Noch vor dem ersten Sonnenstrahl war Epicharis hellwach gewesen. Nichts hatte sie mehr im warmen Bett halten können. Die ersten Vögel, die verschlafen aus ihren Knopfaugen blickten, waren nicht eines Blickes gewürdigt worden. Nein, Epicharis stand vor dem Gewand, das sie tragen würde. Die Tunica recta. Selbst gewebt, schlicht und figurbetont. Viele Wochen hatte sie daran gesessen, Monate gar, um den Stoff so gleichmäßig wie möglich zu weben. Es brachte Unglück, wenn die Braut diese Arbeit in Auftrag gab, so sagte man. Ob es wirklich stimmte, wusste niemand. Immerhin boten in der Stadt genügend Weber ihre Dienste an, auch, um Hochzteitstuniken zu weben. Weich und angenehm war der Stoff unter ihren Fingern, als Epicharis die Hand ausstreckte und ihn befühlte. Ein Lächeln stahl sich auf ihre Züge, das erste dieses Tages. Es sollten noch viele folgen.
Am frühen Nachmittag ließ Epicharis Fiona und Minna zu sich kommen. Die beiden würden sie in die Villa Flavia begleiten und ihr bei den traditionellen Riten am Vorabend der Hochzeit zur Hand gehen. Die Claudierin stand vor dem Tisch in ihrem Zimmer und sah auf eine kleine Kiste hinunter. Eine kleine, abgewetzte Stoffpuppe lag darin, zusammen mit einer Vielzahl anderer kleiner Spielzeuge, mit denen sie schon längst nicht mehr spielte, die aber dennoch für dieses wichtige Ereignis aufgehoben worden waren. Neben der Kiste lag eine säuberlich zusammengefaltete Toga praetexta. Auch diese Art von Kleidung trug Epicharis längstens nicht mehr, und dennoch war sie für den symbolischen Akt des Erwachsenwerdens vonnöten. Sie seufzte schwer, lächelte zugleich aber selig und strich den Stoff glatt, als sie hinter sich die Tür hörte. Einen Herzschlag später wandte sich Epicharis um. "Hast du die Hasta caelibaris?" fragte Epicharis, und ihre Stimme schwang ein wenig aufgeregt. Seit Stunden schon hatte sie kalte Hände, und darüber hinaus wollte einfach kein Bissen ihre Kehle hinab rutschen, was auch immer sie versuchte zu essen. Aristides schlemmte gewiss vor sich hin, wann immer sie an ihn dachte. Nachsichtig schob die Claudia diese Gedanken fort und seufzte erneut. Am nächsten Abend wäre sie eine Ehefrau. So bald schon...