Ein kleiner Spaziergang

  • In den letzten paar Tagen war Ánthimos seltsam gewesen. Es war nichts, was Penelope wirklich greifen oder fassen konnte, es war mehr so ein Gefühl. Seit Penelope im Museion arbeitete ungefähr hatte er angefangen, etwas grüblerischer zu werden. Zwar sagte er, wie stolz er auf sie war und wie sehr es ihn freute und Penelope glaubte ihm da auch, aber da es ungefähr in denselben Zeitraum fiel, machte sich die junge Griechin ein wenig Sorgen. Vielleicht war es ihm ja unterbewusst doch nicht recht?
    Daher hatte sie heute ihrem Mann geschnappt, um mit ihm spazieren zu gehen. Sie waren beide schon am frühen Nachmittag zuhause gewesen, daher konnten sie einen schön ausgedehnten Spaziergang mal wieder unternehmen. Penelope machte das gern, und das nicht erst, seit sie Ánthimos bei einem Spaziergang kennen und lieben gelernt hatte. Und so hatten sie ein wenig Zeit für sich, wo sie ein wenig miteinander reden konnten.
    Penelope war bei ihrem Geliebten leicht im Arm eingehakt und schlenderte mit ihm durch die Straßen, als sie für sie eigentlich ungewohnt einmal direkt ansprach, was ihr im Kopf rumging.
    “Anthi? In letzter Zeit wirkst du ein wenig nachdenklich. Geht es dir nicht gut?“
    Vielleicht machte sie sich nur unnötig mal wieder Sorgen wegen nichts. Aber wenn es etwas gab, dann wollte sie als seine Frau es auch gerne wissen.

  • Es war schön mal wieder mit Pelo durch die Straßen Alexandrias zu schlendern. Sie hatte viel Arbeit und Anthi ebenfalls. Gerade waren einige Betriebsprüfungen angefallen bei denen er als Scriba des Agoranomos natürlich anwesend sein musste. Jetzt waren diese aber abgearbeitet, so dass er heute früher frei bekommen hatte als gewöhnlich. Und als Penelope ihn dann fragte ob er Lust auf einen Spaziergang hatte, war er sofort Feur und Flamme gewesen.


    Kaum waren sie unterwegs und hatten sich ein wenig unterhalten stellte sie ihm diese Frage. "Ich, nachdenklich? Nein, bei mir ist alles in Ordnung. ich hatte nur viel Arbeit in letzter Zeit. Wahrscheinlich hat mir einfach mehr gemeinsame Zeit mit dir gefehlt...oder etwas Training."


    Eigentlich nagte die Sache mit Nikolaos noch an ihm, aber Pelo hatte sich genau so verhalten wie man sich das als Verlobter eigentlich nur wünschen konnte, also wollte er ihr wegen seines Problems kein schlechtes Gewissen machen.

  • Pelo wollte ihm sehr gerne einfach glauben, aber irgendwas war da. Vielleicht hatte sie schon einen sechsten Sinn für ihren Mann entwickelt, aber sie fühlte einfach, dass da noch etwas war. Und wo er das Training ansprach, fiel ihr auch noch eine andere Sache ein.
    “Wo du das Training grade anspricht, was war da eigentlich das letzte Mal? Du warst beim Abendessen ein wenig durch den Wind.“
    Nun, das war vielleicht eine Übertreibung, aber doch hatte Penelope sehr wohl gemerkt, dass etwas nicht gestimmt hatte. Allerdings waren Timos und Ilias grade gut gelaunt gewesen, so dass sie Anthi am Tisch nicht darauf ansprechen wollte. Und da sie selbst gerade ebenfalls viel Arbeit hatte – die sie zwar sehr gerne machte und sich auch über jedes bisschen mehr im Moment noch freute – hatte sie es dann später beim Zubettgehen einfach vergessen, weil sie zu müde gewesen war. Die letzten paar Tage war sie häufiger abends mal sehr müde. Sie hatte auch schon mit Inhapy darüber gesprochen, aber die meinte, das sei normal, auch zu Beginn einer Schwangerschaft.

  • Das war an dem Tag, an dem er Iunia Axilla getroffen hatte. Bisher hatte er ihr noch nichts davon erzählt. Er wollte ja nicht, dass sich Pelo noch Sorgen machte, schließlich hatte Axilla nicht unbedingt den besten Ruf, was ihre Keuschheit betraf, und Penelope war ab und schon richtig eifersüchtig. Eigentlich gefiel das Anthi ja, denn ihm ging es ebenso, aber heute freute er sich nicht darüber...


    "Ich habe beim Training Iunia Axilla getroffen. Na eigentlich hab ich sie sogar wortwörtlich getroffen...mit einem Diskus. Ich hab ganz übersehen, dass sie im Stadion Runden lief. Das hat mir schon einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Und dann hab ich mich natürlich auch ein wenig mit ihr unterhalten. Die Arme ist ganz schön durch den Wind."

  • Im ersten Moment machte Penelope nur einmal kurz “Aha.“ Sie hatte zwar nichts gegen die kleine Rhomäerin, aber nachdem Anthi ihr erzählt hatte, dass diese wohl nicht so ganz keusch war – was nach der Sache mit Timos wohl auch ziemlich offensichtlich war – war es ihr nicht unbedingt recht, dass Anthi sich mit dieser traf. Timos hatte sich erst von ihr getrennt, und Penelope konnte nicht die Gedanken von frisch verlassenen Rhomäerinnen lesen. Und für sie war ihr Ánthimos ja ohnehin der tollste Mann der Welt, aber sie war nicht blind und wusste, dass auch andere Frauen ihn zumindest für sehr gutaussehend hielten. Da mochte sie sich nicht Gedanken um junge, hübsche Dinger machen, die schon einen Bantotakis verführt hatten.
    Hach, nein, da tat sie Axilla sicher unrecht, und Penelope schämte sich auch gleich für diesen bösen Gedanken. Aber dennoch… nein, so ganz recht war es ihr nicht. Aber dann fiel ihr etwas anderes bei Anthis Aussage auf.
    “Du hast sie mit einem Diskus getroffen? Richtig getroffen? Und ihr musstet nicht gleich einen Arzt rufen?“
    Penelope wunderte sich, dass jemand so einen Treffer überhaupt überlebte. Ein Diskus war ein tödliches Geschoss, wenn die schwere Platte einen Menschen voll traf.

  • O, da hatte er sich offenbar ein wenig vertan, schließlich hatte er sie ja nur beinahe getroffen...also mit dem Diskus.


    "Nein, ich hab das falsch formuliert ich hätte sie beinahe getroffen. Sie ist zum Glück noch zur Seite gesprungen. Aber hätte sie nicht reagiert, wäre sie jetzt wohl ernstlich verletzt. Na ja, ich war da ein wenig wütend und hab eben einfach so geschmissen um ein wenig Ärger abzubauen."

  • “Also hast du zur Zeit doch Ärger?“
    Und warum redete er nicht mit ihr darüber, sondern schmiss stattdessen lieber mit Disken nach Rhomäerinnen? Penelope sah Ánthimos fragend an. Auf die Sache mit Axilla, warum diese durch den wind war, würde sie gleich noch zu sprechen kommen, sie hatte das nicht vergessen und der Teil von ihr, der unendliches Mitgefühl mit allem, was litt, besaß, wollte das schon noch wissen. Aber erst einmal galt es zu klären, was mit ihrem Mann gerade los war.
    “Meinst du nicht, als deine Frau sollte ich wissen, was dich bedrückt?“

  • Nein, verdammt! jetzt hatte er ja doch gesagt, dass er schlecht drauf war. Wie konnte er das jetzt wieder geradebiegen? Wahrscheinlich gar nicht. Also unternahm er noch einen letzten Versuch zu entkommen:


    "Weil du daran gar nichts ändern kannst. Es ist ein Problem das ich persönlich mit einer Sache habe, und ich möchte dich damit nicht belasten. Du hast auf jeden Fall alles richtig gemacht."


    Eigentlich konnte sie auch selbst darauf kommen, schließlich war der Axilla-Vorfall direkt nach dem Museion-Vorfall gewesen.

  • Das konnte doch nicht wahr sein? Das war seine Sache, mit der er selber fertig werden musste? Und weil sie nicht daran schuld war, ging es sie nichts an, oder was? Penelope für sich war viel zu ruhig veranlagt, um richtig wütend zu werden, aber ihr gefiel der Inhalt seiner Aussage deshalb noch lange nicht.
    “Ich dachte, wir könnten uns alles sagen, was uns auf dem Herzen liegt.“
    Pelo löste sich leicht von Ánthimos, denn seine Verschwiegenheit verletzte sie ein wenig. Sie dachte, er wolle sie gleichberechtigt behandeln, aber in diesem Fall verhielt er sich so schlimm wie jeder andere Mann auch. Nur nicht über Gefühle sprechen…

  • Fast hatte er erwartet, dass sie genau das sagen würde... Alles was er da noch sagen konnte um aus diese Lage wieder herauszukommen wäre gemein und das wollte er nicht. "Ach Schatz!", meinte er brummelig dazu und machte ein Gesicht als hätte er in etwas sehr Saures gebissen. "Klar weis ich, dass ich dir alles sagen kann. Aber ich möchte nicht, dass du dich schlecht fühlst deswegen, wo du ja gar nichts dafür kannst."

  • “Ach, und wenn du um mich herumschleichst und ich merke, dass es dir schlecht geht und ich nicht weiß warum, geht es mir dann besser? Ach, Anthi, ich will doch nur wissen, was mit dir los ist. Ich mache mir Sorgen um dich. Und da ist es mir egal, ob ich an den Umständen etwas ändern kann oder nicht. Ich möchte einfach nur wissen, was dich bedrückt.“
    Selbst ihre ersten Worte waren nicht erzürnt, sondern eher traurig und fast schon resignierend gesprochen. Sie konnte ihn nicht zwingen, mit ihr darüber reden, aber sie wollte es einfach wissen. Es ging ihr schlecht, wenn es ihm schlecht ging, das musste er einfach einsehen. Egal, ob sie etwas dafür konnte oder nicht.

  • Penelope setzte diesen traurigen Hundeblick auf. Wie gemein! Dagegen war kein Kraut gewachsen, da war sich Anthi sicher. Nichtmal Inhapy würde eines kennen, dass ihn davor schützen könnte. Also stieß er nur ein Wort aus, dass seine ganze Prämisse beschrieb: "Nikolaos!", ätzte er und hoffte sie wäre damit zufrieden, wobei er jetzt schon wusste, dass sie sicher noch nachbohren würde...

  • “Nikolaos?“, echote Penelope ein bisschen verwundert. “Der Gymnasiarchos?“


    Sie brauchte einige Sekunden, diese Information zu ordnen, und dann fielen ihr die Situationen auch wieder ein, die Ánthimos meinen könnte. Der Gymnasiarchos war wirklich ein wenig überheblich bei der Ephebia, oder er gab sich zumindest so. Sehr pingelig und sehr genau. Penelope versuchte daher, Anthimos gleich ein wenig zu beruhigen.
    “So lange dauert die Ephebia ja auch nicht mehr. Dann musst du dich nicht mehr über ihn ärgern.“

  • Die Ephebia...ihn ärgerte der Vorfall in ihrem Büro viel mehr.


    "Das er mich bei der Ephebia wie einen ungehobelten Barbaren behandelt ist mir egal. Nein, es ist mir natürlich nicht egal, aber das kann ich ertragen. Das er es aber wagt, genau vor mir meine zukünftige Frau zu sich nach Hause einzuladen ärgert mich viel mehr! Am Liebsten hätte ich ihm die Vase mit den Blumen über seinen hässlichen Kopf gezogen! Ich konnte mich nur zurückhalten, weil man als Athlet auch seine Gefühle im Griff haben muss und ich ihm diesen Triumph nicht gönne. Diese Überhebliche Art und Weise macht mich so unglaublich wütend!" Sein Gesicht nahm eine leicht rötliche Färbung an, und die Ader an seinem Hals pochte auffällig.

  • Ah, das also war der Kern des ganzen. Und das trug er die ganze Zeit mit sich herum und sagte keinen Ton? Und ärgerte sich stattdessen lieber still und leise vor sich hin und schmiss mit Sportgerät um sich?
    “Und warum sagst du mir nichts? Ich meine, wenn es dich so ärgert, dann findet sich doch sicher ein Weg, dass ich den Unterricht mit ihm abbreche? Ich meine, ja, es ist sicher für mich vorteilhafter, wenn jemand wie er mein Schüler ist. Und auch für die Ephebia. Aber… ich will doch nicht, dass du dich die ganze Zeit so ärgerst.“
    Jetzt machte sich Penelope Selbstvorwürfe, dass sie nicht von allein darauf gekommen war. Aber Ánthimos hatte an dem Tag im Museion bei dem Gespräch nur gelächelt und sich auch sonst nichts anmerken lassen.

  • Hätte er ihr nur nichts gesagt, denn das wollte er nicht. Bloß weil er nicht darüber stand, wollte er nicht, dass sie sich schadete. Es war eigentlich eine tolle Sache, dass der Gymnasiarchos bei ihr Unterricht nahm, und das wollte er ihr auf gar keinen Fall schlecht machen.


    "Das kommt gar nicht in Frage! Es ist eine tolle Sache, dass du das machen darfst. Genau deswegen wollte ich es dir ja nicht sagen. Wenn du mit Nikolaos gut stehst kann dir das nur helfen, vielleicht auch bei deinem Traum von Delphi. Ich könnte das nie auf mir sitzen lassen, dir so etwas verbaut zu haben, bloß weil ich meine Gefühle nicht im Griff habe. Und außerdem vertraue ich dir da voll: Ich fand es toll, wie du ihm die Stirn geboten hast. Ich war da richtig stolz!"

  • Jetzt war Penelope hin und her gerissen. Natürlich war das eine großartige Chance für sie, und auch wie Anthi redete konnte sie ihm eigentlich nur zustimmen. Aber dass er tagelang vor sich hin gebrütet hatte, zeigte ihr, dass er das ganze doch nicht ganz so leicht nahm. Daher sah sie sich in einer moralischen Zwickmühle, denn er war ihr allemal wichtiger als irgendwelche Träumereien.
    “Ja, schon, aber… es würde mir wirklich nichts ausmachen. Ich meine, ich komme schon nach Delphi, und zwar aus eigener Kraft. Wenn ich das tun will, dann möchte ich es schaffen, weil ich gut genug bin, nicht weil mir irgendjemand dabei hilft.“
    Aber vermutlich war das nicht ganz das, was Ánthimos nun von ihr wollte. Zumindest sagte er etwas anderes. Penelope würde es sich eine Weile noch in Ruhe überlegen. Natürlich war die Sache mit dem Gymnasiarchos bestimmt vorteilhaft, vor allem im Bezug auf die Ephebia. Sie würde sich das gut überlegen müssen.
    “Und natürlich habe ich sein Angebot abgelehnt. Ich meine, ich kann ja nicht einfach zu ihm nach Hause gehen. Und dafür ist das Museion ja auch da, dass man dort etwas lernt, und nicht zuhause. Ich bin ja nicht eine Privatlehrerin wie bei den Rhomäern..“
    Das war auch der perfekte Übergang wieder zu Axilla. Und Pelo hatte das nicht vergessen, dass er sich mit der Frau unterhalten hatte.
    “Wo wir grade dabei sind, was war denn mit Axilla?“

  • "Und nur weil du gut darin bist, hast du die Chance am Museion erhalten. Wenn du dich mit einem dere mächtigsten Männer Alexandrias anlegst, kann er dich sicher genug Steine in den Weg legen, die wir vielleicht nicht beiseite räumen können. Und ich würde nie zulassen, dass dein Traum in Gefahr gerät. Sicher würdest du das bei mir auch nicht tun, wenn es um die Olympischen Spiele gehen würde. Wie gesagt, ich ärgere mich über ihn, nicht darüber, dass du ihn unterrichtest. Vielleicht kannst du ihn ja ein bisschen für mich quälen." Er zwinkerte ihr zu. Auf die zweite Frage ging er erstmal nicht näher ein. Er wollte einfach nicht darüber reden, und anlügen wollte er sie auch nicht.

  • “Nun, wenn er wirklich nur noch so wenig kann, wie er behauptet, werde ich das mit Vergnügen tun.“
    Penelope musste leicht lachen und hakte sich auch wieder bei ihrem Mann ein. Sie konnte ihm einfach nicht lange böse sein und schmollen, und nachdem sie nun wusste, was los war, konnte sie darauf auch eingehen.
    Allerdings bemerkte sie, dass er gar nichts zu Axilla gesagt hatte. Und das machte sie doch wieder ein klein wenig stutzig. Er hatte ihr ja schließlich auch alles erzählt, was Timos ihm über sie erzählt hatte. Warum machte er dann jetzt so ein Geheimnis daraus? Ein klein wenig regte sich die Eifersucht in Penelope, und sie zog fragend eine Augenbraue nach oben.
    “Und, magst du mir nun erzählen, warum die Rhomäerin so durch den Wind war?“

  • Mit einem einfachen "wegen Timos" wäre das Thema wohl sofort erledigt, aber das wäre nunmal leider eine Lüge gewesen. Allerdings wusste Anthi ja selber nicht viel mehr.

    "Ich weis es nicht genau warum sie so durch den Wind ist. Sie meinte es ist nicht wegen Timos. Mehr hat sie mir nicht verraten. Aber irgendwie tut sie mir leid, wenn ich bedenke was ihr die zwei Holzköpfe angetan haben. Ich glaube sie hat wohl Probleme in der Familie. Sie hat so komische Andeutungen gemacht, aber dann immer gleich das Thema gewechselt bevor ich nachaken konnte. Ich denke sie war aus dem gleichen Grund hier wie ich: Um ihren Frust abzubauen. Allerdings wusste ich was ich tat, und sie rannte bis sie geschnauft hat wie ein alter Rhomäer im Dampfbad."

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