Endlich.
Dies war er nun, sein großer Auftritt. Noptius fieberte dem Moment entgegen, der den Höhepunkt seines Lebens und den des Kaisersreichs darstellen würde.
Noptius Erscheinung wirkte ganz und gar erhaben, was durch seine Gefolgschaft aus mehreren Landstreichern und Bettlern ad absurdum geführt wurde. Die herrschaftlich wirkende Person auf der morschen Sänfte, die von den vier abgewrackten Gestalten kaum zwei Hände breit über den Boden gehoben werden konnte gab eine eigenwillige Präsenz her.
Ein besonders bemitleidenswerter Bettler lief vor der Truppe her und krächzte laut und mit kaum mehr menschlicher Stimme
"Lifapus. Nopfiuf Lifapuf ifft hier! Machf Plaff. NOPFIUF LIFAPUF!!!"
Die Leute vor ihnen wichen eher aus Ekel vor dem Herold und der Entourage als aus Ehrfurcht vor dem nahenden Litapus zurück, und so gelang Noptius das, was normalerweise durch einen Haufen Lictores sicher gestellt wurde: er kam ungehindert zum Forum, und in die Nähe der Rostra.
Gütig lächelnd winkte der grellweiße Mittelpunkt der abgerissenen und dreckigen Truppe allen Leuten zu die rein zufällig einen Blick auf ihn warfen, und nicht selten vergaßen die Leute ihn schneller als der Blick gedauert hatte. Doch er vergaß sie nicht, es waren seine Bürger. SEINE Bürger.
In einem Kokon aus Ignoranz und Unbekümmertheit wurde er schließlich vor der leeren Rostra abgestellt, und in fließenden Bewegungen machte er sich schließlich auf, diese zu erklimmen. Auf dem Weg zu den Stufen kreuzte hier und da ein ahnungsloser Bürger seinen Weg, in dem er einfach einen der Bettler zur Seite stieß die Noptius den Weg zur Rostra freihalten sollten.
"Danke Bürger, ich werde deiner gedenken, danke.", sprach der wenig große und vollkommen bedeutungslose Noptius den Bürger an, der ihm einen vollkommen verwirrten Blick zuwarf, und doch gleich wieder in der Menge verschwand.
Nach mehreren Schritten war er schließlich auf der Rednerbühne, und seine Gefolgschaft nahm vor ihr Aufstellung um etwaige entfesselte Anhänger und insbrünstige Verehrerinnen aufhalten zu können. Vor der Rostra jedoch ging das Tagewerk auf dem Forum seinen gewohnten Gang, und wenn jemand stehen blieb, dann nur um sich die Sandalen zu binden, jemanden zu grüßen oder einfach nur um nachzudenken. Nicht jedoch um darauf zu achten was dort auf der Rednerbühne eigentlich vor sich ging.
Noptius sammelte sich. Dies war sein großer Moment. Er hatte JAHRE darauf verschwendet sich vorzubereiten, und dem römischen Volk durch sein Wort die Erlösung aus den Querelen der Moderne zu bringen. Auch wenn es ihn in letzter Zeit störte dass gewisse Leute, die ein Holzkreuz anbeteten und darum irgendwelche widersinnigen und nichtsnutzigen Geschichten sponnen, ein Monopol auf die Erlösung beanspruchten. Doch davon ließ er sich nicht beeindrucken, er war hier um zu helfen.
Er hob die rechte Hand und gebot dem ihn nicht beachtenden Volk zu schweigen, was es nicht tat. Dann räusperte er sich um seinen Worten, die nicht gehört werden würden, eine Klarheit zu verleihen die sowieso niemanden erreichte.
Doch Noptius sprach, und niemand hörte ihm zu.
Nicht einmal seine Begleiter schienen ihm ein Ohr zu leihen, was auch daran liegen konnte dass einige seiner Getreuen garkeine Ohren mehr hatten.
Seine Rede dauerte Minuten, und Noptius wurde nicht müde, nein, er wurde wacher und aufmerksamer, dies war sein Moment! Dies war der Moment auf den sie alle gewartet hatten. Sollten die hohen Staatsmänner doch das Volk mit irgendwelchen Geschichtchen verführen, das was er hier präsentierte war destilierte Reinheit. Er war an seinem Ziel, das Volk würde nach seinen Worten in sich gehen und erkennen dass der Weg, den es genommen hatte, der falsche war, und dass die Befreiung dieser Missstände nur eine Handbreit entfernt war... und er, Noptius Litapus, würde in die Annalen eingehen als Verkünder der Wahrheit. Als Erlöser des Volkes. Als Mann der Zeit. Als Kaiser der Herzen.
Als Kaiser.
Eine Fliege, durch einen noch nicht entdeckten Gendeffekt der menschlichen Sprache mächtig, kreuzte den Wortschwall des Noptius und hatte eine direkte Erleuchtung, die diese kleine Fliege zur glücklichsten und erlöstesten Fliege der Welt machte. Als sie sich aufmachte das Wort zu verbreiten kam sie dummerweise einem Sperling in die Quere, der kein fliegisch sprach, und so die Erlösung des globalen Fliegenvolkes binnen weniger Momente ohne das geringste Anzeichen von Glückseligkeit, dafür mit Sattheit, verdaute.
Und Noptius sprach weiter... sein Herz war erfüllt von einem Hohegefühl, dem Gefühl zur richtigen Zeit das richtige zu tun, am richtigen Ort.
Und doch hörte ihm niemand zu.
Als Noptius Litapus seine Rede zur Beendung des menschlichen Unglücks abschloss, wartete er darauf dass die atemlose Stille, die er während seiner Rede zu spüren glaubte noch einige Sekunden anhielt, doch der Lärm des Forums schluckte auch diesen letzten andächtigen Moment, genauso wie es seine Worte zuvor im Keim erstickt hatte, ohne dass sie jemanden hätten erreichen können.
Es war wahrscheinlich zuviel, dachte Noptius sich, das Volk würde mehr Zeit brauchen um diese Worte zu verstehen, die Erlösung musste sich entwickeln. Also entschloss er sich, sich den Augen des Volkes zu entziehen damit es sich unbeeinflusst durch seine kaiserliche Präsenz in einen Taumel der Glückseligkeit bewegen konnte.
Was es natürlich nicht tat, im Endeffekt war Litapus nie unbeachteter gewesen.
Auf dem Weg zur Treppe nahm er sich vor, sobald die Wirkung seiner Rede eingetreten war, zum Palatin zu gehen und seinen angestammten und rechtmäßigen Platz einzunehmen, um das Volk unter seine gütigen Fittiche zu nehmen. An den aktuellen Kaiser dachte er garnicht, dieser würde nach der Verkünung des Wortes schon alleine seinen Platz räumen, und sich Noptius anschließen.
Gerade als Noptius Litapus die ersten Stufen herabging drückte sich eine Horde Kinder durch die Vagabunden, und Noptius lächelte gütig zu diesen herab, glaubte er doch sie würden sich im Jubel über seine Worte auf ihn stürzen. Was die Kinder antrieb war jedoch weitaus trivialer, aber dafür hatte es ihre volle Aufmerksamkeit, was man von Noptius nicht behaupten konnte. Die Kinder stürmten auf die Rostra um einen kleinen mit Federn gefüllten Ball zu jagen, und achteten dabei recht wenig auf den gebrechlichen Mann, der ins straucheln kam.
Und Noptius Litapus fiel.
Er fiel nicht tief, eigentlich waren es nur wenige Stufen die er stürzte, und doch reichte es um dem Mann, der den Menschen die Erlösung bringen wollte, den Hals zu brechen.
Noptius Litapus starb wie er gelebt hatte: unbeachtet, ignoriert, ungehört.
Wenige Sekunden nachdem er auf dem harten Boden des Forums aufschlug, löste sich der seltsame Zauber der die verwahrlosten Gestalten um Noptius gesammelt hatte, und nicht viel mehr Sekunden später war Noptius seiner wenigen Habseligkeiten und sogar der Toga beraubt, die er getragen hatte.
Als die Vigiles den Leichnam des unbekannten Mannes, den kein Mensch zuvor gesehen hatten, beseitigten fragte man eines der Kinder, die natürlich nicht am Tod des Mannes, der einfach so gestürzt war, beteiligt waren, ob es irgendwelche letzten Worte gab, die er vor seinem Tod von sich gegeben hatten.
Ein kleines Mädchen war es, das sich daran erinnerte was die wohl einzigen gehörten Worte des Mannes gewesen waren, Worte von so einfacher wie überwältigender Schlichtheit:
"O, merda!"*
[SIZE=6]*"Ach, Scheisse."[/SIZE]