Siv sie nicht verstehen konnte, war sie in ihre Muttersprache gewechselt.Die Tür zum officium öffnete sich. Der wuchtige Schreibtisch aus schwerem Holz, der so bedrohlich auf Fhionn wirken mußte, fiel ihr sofort ins Auge. Es bedurfte Sivs sanften Druck, der sie in den Raum hinein zog und der sie bis kurz vor den Schreibtisch führte. Dort blieben sie stehen und warteten. Mit ihrer freien Hand ergriff sie Sivs Handgelenk. "Bitte, du bleiben bei mir! Nicht gehen weg! Ja?"
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