cubiculum TAU | Wie ein Dieb in der Nacht

  • Dich hat wohl das schlechte Gewissen gepackt, was? He, was? Nee, wieso schlechtes Gewissen? Ich hab kein´n Grund ´n schlechtes Gewissen zu haben! Na und warum bist du dann hier, mmh? Ich? Öhm, nur so! Ich, ich wollte eigentlich gar nicht… Ach komm, gib es doch zu! Du hast eingesehen, dass du nicht anders kannst, als zu ihm zu gehen und ihn um Verzeihung zu bitten! Nee. Nein! So was werd ich nicht machen, niemals! Niemals, hast du das jetzt?! Nicht nachdem, was er gemacht hat! Aber ja! Natürlich.


    Ich war todmüde. Meine Augen brannten und meine Finger waren mit kleinen Nadelstichen durchlöchert. Wenn ich vernünftig gewesen wäre, hatte ich mich schlafen gelegt. Morgen wartete bereits ein weiterer Berg von Kleidungsstücken auf mich, die genäht oder ausgebessert werden mussten. Aber dieses komische Zwiegespräch mit mir selbst ließ mir keine Ruhe.
    Es war jetzt schon eine Woche her, seitdem Usus meinen Brief entdeckt hatte, ihn zerrissen und mir vor die Füße geworfen hatte. Mein Bruder meinte, ich wär stur und ich sollte mich nicht so haben. Warum verstand mich eigentlich keiner? Glaubten alle, ich wäre blöd oder einfältig? Ich wusste, für Probus und mich gab´s keine Zukunft. Aber ich hatte Gefühle! Ich war kein Stück Holz! Das war es, wasmich so verletzt hatte.
    Jetzt stand ich vor der Tür. Nicht die Tür zur Sklavenunterkunft. Es war die von Ursus. Ich fragte mich selber, was ich hier eigentlich machte. Ich musste wirklich bescheuert sein!

    Ich drückte langsam mit einer Hand die Türklinke nach unten und schob die Tür auf. Mit der anderen Hand hielt ich ein Öllämpchen. Es war schon dunkel, kein Licht brannte mehr. Unwahrscheinlich, dass er noch wach war. Aber trotzdem trat ich ein und schloß die Tür.

  • Es war ein wahrhaft anstrengender Tag gewesen. Und Ursus war richtig froh gewesen, als er sich endlich hatte schlafen legen können. Der Schlaf war schnell über ihn gekommen. Und so merkte er tatsächlich nicht, daß Caelyn eingetreten war. Leises Schnarchen erfüllte den Raum, während Ursus selbst tief und fest schlief und offensichtlich angenehme Träume hatte. Denn seine Züge waren völlig entspannt und ein leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel.

  • Ich hörte sein leises Schnarchen. Das war ja zu erwarten gewesen, er schlief. Trotzdem blieb ich aber hier. Ich konnte nicht sagen, warum ich nicht kehrt machte. Echt, ich musste total verrückt geworden sein. Keine Ahnung, was mit mir los war.
    Ich ging auf sein Bett zu. Das Lämpchen sollte mir den Weg dahin leuchten. Das dünne Flämmchen spendete aber nur wenig Licht. Zu wenig Licht, um den Trümmern auf dem Boden ausweichen zu können. Mein Fuß verfing sich in einem Kleidungsstück und beinahe wäre ich mit samt der Lampe gestürzt. "Verdammter Mist! Was ist das denn? Wer räumt denn hier auf?" fluchte ich leise, damit er nicht wach wurde. Niemand räumte hier auf! Das war ja mal mein Job gewesen.
    Nur mit gut Glück gelang es mir, mich zu fangen. Meine Hand verkrampfte sich in der Lampe. Wenn die zu Boden gegangen wäre, dann wäre hier alles in Flammen aufgegangen. Auch ´ne Art, sich zu rächen, dachte ich spöttisch.
    Dann hatte ich es doch noch geschafft, irgendwie heil an seinem Bett an zu kommen. Das Lämpchen beleuchtete sanft sein Gesicht. Er schlief so ruhig und friedlich, wie ein Baby. Lächelte der im Schlaf? Echt krass! Es war lange her, seit ich ihn das letzte Mal hatte lächeln sehen. So nah war ich noch nie an ihn herangekommen.
    Ich streckte meine Hand nach ihm aus und meine Fingerspitzen berührten ganz leicht sein Gesicht. Das war echt krank, was ich hier machte! Warum lag ich nicht in meinem Bett und schlief? Morgen, bevor noch die Sonne aufgegangen war, würde für mich ein weiterer Arbeitstag beginnen.

  • Von der Unruhe, als Caelyn über seine Schmutzwäsche stolperte, bemerkte Ursus nichts. Dafür schlief er einfach zu fest, dafür war der Traum zu intensiv, zu schön. Doch die Berührung seines Gesichtes, so sanft und geradezu liebevoll, zog ihn aus seinen Träumen in einen benommenen Halbschlaf. Solch Berührungen kannte Ursus nur von einer einzigen Person. Und so war es wohl kein Wunder, daß sein alles andere als wacher Geist ihm die Anwesenheit gerade dieser Person vorgaukelte. "Cadhla?", seufzte er sehnsüchtig und sein Arm suchte die Urheberin der Liebkosungen, um sie sanft an sich zu ziehen. Noch völlig traumgefangen dachte er gar nicht daran, daß es sich ja überhaupt nicht um Cadhla handeln konnte.

  • Die Berührung meiner Fingerspitzen in seinem Gesicht, bewirkten etwas, was ich zwar früher schon vermutet hatte, aber was ich nie mit Sicherheit sagen konnte.
    Er regte sich. Sein Schlaf war nicht mehr so intensiv. Dann murmelte etwas. Cadhla. Cadhla? Erschrocken zog ich meine Hand zurück, als hätte mich eine Biene gestochen. Also doch! Dieser verdammte Mistkerl!
    Aber das war noch lange nicht alles. Dann zog er mich zu sich. Ich hätte schreien können, aber ich konnt´s nicht. Mir schnürrte es die Kehle zu. Es tat so weh. Vor mehr als einem Jahr, bevor er nach Germanien gegangen war, hatte er mich zurückgewiesen. Damals hatte ich geglaubt, ich würde für ihn was empfinden. Jetzt wusste ich auch warum er mich nicht wollte. Das was er mir damals sagte, war alles nur Blödsinn. Dieses dämliche Patrizier- Sklavengelaber. Das war alles nur gelogen! Heuchler!
    Alles kam mir so verlogen vor. Alles was er jemals zu mir gesagt hatte, war so verlogen. Wenn ich in den letzten Tagen so was wie ein schlechtes Gewissen gehabt hatte, wusste ich jetzt, das es völlig unbegründet war. Er war nicht besser als ich. Nein das war er nicht!
    Jetzt lag ich bei ihm, in seinen Armen. Ihm gefiel das. Aber ich schrie einen stillen Schrei. Ich wehrte mich nicht. Ich war ein Stück Holz.

  • Ohja, ihm gefiel das. Er fühlte einen weichen, wohlgerundeten Frauenkörper in seinen Armen. Schmiegte sich schlaftrunken an diesen Körper, drückte ihn leicht und liebevoll an sich. Langsam wanderte seine Hand über die Rundungen, schob sich unter die Tunika, um die weiche Haut zu liebkosen...


    Irgendetwas stimmte nicht... Zu weich, zu gut gerundet war dieser Körper. Cadhlas Körper hatte aus gestählten Muskeln bestanden. Sie hatte an Weiblichkeit zwar auch nichts zu wünschen übrig gelassen, doch... Ursus öffnete seine Augen, nur langsam tröpfelte die Wirklichkeit in sein Bewußtsein. Es konnte ja gar nicht Cadhla sein. Was für ein intensiver Traum! Aber...


    Mit einem Ruck fuhr er auf. Blickte sich verwirrt um. Er war in Rom. Und Cadhla in Hispania. Er war in Rom. Zuhause. Und er erkannte, wer da neben ihm im Bett lag. "Caelyn?", fragte er und klang immer noch etwas benommen. "Was ... machst Du denn hier?" Er schüttelte den Kopf, um wieder klarer zu werden. "Ist... irgendwas passiert?" Er schüttelte nochmals den Kopf. Was hatte er geträumt? Es begann schon, sich zu verflüchtigen. Was war hier geschehen? Hatte er etwa im Schlaf gesprochen? Wie kam Caelyn überhaupt hierher? Seit Tagen hatte er sie nicht zu Gesicht bekommen und jetzt - war sie in seinem Bett? Sie wirkte so - fast unbeteiligt. Und irgendwie starr.

  • Ich hatte nicht bemerkt, wie Ursus aufwachte und seine Augen öffnete. Dafür war ich einfach noch zu schockiert. Ich lag einfach nur unbeweglich da.
    Aber irgendwann musste er´s ja merken, dass etwas nicht stimmte. Er fuhr verwirrt auf und sah mich. Das fragte ich mich auch! Was machte ich hier nur?
    Ich richtete mich mit meinen Armen auch auf. "Ja, ich bin´s. Nur Caelyn!" Meine Stimme klang enttäuscht und belegt. Und genauso ging´s mir auch. Ich war enttäuscht, wie ein Kind, dem man jahrelang Märchen erzählt hatte und das jetzt alt genug war, um herauszufinden, dass alles nur erfunden war.
    "Och, ich hab mich hier gerade zum Idioten gemacht. Sonst ist nichts weiter. Keine Angst, es ist nix passiert, vor dem du dich fürchten musst!" Meine Stimme klang noch ganz ruhig und belanglos. Ich stieg aus seinem Bett. Mir war schlecht. Ich musste hier raus. Sofort!

  • "... vor dem ich mich füchten muß?" Ursus fühlte sich, als hätte er zuviel getrunken. "Nur Caelyn?" Es war noch stockduster draußen, es mußte also noch mitten in der Nacht sein. Nur die kleine Öllampe, die Caelyn mitgebracht hatte, verströmte völlig unzureichendes Licht. Alles wirkte noch immer so unwirklich und es war irgendwie schwer, richtig zu denken.


    "Ich bin mir nicht ganz sicher, wer von uns beiden sich gerade zum Idioten gemacht hat. Ich träumte von..." Er blickte sie mit gerunzelter Stirn an. Sie war so... gleichgültig und kühl. Als hätte sie das, was sie die ganzen letzten Tage vollständig beherrscht hatte, einfach abgestellt: Ihre Gefühle. War das Caelyn? Schlief er vielleicht immer noch und hatte einfach einen echt bizarren Traum? Er kniff sich. Und verzog das Gesicht. Nein, er war wach. "Habe ich im Schlaf gesprochen?" Sie schien gehen zu wollen. Aber warum war sie denn überhaupt hergekommen?

  • Ich ignorierte alles, was er so daher stammelte. Für mich war nur noch eines wichtig: so schnell, wie möglich hier raus zu kommen! Aber seiner Frage konnte ich nicht einfach so widerstehen. Die passende Antwort lag auf meiner Zunge und sie wollte raus. Ich dreht mich nochmal zu ihm um. "Cadhla, du hast von Cadhla geträumt", sagte ich kühl. Dann drehte ich mich wieder um. Ich steuerte schon die Tür an. Diesmal ohne Lampe. In meiner ganzen Frustration hatte ich seine dreckigen Klamotten am Boden vergessen. Logisch, in den Momenten, in denen man es an wenigsten gebrauchen konnte, passierten immer die dümmsten Sachen. Ich stolperte wieder über die Kleider, die am Boden lagen. "Verdammt nochmal!" Diesmal konnte ich mich nicht fangen. Ich fiel hin und blieb liegen und fing an, wie ein Kind zu heulen, nachdem es gestürzt war. Mir war nicht viel passiert. Ich hatte mich nicht verletzt. Nur in mir drin tat alles weh.

  • "Ja, von Cadhla", murmelte Ursus und schaute sie an. Es schien so, als würde dieser Name sie hinaustreiben, als würde sie flüchten vor der Tatsache, daß er von Cadhla geträumt hatte. Nur warum, das verstand er nicht. Wenn sie in ihn verliebt wäre, könnte er es verstehen. Aber sie liebte doch ihren kleinen Soldaten, oder nicht? Verwirrt blickte er ihr nach, wie sie hinauslaufen wollte, sah sie stolpern, sah sie fallen. Und schluchzend liegenbleiben.


    Natürlich stand er auf. Natürlich kniete er sich neben sie auf den Boden. Natürlich faßte er sie bei den Schultern, um sie an sich zu ziehen und zu trösten. Sie schien unverletzt, aber sie weinte so entsetzlich. "Nicht... bitte nicht weinen. - Caelyn... bitte weine nicht so..." Er war zu müde, noch zu gefangen von dem Traum, noch zu verletzlich, um schon so reagieren zu können, wie er es eigentlich für richtig hielt. Sein Schutzschild aus Kühle und Pflichtbewußtsein war noch nicht hochgezogen. Und so war er diesen verzweifelten Tränen völlig schutzlos ausgeliefert. Er konnte nichts sagen, er konnte sie nur streicheln und festhalten. Und hoffen, daß sie irgendwann aufhörte zu weinen.

  • Mit der Faust hämmerte ich immer fort auf den Boden. Ich war völlig von der Rolle. Wie konnte ich nur so dämlich sein! Ich hatte mich komplett zum Affen gemacht. Was hatte ich denn nur getan?


    Dann spürte ich, wie ich an meinen Schultern gepackt und festgehalten wurde. Er streichelte mich und sagte, ich sollte doch nicht weinen.
    Um mich herum war es stockdunkel. Klar, ich wusste natürlich das er es war. Trotzdem packte mich die Panik. So wie damals, als sie mich beim klauen erwischt hatten. Ich schlug um mich in die hinein, darauf bedacht, irgendetwas zu treffen, was Widerstand bot. Ihn zu treffen. Und das gelang mir dann auch, mehrmals. Wie hart ich ihn getroffen hatte, konnte ich nicht sagen. Es war mir auch egal!"Lass mich! Rühr mich nicht an! Lass deine Finger von mir!" Mit meiner Ruhe war´s längst vorbei. Jetzt schrie ich und tobte ich. Ich versuchte mich von ihm zu befreien, um dann fort robben zu können.

  • Oh, sie hatte getroffen! Sogar ziemlich hart. Hart genug, daß Ursus ein Schmerzenslaut entfuhr, obwohl er nach seiner Zeit in Germanien wirklich nicht besonders empfindlich war. Natürlich ließ er sie los. Ohne auch nur im Geringsten zu zögern. Er schüttelte den Kopf, stand auf und setzte sich auf das Bett. "Caelyn!", sagte er in scharfem Ton. Inzwischen war er wach. Wirklich wach. "Du weckst das ganze Haus! Was ist denn nur los mit Dir? Nun sprich schon!" Was hatte sie denn? Erst legte sie sich zu ihm ins Bett - aus was für Gründen auch immer. Und dann heulte und schrie sie herum, als hätte er versucht, sie zu vergewaltigen oder zu mißhandeln.

  • Das ganze war so krank. Ich schrie wie verrückt, als würde man mir sonst was antun. Aber meine Schläge hatten ihren Zweck erfüllt. Ursus lies von mir ab. Aber das hielt mich nicht davon ab, weiter zu jammern und zu schreien. Eigentlich fand ich solche hysterischen Weiber, die ständig rumschrien, total blöd. Jetzt war ich selber zu einem geworden.
    Erst sein lautes Caelyn, rüttelte mich wach. Ich wurde still. Nur leise wimmerte ich noch. Egentlich wäre jetzt die passende Gelegenheit gewesen, um abzuhauen. Aber ich tat´s nicht! Ich blieb hier, auf dem Boden sitzen und schluchzte vor mich hin.
    "Ich wollte nur mit dir reden. Aber du hast geschlafen. Dann hast du mich zu dir gezogen, als du von ihr geträumt hast. Es tut mir sehr leid, das ich es nur bin und nicht sie! Ich geh jetzt besser. Das hat sich ja jetzt sowieso alles erledigt, denke ich mal!" Ich versuchte mich aufzurichten. Meine Augen hatten sich jetzt an die Dunkelheit gewöhnt.

  • Ursus schüttelte den Kopf. Traurig, nicht verurteilend. "Caelyn... Nein, bleib bitte. Ich finde auch, wir sollten reden. Jetzt erst recht." Er stand vom Bett wieder auf und setzte sich auf den Fußboden. Nahe bei ihr. Doch er berührte sie nicht. "Hast Du denn Kontrolle über Deine Träume? Ist darin nicht möglich, was sonst verboten und falsch ist?" Er atmete tief durch. "Ich bin... eigentlich froh, daß Du es bist und nicht sie. Es darf nicht sein." Nein, es durfte nicht sein. Es war gut, daß sie getrennt waren. Die Sehnsucht wäre noch schlimmer, wenn sie sich täglich sehen würden. So konnte jeder sich auf sein Leben konzentrieren und die Gefühle beiseite schieben.


    Er blickte sie an, soweit das in diesem völlig unzureichenden Licht überhaupt möglich war. "Willst Du mir nicht sagen, was Du mit mir bereden wolltest?" Immerhin war sie von selbst gekommen. Das war mehr, als er zu hoffen gewagt hatte. Vielleicht war sie ja ein wenig zur Vernunft gekommen. Und er hatte dies jetzt mit seinen Träumen zerstört. Es war zum auswachsen.

  • Endlich war ich wieder zu mir gekommen. Ich hatte mich schon fast aufgerichtet, als er sich zu mir setzte. Ich zögerte erst noch, weil ich mir nicht sicher war, ob´s nicht besser war, doch abzuhauen. Aber ich ließ mich mal wieder von ihm erweichen. Irgendwann würde das mal mein Verhängnis sein!
    "Na gut, ich bleibe!" Ich setzte mich wieder, allerdings mit einem ordentlichen Abstand zu ihm.
    "Ich wollte mit dir sprechen, damit du endlich kapierst, was überhaupt passiert ist. So wenig Kontrolle du über deine Träume hast, so wenig hatte ich Kontrolle über meine Gefühle. Ich wollte das doch gar nicht. Aber dann ist´s einfach passiert. Ich hab für ihn was empfunden, auch wenn ich´s nicht wollte. Das war das erste Mal, dass ich so gefühlt hab. Nein, das ist gelogen. Das war nicht das erste Mal." Die ganze Zeit hatte ich ihn angesehen. Aber dann konnte ich nicht mehr. Ich musste wegsehen. Er sollte mich so nicht sehen.

  • So war es schon besser. Kein Schreien, kein Weinen, kein Auf-dem-Boden-Herumhämmern mehr. Mit etwas Glück hatten die anderen nichts gehört, das Haus war ja zum Glück sehr solide gebaut. Und sie war nicht einfach weg gelaufen. Das war auch schon viel wert. Es zeigte deutlich, daß sie schon eine ganze Menge gelernt hatte.


    Dann begann sie zu sprechen. Und mittendrin entfuhr ihm leise: "Ach Caelyn. Ich verbiete Dir doch gar nicht Deine Gefühle, sondern..." Doch dann sagte sie etwas, was ihn stocken ließ. Was wollte sie damit sagen, daß sie sich nicht zum ersten Mal verliebt hatte? Sie wich seinem Blick aus. Kein gutes Zeichen. Gar kein gutes Zeichen.


    Komplizierter ging es wirklich nicht. Daß sie völlig durcheinander war, jetzt erst recht, nachdem sie von Cadhla wußte, war wirklich kein Wunder. Doch Ursus fühlte sich mit der Aufgabe, eine Lösung zu finden, hoffnungslos überfordert. "Ich verstehe das, Caelyn. Sehr gut sogar." War er nicht im Grunde in genau der gleichen Situation? Er liebte ebenfalls jemanden, den er nicht lieben durfte. "Es ist ein großes Unglück, jemanden zu lieben, der unerreichbar ist. Ein Unglück eben, wie es einen im Laufe des Lebens immer mal wieder trifft. Entweder wir zerbrechen daran - oder wir machen weiter. Mit einer weiteren Narbe im Herzen." Er seufzte und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare.


    "Und wie stellst Du Dir das Weitere vor? Was meinst Du, wäre das richtige zu tun? Was möchtest Du tun?" Ursus blickte sie fragend an. Die tagelangen stupiden Näharbeiten hatten ihr reichlich Zeit zum Nachdenken gegeben.

  • Seit vor vielen Jahren meine Mutter gestorben war und meine feine Verwandschaft meinen Bruder und mich auf die Straße gesetzt hatte, hatte ich es aufgegeben, mich Illusionen hinzugeben. Ich hatte gelernt was es heißt, jeden Tag ums nackte überleben zu kämpfen und niemandem zu trauen. Das brachte mir Auf Dauer nur sehr wenige Freundschaften ein. Aber ein gebranntes Kind meidet das Feuer. Ich wusste, ich lebte in keiner rosaroten Traumwelt, wo ich nur warten musste, bis mein Prinz auf seinem weißen Ross angeritten kam, um mich zu holen. Das war was für stinkreiche, verzogene Gören, die keine Ahnung vom Leben hatten. Warum fragte er mich also, wie´s weitergehen sollte. Das hatte ich doch eh nicht in der Hand.
    "Wir wissen doch beide, dass er mich schon längst vergessen hat, dass ich nur ´ne willkommene Abwechslung im eintönigen Soldatenalltag war und dass er niemals hier auftauchen würde, wenn er tatsächlich mal nach Rom kommt. Diesen Brief zu schreiben war Blödsinn. Ich wollte einfach einen Moment glauben, dass es vielleicht doch möglich ist." Also was sollte da noch weiter gehen? Dort wo nichts war, konnte auch nichts weiter gehen.

  • "Vergessen? Tust Du ihm damit nicht ein wenig unrecht? Vermutlich leidet er genauso, wie Du leidest. Das kann euch auch niemand abnehmen. Oder erleichtern. Aber es wird... weniger werden. Es... ist mit der Zeit... erträglich." Ursus sprach aus Erfahrung. Es hatte weh getan, sie gehen lassen zu müssen. Und selbst zu gehen. Und er mußte den Gedanken mit Gewalt beiseite schieben, daß sie tagtäglich ihr Leben aufs Spiel setzte. Würde er sich dieser Sorge hingeben, könnte er keinen klaren Gedanken mehr fassen. Nein, er durfte nicht daran denken. Meistens gelang ihm das sehr gut. Nur in Momenten wie diesem war der Schmerz, war die Sorge wieder unvermindert da.


    "Caelyn... Es tut mir leid, daß ich so hart zu Dir war. Vielleicht war ich es, um meinen eigenen Schmerz weiterzugeben. Das war nicht recht. Im Grunde möchte ich nicht, daß Dir Leid geschieht." Wäre die Situation nicht wie sie gerade war, hätte er sich niemals bei ihr entschuldigt. Ein Patrizier, der sich bei einer Sklavin entschuldigte! Aber hier, wie sie so beide am Boden saßen, schienen die Unterschiede nicht mehr so gravierend. Morgen würde sie wieder eine ungehobelte Kratzbürste sein. Und er der unnahbare kühle Patrizier. Doch jetzt und hier im Schein der Öllampe waren sie einfach Caelyn und Ursus.

  • Es war schon weniger geworden. Die ganze letzte Woche, die ich in diesem dämlichen Nähzimmer zugebracht hatte, mir die Finger zerstochen hatte und ich Ursus die Pest an den Hals gewünscht hatte, beschäftigte mich nur dieser eine Gedanke. Dass er mich nicht vergessen hatte, war mein Wunschdenken. Daran klammerte ich mich mich. Aber sowas, wie den Märchenprinzen gab´s für mich nicht. Den würde es auch nie geben. Wenn man ganz unten saß, war es fast unmöglich, irgendwie höher zu kommen.
    Die Zeit heilt alle Wunden! Diesen blöden Spruch fand ich zwar echt zum kotzen, denn selbst nach über zehn Jahren, seitdem meine Mutter nun schon Tod war, waren meine Wunden nicht geheilt. Jeden Tag erinnerten sie mich daran, was geschehen war und welche Ungerechtigkeit meinem Bruder und mir zuteil geworden war.


    "Du hast sie geliebt und liebst sie noch immer,stimmt´s! Es ist nicht wichtig wer man ist und was man ist. Viel wichtiger ist, was man kann. Wenn du fähig bist jemanden zu lieben, dann ist das wunderschön. Wenn du einen anderen Menschen in dein Herz lässt, dann beweißt du wahre Größe. Jemanden hassen kann man schnell, aber jemanden lieben. Und Liebe ist etwas schönes, auch wenn sie im Geheimen bleiben muss!"


    Ich rutschte etwas näher an ihn heran. Er hatte sich tatsächlich bei mir entschuldigt! ER bei mir! Da musste ich echt mit den Tränen kämpfen. Das hatte ich nicht erwartet. Eher würde es schneien, im August!
    Ich kam noch näher und ich umarmte ihn. "Danke! Danke, dass du das sagst. Es tut mir auch leid, wie ich mich benommen hab."

  • "Ja, ich liebe sie immer noch. Und werde sie wohl immer lieben." Er sprach nur sehr leise, denn er empfand es schon als Frevel, es überhaupt auszusprechen. "Nein, es ist nichts schönes, wenn man dieser Liebe nicht nachgeben darf. Eines gar nicht mehr so fernen Tages werde ich heiraten. Was meinst Du, was dies für meine zukünftige Ehe bedeutet?" Er seufzte. - Und erschrak fast, als sie ihn plötzlich umarmte. Nachdem sie so von ihm abgerückt war, hatte er so etwas natürlich ganz und gar nicht vermutet. Doch er erwiderte die Umarmung. Wie zerbrechlich sie sich anfühlte...


    "Entschuldigung angenommen", lächelte er schließlich und zeigte deutlich seine Erleichterung. "Und natürlich mußt Du nicht mehr nähen." Das war ja eh nur Beschäftigungstherapie gewesen bis sie wieder zur Vernunft kam. "Ich habe Dich in den letzten Tagen vermißt, weißt Du? Und nicht nur, weil manche Dinge nicht ganz so erledigt wurden, wie ich es gewöhnt bin und mag." Ganz leicht streichelte er über ihr Haar.

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