An diesem Abend lag ich noch lange wach und grübelte über die kürzlich geschehenen Ereignisse und mein Leben nach. Wer war ich eigentlich? Was war ich? Warum war ich, wie ich war? Marcus Corvinus von den Aureliern, Sohn des Marcus Antoninus, der in seinem Leben noch weniger erreicht hatte als ich selbst mit noch nicht einmal dreißig Jahren. Doch was hatte ich denn erreicht? Ich hatte meine Base um ein Haar in den Tod getrieben. Ich wäre beinahe in einer auf Bruderliebe begründeten Ehe gefangen gewesen. Ich hatte ein grottenschlechtes Tribunat absolviert und obendrein noch meine Quästur versaut. Man hatte mich zu Unrecht zum septemvir berufen und im Vigintivirat hatten mir wie so oft die rechten Worte gefehlt, um das Leid der Hinterbliebenen auch nur ansatzweise zu lindern. Ich hatte meine Sklaven teilweise bevorzugt und an diesem Abend zum zweiten Mal den Preis dafür erhalten. Einen weiteren Preis für die törichsten Dummheiten, die Rom jemals gesehen hatte. Mein Leben kam mir wie eine Parodie auf den Römer an sich vor, nur dass ich selbst nicht darüber lachen konnte, denn dazu war das alles zu traurig. Armselig.
Ich wälzte mich auf die andere Seite und wünschte mir, meine Ohren vor den Gedanken verschließen zu können, die unaufhörlich rumorten und weiterbohrten. Nicht nur, dass meine Cousine um einen digitus am Tod vorbeigeschlittert war - meinetwegen - nun hatte ich auch noch meinen maiordomus auf dem Gewissen. Stöhnend presste ich die Lider aufeinander. Ich wollte das alles nicht hören, und doch gelang es mir nicht, endlich in den Schlaf zu fallen, in dem mich bestenfalls Alpträume erwarteten. Ich wünschte mir diese seltsamen Träume zurück, die ich größtenteils genossen hatte. Alles war besser, wenn es mich nur von mir selbst ablenkte. Und dann die res gestae. Erschüttert bis in die Grundfeste hatte ich von Gracchus' Rede gehört. Schwach und gebrechlich sollte er gewirkt haben, seine Amtszeit mehr abgesessen als mit Bravour absolviert haben. Als ob jemand das glaubte! Besah ich hingegen das Jahr, welches hinter mir selbst lag, glaubte ich es sofort. Wen interessierte schon, wie viele endlose Schriftrollen irgendein kleiner Magistrat durchgesehen oder wie viele Reisegenehmigungen er erstellt hatte?
Die Möblierung schien mir höhnisch zu grinsen, als ich in die Dunkelheit starrte. Ich wollte doch nur jemanden zum Reden haben. Vor Orestes oder Ursus würde ich niemals dies alles darlegen wollen. Geschweige denn können. Prisca... Nun, mit ihr konnte ich über all das sprechen, doch wusste ich, dass sie die Schwere dieser Tatsachen nicht erfassen konnte - was nicht ihr Fehler war, sondern schlicht daraus resultierte, dass sie es nur ansatzweise nachvollziehen konnte. Und Siv? Der Stich der Enttäuschung schoss erneut durch meine Gedärme. Im Geiste sah ich ihre Mimik von vorhin. Die Furcht in ihren Augen. Hörte ihr Flehen. Und es beengte meine Brust. Ich presste die Lider aufeinander, bis ich grüngoldene Funken sah, presste die Kiefer aufeinander, bis sie schmerzten. Irgendwie musste ich noch ein wenig durchhalten. Irgendwie würde ich das alles überstehen, auch wenn die Götter sich von meiner Familie, von mir abgewandt hatten. Ich dachte an Camillas Totenmaske. Ob sie glücklich war, wo sie nun war? Ich fragte mich, ob es wohl leicht war, den Styx zu überqueren. Es schien so verlockend, dies alles hinter sich zu lassen. Wenn ich doch nur mit jemandem reden konnte, ohne mich lächerlich zu machen.
Ich schlug die Augen auf, starrte die dunkle Decke über mir an. Dann erhob ich mich und verließ baren Fußes mein cubiculum. Mein Weg führte mich, einer inneren Eingebung folgend, zum Hausaltar. Die villa war still zu dieser Zeit. Kein Wunder, es war mitten in der Nacht. Alles schlief. Das Knarren des alten Holzes erschien mir unnatürlich laut. Der edel wirkende Altar kam mir zugleich fremd und vertraut vor. Einen Moment hantierte ich herum, dann entzündete ich ein Glimmstäbchen. Die kleine, grelle Flamme schrumpfte schnell in sich zusammen. Ich blinzelte ins Licht und entzündete hernach die paar Kohlklumpen. Kleine Flammen züngelten empor, und ich starrte abwesend in die Opferschale, bis mir der Glimmstab die Finger verbrannte und ich ihn erschrocken zu Boden fallen ließ, wo er verlosch. Ausgehaucht.