• Zitat

    Original von Siv
    "Halt! Warte!" Dass sie möglicherweise gerade durch dieses Verhalten, das Rennen und Rufen, einen schlechten Eindruck hinterlassen könnte, daran dachte Siv ebenfalls nicht – genauso wenig wie daran, dass die Claudia und erst recht ihr Leibwächter vielleicht auch etwas ganz anderes vermuten könnten, wenn sie die Germanin sie verfolgen sahen. Siv beschleunigte noch einmal, flitzte um die Ecke, die die Claudia und ihr Begleiter zuvor genommen hatten, und wäre beinahe gestürzt. Sie stolperte ein paar Schritte, fing sich im letzten Moment und nahm dann wieder an Geschwindigkeit auf. Die Claudia war ihr immer noch ein gutes Stück voraus, aber immerhin war sie nun in Sichtweite, bis sie um eine weitere Ecke bog. Und Siv bemerkte, in welche Richtung die Römerin ihre Schritte lenkte. Noch einmal legte sie an Tempo zu – wenn Epicharis erst einmal die Märkte erreicht hatte, würde Siv sie mit Sicherheit verlieren, also näherte sie sich der Claudia in fast schon furchteinflößender Geschwindigkeit. Eine Vollbremsung würde ihr mit Sicherheit nicht gut bekommen, aber auch das interessierte sie im Moment wenig. "Warte! Du, Claudia, du, warte, ich hab was!"


    Der Leibwächter hatte sich bei dem ersten Ruf schon umgedreht und die blonde Sklavin abfällig gemustert. Epicharis war mit den Gedanken ganz wo anders und bezog die Rufe nicht einmal auf sich. Beim zweiten Mal jedoch, als Siv den Namen Claudia benutzte, blieb sie stehen und wandte sich mit suchendem Blick um. Ihr Leibwächter tat es ihr gleich, nur sah er äußerst finster aus und verschränkte die Arme vor der Brust. Er machte zwei Schritte in Sivs Richtung und stellte sich so hin, dass Siv gegen ihn prallen würde, wenn sie nicht sofort den Bremsvorgang einleitete...
    "Vorsicht!" rief Epicharis erschrocken, als sie die Sklavin erkannte, an der sie eben noch vorbeigelaufen waren. Der Leibwächter streckte die Hand nach vorn, Siv kam näher und...?

  • …und Siv knallte mit voller Wucht gegen die Hand. Natürlich hatte sie den Bremsvorgang nicht rechtzeitig eingeleitet, war ihr die finstere Miene des Leibwächters doch nicht aufgefallen, und hatte sie auch seine entschlossene Haltung nicht wahrgenommen. Und selbst wenn er sich nicht so aufgebaut hätte, wäre die Sache kaum gut gegangen – Siv war gerannt, was ihre Beine hergegeben hatten, und den Teil ihrer Aufmerksamkeit, der nicht auf den Weg gerichtet gewesen war, hatte sie auf die Claudia fixiert. Ihr sollte sie die Nachricht ja auch überbringen. Bremsen war nichts, was zu diesem Zeitpunkt Platz gefunden hatte in ihren ohnehin eher flüchtigen Überlegungen – äußerst flüchtigen Überlegungen. So flüchtig wie Gedanken in einem Kopf nun einmal waren, wenn der dazugehörige Körper sich mit rasanter Geschwindigkeit fortbewegte.


    Während ihr Oberkörper schon radikal gestoppt wurde durch die Hand in ihrem Gesicht, bewegten sich die Füße der Germanin noch ein Stück vorwärts, bevor sie gegen die Beine des Leibwächters prallten. Ihre Arme hoben sich leicht an, und ihr blieb die Luft weg, als irgendetwas bedenklich zu knirschen schien, dann verlor Siv das Gleichgewicht und sackte zu Boden. Einen Augenblick blieb sie liegen, unfähig sich zu rühren, spürte, wie etwas Warmes aus ihrer Nase rann, an den Lippen entlang und weiter hinunter. Als sie den Mund leicht öffnete, schmeckte sie den metallischen Geschmack von Blut. Im nächsten Moment kam der Schmerz, gefolgt von einem Schwall der unflätigsten Flüche, die sie in ihrer Muttersprache auf Lager hatte.

  • Etwas knirschte ganz schrecklich, und Epicharis schlug sich hastig beide Hände vor den Mund. Der Leibwächter schüttelte nur kurz seine Hand aus und baute sich dann direkt wieder neben Epicharis auf, verschränkte die Arme und sah ohne den Kopf zu neigen auf Siv hinab, die inzwischen am Boden lag und ziemlichs Nasenbluten hatte. Epicharis sah den Sklaven an, dann Siv, und schließlich stieß sie den Hünen neben sich zur Seite. "Bona Dea, nun hilf ihr doch, du..." Das Unflätiger Torfkopf konnte sie gerade noch rechtzeitig unterdrücken. Das schickte sich nicht, schon gar nicht für eine Patrizierin und erst recht nicht in der Öffentlichkeit. Die blonde Sklavin wirkte, als hätte sie soeben ein Hammerschlag getroffen. Epicharis machte ein bekümmertes Gesicht, während sich der Muskelprotz nun äußerst galant darum bemühte, Siv wieder auf die Beine zu bekommen, ohne sie unsittlich zu berühren. Das war gar nicht so einfach bei einer zotig schimpfenden Germanin, doch letztendlich stand Siv wieder, und Epicharis reichte ihr ein spitzenverziertes Taschentuch, damit sie ihr Nasenbluten unter Kontrolle bringen konnte.


    "Das tut mir wirklich leid", sagte Epicharis in Annahme der Tatsache, dass der Leibwächter schuld gewesen war. Sie war wirklich untröstlich, was man durchaus an ihren zusammengezogenen Brauen erkennen konnte. "Dir fehlt doch sonst nichts?" fragte sie.

  • War Siv gerade noch gerannt, was ihre Beine hergaben, schimpfte sie nun fast mehr als Lunge und Stimmbänder leisten konnten. Sie presste ihre Hände vors Gesicht, und wäre sie nicht so beschäftigt mit Fluchen gewesen und damit, den Blutstrom zu stoppen, hätte sie dem Leibwächter der Claudia mit Sicherheit noch mehr Schwierigkeiten dabei bereitet, ihr aufzuhelfen. So aber zuckte sie nur ein paar Mal unwillig mit den Armen und versuchte mit dem Ellenbogen nach ihm zu stoßen, was allerdings nicht einmal im Ansatz gelang, hielt sie sich doch mit den Händen ihre Nase und weigerte sich, loszulassen, so als ob sie die Befürchtung hegte, sie könnte sonst abfallen. Erst als die Römerin ihr ein zartes Taschentuch reichte, löste sie eine Hand und nahm es. "Bange", nuschelte sie, ihre Aussprache nun noch mehr gehandikapt. Sie hielt den verzierten Stoff unter die Nase und tastete mit der anderen Hand vorsichtig darüber. "Ooouh", stöhnte sie. Gebrochen. Gebrochen? Nein, bitte nicht… Sie tastete noch einmal, und obwohl es weh tat, bildete sie sich wenigstens ein, dass sie nicht gebrochen war. Sie schien jedenfalls nicht schief zu stehen. Vielleicht war sie nur angeknackst. Siv hätte am liebsten noch mal gestöhnt. Da hatte sie Brix überredet ihr diesen Auftrag anzuvertrauen, und ihm hoch und heilig versprechen müssen, dass sie diesmal nichts, aber auch GAR nichts anstellen würde, und nun würde sie nach Hause kommen und so aussehen, als hätte sie sich mit jemandem geprügelt. Großartig.


    Als die Claudia sie ansprach, sah Siv zu ihr und versuchte mühsam, zu lächeln, was hoffentlich zur Geltung kam, obwohl es halb von dem Taschentuch verdeckt war. Die Römerin wirkte so, als ob ihr das aufrichtig leid tat, und für Siv war das Balsam, obwohl es ja nicht ihre Schuld war – und noch nicht einmal wirklich die ihres Leibwächters. Jedenfalls nicht zur Gänze. "Nain. Sonsd isd in Odnung. Ich bin. Du bisd Ebi… Glaudia Ebichais?"

  • Die kleine Sklavin musste schreckliche Schmerzen haben, zumindest sah es so aus, das dunkelrote Blut. Epicharis mochte gar nicht richtig hinsehen. Mit einem gewissen Ausdruck von Ekel sah sie der Sklavin dabe zu, wie sie ihre Nase ertastete und dabei das Blut noch weiter verschmierte. Im Nu war ihr Taschentuch rotgefleckt, aber die Blutung schien allmählich aufzuhören. Der klobige Kerl stand derweil wieder unbeweglich griesgrämig an Epicharis' Seite und sah auf Siv herunter, die nun du sie stand immer noch kleiner war als er.


    Epicharis musste beinahe kichern, als Siv sie so ansprach. Aber die Ärmste konnte ja nichts dafür. "Ja, die bin ich. Wolltest du etwa zu mir, da eben an der Tür?" fragte sie. Warum hatte die Sklavin denn nicht gleich etwas gesagt? Der Leibwächter verdrehte kurz die Augen und stand dann wieder still. "Und wer bist du?

  • Siv hatte Schmerzen, und sie hatte das Gefühl, mit jedem Moment der verging, pochte ihre Nase mehr. Gleichzeitig wurde der Bereich um ihre Nase herum aber seltsam taub. Siv tastete noch etwas herum, bevor sie ihr Gesicht endlich in Ruhe ließ. Sie wollte gar nicht wissen, wie sie gerade aussah. Sie kurz auf das Taschentuch hinab und suchte nach einem Zipfel, der noch nicht blutbefleckt war, dann wischte sie sich damit vorsichtig über den Bereich unterhalb ihrer Nase, in der Hoffnung, ihren Anblick wenigstens etwas zu verbessern – ob ihr das gelang, wusste sie allerdings nicht.


    Sie sah kurz zu dem Leibwächter hoch und schnitt ihm eine Grimasse, als sie seinen griesgrämigen Gesichtsausdruck sah, dann wandte sie ihren Blick wieder der Claudia zu. "Ja, ich wollde su dia. Aba ich… nichd dewussd, wea du bisd." Die Germanin schniefte – das hieß, sie versuchte es, aber ihre Nase war komplett dicht, und sie verzog erneut das Gesicht, diesmal vor Schmerz. Aber immerhin konnte sie jetzt ihr sorgfältig geübtes Sprüchlein noch mal anbringen, diesmal bei der richtigen Person. "Ich bin Siv. Ich… Auelius Govinus schiggt mich. Mid Nachichd, füa dich."

  • Epicharis konnte nicht verhindern, dass sie eine Grimasse des Ekels schnitt, als Siv versuchte, sich die Nase zu schneuzen. Es hörte sich gar grausig an. Automatisch zogen sich ihre Brauen dann mitfühlend zusammen, als es der Germanin nicht gelang. "Mach nur langsam", sagte sie zu ihr und nickte ihr aufmunternd zu. "Corvinus? Von den Aurelierin? Oh. Was sollst du mir denn ausrichten?" fragte sie und schüttelte im nächsten Moment auch schon wieder den Kopf. "Ach, komm, wir setzen uns. Dort drüben steht eine Bank. Dann lässt es sich besser reden", fügte sie hinzu und deutete auf die andere Straßenseite ein paar Schritt weiter geradeaus. Epicharis steuerte diese Bank auch gleich an, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass der Leibwächter an ihrer Seite sich um Siv kümmern würde, wenn sie doch nicht so in Ordnung war, wie sie ihr hatte Glauben machen wollen.


    Bei der Bank angekommen, ließ sich Epicharis grazil nieder und strich in einer beiläufigen Bewegung ihre Tunika glatte. "Es geht um die Hochzeit, nicht?" fragte sie nun nach und blinzelte Siv von der Seite her an.

  • "Jaaah…" Am liebsten hätte Siv noch viel mehr gejammert, aber sie riss sich zusammen, und so kam nur eine etwas langgezogene Bestätigung auf die Fragen der Claudia aus ihrem Mund. Sie wollte gerade dazu ansetzen, die Botschaft auszurichten, als Epicharis auf eine Bank deutete. Der Leibwächter fing sich eine flink ausgestreckte Zunge ein, als die Römerin sich umgewandt hatte, dann folgte die Germanin ihr brav, nicht ohne einen gewissen Sicherheitsabstand zu dem Mann zu halten. Siv wusste, wann sie aufpassen musste – aber die Zunge hätte sie dem Leibwächter so oder so noch rausgestreckt. Es ging lediglich darum, dass die Römerin es nicht sah, nicht dass sie Corvinus davon erzählte, wie ungezogen Siv sich verhielt.


    Bei der Bank hielt sie einen Augenblick inne und bewunderte die Eleganz, mit der Epicharis sich niederließ, dann setzte sie sich ebenfalls hin, etwas zögerlich. Ihre Hand zuckte schon wieder zur Nase, gehörte Siv doch zu jenen Menschen mit der schrecklichen Angewohnheit, ständig an etwaigen Verletzungen herumzufingern – Schorf, auf ihrer Haut gebildet, hatte nur eine geringe Lebenserwartung, Wunden dagegen eine umso höhere, verheilten sie doch schlechter, wenn sie ständig befingert und aufgekratzt wurden. Auch auf blauen Flecken tastete Siv öfters herum. Es war unklar, woher dieser Trieb stammte – ob es einfach nur eine schlechte Angewohnheit war oder möglicherweise aus einem tiefergehenden, beinahe wissenschaftlichen Interesse heraus geschah, die eigenen Grenzen zu testen und herauszufinden, was passieren würde wenn man diese winzige bisschen Schorf nun auch noch löste… Den Göttern sei Dank tat Siv sich selten etwas. "Ja, meggen dea Hohseid." Täuschte sie sich, oder klang sie noch schlimmer als zuvor? Schwoll ihre Nase etwa an? Jetzt konnte sie sich nicht mehr beherrschen und tastete doch wieder darüber, und sie knirschte kurz mit den Zähnen, als sie tatsächlich eine gewisse Schwellung spürte. Ein leises Seufzen hob ihre Brust, dann fuhr sie fort. "Ih soll sagn, er gommt. Su Hohseid von dia. Und dange, füa die Einladungg."

  • Frelich hatte Epicharis nichts von der flinken Zunge der Sklavin mitbekommen, wohl aber der Leibwächter. Er blickte grollend in ihre Richtung, überlegte es sich dann aber anders und tat so, als sei ein solches Verhalten definitiv unter seinem Niveau, in welcher Höhe auch immer sich das befinden sein mochte. Insgeheim wünschte er sich aber hämisch, dass die Sklavin noch lange Freude an ihrer lädierten Nase haben würde.


    Epicharis verzog ein wenig das Gesicht, Mitleid war genauso wie leichter Ekel herauszulesen, als Sivs Hand wieder zu ihrer Nase tastete und daran herumdrückte. Der Ausdruck wandelte sich in ein amüsiertes Schmunzeln wegen des schlechten Lateins der Sklavin, das sie kindlich klingen ließ, vermutlich ohne dass sie es beabsichtigte. "Ach, das ist schön, ich freue mich, kannst du ihm sagen." Sie winkte dem Leibwächter ein wenig ungeduldig, und der löste einen Beutel von seinem Gürtel. Es war natürlich leichter, eine wehrlose Frau zu überfallen, als einen schrankähnlichen Muskelprotz. Epicharis öffnete die Bänder und holte eine Sesterze heraus, dann reichte sie den Beutel ihrem Custos corporis, der ihn zuknüpfte und wieder befestigte. Die Münze hielt sie Siv hin. "Danke für die Nachricht", sprach sie und lächelte.

  • Dass die Claudia die herausgestreckte Zunge nicht bemerkte, registrierte Siv zufrieden, und mit Genugtuung bemerkte sie den Groll im Blick des Leibwächters. Dass er anschließend dann aber eine unbeteiligte Miene machte, war nicht Teil ihres Plans gewesen. Sie warf ihm stirnrunzelnd einen finsteren Blick zu und zuckte gleich darauf zusammen, als die Bewegung der Haut über ihren Augenbrauen auch ihre Nase bewegte und einen scharfen Schmerz hindurch zucken ließ. Der Leibwächter bekam einen weiteren Blick, der noch finsterer war, wenn das möglich war. Er schlug ihre Nase zu Brei und reagierte noch nicht einmal, wenn sie sich – wenn auch zugegebenermaßen recht simpel – revanchierte? Das Leben war ungerecht.


    Epicharis hingegen war ein ganz anderes Kaliber als ihr mürrischer Leibwächter. Siv entging nicht, dass die Claudia zeitweise Mühe hatte, so etwas wie Ekel zu unterdrücken, aber das fand sie durchaus verständlich – sie wollte gar nicht wissen, wie ihr Gesicht inzwischen aussah. Aber sie auch Mitleid, und vor allem sah sie deren Lächeln. Vorsichtig erwiderte sie es, nicht ahnend, dass es seinen Ursprung in ihrem mangelnden Latein hatte. Die Römerin schien sich tatsächlich zu freuen, dass Corvinus zu der Hochzeit kommen würde, als sie jedoch den Leibwächter zu sich winkte, schaute Siv für einen Moment etwas misstrauisch nach oben. Im nächsten Augenblick hoben sich ihre Brauen überrascht, als Epicharis ihr eine Münze reichte. "Füa mih? Dangge." Erneut erwiderte sie das Lächeln der Römerin. Der leise Verdacht drängte sich ihr auf, dass sie gar nicht anders konnte, als dieses Lächeln zu erwidern, selbst wenn sie gewollt hätte, so offen wirkte es. "Gann ih… noh sagn, edwas? Füa Aueliea?"

  • Das hämische Grinsen des klobigen Kerls wurde breiter, als er Sivs Schmerzen bemerkte. Nach wie vor sagte er nichts und machte auch keine Anstalten, sonstwie auf ihr Gebaren einzugehen. Er hatte schließlich eben erst herausgefunden, dass er die kleine Germanin damit am besten zur Weißglut bringen konnte. Fein kräuselten sich seine Lippen, während er sonst nach wie vor da stand, als sei er zur Salzsäule erstarrt.


    Wenn Epicharis ein zweites Taschentuch gehabt hätte, so hätte sie es Siv inzwischen längst gereicht. Doch das war nicht der Fall, also musste sich die Claudia darauf beschränken, ein wenig zerkirscht dreinzuschauen und den Ekel so gut als möglich zu unterdrücken, was bisweilen gar nicht so leicht war. "Hm?" machte Epicharis, die den Sinn der schwerverständlichen Worte der Sklavin zunächst nicht deuten konnte. Nach kurzem Nachdenken aber erschloss sich ihr die Bedeutung, und sie nickte verstehend. "Oh. Hm, nein. Ich sehe ihn ja auch morgen, weißt du? Er ist mein Vorgesetzter, ich bin Lectrix bei der Acta." Diese Information mochte Siv vielleicht überlegen lassen, warum ihr Herr sie dann überhaupt geschickt hatte, wenn er Epicharis doch am nächsten Tag selbst sah. Aber das war etwas, um dass sich die Claudia zumindest keine Gedanken machen musste, und so zuckte sie nur mit den Schultern. "Du bist keine Botin, oder?" fragte sie Siv dann. Anhand ihres schlechten Lateins konnte man schon davon ausgehen, dass dem so war. Niemand von Stand hatte einen Boten, der die Nachrichten verkauderwelschte. Und der Auctor der Acta sicher erst recht nicht.

  • Hätte Epicharis nicht neben ihr gesessen, Siv hatte an dieser Stelle das Knurren angefangen, als sie das Grinsen des Leibwächters sah. Oh ja, es war schon ein Talent, sich auf Anhieb Feinde machen zu können. Vor allem wenn es Feinde waren, die genau wussten, wie sie zu reagieren hatten, die sich nicht ärgern ließen… Siv fühlte sich unangenehm an vornehmlich zwei ihrer älteren Brüder erinnert. Gut, keiner von ihnen hatte ihr jemals eine blutige Nase verpasst, aber sie hatten sich von ihr auch nicht ärgern lassen, ganz im Gegenteil. Am liebsten wäre sie nun aufgesprungen und hätte dem Leibwächter die Leviten gelesen, was sicherlich lustig ausgesehen hätte, war der Kerl doch zwei Köpfe größer als sie und gut doppelt so breit. Allerdings wusste Siv, dass sie quasi auf Bewährung war. Und so war es nicht nur die Anwesenheit der Römerin, die dazu führte, dass die Germanin sich zusammenriss.


    "Oh", machte sie dann erstaunt. Dass die Claudia Corvinus am nächsten Tag bereits wieder sehen würde, war ihr nicht bewusst gewesen. Warum hatte Brix ihr dann überhaupt mitgeteilt, dass Corvinus eine Nachricht für die Claudia hatte, die überbracht werden musste? Weil es sich gehörte? Oder hatte Brix das mit Absicht gemacht, hatte ihr das gesagt, weil er wusste, dass sie ihn bitten würde sie damit zu betrauen, hatte es ihr gesagt, eben weil er ihr Chancen geben wollte, sich zu beweisen? Sie traute es dem Germanen zumindest zu, und im ersten Moment wollte sie sich darüber aufregen, weil es sich so anfühlte, als ob er mit ihr spielte – und das auch noch erfolgreich, immerhin war sie ja darauf reingefallen. Aber gleichzeitig wurde ihr auch bewusst, dass er ihr im Grunde einen Gefallen damit tat. Falls es sich wirklich so verhielt, wie sie vermutete. "Nein", antwortete sie dann auf Epicharis’ Frage. Sie war keine Botin, offensichtlich nicht – wenn sie überhaupt geschickt wurde, dann um Briefe zu überbringen, nicht für mündliche Botschaften. Aber wenn das ganze ohnehin Brix’ Plan gewesen war, dann war es kein Wunder, dass er sich so leicht hatte überreden lassen… "Ih binn geine Bodin. Ih habe gebedn, dass ih gann gehn. Weil, weggn Fehla, von mia. Will… seigen, ih bin gudd. Füa Veadauen." Sogar sie hörte, dass das letzte Wort anders klang als es sollte. "Also, Veadauen. Nihd veadauen. Ih mein…" Etwas hilflos, gleichzeitig aber grinsend zuckte sie die Achseln und hoffte, die Claudia verstand trotzdem – und hatte darüber hinaus Humor.

  • Was hinter der Stirn der Sklavin vorgehen musste, ahnte Epicharis nicht. Wie auch? Sie kannte weder Siv, noch kannte sie Aurelius Corvinus privat gut genug, um etwas von dem zu ahnen, was Siv dachte. Während Siv sich erklärte, stand der Leibwächter einfach nur da. Epicharis hatte ihn mitnehmen und auf Nordwin verzichten müssen, der Germane war krank und hütete das Bett. Wäre er dabei gewesen, wäre die Situation vermutlich nicht so eskaliert. Als Siv nun also sprach, nahm Epicharis ein wenig den Kopf zurück, um nicht Gefahr zu laufen, einen Blutstropfen abzubekommen. Das latein war ganz arg, und die Claudia runzelte unweigerlich die Stirn in der Anstregung, die rechten Worte und Silben herauszufiltern. In gewisser Weise erinnerte sie Sivs Aussprache an Gracchus. Dass Siv keine Botin war, hatte sie sich also richtig gedacht. Und man hatte sie scheinbar geschickt, damit sie sich beweisen konnte. Seltsame Sitten schienen das zu sein in der Villa Aurelia. sah ein wenig ratlos drein und fragte sich, was das wohl für ein Fehler gewesen sein musste. Allerdings war es nicht unbedingt angemessen, einen fremden Sklaven über seine Fehler auszufragen um zu ergründen, warum er auf die eine wie die andere Art bestraft wurde. Epicharis schlussfolgerte, dass Siv vermutlich eine Nachricht nicht sinngemäß überbracht oder sogar fortgelaufen war. Warum sonst sollte man sie schicken, damit sie beweisen konnte, was in ihr steckte und dass sie das Vertrauen wert war, das man in sie setzte? "Ich verstehe", sagte sie daher nur. "Ist Aurelius Corvinus dein Herr? Falls er es erlaubt, darfst du gerne mitkommen zur Hochzeit. Du kennst ja sicher den ein oder anderen flavischen Sklaven, Corvinus ist soweit ich weiß ja befreundet mit Aquilius."

  • Siv grübelte einige weitere Augenblicke darüber nach, ob Brix sich tatsächlich die Freiheit genommen hatte, ihr von einer Botschaft zu erzählen, die gar nicht überbracht werden musste – nur damit sie Gelegenheit bekam sich zu beweisen. Wenn es so war, dann war der Germane im Grunde ein noch größeres Risiko eingegangen als sowieso schon, indem er dafür gesorgt hatte, dass sie zu der Claudia geschickt wurde. Wenn sie es vermasselte… aber das würde sie nicht. Von einem Augenblick auf den anderen gönnte sie nicht einmal ihrem neuerkorenen Lieblingsfeind, dem Leibwächter, noch einen Blick. Oh nein. Darauf würde sie sich nicht einlassen, sie würde sich nicht auf einen Streit mit dem Kerl einlassen, nicht einmal einen wortlosen, mit Blicken ausgetragenen, und sich am Ende doch noch zu irgendetwas unsäglich Dummem hinreißen lassen, nur weil der Leibwächter sie dazu provozierte. Sie linste zu ihm herüber, aber er schien das entweder nicht zu bemerken oder er reagierte nicht darauf. Siv war sich recht sicher, dass er einfach nicht reagierte – um sie zu provozieren. Aber so weit würde sie es nicht kommen lassen, also konzentrierte sie sich, nach einem weiteren Seitenblick – der sie davon überzeugte, dass der Leibwächter das mit Absicht tat – wieder auf Epicharis, die sie in diesem Moment mehr oder weniger auf ihre Hochzeit einlud. Das ließ Siv sämtliche Gedanken über den claudischen Leibwächter vergessen. Verblüfft sah sie Epicharis an, bevor sich ein leichtes Lächeln auf ihre Züge legte. In diesem Moment dachte sie gar nicht daran, dass es im Moment eher unwahrscheinlich war, dass Corvinus ausgerechnet sie mitnehmen würde. Noch hatte sich zwischen ihnen nichts geändert, und sie ahnte nicht, was sich in den nächsten Tagen in der Villa Aurelia abspielen würde. Aber in diesem Moment freute Siv sich nur darüber, dass die Römerin sie eingeladen hatte. "Ja, er isd mein Hea. Und ih genne auch Minna unnd Fiona." Die beiden claudischen Sklavinnen waren ihr noch gut in Erinnerung, noch besser von ihrem Julfest als von der Saturnalienfeier bei den Flaviern. "Vieln Dangg."

  • "Oh bitte, doch nicht dafür", sagte Epicharis und winkte ab. "Dass du Minna und Fiona kennst, war mir gar nicht bewusst? Die beiden werden im Zuge der Hochzeit mit mir in die Villa Flavia kommen, weißt du." Dass sie einen Teil der Mitgift darstellten, erwähnte sie nicht eigens. Vielleicht war es Siv klar, aber Epicharis sah sich nicht genötigt, besonders herauszustellen, dass man Sklaven genauso gut wie Geld oder Landgüter als Mitgift weitergeben konnte. Für sie selbst waren Sklaven ohnehin mehr als lebendige Waren, und jeder, der sie näher kannte, wusste es.


    Während die Claudia und die aurelische Sklavin sich unterhielten, scharrte der Leibwächter ab und an mit dem Fuß oder räusperte sich leise, um einen weiteren - scheinbar unwillkürlichen - Seitenblick seitens der Blondine zu provozieren. Er war schließlich nicht dumm und wusste genau, wo der Hase lief. Gerade schnippte er hinter dem Rücken. Und da - sie schaute wieder. Der breitschultrige Sklave grinste Siv an. Als jedoch Epicharis ihn fragend ansah, wurde er schlagartig wieder ernst und sah die Straße entlang. Epicharis rief sich in Erinnerung, dass sie eigentlich zum Markt hatte gehen wollen. Und zwar, um sich Stolas zu kaufen. Als Matrone durfte sie sie endlich tragen, und bisher besaß sie keine. "So. Also... Ist deine Nase wieder besser?" Fragte sie. "Wenn dein Herr mich je fragen sollte, werde ich ihm sagen, dass du deine Aufgabe hervorragend erledigt hast."

  • "Wia haben gedoffn. Bei Saddunalien." Siv hätte das Gesicht verzogen, hätte der Bereich um ihre Nase herum nicht so geschmerzt. Ihre Aussprache wurde immer schlimmer, hatte sie das Gefühl. Das war auch der Grund, warum sie nichts weiter dazu sagte, dass die beiden zu den Flaviern mitkommen würden. Dass sie zu der Mitgift gehörten, wäre Siv vielleicht klar geworden, hätte sie tatsächlich nachgedacht, aber das tat sie nicht, und so nahm sie es einfach als Information hin. Möglicherweise traf sie sie dann häufiger, hatten die Aurelier doch mit den Flaviern mehr Kontakt als mit den Claudiern.


    Der Leibwächter dagegen hatte ein Talent dafür, Sivs Temperament zum Brodeln zu bringen. Immer wieder tat er irgendetwas, was sie dazu brachte, ebenso häufig zu ihm zu schielen, was sie eigentlich strikt vermeiden wollte, schon allein um zu zeigen, wer im Moment am längeren Hebel saß. Allerdings war das keiner von ihnen beiden, sondern die Römerin, was spätestens in dem Moment klar wurde, als die Claudia ihn ansah. Beide, der Leibwächter und Siv, hörten augenblicklich damit auf, sich gegenseitig mit diesen winzigen Gesten zu provozieren. Stattdessen tastete Siv, durch die Frage hiernach provoziert, erneut ihre Nase ab. "Nichd wiaglich", seufzte sie. Dann sah sie erfreut hoch. Wenn die Claudia sie vor Corvinus tatsächlich lobte, dann hatte es sich gelohnt, Brix zu bearbeiten. Allerdings rief ihr die Erwähnung ihres Herrn nur einen Augenblick später in Erinnerung, dass sie eigentlich – und ausdrücklich – nur diese Botschaft hatte abliefern sollen. Und anschließend gleich wieder zurückkommen sollte. Brix würde ohnehin sauer sein, wenn er ihre Nase sah, sie wollte sich nicht auch noch verspäten und dann wirklich Ärger kriegen. "Vielen Dang. Auch dafüa", sie deutete noch einmal auf die Münze. "Dann… ih will dih nichd, nichd… aufhaldn, länga. Und ih muss auch gehn." Sie lächelte Epicharis noch einmal zu, und als klar wurde, dass diese nichts einzuwenden hatte, verabschiedete sie sich – Epicharis bekam ein "Vale", der Leibwächter eine Grimasse, die eine herausgestreckte Zungenspitze mit einschloss, als Siv so stand, dass die Claudia das nicht würde sehen können. Dann machte sich die Germanin auf den Heimweg.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!