Als sie die Stadt hinter sich gelassen hatte, atmete Siv tief durch. Sie hatte die Erlaubnis, nun ja, Brix’ Erlaubnis, aber dennoch wäre es schwer geworden zu erklären, was sie nachts in den Straßen Roms zu suchen hatte. Jetzt allerdings war sie im Wald unterwegs, in demselben Wald, in dem sie das Julfest gefeiert hatte mit den zwei Germanen und der Keltin. Ein Lächeln flog über ihr Gesicht, als sie daran zurückdachte. Es hatte so gut getan, hinauszukommen, und sich ihren eigenen Bräuchen zu widmen… Flink huschte sie durch den Wald, fand traumwandlerisch sicher den Weg wieder, den sie damals gegangen waren – in der Stadt mussten ihr bis heute neue Wege dreimal erklärt oder gezeigt werden, bis sie sich einigermaßen sicher war, dass sie sie alleine finden konnte, aber hier, im Wald, hatte sie nicht das geringste Problem sich zu orientieren. Und es war so wunderbar, hier zu sein. Bäume um sich zu haben. Siv hätte jauchzen können, wäre da nicht der Grund gewesen, warum sie überhaupt hier war. Auch wenn ihr Herz sich beträchtlich leichter fühlte hier, konnte sie doch nicht vergessen, was sie in den Wald getrieben hatte.
Siv war schnell unterwegs, und so brauchte sie nicht ganz eine Stunde, bis sie die Stelle erreicht hatte, an der sie Jul gefeiert hatten – eine kleine Anhöhe, mitten in einem dichten Pinienwald. Nichts deutete mehr auf ihre kleine Feier hin, hatten sie danach doch darauf geachtet, alles so zurückzulassen, wie sie es vorgefunden hatten, und doch wusste Siv auf Anhieb die Stelle zu benennen, an der das Opfer stattgefunden hatte. Auch diesmal hatte sie wieder eines der Kaninchen dabei, die immer in Ställen vor der Küche lebte, so dass Niki es nicht weit hatte, wenn sie eines brauchte. Auch diesmal hatte sie es mit einer Kräutermixtur in tiefen Schlaf versetzt, in dem es nur gelegentlich zuckte. Dieses Mal hatte sie aber noch mehr dabei. Einen kleinen Schlauch, abgefüllt mit etwas von dem Met, den Ursus mitgebracht hatte – der Brauch hätte es gefordert, dass sie es selbst braute, oder wenigstens einer ihrer Verwandten oder Freunde, nicht dass er irgendwo gekauft worden war, aber dazu hatte sie schlicht keine Möglichkeiten, und sie hoffte, die Götter würden ein Einsehen haben, was das betraf. Sie suchte sich zwei gegabelte Äste, holte die Steine, die noch dort lagen, wo sie sie gelassen hatte, und lockerte dann mit ihrem Messer wieder die Grasnarbe, so wie Rutger es beim Julfest getan hatte. Anschließend bewegte sie ihre Finger, zeichnete Symbole in die Luft über der improvisierten Opferstätte, Zeichen der Götter, ihrer Götter. Ruhig bewegten sich ihre Hände, holten das immer noch schlafende kleine Tier hervor, liebkosten für einen Moment das weiche Fell, bevor sie nach dem Messer griffen. Ebenso ruhig umfassten die Finger ihrer linken Hand den Nacken, während die rechte das Messer führten. Ein Schnitt, und Blut sprudelte in die Schale, die sie hingestellt hatte. Hellrot war es, sie wusste darum, aber im Mondlicht war keine wirkliche Farbe auszumachen. Sie wartete geduldig, ließ den warmen Lebenssaft über ihre Finger fließen, bis es schließlich weniger wurde und dann ganz aufhörte. Sachte strich sie mit der anderen noch einmal über das Fell, dann legte sie den schlaffen Körper beiseite. Inzwischen befand Siv sich in einer Art Trance, ihr Körper vollzog die bekannten Handlungen ohne nachzudenken, während ihr Geist woanders weilte. Ein Zweig wurde in die Schale getaucht, um dann die Umgebung und sie selbst mit dem Blut zu bespritzen, zunächst die vier Himmelsrichtungen, dann sie. Im Anschluss hob sie die Schale leicht an und vergoss den Rest über den Stein, der in der Mitte ihrer kleinen Opferstätte platziert war.
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